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Interview: Jeff Mills – Soundtracks für die Zukunft der Menschheit

Zum dritten Mal bereits hat Jeff Mills die Musik zu Fritz Langs Kultfilm „Metropolis“ komponiert – einen Film, dessen „dramatisches Thema“, wie er es ausdrückt, „heute noch genauso relevant ist wie bei der Premiere des Films im Jahr 1927“.

Das Ergebnis, das auf CD und einem 3LP-Set unter dem Titel „Metropolis Metropolis“ erscheint, ist intensiv, verwirrend und von einer jenseitigen Sinnlichkeit. Mills hat hier nicht nur einen Sountrack zu einem Klassiker geschrieben. Er hat eine neue Erfahrung des Films selbst geschaffen.

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Beat / In seinen exzellenten Liner Notes zu „Metropolis Metropolis“ schreibt Terry Mathews über einige der Gründe, warum Metropolis für viele über so lange Zeit eine Inspiration geblieben ist. Was inspiriert dich persönlich heute noch an diesem Film?

Jeff Mills / Die Tatsache, dass unsere Gesellschaft in gewisser Weise die wichtigste Botschaft des Films, der 1927, also vor etwa 100 Jahren, gedreht wurde, immer noch nicht ganz verstanden hat: Dass wir entweder vergessen oder ignorieren, dass die Unterschiede zwischen uns Menschen so gering sind, dass wir im Grunde alle ein großer Organismus sind. Und das Funktionieren dieses Organismus hängt maßgeblich von jedem Einzelnen ab. Von unser aller Gesundheit in Geist, Körper und Seele. In unserer Evolution sind 100 Jahre keine lange Zeit, wenn wir bedenken, wie weit wir gekommen sind. Aber wenn wir auf die nächsten 100 Jahre blicken, ist eines der wichtigsten Themen, an das ich denken kann, das Wohlergehen und die Bedingungen des Durchschnittsmenschen. Wo wird dieser Teil der Gesellschaft in hundert Jahren stehen?

Beat / “2001” ist ein weiterer Film, den du sehr schätzt, und wie “Metropolis” bietet auch er einen faszinierenden Blick in die Zukunft. Welche dieser beiden Zukunftsvisionen ist näher an der deinen?

Jeff Mills / In der nicht so fernen Zukunft würde ich mich für “Blade Runner” entscheiden. Aber ich denke, dass George Lucas‘ die Sache in „THX 1138“ (1971) noch genauer getroffen hat. Dort müssen die Menschen aufgrund der starken Hitze und Strahlung auf der Oberfläche des Planeten unterirdisch leben. Und ich stelle mir auch eine Zeit vor, in der jeder Mensch in eine Gesellschaft hineingeboren wird, in der jeder eine Rolle bei der Aufrechterhaltung unserer Zivilisation zu spielen hat. Dass es unerlässlich sein wird, zusammenzuarbeiten. Dass es nicht mehr möglich ist, dass wir uns frei für den Beruf entscheiden, den wir am liebsten ausüben würden.

Beat / Fritz Lang wird mit den Worten zitiert: „Ich war in erster Linie ein visueller Künstler. Ich hatte nie ein Ohr, und ich bedaure das.“ Und doch gibt es in Metropolis viele Szenen, die, so scheint es, eindeutig rhythmisch choreografiert sind. Wie siehst du das?

Jeff Mills / Ich denke, dass (manchmal) das Fehlen von Fähigkeiten – oder die Annahme, dass es einem an diesen Fähigkeiten mangelt – ein großer Vorteil sein kann. Es kann dabei helfen, neue Ideen und Perspektiven zu entwickeln, weil man nicht weiß, was genau man eigentlich tun soll. Langs visueller Rhythmus war rein instinktiv und er schuf mit ihm eine Methode, die nur er verstehen und sich zu eigen machen kann. Ich sehe den visuellen Rhythmus von Metropolis ähnlich wie die Art und Weise, wie ein DJ über Musik nachdenkt und sie (manchmal) auch programmiert. Es gibt einen Höhepunkt, auf den sich alles andere zubewegt. Ein gut geplanter Pfad von Bewegungen, der die Möglichkeit eröffnet, zur nächsten Szene überzugehen. Als ich vor Jahrzehnten begann, den Film zu studieren, war dies eines der ersten Elemente, die ich erkannte.

Beat / Metropolis ist fast 100 Jahre alt. Die Mittel zur Herstellung des Soundtracks sind also viel fortschrittlicher als die Mittel zur Herstellung der Bilder – deine Musik zu diesem Film stammt buchstäblich aus der Zukunft.

Jeff Mills / Eigentlich bin ich diesen Soundtrack mit der Vorstellung angegangen, dass man ihn in 100 Jahren hört und dabei einen 200 Jahre alten Film sieht. Ich habe versucht, mir eine Person in der Zukunft vorzustellen, die einige der lebensverändernden Veränderungen und Probleme durchgemacht hat, die wir und die Menschen im letzten Jahrhundert (1900) erlebt haben. Eine Zeit, in der das Genre der elektronischen Musik als Kunstform wahrgenommen wurde, als die Menschen noch physisch Geräte einstöpselten und anschlossen – Maschinen, die man programmieren musste, um sie zum Laufen zu bringen. Ich habe über diese Person nachgedacht, die in einer Zeit lebt, in der wir von Dingen umgeben sind, von denen wir nur träumen können, in der es aber immer noch soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten gibt.

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Beat / Wie verhindert man, dass die Klänge des 21. Jahrhunderts den Film überwältigen?

Jeff Mills / Obwohl der Film schon vor langer Zeit gedreht wurde, habe ich versucht, mir vorzustellen, dass ich Teil der Originalproduktion bin. Ich habe versucht, mir vorzustellen, was Fritz Lang darüber gedacht haben könnte. Ich habe also nicht nur diesen Film gesehen, sondern auch andere, die er geschaffen hat, um zu verstehen, welche Gedanken für ihn akzeptabel waren und welche nicht. Ich gebe zu: Genau werden wir seine Gedanken nie erfahren. Aber ich musste etwas als kreativen Maßstab nehmen.

Beat / Wie bist du konkret vorgegangen?

Jeff Mills / Es kam wirklich darauf an, worum es in der Szene ging. Auf die Gefühle der Figuren. Nicht unbedingt ihre physischen Bewegungen. In der Laborszene zwischen Maria und dem Roboter entschied ich mich zum Beispiel für eine Tonspur, die widerspiegelt, was Maria durch den Kopf geht, während sie sich in den Kopf des Roboters verwandelt. Und wenn es darum ging, die Bilder emotional aufzuladen, stellte mir die Herzschlagrate den Schock und die Ungläubigkeit, die Trauer und die Traurigkeit des Erkennens und das Adrenalin vor, das bei der Rettung der Menschen entsteht. All diese und andere Faktoren habe ich beim Komponieren berücksichtigt. Die Produktion des Soundtracks dauerte fast 4 Jahre, so dass ich viel Zeit damit verbracht habe, über die Szenen und ihre Bedeutung nachzudenken. Ich sah mir die Szene an, dachte eine Weile über sie nach und produzierte dann so lange Musik, bis ich das Gefühl hatte, dass sie einen richtigen Bezug dazu hatte.

Beat / Was trägt die Musik zum Bild bei und welchen Wert hat sie über ihre Funktion als Soundtrack hinaus?

Jeff Mills / Sowohl Bild als auch Ton dienen dazu, die Botschaft an den Zuschauer/Hörer zu übermitteln. Aber während das Bild glaubwürdiger ist, hat der Ton mehr Freiheiten, etwas anzudeuten und anzuregen. Ton kann schwer fassbar sein und ein eigenes Leben außerhalb des Kontexts von Kino und bewegten Bildern führen.

Beat / Verschiedene Komponisten könnten sich der gleichen Szene mit auffallend unterschiedlicher Musik nähern. Gibt es deiner Meinung nach „falsche“ und „richtige“ musikalische Entscheidungen für bestimmte Szenen?

Jeff Mills / Ich glaube nicht, dass es jemals eine falsche Entscheidung für einen Soundtrack geben kann. Es hängt von der Zeit ab, in der wir leben, und davon, was für den/die Zuschauer*in akzeptabel ist. Das heißt, wie wir die Botschaft interpretieren, hängt von den Bedingungen ab, unter denen wir sie empfangen. Keiner von uns führt das exakt selbe Leben.

www.axisrecords.com

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