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Portrait: Nils Frahm - Zeitdokument

Der Pianist Nils Frahm gilt als Grenzgänger zwischen Klassik und Elektronik und hat sich mit seinen vielfältigen Veröffentlichungen seit 2005 auch in Kreisen der E-Musik einen exzellenten Ruf erspielt. Seine neue Veröffentlichung „Tripping With Nils Frahm“ ist ein Live-Dokument in Bild und Ton, was es künstlerisch jedoch nicht weniger wertvoll macht. Wir sprachen mit dem Wahl-Berliner u. a. über die Corona-Krise und ihre Auswirkungen auf die Kulturszene, sein Live-Setup und die Magie des Funkhauses in Berlin – den ehemaligen Sitz des DDR-Rundfunks, in dem sich nicht nur Nils’ Studio Durton befindet, sondern an dem auch besagtes Live-Dokument mitgeschnitten wurde.

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Beat / Wie geht es dir? Hat dir das aktuelle Jahr sehr zugesetzt?

Nils / Das lässt sich nicht ganz einfach beantworten, aber ich denke mal, alle sind etwas überrascht und irritiert. Ich bin dabei, mich an die neue Normalität zu gewöhnen. Bedauerlich ist insbesondere, dass wir als Kulturschaffende nicht „systemrelevant“ sind. Nicht nur aus beruflichen Gründen finde ich das alles sehr schlimm, sondern aus zwi- schenmenschlichen Aspekten. Es wird zu einem Überangebot und einem vermehrten Konkurrenzkampf führen. Ich als etablierter Künstler bin sicher nicht der Erste, der das Handtuch schmeißen muss. Viel schlimmer ist, dass Künstler, die jetzt neu anfangen, gar keine Chance mehr haben.

Beat / Hat die Situation Einfluss auf deine weitere Planung?

Nils / Meine Agenda ist derzeit leer und ich fürchte, dass es in den nächsten drei Jahren mit Konzerten sehr schlecht aussieht. Ich kann nur jedem empfehlen, sich da nicht täuschen zu lassen. Deswegen musste ich die Entscheidung fällen, meinem Team die Möglichkeit zu lassen, sich andere Beschäftigungen zu suchen – obwohl ich eigentlich für dieses und nächstes Jahr sehr gute Angebote hatte. Ich habe somit keine Mitarbeiter mehr und es müssen alle von Null anfangen. Und ich muss damit rechnen, dass viele das Feld gewechselt haben, wenn sich die Lage normalisiert hat. Womöglich ist es auch für mich an der Zeit, etwas Neues zu lernen.

Beat / Du hast zumindest die Möglichkeit, Alben aufzunehmen.

Nils / Ja, aber ich wollte immer eine Inspiration sein. Und das beinhaltet auch, Dinge zu tun, die schwer erscheinen. Zum Beispiel, sich von dem Traum zu verabschieden, dass wir alle Rockstars sein können. Wenn es mir gelingt, einen neuen Weg aufzuzeigen, fällt es anderen vielleicht auch leichter, Abstand zu gewinnen. Ich wollte schon immer Leute anstecken, mutig und neugierig zu sein und Sachen anders anzugehen.

Beat / So ist dein Live-Album gewissermaßen ein Relikt aus einer anderen Zeit. Wie kam es dazu? 

Nils / Ich finde, es ist schlau, seine Touren zu dokumentieren, egal, ob man es später nutzt oder nicht. So haben wir alle Konzerte in Audioform mitgeschnitten, da man vorher nie weiß, ob nicht der perfekte Abend dabei ist, an dem alles klappt. Es gibt ein paar Konzertdokumente im Internet von verschiedenen Zeitpunkten meiner Karriere. Das waren Arbeiten von öffentlich-rechtlich Fernsehanstalten oder Menschen, mit denen wir nicht direkt etwas zu tun haben. Da jedoch irgendetwas – ob Licht, Mix, Kamera oder Sound – immer nicht perfekt war, bestand schon lange der Wunsch, mal selber etwas zu produzieren. Einen Hybrid aus Film und Doku. Es sollte ästhetisch sein, ähnlich wie meine Alben.

Beat / Videomitschnitte gab es nicht auf der ganzen Tour?

Nils / Nein, das haben wir nur bei den Funkhaus-Konzerten gemacht. Im Bereich Audio haben wir uns dann auch komplett für die Funkhaus-Mitschnitte entschieden, da es ein wahnsinnig toll klingender Ort ist. Es wurde dann aus vier Konzerten ein Film zusammengeschnitten, was man aber nicht merkt. Es ist quasi ein „idealeres“ Konzert [lacht].

Beat / Ist die Produktion eines Live-Albums ebenso intensiv für dich wie ein Studioalbum oder lagerst du viel aus?

Nils / Ich mische alles selbst und sitze auch beim Mastering oder beim Colour-Grading dabei. Aber es ist eher Fleißarbeit, da es etwas dokumentiert, das man schon gemacht hat. Und ich finde es anstrengender, als ein Album zu machen, das eher einen Schritt nach vorne bedeutet. Bei einem Live-Dokument geht es darum, ein Konzert so natürlich wie möglich zu übertragen und um den Eindruck zu erwecken, muss man viel mischen, schneiden und Feinheiten heraus arbeiten. Das war extrem anstrengend und fiel mir nicht leicht.

Beat / Machst du ein Studio-Album eher für dich und ein Live-Album eher für dein Publikum?

Nils / Könnte man denken, aber ich glaube, dass es auch für mich wichtig ist, solch einen Mitschnitt später zu sehen, wenn ich alt bin – um überhaupt zu verstehen, was damals passiert ist, denn in der Erinnerung verändern sich die Sachen mit. Daher fände ich es eher nachlässig, so etwas nicht ab und an zu machen und festzuhalten, was meine Kunst ausmacht. Bei mir ist ja alles sehr verteilt, von ruhigen Stücken, Soloklavier bis hin zu elektronischen Stücken sowie Kollaborationen. Da kann man schon mal durcheinander kommen. Wenn mich Leute nach einem Konzert fragen, welcher Tonträger so klingt wie das Konzert, musste ich bislang leider immer zugeben, dass es nichts gibt. Daher ist so ein Live-Album doch eine ganz gute Idee. Hinzu kommt, dass ich ein Studioalbum ja auch nicht mache, um es mir selbst später immer wieder anzuhören. Wenn ich ein Live-Album mische, kenne ich die Stücke dann schon in- und auswendig, und sie dann wieder und wieder hören zu müssen, finde ich schon schlimm. Das ist, als würde man sich selbst einen Pickel aus dem Gesicht photoshoppen [lacht]. Aber es wäre für mich auch unmöglich, es jemand anderen machen zu lassen.

Beat / Schöner Vergleich. Wie gestaltet sich bei deinen Shows der Anteil von bloßer Reproduktion und Spontanität?

Nils / Ich bin recht spontan als Mensch und kann mich umentscheiden. Maschinen dagegen müsste man erst mal umprogrammieren. Da viele Parts über Sequencer synchronisiert werden, gibt es Teile des Konzertes, die durch die Takt gebenden Computer jeden Tag gleich sind. Wenn sich ein Tempo perfekt anfühlt, verändere ich es nicht mehr. Ebenso die Tonarten. Und dann fülle ich eben die restlichen Elemente. Es ist vergleichbar mit der Freiheit eines Jazz-Pianisten in einem Trio, die nicht ganz frei improvisieren, sondern sich an gewisse Formen halten. Dann dauert ein Stück mal sieben, zehn oder zwölf Minuten. Es ist vergleichbar mit dem Sprechen. Wenn ich einen Text nicht auswendig lernen möchte, lese ich ihn einmal und merke mir, was inhaltlich drin steht, und erzähle ihn mit eigenen Worten nach. Das ist für mich viel einfacher, als den Text auswendig zu lernen.

Beat / Was beinhaltet dein – optisch gewaltig aussehendes – Live-Setup im Detail?

Nils / Es gibt zwei zentrale Arbeitsplätze – um ein kleines Upright-Klavier und um einen Flügel. Ein Upright-Klavier ist für mich ein ganz anderes Instrument als ein Flügel und wird auch anders abgenommen. Es hat einen filzigen, weichen, matten Sound. Das Grand Piano dagegen lasse ich so, wie es auch im Laden steht. Außer dass wir einen Pickup reinhängen. Einen elektromagnetischen Tonabnehmer ähnlich eines Humbuckers, der ordentlich Lautstärke auf die PA gibt, denn sonst kommt es gegen Drummachines und Synthesizer nicht an. Am liebsten hätte ich alles in der gleichen Entfernung um mich herum, aber das ist bei so vielen Keyboards nicht möglich. Daher die Idee mit der doppelten U-Form, denn wenn ich komplett von Instrumenten umgeben wäre, würden die Leute nichts mehr sehen. Dazu gibt es ein Rhodes, ein Mellotron, mehrere Juno-Synthesizer und auch diverse Roland-Sachen, da diese sehr stabil und super verarbeitet sind. Andere Synthesizer dagegen lässt man lieber im Studio, weil sie ständig kaputt gehen. Insbesondere das Mellotron ist kein gutes Tourinstrument. Da mussten wir viel umbauen und absichern, damit ich es jeden Abend spielen kann. Zusätzlich hatte ich auf der Tour eine selbstgebaute Pfeifenorgel dabei, die MIDI-steuerbar war. Sie lief zum Teil mit Sequenzen und zum Teil habe ich sie live gespielt. Manchmal habe ich sie wie eine Drummachine angesteuert, sodass man nur die kurzen Anblasgeräusche hört. Wie ein Percussion-Instrument. Bei den Drummachines selbst waren es Klassiker wie 808 oder Vermona. Hinzu kommen noch fünf bis sechs Space-Echos, die an diversen Stellen mitliefen – teils über Auxe des Pults und teils über die Direct Outs der Synths. Das ging über einen Analog-Mischer mit sechs Ausgängen, damit ich Hall und ähnliche Effekte zu komplexen Effektmatrixen zusammenführen kann. Ich war schon immer recht klassisch unterwegs – viele Busse und Auxe und dann alles miteinander verschrauben.

Beat / Welchen Sequencer nutzt du?

Nils / Cubase auf einem Laptop. Darauf habe ich Sequenzen, die wie Loops sind. Das könnte man sicher gut mit Ableton Live machen, aber ich bin schon ein anderes Semester und wollte mir das nicht mehr reinziehen. Cubase habe ich damals noch auf einem alten Atari gelernt. Deswegen komme ich damit gut zurecht.

Beat / Ist es noch nie live abgestürzt?

Nils / Doch, es gab einmal ein Problem, das lag aber eher am Computer als am Programm. Computer sind natürlich immer eine Pest und es rutscht schnell mal etwas raus oder es gibt einen Kabelbruch. Zur Not hätten wir aber auch einen zweiten Computer in der Nähe mit demselben Setup.

Beat / Räumst du für jede Show dein Studio leer oder hast du ein separates Live-Setup?

Nils / Ich habe ein extra Live-Setup, habe aber nicht alles doppelt, denn unterschiedliche Geräte gleicher Marke sind trotzdem verschieden gut und dann will ich eh nur das bessere spielen. Wenn das ganze Live-Setup auf der Bühne steht, ist es im Studio durchaus ein bisschen leerer, aber auch nicht komplett, denn wenn ich nicht da bin, nehmen auch andere Künstler in dem Studio auf. Es war jetzt einige Jahre Aufwand, diese Sachen zusammenzustellen, aufzubauen und abzubezahlen. Es sollte ein analoger Workflow werden, der aber auch vielseitig und zuverlässig ist.

Beat / Probst du vor den Shows im klassischen Sinne?

Nils / Klar. Üben, üben, üben muss man auf jeden Fall. Aber es passiert durchaus, dass ich plötzlich neue Songs schreibe, wenn ich alleine übe, oder Sounds vergleiche. Es gibt einige komplizierte Partwechsel, wo ich viele Knöpfe auf einmal drücken muss, und es lohnt sich, das im Schlaf zu können, denn wenn man das „aus dem FF“ kann, gewinnt man wieder neuen Freiraum, um gestalten zu können. Deswegen sind die späteren Shows einer Tour intuitiver. Ohne Proben wäre ich die ganze Zeit nur am Überlegen, welchen Knopf ich wo drücken muss.

Beat / Wie würdest du die Magie des Funkhauses im Vergleich zu deinem vorigen Studio beschreiben?

Nils / Ich bin jetzt seit 2016 dort. Mein voriges Studio war mein Schlafzimmer. Es war zwar ein nettes Schlafzimmer, hatte aber keine ausgewogene Akustik und keine großen Vorzüge, außer dass man vom Arbeitsplatz ins Bett fallen konnte. Es ist schon etwas Besonderes, im Funkhaus zu arbeiten. Es sind akustisch gesehen tadellose Räume, die mit viel Verstand und Geschmack konzipiert wurden, dass man nur staunen kann. Wenn ich hier eine Note spiele, verbrei- tet das ein Gefühl von, „besser kann man das nicht hören“. Zuhause dagegen habe ich als Toningenieur ständig Probleme gelöst, die sich durch die unideale Akustik im Raum ergeben haben. Ich habe versucht, es mit guten Mikrofonen und einer besonders nahen Mikrofonierung zu kompensieren und habe Tricks gelernt, wie man die Raumakustik fast eliminiert. Dann muss man diese aber wieder mit Hallgeräten in die Musik bringen. Hier im Funkhaus schiebt man das Mikrofon einfach einen Meter weiter weg, wenn man es nasser möchte. Man würde hier nie eine Stimme auf 20 Zentimeter abnehmen, sondern kann einen Meter Abstand lassen, wohingegen ich es zuhause direkt vor die Lippen klemmen musste.

Beat / Heißt das, dass du keinen künstlichen Hall mehr hinzufügen musst?

Nils / Doch, denn die Hallzeit hier im Saal ist nur ca. 1,4 Sekunden und das ist eher der Bereich der Early Reflections. Für den Ausklang gibt es hier aber noch eine Hallkammer, die wir ebenfalls angeschlossen haben. Diese hat etwa 4 Sekunden und mischt sich prima mit dem Raum. Hinzu kommen aber natürlich auch noch andere Effektgeräte.

Beat / Achtet ihr bei der Auswahl der Konzerthäuser für eine Tour darauf, dass diese eine gute Akustik haben?

Nils / Das überlasse ich meinem Team. Mein FOH-Engineer Terence Goodchild ist so erfahren, dass er auch mit Räumen gut arbeiten kann, die akustisch nicht optimal sind. Aber wir haben auch die Möglichkeit, in einem trockenen Raum noch etwas Hall dazu zu mischen. Umgekehrt ist es schwerer. Dadurch geht in manchen Räumen die Staffelung von trockenen und nassen Sounds etwas verloren, da zu allen Signalen noch zwei bis drei Sekunden Nachhall dazu kommt. Daher versuchen wir zumindest drauf zu achten, dass wir nicht gerade in einer Kirche mit einer extrem langen Nachhallzeit spielen.

Beat / Du machst sehr anspruchsvolle, teils experimentelle Musik, die man nicht im Mainstream verorten würde. Dennoch erreichst du ein riesiges Publikum. Was ist dein Erfolgsgeheimnis?

Nils / Das weiß ich nicht. Ich bin selbst verwundert, weshalb die Aufmerksamkeit so auf mir ruht. Ich glaube, ich nehme sehr ernst, was ich tue und hatte schon immer Lust, neue Wege zu beschreiten. Vielleicht hat meine Musik einen größeren Nachahmungsfaktor im Vergleich zu reiner Popmusik? Ich bin für manche Menschen wie ein Katalysator. Zumindest höre ich öfter, dass Leute sich wegen meiner Musik auch wieder selbst ein Klavier gekauft und begonnen haben zu komponieren. Die Leute haben oft den Eindruck, ich werde eins mit der Musik und dem Instrument bei den Shows. Und das wollen sie auch erleben. Dadurch gucken sich einige Leute meine Konzerte zwanzig- oder dreißigfach an. Das fasse ich als Kompliment auf, aber es könnte auch so verstanden werden, dass das, was ich mache, immer so einfach und selbstverständlich aussieht.

Beat / Und? Ist es tatsächlich so einfach?

Nils / Zu schreiben nicht, aber wenn man die Musik hört, wirkt es vielleicht einfach. Es gibt ja Alben wie „Screws“, wo ich mit neun Fingern gespielt habe, weil ich mir den Daumen gebrochen hatte. Auch habe ich so kleine Lullabys komponiert. Aber es ist gar nicht so einfach, solche Stücke zu spielen, denn man muss sie auch fühlen. Mein Klavierlehrer hat damals zu mir gesagt: Satie könne ich noch nicht spielen, Chopin schon. Dabei sah Chopin für mich technisch viel schwieriger aus. Aber er hatte recht, denn wenn man einem Kind sagt, spiel mal Erik Satie, klingt es wie eine billige Komposition, aber wenn man diese wenigen Noten mit Gefühl spielt, ist es wunderbare Musik. Damit beschäftige ich mich gerne, auch wenn ich damit nie fertig werde.

www.nilsfrahm.com

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