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Sampling - Kunst oder Diebstahl?

Mit seiner Entscheidung zugunsten von Moses Pelham hat das Bundesverfassungsgericht im Kraftwerk-Prozess international für Wirbel gesorgt. Dabei sind seine Überlegungen keineswegs neu. Seit dem Beginn der Sampling-Ära wird die Beziehung zwischen Rechte-Inhabern und Rechte-Nutzern immer wieder neu ausgelotet. Hat Karlsruhe nun die Debatte beendet und den Diebstahl von Ideen legitimiert?

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Das Historische von Ereignissen wird typischerweise eher rückblickend erkannt. Im Fall „Pelham vs Kraftwerk“ schien man sich in den Medien jedoch schon am Tag der Urteilsverkündigung einig, dass hier Rechtsgeschichte geschrieben worden war. Man kann die journalistische Überschwänglichkeit auf die tatsächlich historische Langatmigkeit des Prozesses schieben, der inzwischen stolze 13 Jahre zwischen den Parteien schwelt; auf die geradezu karikaturesken Charaktere der Protagonisten und der Weltverständnisse für die sie stehen. Oder auch auf die Tatsache, dass dabei ein Fall verhandelt wird, bei dem sich ehrenwerte Richter in die Kunst des Samplings und die Philosophie des Hip-Hop zu vertiefen gezwungen waren und ein zweisekündiges Sound-Fragment inzwischen das gesamte deutsche Rechtssystem durchlaufen hat. Gleichzeitig aber lässt sich die Tragweite der Entscheidung kaum leugnen. Mit seiner Revidierung der ursprünglichen Verfügung des Bundesgerichtshofs zugunsten von Moses Pelham hat das Verfassungsgericht Tendenzen in ihre Schranken gewiesen, welche für die Rechteinhaber die vollkommene Verfügungsgewalt über ihre Aufnahmen einfordern. Und das, darin sind sich alle Beobachter einig, wird Konsequenzen haben.

Worüber genau wurde – beziehungsweise wird, denn zu Ende ist die juristische Odyssee sogar nach dem Urteil noch lange nicht - überhaupt gestritten? Zunächst einmal lediglich über die Verwendung eines einfachen Rhythmus-Samples für den (kleinen) Sabrina -Setlur-Hit „Nur Mir“ aus dem Kraftwerk-Track „Metall auf Metall“. Diesen hatte sich Pelham geborgt, ohne dafür bei dem Band-Kopf Ralf Hütter an zu fragen. Der fühlte sich laut eigener Aussage übergangen und ließ die Verbreitung des Stückes untersagen. Nach einer ersten Verfahrens-Runde, die Pelham zwar Recht gab, aber eine finanzielle Regelung nahelegte, bot der Produzent 17.500 Euro als Entschädigung an. Doch Hütter lehnte ab und setzte sich im zweiten Durchlauf durch. Jeder noch so kleine Ausschnitt einer Tonaufnahme, so die Richter des BgH, sei vom Urheberrecht geschützt und jegliche Nutzung bedürfe der Erlaubnis des Schöpfers. Nun musste Karlsruhe darüber entscheiden, ob dies eine Einschränkung der konstitutionell verankerten Kunstfreiheit darstellte. Dass Pelham mit seinem letzten Versuch tatsächlich triumphieren könnte, hielten angesichts der weltweit zunehmend schärferen Copyright-Gesetzgebung wenige für möglich. Um so härter fiel der Hammer, als die Hüter der Verfassung Hütter in die Schranken wiesen. Ihr Argument: Es könne nicht angehen, dass das von Kraftwerk bemühte Leistungsschutzrecht „die Nutzung des kulturellen Bestandes weiter erschweren oder unmöglich machen könnte“

Man konnte in den Kommentaren vieler Beobachter nun die Tendenz herauslesen, die Entscheidung habe dem Raubbau am Urheberrecht den Weg geebnet und das „Stehlen“ von geschützten Inhalten legalisiert. Dass dem nicht so ist, lässt sich leicht daran ablesen, wenn man sich vor Augen hält, was das Urteil nicht bedeutet:

Am wahrscheinlichsten ist somit derzeit eine Regelung, die verbindliche, klar definierte Kriterien für Ausgleichszahlungen schafft. Damit würde die Lage nicht nur weitaus transparenter als sie es derzeit ist, sondern könnte zudem beiden Seiten Vorteile bieten.

Vorbild USA

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass man gerade in den USA das Urteil als bahnbrechend bezeichnet hat. Denn sowohl in der Tendenz, als auch dem Wortlaut hat man sich in Deutschland sehr eng an die nahezu 50-jährige amerikanische Rechtsprechungs-Literatur zum Thema orientiert, bei der die Verfügungsgewalt der Rechte-Inhaber immer wieder neu definiert und dabei wahlweise gestärkt oder eingeschränkt wurden. Als die für ihre Geschmacklosigkeit berühmte Formation 2 Live Crew 1994 den Roy-Orbison-Hit „Pretty Woman“ sampelten und schändeten, sahen amerikanische Richter darin noch einen ganz natürlichen Prozess, bei dem bereits Bestehendes aufgegriffen und verändert werde und etwas Neues immer in ein dichtes Geflecht aus Einflüssen und Inspirationen eingebettet sei. Man könne sich nicht, wie das Hütter später tun sollte, auf das göttliche Gebot „Du sollst nicht stehlen“ berufen, da die gesampelten Stellen im Original ja nicht plötzlich fehlten. Ein Diebstahl liege somit nicht vor. Die Verwalter der Orbison-Rechte könnten lediglich dann eine Verbreitung des neuen Songs anfechten, wenn dieser ihrer Ursprungs-Komposition so ähnlich sei, dass er in direkte Konkurrenz zu ihr trete – und davon könne angesichts der völlig unterschiedlichen Zielgruppen und musikalischen Ausarbeitungen wohl kaum die Rede sein.

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Zwei andere Fälle jedoch hoben die Wirkung des 2 Live Crew Urteils wieder auf. Als der Rapper Biz Markie sein neues Album „I Need a Haircut“ auf den Markt brachte, enthielt es ganz selbstverständlich einige ungeklärte Samples, darunter eines des irischen Folk-Barden Gilbert O'Sullivan. Der klagte und erstritt einen vernichtenden Sieg. Das Gericht ging sogar so weit, Biz Markie Böswilligkeit zu unterstellen und zwang ihn dazu, sämtliche bereits gepressten Alben einzustampfen. Doch der Endpunkt war noch lange nicht erreicht. Bei O'Sullivan handelte es sich immerhin um ein erkennbares, kaum manipuliertes Sample. Mehr als zehn Jahre später wurde die Auslegung im Fall „Bridgeport Music, Inc. v. Dimension Films“ aber so weit ausgedehnt, dass sogar einzelne Sounds als schützenswert erachtet wurden. Die unmissverständliche Botschaft lautete: Hole dir eine Lizenz ein oder lasse es mit dem Sampling bleiben. Die Kombination dieser beiden Urteile sandte eine Schockwelle durch die Musikindustrie und sollte Genres wie House und Hip-Hop bis heute grundlegend verändern. Vor allem aber schuf sie die Voraussetzung für ein florierendes Geschäft für Anwälte, die den Produzenten nunmehr dabei halfen, sich durch den Dschungel an Vorschriften zu kämpfen und bei dem komplexen Lizensierungsprozess nicht den Überblick zu verlieren. Die Situation in Deutschland war dieser sehr ähnlich, wie Florian Sitzmann, Professor an der Pop-Akademie Baden-Württemberg, betont hat, der Produktionen kenne, bei denen „der Rechtsanwalt mit dem Rapper im Studio" sitze und laufend Stellungnahmen abgebe, „ob etwas noch mehr verfremdet oder die Zustimmung Dritter eingeholt werden muss.“ Auch im Rest Europas ging schon bald die Furcht um. Legendär die Geschichte um den klassischen Track „Pump up the Volume“ der Formation M|A|R|R|S, beispielsweise. Dieser enthielt (neben 25 anderen) ein Sample des Stock/Aitken/Waterman Stücks „Roadblock“, das so unbedeutend und verfremdet war, dass das damals dominierende Chart-Pop-Produzenten-Trio es nicht einmal selbst heraushörten. Erst als Co-Produzent Dave Dorrell in einem Interview naiverweise seine Quelle offenbarte, schalteten Stock/Aitken/Waterman ihre Anwälte ein. Sampling wurde somit zu einer potentiell kostspieligen Angelegenheit.

In den USA war es Dr Dre, der mit seinem 2001er Album „The Chronic“ als erster die Reißleine zog. Das Album enthielt pro Track nur noch maximal 1-2 Samples und bevorzugte zudem sogenannte „Interpolationen“, bei denen die Originale nicht gesampelt, sondern nachgespielt wurden – eine Praxis, für welche die Erlaubnis des Urhebers nicht erforderlich war. Diese Veränderungen reduzierte die juristischen Sorgen der Plattenfirmen, führten in der Öffentlichkeit paradoxerweise aber zu einer weitaus negativeren Sicht auf das Sampling. Jedes Sample erhielt nun eine weitaus tragendere Rolle im Song, was den Eindruck verstärkte, dass sich Rapper aus Kreativmangel bei anderen bedienten. Die Hip-Hop-Pioniere Public Enemy, die für ihre „Wall of Sound“ eine Vielzahl kurzer Sound-Fragmente aufeinandertürmten, verzichteten gleich ganz auf Samples und wichen darauf aus, mit einer Studio-Band zusammen zu arbeiten. Doch erreichten sie dabei nie mehr die Wucht der frühen Platten. Die Urgewalt ihres charakteristischen Sounds ließ sich schlicht nicht mit akustischen Aufnahmen replizieren.

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Kritische Fragen zum Sampling

Public Enemy sind nur ein Beispiel dafür, dass Sampling eine transformative Kraft haben kann. Ein weiteres ist das Daft Punk Album „Discovery“. Nahezu jeder Song darauf basiert auf einem Sample, dabei macht sich das Duo diese jedoch derart zu eigen, dass man das das Original darüber vergisst. In die Richtung einer solchen Verwendung weist das Urteil aus Karlsruhe. Gleichzeitig müssen aber auch kritische Fragen erlaubt sein:

Die Beantwortung dieser Fragen wird Zeit erfordern, eines aber steht immerhin heute schon fest: Sollte das Kraftwerk-Urteil dazu führen, dass die Nennung der gesampelten Musiker zur Regel wird, so ist bereits ein wichtiger Schritt getan. Wenn Sampling tatsächlich, wie oft behauptet, eine Hommage darstellt, dann sollte sie auch erkennbar sein. Wir alle stehen auf den Schultern derer, die vor uns kamen. Etwas Demut und Dankbarkeit aber kann gewiss nicht schaden.

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