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Test: Ableton Live 11 - Noch besser, noch kompletter?

Live 11 steht in den Startlöchern und soll im Frühjahr 2021 erhältlich sein. Die Vorfreude wird geschürt durch die Ankündigung zahlreicher neuer Funktionen. Mit an Bord sind Comping, MPE-Support, neue Instrumente und Effekte, Zufallsfunktionen und Tempo-Kontrolle. Die Liste ist lang, was neue Features und Verbesserungen angeht. Anlass genug, einmal rein zu sehen, was von dem Programm-Update zu erwarten ist.

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Lebendiges MIDI-Programming

Beim flüchtigen Blick auf die geöffnete Programmoberfläche der beta-Version von Live 11 scheint fast alles beim Alten geblieben zu sein. Doch der erste Eindruck täuscht. Schnell ein MIDI-Instrument geladen, einen Clip eingespielt und dann die Clip-Ansicht geöffnet – und schon springen einem eine ganze Reihe an Neuerungen ins Auge. Beispielsweise findet sich eine Probability-Funktion in der Clip-Ansicht, die es ermöglicht, die Wahrscheinlichkeit für das Abspielen von Noten und Drum Beats zu variieren, also für jede Note festzulegen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie wiedergegeben wird oder auch nicht. So entstehen beim Abspielen eines Clips ständig sich ändernde Variationen. Ebenso lässt sich die Bandbreite für mögliche Velocity-Abweichungen definieren oder zufallsmäßig ändern und sorgt so für dynamisch variierende Clips.

Um Clips automatisch miteinander zu kombinieren, bietet sich Follow Action an. Hier wurde einiges verbessert: Follow Action hat eine eigene Ansicht, die über den Clip View aufgeklappt wird. Die Funktion kann sowohl global, als auch für jeden Clip einzeln, an- und ausgeschaltet werden. Das erleichtert nachträgliches Editieren. Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein oder zwei definierte Follow Actions eintreten, wird jetzt in Prozent zueinander angegeben und nicht mehr mit einer Zahl zwischen 0 und 999. In der Action-Liste findet sich eine neue Aktion namens Jump, mit der Clips zu jedem beliebigen anderen Clip der Spur springen können. Wann eine Follow Action ausgelöst wird, kann wahlweise in Taktlängen definiert werden, oder aber in Clip-Durchgängen unabhängig ihrer Taktzahl. Neu ist ebenso, dass nicht nur Clips, sondern auch Szenen mit Follow Actions belegt werden können.

Perfekte Takes erstellen

Die nächste große Neuerung in Live 11 ist die Möglichkeit des Compings. Das heißt, dass sich mehrere Takes oder auch Loop-Durchgänge in einer einzigen Spur aufnehmen lassen. Anschließend klappt man einfach die Take Lanes auf, in denen alle Aufnahmen zu sehen sind. Die Takes lassen sich einzeln anhören. Man wählt einfach die besten Parts aus den Aufnahmen aus und befördert sie mit einem Klick in die Haupt-Spur, in der sie sich zu einem perfekten Take verbinden. Das funktioniert gleichermaßen für Audio-, wie auch für MIDI-Recordings. Um mehrere Spuren gleichzeitig zu bearbeiten, können sie jetzt verbunden werden. So müssen z. B. Warp-Marker oder Clip-Fades nicht mehr für jeden Clip einzeln generiert werden, sondern werden zeitsparrend für alle Spuren gleichzeitig gesetzt.

Mehr Ausdruckskraft mit MPE

Das Potential MIDI-Polyphonic-Expression-tauglicher MIDI-Controller lässt sich nun auch in Live 11 nutzen. Über MPE-Controller können ausdrucksstarke Fläche und ineinander über gleitende Töne mittels Bending, Sliding und Pressure-Spieltechniken aufgenommen werden. Die aufgenommenen MPE-Daten lassen sich nachträglich im eigens dafür erweiterten Bereich der Clip-View anpassen. Und auch wenn kein MPE-Controller zur Hand ist, kann der Expression View genutzt werden, um jedem einzelnen Ton eine besondere Note zu verleihen, da MPE jetzt von Wavetable, Sampler und Arpeggiator unterstützt wird.

Neue Instrumente und Effekte

Live 11 kommen mit einer ganzen Reihe neuer Instrumente, Effekte und Sounds daher. Für Soundtüftler besonders interessant dürften die zwei neuen Spektral-Effekte sein. Mit dem Spectral Resonator lassen sich Sounds komplett verformen. Über einen MIDI-Sidechain kann die Tonart angepasst und der Effekt wie ein Instrument gespielt werden. Der zweite Spektral-Effekt Spectral Time ist ein Delay-Effekt, der ein eingehendes Audiosignal in Obertöne umwandelt. Diese werden durch ein frequenzbasiertes Delay geschickt, aus dem dann z. B. metallisch klingende Echos resultieren. Sounds lassen sich ebenso einfrieren, um aus ihnen im Handumdrehen Stutter- oder Glitch-Effekte zu erzeugen.

Das Hybrid Reverb ist eine spannende Kombination aus Faltungshall und algorithmischen Hall. Damit können alle erdenklichen Räume nachgebildet werden, von real existierenden bis zu physikalisch unmöglichen Räumen. Genauso spannend zeigt sich eine Serie von sechs experimentellen „Max for Live“-Instrumenten bzw. -Effekten, die zusammen gefasst unter Inspired By Nature erscheinen. Sie verfolgen einen experimentellen Ansatz und bilden verschiedene physikalische Prozesse nach, die als kompositorische Muster fungieren. Tree Tone erzeugt beispielsweise ein von Pflanzen inspiriertes, fraktales Muster und verwendet sie als Resonatoren. Bouncy Notes ist ein auf dem Prinzip der Schwerkraft-basierender MIDI-Sequenzer und Arpeggiator. Vector Grain wiederum ist ein granularer Looper, der Klangmodulation in Form von Partikeln darstellt, die durch magnetische Kräfte abgelenkt werden oder in einem Strömungsfeld kreisen können.

Und dann ist da noch ein weiteres kleines Highlight, der Pitch-Shifting-Effekt mit dem Namen PitchLoop89, der dem legendären Publison DHM 89 aus dem Jahr 1978 nachempfunden wurde. Das Gerät war damals eines der ersten kommerziell erhältlichen digitalen Audiogeräte der Welt und zählte zur High-End-Studioklasse. Die Live-11-Variante wurde sowohl fürs Studio, als auch für die Bühne konzipiert und eignet sich besonders gut für Shimmer Delays und sphärische Vibrato-Effekte.

Erweiterte Tempo- und Paramter-Kontrolle

Auch im Bereich Live-Performance hat sich etwas getan: Mit der neuen Option Follow Tempo lässt Live 11 den Computer zu einem Bandmitglied werden oder macht aus ihm ein BPM-synchrones Multi-Effektgerät, das in jedes DJ-Setup integriert werden kann. Dabei gibt Live 11 nicht mehr den Takt vor, sondern passt sich einem eingehenden Audiosignal an.

Zum Parameter-Controlling bieten sich Racks an, das sie mittels der Makro-Regler einen schnellen Zugriff auf ausgewählte Parameter erlauben. Statt der bisherigen 8 Makro-Regler, stehen nun bis zu 16 zur Verfügung. Sie lassen sich nach Bedarf reduzieren oder erweitern, sodass optional nur 1 Makro-Regler, zwei oder vier, oder eben alle 16 angezeigt werden. Wer sich die Einstellungen nicht merken möchte, macht einfach einen Snapshot der Makro-Regler. In einem im Rack integrierten Fenster werden diese abgelegt, können benannt und jederzeit wieder abgerufen werden. In diesem Zusammenhang sorgt die neue Randomize-Funktion im Rack für inspirierende Makro-Einstellungen, die bei Bedarf einfach festgehalten werden. Das ist nicht nur für Live-Auftritte ein hilfreiches Tool, sondern die Snapshots können mittels Automation ebenso in der Produktion für interessante Klangvariationen und Abwechslung sorgen.

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Weitere Optimierungen

Je mehr man sich durch Live 11 bewegt, desto mehr fallen kleine Details auf. Im Browser wurden die Audio-Effekte kategorisiert. Außerdem finden sich in der Kategorie-Liste die Groovemuster, wie auch Templates. Darin lassen sich zu den bereits mitgelieferten Templates, wie einem Podcast-Template oder einer 8-Track-Recording-Vorlage, auch eigene Song- oder Track-Templates abspeichern. Ebenfalls fällt die durchgehende Nummerierung der Szenen ins Auge, die auch beim Verschieben von Szenen erhalten bleibt. Pro Szene können außerdem individuelles Tempo und Taktart eingestellt werden.

Schaut man sich den Clip View genauer an, verfügt dieser über zusätzliche Tabs und ausklappbare Teilbereiche, wie z. B. die Unterteilung in Notes/Sample-, Envelope- und Expression-Ansicht oder einem extra Bereich für Follow Actions. Das ermöglicht einen schnellen Zugriff auf wichtige Einstellungsoptionen für MIDI- und Audio-Clips und bringt gleichzeitig mehr Übersicht. Beim Multi-Clip-Editing können wahlweise, wie in Live 10, nur die Noten eines Clips bearbeitet, oder aber bei deaktiviertem Fokus-Modus, mehrere Clips gleichzeitig editiert werden. So lassen sich z. B. mehrere Instrumente schnell transponieren.

In der Clip-Ansicht findet sich auch die von Ableton Push bekannte Scale-Option wieder. Hier können ein Grundton, sowie eine dazugehörige Tonart definiert werden. Die Auswahl der Skalen reicht von Dur und Moll, den weiteren Kirchentonleitern bis hin zu exotischen Skalen wie z. B. Pelog Selisir oder Bhairav. Wenn der Scale-Modus aktiviert ist, werden im Clip-Editor die zur Tonleiter dazugehörigen Töne farbig markiert, wobei der Grundton in der Piano Roll besonders hervorgehoben wird. Diese Funktion ist nicht nur hilfreich, wenn die musiktheoretischen Zusammenhänge nicht so geläufig sind, sondern lädt grundsätzlich alle ein, sich auf neue Pfade, sprich in neue Tonräume, zu begeben.

CPU-Spur-Auslastungsanzeige

Neu ist, dass sich in der Anzeige der Prozessorlast auswählen lässt, ob der durchschnittliche oder aktuelle Wert angezeigt wird. Im Falle einer Überlastung sieht man zudem, ob es sich um einen CPU- oder Disk-Overload handelt. Hinzu kommt die Möglichkeit, dass die CPU-Auslastung pro Spur angezeigt wird. So lassen sich prozessorintensive Instrumente oder Effekte schnell lokalisieren und gegebenenfalls ersetzen, einfrieren oder so optimieren, dass keine Überlastung mehr auftritt.

Neue Sounds

Live 11 beinhaltet eine ganze Reihe neuer Sounds. Dazu gehören eine Voice Box mit intuitiv spielbaren Vocal-Instrumenten und Effekt-Racks zur Vocal-Bearbeitung und -Verfremdung. Es findet sich ein Brass und ein String Quartett, die jeweils eine Kollektion hochwertiger Streicher- bzw. Blasinstrumente beinhaltet, deren Fokus auf der Ausdruckskraft und dem breiten Klangspektrum der Instrumente liegt. Beide Instrumente, wie auch das warme Klänge eines akustischen Pianos liefernde Upright Piano, wurden zusammen mit der Klangschmiede Spirtfire Audio entwickelt. Stimmungsvolle Sound-Layer in cineastischer Qualität lassen sich dagegen mit dem Mood Reel entwickeln, während das Drone Lab die ganze Bandbreite von tonalen Samples bis hin zu generativem Rauschen bereit hält.

Dazu wurden einige Effekte aktualisiert, die es in sich haben. Sehr gelungen von den neuen Möglichkeiten, der Visualisierung und den Klangresultaten sind der Phaser-Flanger und das Chorus-Ensemble. Aber auch Redux wurde komplett überarbeitet und bietet z. B. durch den integrierten Dry/Wet-Regler viel flexiblere Einsatzmöglichkeiten. In der Core-Library finden sich neue, vom Sound her sehr aktuell klingende Drum-Kits, Instrument- und Effekt-Racks und Loops. Und auch das eine oder andere Pack wurde aktualisiert und bietet neue Drum-Groves, Basslines, Mix-Presets und vieles mehr.

Live 11 Intro

Natürlich wurde auch Live 11 Intro bedacht: Statt der doch ein wenig einschränkenden Anzahl von 8 Szenen stehen nun 16 zur Verfügung. Tempo Follower wurde integriert, wie auch die Möglichkeit, Video zu importieren oder exportieren. Single Track Comping ist möglich, und die Scale-Funktion findet sich ebenfalls wieder. Auch wurde neuer Sound Content und Max for Live Devices hinzugefügt. Damit macht Live 11 Intro einen guten Start!

Fazit

Live 11 macht einen großen Schritt nach vorne. Ein besonderes Augenmerk liegt bei diesem Upgrade ganz offensichtlich darauf, die Spielfreude, die Experimentierfreude, als auch kreatives Arbeiten und Performen zu unterstützen. Neben den vielen bereichernden Möglichkeiten diesbezüglich, vom Comping, über Probabilty-Funktionen und MPE-Unterstützung bis zur Tempo-Kontrolle, wurde gleichermaßen daran gedacht, alles so zu gestallten, dass das Programm übersichtlich und intuitiv bleibt. Die Oberfläche ist nach wie vor nicht überladen, sondern wurde, wo nötig, sinnvoll gegliedert, sodass sich alle Funktionen, wenn benötigt, schnell aufrufen lassen, ansonsten aber auch nicht im Weg stehen. Die neuen Effekte und Instrumente heben die Möglichkeiten des Sound Designs auf eine neue Ebene. Die Vielzahl neuer Möglichkeiten wirken einladend und nicht überfordernd. Und sie erhöhen den Workflow ungemein. Ganz klar: Das Update auf Live 11 ist mehr als gelungen und lohnt sich zu entdecken!

Bewertung
Name
Ableton Live 11
Website
Pro
  • Comping
  • MPE-Unterstützung & Editierung von MPE-Daten
  • viele Devices & Features
  • Tempo Follow & verbesserte Möglichkeiten für Live-Performances
  • Probability-Funktionen
  • Verbesserung der Effekte
  • neue Devices & erweiterte Sound Library
  • Detailverbesserungen, für intuitiven Workflow
  • Übersichtlichkeit der Oberfläche
Preis
Ableton Live 11 Intro: 79 Euro; Standard: 349 Euro; Suite: 599 Euro
Bewertung
(100%)
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