Test

Test: Flame Six-in-a-Row

Jahrelang entwickelte der Berliner Per Salzwedel, treibende Kraft hinter der Elektronikschmiede Flame, elektronische Musikinstrumente nur auf Kundenwunsch. In seinem Repertoire finden sich daher auch Exoten wie ein MIDI-Infrarotcontroller, ein Lichtschranken-Stepper oder gar ein kugelförmiger Sequenzer. Erst mit MIDI-Talking-Synth, Clockwork und Echometer entstanden erste Kleinserien, die eine deutlich breitere Gruppe Kreativer ansprechen. Und mit dem Six-in-a-Row hat Per jetzt eine MIDI-Plattform am Start, die selbst Launchpad, APC40 und Monome in den Schatten stellen dürfte.

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Ganz recht. Denn während Novation und Akai sich mit ihren recht proprietären Controllern bewusst an Ableton Live binden, verfolgt der Six-in-a-Row, den wir künftig kurz „Six“ nennen, einen wesentlich universelleren Ansatz: „Eigentlich wollten einige Freunde und ich nur ein paar MIDI-Tricks ausprobieren. Da war es notwendig ein Gerät zu haben, das universeller und anpassbarer ist. Mit dieser allgemeineren Gestaltung ist es wesentlich einfacher, inhaltlich unterschiedliche Anwendungen zu realisieren. Inspiriert ist das Ganze sicherlich vom Monome, aber ich wollte schon ein autarkes Gerät erschaffen, das nicht nur am Laptop als Fernsteuerung hängt, wenngleich auch das mit dem Six möglich ist“, erinnert sich Per im Gespräch an die Anfänge im Jahr 2007. Den Six also als reinen MIDI-Sequenzer abzutun, wird dem Gerät bei weitem nicht gerecht. Vielmehr handelt es sich um einen nach allen Seiten offenen MIDI-Prozessor, in dessen Innerem ein ATMEL-Mikrocontroller auf Steuerungsaufgaben in Form von Modulen wartet.

Applikationen, Module, Programme

Der Six ist also gewissermaßen eine MIDI-CPU, die mit „Remote“ und „MIDI-Phrase“ bisher zwei Anwendungen serienmäßig mitbringt, von denen eine beim Start geladen und ausgeführt wird. Dank flexibler Oberfläche – die Bedienung erfolgt ausschließlich mit dem LED-Taster – eignet sich das Gerät für eine ganze Reihe weiterer MIDI-Programme, von denen Per schon einige in der Pipeline hat: „MIDI-Phrase ist der Beginn weiterer Module. In loser Folge wird es künftig auf unserer Webseite kostenlose Software für den Six geben – sicherlich einiges Ungewöhnliches, darunter einen Ableton-Clip-Sequenzer, MIDI-Controller, Mixer, einen Performance-Sequenzer, eine Laufband-Rhythmus-Maschine, einfache Drumpad-Funktionen oder einen programmierbarer Scaler. Es sind einfache kleine Module, die vor allem live Spaß machen sollen“, gibt uns Per Salzwedel einen Einblick in seine Planung für 2010.

Blink, blink, blink!

Zurück zur Hardware. Wie alle Flame-Produkte, steckt auch der Six in einem stabilen Euro-Gehäuse aus Aluprofilen, was dem Gerät gleich ein charmantes Nerd-Image einbringt. An Anschlüssen hat er neben Netzschalter und -buchse lediglich einen MIDI-Ein- und -Ausgang sowie eine USB-Schnittstelle zu bieten, die derzeit aber nur zur Übertragung neuer Firmware, und das auch nur via Windows-PC, genutzt werden kann. Bedient wird das Gerät ausschließlich mithilfe der 54 LED-Taster, die je nach zugedachter Funktion rot, grün oder gelb leuchten beziehungsweise blinken. Ergänzt werden die Taster durch ein 3-mal-16-Zeichen-Display sowie einen Endlosregler zur Dateneingabe.

Weil der Knirps als offene Plattform verstanden werden will, müssen sich mit seiner Oberfläche verschiedene Anwendungen abbilden lassen. Daher verzichtet der Entwickler auf sämtliche Beschriftungen und greift stattdessen auf einen Farbcode zurück, um dem Auge in der 6-mal-9-Matrix, in der die LED-Taster angeordnet sind, wenigstens ein Mindestmaß an Orientierung zu bieten. Im laufenden Betrieb, soviel sei verraten, fällt es jedoch auch dem geübten Anwender schwer, Status-, Play- und Hotkeys voneinander zu unterscheiden. Etwas störend wirkt zudem die Tatsache, dass Per auf Endlosregler zur Echtzeitkontrolle verzichtet hat – ein Manko, das aber durch den angekündigten Fadermodus, bei dem sich senkrechte oder waagrechte Tasterreihen wie Fader verhalten, behoben werden soll.

MIDI-Phrase

Genug der Theorie, Zeit für einen intensiven Blick auf die erste große Anwendung, einen MIDI-Phrase-Sequenzer, den der Six bei Auslieferung serienmäßig mitbringt. Direkt nach dem Start hat der Anwender die Wahl zwischen den installierten Modulen, derzeit also MIDI-Phrase und Remote. Wählt man nichts, lädt das Gerät nach zwei Sekunden den Stand der letzten Speicherung. Im Gegensatz zu herkömmlichen Lauflichtsequenzern werden beim Six die Sequenzen gewissermaßen in Echtzeit beim Spielen erzeugt. Dafür stehen zwei Melodie- und drei Drumtracks, insgesamt also fünf Spuren, die bis zu vier Takte fassen können, zur Verfügung. Im Melodiemodus steuern die sechs Taster der oberen Reihe Start und Stopp sowie die Länge der Sequenz. Mithilfe der Shifttaste (oben rechts) wechselt man die Spuren und in das Setup-Menü, das Zugriff auf MIDI-Clock sowie die MIDI-Kanäle der Einzelspuren gewährt. Auch die äußere rechte Tasterreihe ist mit Statusfunktionen belegt, kann also im Melodiemodus nie zum Spielen von Noten oder Akkorden genutzt werden. Neben Mute zum Stummschalten der Spur und Hold, das ein gedrücktes Sustainpedal simuliert, finden sich hier die besonders wichtige Löschtaste (unten rechts), sowie Taster zum Ein- und Ausschalten von Akkord-, Arpeggiator-, Phrase-, Noten- und Beat-Funktion – praktische Features, die im Folgenden noch klarer werden. Die verbliebenen vierzig Taster bilden eine 5-mal-8-Matrix und dienen als so genannte Playbuttons zur Erzeugung von Einzelnoten, Akkorden oder dem Triggern von Arpeggios.

Skalen

Das Geheimnis des Six liegt in seinen 26 hinterlegten Skalen, eine in der Musik festgelegte auf- oder absteigende Folge von Tönen, die in einem musikalischen Zusammenhang stehen. Vordefiniert sind neben der geläufigen chromatischen Skala aus den bekannten zwölf Halbtönen auch geläufige Sonderformen für (vermindertes) Dur und Moll, harmonisches Moll, Dorisch, Lydisch, Pentatonisch, Phrygisch, Mixolydisch oder Spanisch, um nur einige zu nennen. Zusammen mit einem ebenfalls bestimmbaren Grundton lässt sich mithilfe der vierzig Taster recht entspannt zu einem Rhythmus- oder Harmoniegerüst jammen, weil man keine tonartfremden Noten mehr spielen kann. Ausgehend von der unteren linken Ecke reihen sich nun die Skalen aufsteigend aneinander, unterbrochen von einem grünen LED-Taster, der eine neue Oktave markiert. Mit jedem Tastendruck triggert man je nach Voreinstellung eine Einzelnote, einen Akkord oder eine Kombination aus Note, Akkord und Arpeggio. Der Six zeichnet im laufenden Betrieb, in dem man sich übrigens frei durch alle Menüs außer dem Setup bewegen kann, jeden Tastendruck auf und quantisiert diesen in einem vordefinierten Raster. Weil sich das Gerät quasi immer im Aufnahmemodus befindet, kann man eine Sequenz live organisch entwickeln, verändern, teilweise löschen und wieder neu aufnehmen, ohne eine Menüfunktion bemühen zu müssen. Die Folgen sind ein gleichermaßen spielerischer wie intuitiver Umgang mit dem Gerät und äußerst musikalische, dynamische Sequenzen.

Beats und Phrasen

Weil einfache Melodielinien aber schnell langweilig werden, hat der Hersteller die beiden Melodiespuren noch mit Beats und Phrasen gewürzt. Unter Beats versteht Flame eine Sammlung aus 13 periodischen Patterns im Abstand von halben Noten, Vierteln, Achteln, Sechszehnteln oder Zweiunddreißigsteln, jeweils auf den On- oder Offbeats, plus Achtel- und Sechszehntel-Shuffle. Phrasen sind hingegen mehr oder weniger freie rhythmische Kombinationen aus kurzen Notenwerten oder Triolen, von denen der Six 108 fertige Muster mitbringt. Aber die kommende Version 2.0 des MIDI-Phrase wird nicht nur in dieser Hinsicht mehr Flexibilität bringen: „Das Hauptanliegen war vor allem die Erzeugung von Skalen und das Jammen mit Sequenzerphrasen sowie ein erstes Ausprobieren alternativer Konzepte, ein erstes Herantasten also. In Version 2 wird viel mehr möglich werden. Es wird User-Phrasen und -Skalen sowie mehr Patterns sowie eine Patternabspielseite geben. Hinzu kommen Fadermode und das Senden von MIDI-CCs“, so Per.

Drumtracks

Zu den zwei Melodiespuren bringt der Six drei Drumtracks mit, die ähnlich aufgebaut sind, sich aber gleichzeitig mithilfe der LED-Taster bedienen lassen. Vier Playbuttons triggern bis zu vier Drumsounds, sechs Hotkeys wechseln zwischen den 13 Beat-Patterns und 108 Phrasen, die identisch mit denen der Melodiespuren sind. Welche Phrase sich hinter welcher Taste verbirgt, lässt sich mit einem Dreh am Datenpoti einstellen. Besonders schlau: die Alternate-Funktion, die benachbarte Noten abwechselnd triggert, was bei Hi-Hats oder für einen Round-Robin-Effekt unverzichtbar ist. Mit einem Klick kann man zudem die hinterlegte Phrase ausschalten und frei spielen.

Remote-Funktion

Etwas komplizierter in der Anwendung ist die Remote-Funktion, das zweite Programmmodul, das der Six derzeit beherbergt. Dieser Modus erlaubt es, mit einem PC oder Mac via MIDI (nicht USB) zu kommunizieren. Mithilfe des implementierten Protokolls stößt Per Salzwedel damit die Tür weit auf für Anwendungen wie Max/MSP, PureData oder dem Logic Environment, mit dem Interessierte eigene Anwendungen programmieren können.

Offen = Open?

Aufgrund seiner flexiblen Architektur gibt sich der Six nach allen Seiten offen. Aber auch Open Source und Creative Commons spielen in der Musikindustrie eine zunehmend wichtige Rolle. Die technische wie ideologische Frage nach dem Mitwirken einer Community beantwortet der Entwickler überraschend offen: „Es ist ja jetzt schon möglich, eigene Applikationen per Software-Remote und Max/MSP zu programmieren, das Protokoll ist dokumentiert und öffentlich. Die Hardware ist übersichtlich gehalten, und jemand, der 51er-Assembler programmieren kann, ist herzlich eingeladen, eigene Programme zu schreiben.“ Probleme mit einer wachsenden Fangemeinde und einer Flut von Programmen drohen eher von technischer Seite: „In Sachen Performance ist der ATMEL noch lange nicht ausgelastet. Ein anderes Problem könnten eher der begrenzte Speicher (32 kB, Red.) und der gegebene MIDI-Flaschenhals sein. Aber Beschränkungen reizen ja auch zu neuen Lösungen.“

Fazit

Na klar lassen sich auch bei diesem Gerät Kritikpunkte finden, etwas das Fehlen von USB-MIDI oder die steile Lernkurve. Aber all das ist Meckern auf hohem Niveau, denn am Ende überwiegt das frische, innovative Konzept, der offene Hardwareansatz und vor allem die Freude über das Verschwimmen der Grenzfläche zwischen Mensch und Maschine. Der Six-in-a-Row bietet definitiv einen neuen Zugang, der die Musik eines jeden Anwenders nachhaltig beeinflussen wird.

Bewertung
Name
Flame Six-in-a-Row
Pro
  • frisches Konzept
  • intuitive Oberfläche
  • modulare, offene Struktur
  • fairer Preis
Contra
  • (noch) kein USB-MIDI
Preis
349 EUR
Bewertung
(91%)
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