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Facebook löst sich auf – was kommt danach?

Es ist schwer, sich eine Welt ohne Facebook vorzustellen.

Nicht, weil die Seite so gut wäre – das würden sogar diejenigen nicht behaupten, die aus der Plattform viele Jahre lang Profit gezogen haben. Sondern vielmehr, weil es so lange für so Viele der zentrale Dreh- und Angelpunkt ihrer Online-Öffentlichkeits-Aktivitäten war. Nun, da auch twitter endgülig zu X und für die Kreativbranche (mit der Ausnahme des Verlagswesens) bedeutungslos geworden ist, gerät unsere gesamte Vorstellung sozialer Medien aus dem Gefüge.

Für MusikerInnen kann das durchaus wie ein freier Fall anmuten. Denn obwohl die Meta-Produkte, einschließlich Instagram und Threads, für sie in der Regel schon längst kaum noch Früchte abwarfen, starb die Hoffnung auf einen Aufmarksamkeits- oder Verkaufseffekt, wie klein und unbedeutend auch immer, zuletzt. Nun aber scheint der Augenblick gekommen.

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Auf den ersten Blick wirkt Bluesky erfreulicherweise wie eine elegantere, sanftere Facebook-Neuauflage ohne störende Werbeeinblendungen. Doch die Vorstellung, die Seite könnte schlicht alle Unzufriedenen schlucken, sämtliche Nachteile des Originals ausmerzen und zum neuen Knotenpunkt werden, scheint unrealistisch. Aufgrund des Zuspruchs der letzten Monate ist Bluesky zwar auf eine beachtliche Größe herangewachsen:

„Der Wert sozialer Netzwerke für den Nutzer basiert auf der Anzahl der Personen, die sich dort aufhalten", meint Digitalkultur-Experte Adam Tinworth, „Bluesky nimmt gerade Wellen von Nutzern auf, und die Gemeinschaft treibt es auf ein nachhaltiges Niveau.”

Aktuell übersteigen die Zuwächse sogar diejenigen von twitter in seiner frühen Phase, auch wenn es an dessen späteres, explosives Wachstum noch nicht heranreicht. Dennoch sind Zweifel angebracht, dass Bluesky zum Nonplusultra der Medienkanäle heranreifen wird. Der Hauptgrund besteht sicherlich darin, dass die Entscheidung für Bluesky vor allem eine Entscheidung gegen Facebook ist.

In einem radikalen Paradigmenwechsel hatte Mark Zuckerberg verlautbaren lassen, man werde zukünftig Inhalte nicht mehr selbst regulieren, sondern über das selbe Community-Notes-Konzept, mit dem bereits twitter für Unmit gesorgt hatte. Bei Community Notes soll die Gemeinschaft sich selbst moderieren, indem sie potentiell anstößige, verletzende oder faktisch falsche Beiträge mit einer Notiz versieht, in der erklärt wird, warum man diesem Inhalt nicht trauen und ihn auch nicht teilen sollte.

Vor allem in den USA sehen konservative Kräfte diesen Ansatz als eine Möglichkeit, Meinungen, die in den vermeintlich zu „progressiven” Medien von vornherein als abwegig oder inakzeptabel abgestempelt würden, zumindest zu diskutieren. Aus Sicht von Kritikern trägt aber gerade dieses Laissez-Faire dazu bei, dass extreme Positionen und falsche Meldungen sich viral verbreiten können - „Rassismus wird durch freie Meinungsäußerung nicht geschützt”, wie es Patrick Gensing vom Hamburger Fußballberein St. Pauli, der vor kurzem von FB zu Bluesky wechselte, sieht.

Dass Zuckerberg seinen Richtungswechsel zeitgleich mit der Wahl Trumps zum Präsidenten verkündete und kurzerhand betriebsintern  bei Meta Sauch noch chutzmaßnahmen gegen Randgruppen eliminierte, machte seine Produkte für viele KünstlerInnen nicht gerade attraktiver.

Nur ist die Angelegenheit keineswegs so schwarz/weiß wie sie zunächst erscheinen mag. Verschiedene Studien haben nachgewiesen, dass Community Notes nicht grundsätzlich ein schlechtes Prinzip sind. Vielmehr haben sie sich in der Praxis sogar als sehr effizient darin erwiesen, anstößige Inhalte in die Schranken zu weisen.

Der Fall twitter ist ein eher untypisches Beispiel.

Nicht die Community Notes an sich waren hier Auslöser für den Abstieg der Seite, sondern ihre Einbettung in weitaus umfassendere Änderungen zugunster radikaler Kräfte. Im direkten Vergleich aber ist der Gedanke, dass sich die Gemeinschaft selbst unter Kontrolle hält, ebenso wenig abwegig wie die Vorstellung, eine zentrale Prüfung sorge für optimalen Schutz. Es ist bezeichnend, dass der linke Journalist und Gründer der unabhängigen Nachrichtenagentur Young Turks, Cenk Yuger, den Schritt von Meta sogar begrüßte, weil er darin den endgültigen Nagel im Sarg derjenigen Traditionmedien sieht, die in den vergangenen Jahrzehnten so oft die Warheit verzerrt hätten.

Bluesky wiederum arbeitet mit einem Ansatz, der sich „composable moderation” nennt. Im Wesentlichen versehen Nutzer dabei sowohl einzelne Posts oder ausgewählte Nutzer-Konten mit Tags. Mit wenigen Clicks kann nun jeder Anwender derart gekennzeichneten Content aus ihrem Feed ausschließen. Man sieht und interagiert somit wirklich nur mit dem, was gewünscht wird und umgeht externe Einmischung, bezahlte Posts und Werbung (die laut der Geschäftsleitung nicht möglich sein sollen). Das klingt nach einem wesentlich „saubereren” Erlebnis, was es laut den Meisten, die Erfahrungen auf der Seite gesammelt haben, auch ist. Gleichzeitig ist es auch ein deutlich weniger inspirierend und stimulierend, wie Journalistin Katherine Alejandra Cross findet: „Wenn Blueskys Moderation funktioniert, und wenn sie wirklich zu dem offenen Protokoll wird, das man uns verspricht, dann wird es den berühmten Gassen von Melbourne ähneln: Unverwechselbar, schmaler, ein bisschen wilder, aber viel kleiner und über die ganze riesige Internet-Stadt verteilt. (...) Das Ziel ist die Fragmentierung, genau das Gegenteil von dem, was Twitter zu dem gemacht hat, was es war.”

Eben diese Fragmentation wird aller Wahrscheinlichkeit zum bestimmenden Merkmal der Post-Facebook-Realität werden.

Während gerade in Musik, Kunst und Kreativberufen sowie unter vielen Randgruppen der Abschied nicht schwer fallen dürfte, suchen andere nach personalisierten Lösungen. So werden manche Nutzer Facebook verlassen, aber bei Instagram bleiben. Andere verlassen Instagram, bleiben aber auf tumblr. Die Mehrheit dürfte zumindest vorläufig sogar Facebook die Treue halten. Die Vergangenheit, die mit Skandalen und Wellen der Unzufriedenheit gepflastert ist, hat bewiesen, dass ein Wechsel zu einem neuen Netzwerk einen großen Schritt darstellt und alte Gewohnheiten nur schwer abzulegen sind. Gerade bei MusikerInnen war die Unzufriedenheit über den Algorithmus von Meta schon lange ein schwelender Stein des Anstoßes, der Politikwechsel nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Durchschnittliche, weniger engagierte Anwender mögen sich hier nicht vergleichbar getriggert fühlen.

Insgesamt aber wird die Auswahl extrem spezialisierter Plattformen alleine schon deswegen steigen, weil die großen Tech-Firmen nicht aus den Fehlern der Vergangenheit lernen wollen. Als sich beispielsweise herausstellte, dass Instagram Kunstwerke, die Nutzer in ihren Posts vorstellten, zum Trainieren seiner AI nutzte, sich dem Sturm der Entrüstung aber nicht beugen wollte, migrierte eine nennenswerte Zahl von Malern, Designern und Grafikern zu ethischeren Alternativen wie Cara.

LinkedIn und Xing haben sich längst für betriebliche Kontakte etabliert und inzwischen gibt es sogar soziale Netzwerke die sich ausschließlich an Latina-Frauen richten (Amigahood). So zersplittert eine Landschaft, die einstmals von einem Monopol bestimmt wurde, in inzählige kleine Communities. Damit endet der Traum, mittels einer einzigen Seite die ganze Welt erreichen zu können.

Das klingt zunächst ein wenig tragisch, muss es aber nicht zwangsläufig sein. Denn das zentrale Problem in der Architektur von Facebook und twitter – den sozialen Medien der ersten Generation – bestand gerade darin, dass die Feeds unüberschaubar wurden, sich die Aufmerksamkeit in endlosen Nebenströmen auflöste, Diskussionen durch die zunehmende Anonymität feindseliger wurden und eskalierten. Es ist in gewisser Weise heilend, wenn sich der Freundeskreis auf echte Bekanntschaften reduziert, die Konversationen sich wieder auf ehrlich gemeintes Austauschen konzentrieren, Kollaboration und Kooperation vor Marketing und Selbstdarstellung kommen. Die Welt mag sich dadurch nicht sofort ändern und langfristig erscheint eine solche Situation ein wenig isoliert. Vielleicht aber ist es ein erster Schritt in Richtung einer besseren Zukunft.

So sollte man dem Ende oder Nicht-Ende von Facebook weder zu viel noch zu wenig Beachtung schenken. Die entscheidende Frage lautet vielmehr: Wohin bewegt sich die eigene Zuhörerschaft – oder wohin wird sie sich bewegen? In der Antwort liegt bereits der wichtigste Schlüssel, wie man sich in Zukunft aufstellen sollte. Eine Komponente könnte dabei ein bemerkenswertes Comeback machen: Die eigene Homepage, auf der man sein potentielles Publikum zweifelsohne am besten erreicht. Direkt, ohne Moderation und mit genau den Inhalten, die für das beste Erlebnis sorgen.

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