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Im Talk mit Tricky: Musikalisches Tagebuch

Mit „Fall To Pieces“ veröffentlicht Tricky dieser Tage sein 13. Studioalbum. Es ist das Zeugnis einer harten Zeit, denn im Frühjahr 2019 nahm sich seine erwachsene Tochter Mazy das Leben und das Herz des einstigen Trip-Hop-Pioniers, der diesen Begriff ablehnt, brach. Direkte Fragen zu diesem Thema waren verständlicherweise nicht erwünscht, als wir den 52-jährigen Briten, der mittlerweile in Berlin lebt, telefonisch interviewten. Doch es gab genug anderes zu erzählen – von Trickys künstlerischem Selbstverständnis über die Arbeit mit Sängerin Marta Złakowska bis zu den Kehrseiten des Ruhms.

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Beat / Die wichtigste Frage zuerst: Wie geht es dir?

Tricky / Gut. Mir geht es wirklich gut.

Beat / Das ist schön zu hören. Das neue Album „Fall To Pieces“ klingt über weite Strecken sehr düster, überrascht aber auch mit zwei ungewohnt positiven Stücken. Ist es ein musikalisches Tagebuch deiner letzten Jahre, das die Hoch- und Tiefphasen spiegelt?

Tricky / Nein. Um ehrlich zu sein, sind die beiden Popstücke „Fall Please“ und „I'm In The Doorway“ schon etwa zehn Jahre alt. Sie sind in der Zeit des Albums „False Idols“ entstanden, als ich noch in Paris lebte. Ich wollte sie all die Jahre nicht veröffentlichen, da sie mir zu poppig waren. Doch nun schienen sie genau richtig.

Beat / Ist „Fall To Pieces“ ein besonders persönliches Album für dich?

Tricky / Ich denke, all meine Alben sind autobiografisch. Meine Musik bedient seit jeher eine Nische. Ich bin weder Breakbeat, Hip-Hop noch Punk oder Electronic. Meine Tracks haben ihren ganz eigenen Sound und sind alle Tagebucheinträge meines Lebens. Ich kann natürlich einen Track machen, der sich für mich wie ein Hip-Hop- oder Rock-Song anfühlt, aber es klingt am Ende nie wie ein typischer Hip-Hop- oder Rock-Track. Es sind alles meine Gefühle und Erinnerungen.

Beat / Hattest du eine Vorstellung, in welche Richtung das neue Material tendieren soll, bevor du begonnen hast, daran zu arbeiten?

Tricky / Nein, ich habe im Vorfeld nie eine Vision. Vielleicht habe ich eine grobe Idee, aber ich versuche eigentlich immer ohne einen Plan anzufangen, denn wenn die Pläne nicht funktionieren, bleibt einem sonst gar nichts mehr. Wenn ich aufnehme, nehme ich auf. Wenn das Ergebnis nicht gut ist, schmeiße ich es wieder weg. Wenn ich den Song mag, arbeite ich weiter daran. Ich mag es einfach, Musik zu machen. Das Studio ist der sicherste Ort für mich. 

Beat / Gab es Musik, die ich dich beeinflusst hat?

Tricky / Nein. Als ich jünger war, war ich ein großer Reggae-, Hip-Hop- und Rock-Fan. Das war mein Ding. Aber heute höre ich mir kaum noch neue Musik an. Ich habe das Gefühl, dass die Musik immer schlechter wird. Es gibt sicher ein paar gute Künstler, aber es ist nichts dabei, wo ich mir denke, wow ... Daher würde ich sagen, dass mich heutzutage nicht mehr so wirklich beeinflusst.

Beat / Hörst du viel Musik?

Tricky / Ja, sehr viel sogar. Aber das meiste ist ältere Musik. Das Lustige ist, dass ich Musik höre, weil sie nach mir klingt. Es gibt in Amerika dieses junge Mädchen. Ich kann mich nicht mehr an ihren Namen erinnern. Sie hat gerade erst einen Grammy gewonnen. Ich habe über Instagram von ihr gehört. Billy irgendwas?

Beat / Billie Eilish?

Tricky / Ja, genau. Es muss nun ein oder eineinhalb Jahre her sein, denn ich bekam ständig Nachrichten, dass sie einen Song veröffentlicht hat, der nach Tricky klingt. Dadurch, dass ich ständig getagged wurde, bin ich auf sie aufmerksam geworden. Das ist doch merkwürdig.  

Beat / Magst du die Musik von Billie Eilish?

Tricky (überlegt) / Ich habe nur ein, zwei Tracks gehört. Davon war der eine der Song, von dem alle sagten, er klinge nach mir. Es fällt mir schwer, zu sagen, ob ich es mag ...

Beat / Vielleicht solltet ihr mal einen Track zusammen machen.

Tricky / Nein, das denke ich nicht.

Beat / Deine Musik klingt immer sehr spontan. Wie viel Perfektionismus lässt du im Studio zu?

Tricky / Es ist in der Tat alles sehr spontan. Im Normalfall öffne einen Track nur dann wieder und wieder, wenn ich ihn nicht richtig gut hinbekomme. Aber ansonsten investiere ich nicht sehr viel Zeit pro Song, denn es fällt mir leicht, Musik zu machen. Dadurch, dass ich meinen eigenen Sound habe, muss ich gar nicht perfektionistisch sein. Man liebt oder hasst meine Musik. Es gibt nicht viel dazwischen und ich denke, das entscheidet man sehr schnell. 

Beat / Wo wurde das Album aufgenommen?

Tricky / In meiner Wohnung. Ich nehme immer zuhause auf. Ich gehe gerne für das Mixing oder gelegentliche Live-Aufnahmen ins Studio, aber ansonsten mache ich einen großen Bogen um kommerzielle Studios.

Beat / Die meisten Stücke auf „Fall To Pieces“ singt die polnische Sängerin Marta Złakowska. Eure erste Begegnung schien ja regelrecht schicksalhaft gewesen zu sein.

Tricky / Oh ja. Wir brachen gerade zu einer Europatour auf und die ersten Shows fanden in Polen statt. Das erste Konzert bestritten wir mit einer englischen Sängerin, deren Name ich schon wieder vergessen habe. Die Proben waren richtig gut, aber sobald es auf die Bühne ging, funktionierte es nicht mehr. Wir standen also plötzlich ohne Sängerin da. Beim Soundcheck fragte ich den Promoter, ob er eine Sängerin kenne, die einspringen könne. Ich dachte, vielleicht spielen wir einfach ein paar Tracks mit polnischen Lyrics auf die Schnelle, denn wir mussten sieben Stücke ersetzen. Sie lernte den Chorus der damals aktuellen Single und ich war sehr angetan. Sie schaffte sich dann bis zum ersten Abend noch den kompletten Song drauf, es wurden jeden Tag zwei weitere Songs und dann waren wir direkt zwei Jahre lang zusammen auf Tour. Ich sagte damals zu ihr, wenn sie mir ein, zwei Jahre ihrer Zeit für gemeinsame Touren schenkt, würde ich sie mit auf mein nächstes Album nehmen. Seitdem ist sie mit mir unterwegs – und natürlich auch auf dem neuen Album zu hören.

Beat / Das ist eine verrückte Geschichte, zumal sie ja binnen Minuten entscheiden musste, ob sich ihr ganzes Leben verändern sollte.

Tricky / Ja, es war ja nicht nur eine einmonatige Tour in Europa, sondern auch eine USA-Tour und Festivals. Sie verließ ihren Freund, mit dem sie in Krakau zusammen lebte, und gab ihren Job in einer Bar auf, obwohl sie uns alle nicht kannte. Und ich muss sagen, sie ist extrem bodenständig. 

Beat / Wie arbeitet ihr bei den Aufnahmen zusammen?

Tricky / Wir treffen uns dafür, aber das war bislang bei allen Sängern so, mit denen ich gearbeitet habe. Es ist so wunderbar einfach mit ihr, da sie auf dem Boden geblieben und natürlich ist. Ich finde es immer furchtbar, wenn Leute versuchen, jemand zu sein, der sie nicht sind. Das macht es schnell schwer. Aber sie will nicht berühmt sein, sie will einfach nur singen. In zwei Jahren auf Tour hat sie sich nie über etwas beklagt. 

Beat / Und wie sieht das bei den Texten und Vocal Lines aus?

Tricky / Die Texte schreibe ich. Sie kommt ja aus Polen und Englisch ist nicht ihre Muttersprache. 

Beat / Besonders der Song „Running Off“ mit seinen osteuropäischen Folk-Elementen fällt auf Anhieb auf. Wie ist er entstanden?

Tricky / Ich weiß gar nicht mehr, aus welchem Land diese Elemente stammen. Ich glaube, aus der Ukraine. Ich habe sie gesampelt und dann noch ein paar Elemente dazu kreiert. 

Beat / Hast du generell viele Samples verwendet?

Tricky / Nein. Ich glaube, nur in dem einen Track. Generell mag ich es, Samples zu verwenden, aber es ist wie mit allem, manchmal setze ich sie ein, und manchmal eben nicht. So wie ich manchmal meinen Drummer rüber hole und manchmal lieber Drums programmiere. Wenn er hier ist, spielt er über Pads ein. Ich sample quasi meine Musiker. Oft erkennen sie am Ende nicht mehr wieder, was sie gespielt haben. Ich schiebe viel hin und her und manipuliere die Sounds. Mir ist es egal, welches Instrument es ist. 

Beat / Du bist vor drei Jahren nach Berlin gezogen und hast zuvor schon in diversen Städten gelebt. Was macht Berlin für dich besonders?

Tricky / Es gibt hier eine Freiheit, die sich schwer in Worte fassen lässt. Ein kleines Beispiel: Wenn ich mit meinen Freunden in England mit dem Auto unterwegs bin, werden wir garantiert von der Polizei angehalten. In Berlin kann ich mir einfach ein Bier holen und mich mit Freunden irgendwo auf die Mauer setzen. Ich muss nicht extra irgendwohin gehen. In England muss man erstmal alles planen, wenn man raus will. Hier lässt man die Dinge einfach geschehen. Das passt zu mir.

Beat / Inspiriert die Stadt deine Musik?

Tricky / Ich denke schon, denn das Tempo tut mir gut. Und wenn ich mich gut fühle, will ich etwas aufnehmen. Wenn mich eine Stadt dagegen stresst, möchte ich am liebsten gar nichts mehr machen. In Berlin bin ich sehr entspannt.

Beat / Berlin hat eine große Electro-Szene. Warst du viel in den Clubs der Stadt unterwegs, bevor Corona alles lahm gelegt hat?

Tricky / Ich war mehrfach in diesem einen riesigen, berühmten Club ...

Beat / Berghain?

Tricky / Ja, genau. Das war wirklich verrückt. Ich hatte dort wirklich eine tolle Zeit und habe nichts dergleichen mehr woanders erlebt. Aber alles in allem bin ich eher ein Einsiedler und gehe eigentlich nicht viel raus.

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Beat / Wirst du in Berlin viel erkannt?

Tricky / Ja, überall eigentlich, aber natürlich nicht permanent. Doch so habe ich meine Karriere auch angelegt, denn ich will kein Popstar sein, der nicht mehr unerkannt in den Supermarkt gehen kann. Ich habe sehr großen Respekt vor Leuten wie Beyoncé. Ihr Leben ist außergewöhnlich. Aber ich möchte die Normalität in meinem Leben nicht missen und auch einfach mal unerkannt durch die Gegend gehen. Daher finde ich meinen derzeitigen Status gut wie er ist.

Beat / Wie reagierst du, wenn dich die Leute nach einem Foto fragen?

Tricky / Ich sage nein.

Beat / Ehrlich?

Tricky / Ja. Aber es kommt natürlich auf die Situation an. Wenn ich auf Tour bin oder auf einem Festival, mache ich durchaus mal Fotos mit den Kids. Aber wenn ich gerade privat einen Kaffee trinke, eher nicht. Es kommt natürlich drauf an, wie man mich anspricht. Ich verstehe nicht, weshalb jemand ein Foto mit einer anderen Person möchte. Um es auf Instagram zu posten? Das ist extrem kitschig! Vor ein paar Tagen war ich gerade beim Essen und habe mit meiner Familie telefoniert und eine Frau kam auf mich zu. Sie hat mich nach einem Foto gefragt und hat überhaupt nicht eingesehen, dass sie meine Privatsphäre stört. Das finde ich ärgerlich.

Beat / Du sagtest, du möchtest kein Popstar sein. Wie definierst du für dich Erfolg?

Tricky / Oh, das ist eine Sache, die viele junge Künstler noch realisieren müssen. Erfolg und Glück haben nichts miteinander zu tun. Wenn man seine Anonymität verliert, ist das keine tolle Sache, da man damit auch seinen Seelenfrieden verliert. Und ich bin lieber glücklich als erfolgreich. Das sind zwei grundverschiedene Dinge. Man kann riesigen Erfolg haben, überall im Radio laufen und an der Spitze der Charts stehen und dennoch unglücklich sein. 

Beat / Gibt es noch Städte, in denen du gerne einmal wohnen würdest?

Tricky / Ich würde Leipzig gerne mal sehen. Ich habe keine Ahnung, weshalb. Aber irgendwie habe ich Leipzig immer mal im Hinterkopf. Schon seit vielen Jahren. Außerdem würde ich gerne mal im Schwarzwald etwas aufnehmen. Ein kleines Studio einrichten und dann für einen Monat dort bleiben und recorden. Der Schwarzwald fasziniert mich wirklich.

Beat / Was machst du derzeit neben der Musik noch?

Tricky / Ich trainiere viel. Ich arbeite mit einem Martial-Arts-Trainer zusammen. Wir sehen uns zweimal pro Woche zum Training. Ansonsten nehme ich auf und laufe viel. Ich liebe es zu laufen. Beispielsweise laufe ich vom Training von der Ecke Danziger/Prenzlauer Allee bis nach Neukölln zurück. Ich brauche zwei Stunden und vierzig Minuten dafür. 

Beat / Und gibt es in musikalischer Hinsicht noch etwas, das du gerne einmal umsetzen möchtest?

Tricky / Oh ja, sehr viel sogar. Die Recordings im Schwarzwald zum Beispiel und ich muss mein bestes Album erst noch aufnehmen. Ich lerne stetig dazu und wachse immer noch. Es gibt noch so viel zu erreichen. Mein neues Album erscheint im September und ich habe schon zwei weitere fertig. Ich möchte gerne noch ein Rock-, ein Reggae- und ein Punk-Album machen und mit einem Orchester arbeiten.

Beat / Lässt sich in Worte fassen, was ein Album braucht, damit es dein bestes wird?

Tricky / Nein, weil ich es nie schaffen werde. Das ist ja das Tolle daran. Der Weg ist das Ziel. Außerdem ist niemand wirklich objektiv und Meinungen können sich ändern. Aber das ist gut so.

Beat / Und was steht für die nächsten Monate auf deinem Plan?

Tricky / Pressearbeit und natürlich Recordings, Recordings, Recordings .... 

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