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Portrait Yello - Boris Blank über Technik, Gefühl und das Kind im Mann

Die 1978 gegründete Schweizer Electro-Formation Yello gehört in die Pop- und Avantgarde-Welt gleichermaßen. Klangtüftler Boris Blank gilt als Pionier der elektronischen Musik und ist ein Garant für Klangkreationen, die gerne mal unkonventionell und unvorhersehbar sind. Auch „Toy“, das neue Album des Electro-Pop-Duos, bewegt sich erfolgreich zwischen diesen beiden Polen und ist klanglich eine neue Liga für das Projekt, das Ende Oktober zudem eine fulminante Bühnenrückkehr feiern will. Ein Gespräch mit Soundmagier Boris Blank über Technik, Gefühl und das Kind im Mann.

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Beat / Seit eurem letzten Album „Touch Yello“ sind beinahe sieben Jahre vergangen. Zurückgelehnt habt ihr euch in der Zwischenzeit jedoch nicht ...
Boris / Nein. Ich habe in dieser Zeit das Album „Convergence“ der Jazz-Sängerin Malia produziert. Es hat die Charakteristik der Musik von Yello, aber mit einer anderen Stimme. Zudem habe ich eine Retrospektive mit unveröffentlichten Yello-Tracks zusammengestellt. Als wir mein Studio in Zürich von analog auf digital umstellten, habe ich viele alte Bänder gefunden. Wir haben diverse Kisten durchgewühlt und am Ende blieben 64 kürzere und längere Stücke übrig. Auch dadurch dauerte es etwas länger, bis ein neues Yello-Album auf den Markt kommen konnte.

Beat / Es hat bei Yello eine lange Tradition, Gastsänger einzubinden. Neben Sänger Dieter Meier sind auf „Toy“ auch Malia und Fifi Rong zu hören. Wie kam es dazu?
Boris / Den Song „Give You The World“ hatte ich noch aus der Zusammenarbeit mit Malia für ihre Platte übrig, da es sich dort nicht homogen eingefügt hatte. Die anderen Stücke mit ihr entstanden ebenfalls recht spontan während dieser Zeit. Fifi Rong war der Tipp eines Freundes. Ich habe ihr nach einem Telefonat ein Stück geschickt und sie hat in einem Hotelzimmer in Peking 20 Spuren eingesungen. Ich musste anschließend noch die Ventilatorengeräusche herausfiltern. Da ich die Freiheit hatte, die Spuren ganz nach meinem Geschmack zu verwenden, kam das meiner Arbeitsweise entgegen, da ich gerne wie bei einer Collage arbeite.

Beat / Wie steht Dieter dazu, dass es in Yello-Songs immer wieder andere Sänger neben ihm gibt?
Boris / Er ist da ganz entspannt. Es gibt immer wieder Stücke, die nicht zu seiner Stimme passen. Ich arbeite ja stets an 60 bis 70 Songs parallel, und wenn es an ein neues Album geht, mache ich Dieter zehn bis zwanzig Vorschläge. Darunter sind auch immer wieder welche, bei denen er sagt, sie seien nicht seine Musik oder es falle ihm nichts dazu ein. Es sind oft eher feminine Stücke, die erstmal zur Seite gelegt und wieder hervorgeholt werden, wenn es sich anbietet, eine weibliche Stimme einzuladen.

Beat / Fällt es dir schwer, Dieter freie Hand zu lassen, wenn du mit den Stücken teils schon jahrelang eng verwoben bist?
Boris / Zu Beginn unserer 38-jährigen Karriere haben wir uns noch öfter in die Haare bekommen. Heute ist Yello so eingespielt wie die Trapeznummer zweier Zirkusartisten. Es liegt in der Natur der Sache, dass ich konkrete Vorstellungen habe, wo welcher Gesang stehen könnte, da ich das Klangbild ja gezeichnet habe. Aber ich versuche mich in der ersten Phase nicht aufzudrängen, da er sich ja erstmal in diesen Bildern zurechtfinden muss. Meist gehe ich dann mittags meinen Salat essen und spiele ihm einen Loop vor. Dann kann er sich etwas einleben, und wenn ich zurückkomme, wird diskutiert. Es fügt sich alles sehr organisch zusammen. Dieter ist viel weniger im Studio als ich. Er ist sehr schnell. Vom ersten Hören eines Stückes bis zur fertigen Aufnahme vergehen ein bis zwei Tage und danach ist er auch schon wieder unterwegs.

Beat / Hattest du im Vorfeld eine Soundvision, wie „Toy“ klingen soll?
Boris / Nein, ich lasse mich immer frei treiben und arbeite wie ein Klangmaler, der sich von seinen eigenen Fragmenten inspirieren lässt. Ich sammele immer wieder Versatzstücke von Klängen, um mich dann selbst zu überraschen, wenn ich sie wie ein Patchwork zusammensetze. So entstehen ganze Welten. Der Albumtitel „Toy“ verweist auf dieses spielerische Vorgehen im Studio.

Beat / Trotz einiger 80er-Jahre-Einflüsse klingt der Sound druckvoller und moderner als der eurer letzten Werke. War dies ein bewusster Schritt?
Boris / Ich glaube, der bessere Sound ist nicht zuletzt der Entwicklung der Musiktechnologie geschuldet. Es kommen immer wieder neue Tools auf den Markt, die mich beeinflussen. Das ist, als würde ein Maler mit neuen Farben oder Techniken experimentieren. Dadurch entstehen in seinen Bildern auch neue Komponenten. Die neuen Möglichkeiten haben das Produzieren bequemer werden lassen. Das Wichtigste für mich ist aber nach wie vor, dass – egal welche Plug-ins in die Musik hineinspielen – ich am Ende genau das zu hören bekomme, was ich hören will.

Beat / Eure Stücke sind extrem vielschichtig, sehr räumlich und überraschen durch unerwartete Wendungen. Wie lange sitzt du durchschnittlich an einem Song?
Boris / Das ist unterschiedlich. Während des Entstehungsprozesses eines Stücks bin ich wie ein Kind, das einfach mal ausprobiert. Wenn ein Song dann in die Mischung kommt, beginnt ein eher akribischer, administrativer Prozess. Da bin ich Perfektionist, denn ich will, dass ein Stück „begehbar“ wird. Alle Frequenzen sollen derart sortiert sein, dass Transparenz und Tiefe entstehen. Das ist eine Arbeit, die nicht mehr so viel Spaß macht, sondern mich eher strapaziert, weil ich die Bässe wirklich laut hören muss. Ich bin kein Mensch, der mit Analysern arbeitet, sondern traue immer noch meinen alten Ohren. Diese Arbeit kann sehr aufwendig sein und ich sitze durchaus zwei, drei oder vier Tage an einem Mix, bis er so ist, wie ich es möchte

Beat / Wie sieht deine Abhörumgebung beim Mixing aus?
Boris / Meine Referenz sind meine großen JBL-Studiolautsprecher und PSI-Monitore für den Nahbereich. Die Boxen sind nicht ganz billig, klingen aber sehr ehrlich. Man lernt, damit umzugehen. Vor allem im Bereich zwischen 20 und 50 Hz ist es wichtig, sauber zu mischen. Sonst gibt es ein rotes Blinken, das aussagt „ich bin überlastet“. So sind diese Monitore wie Analyzer für mich.

Beat / Welche Klangerzeuger haben den Sound von „Toy“ geprägt?
Boris / Ich habe Hunderte an Plug-ins. Zum Beispiel arbeite ich gerne mit dem MicroTonic. Das ist ein Electro-Drum-Sequencer, der viel Spaß macht und unheimlich schnell zu bedienen ist. Er ist vergleichbar mit analogen Welten, zumal er sehr druckvolle Bassdrums liefert. Ebenfalls nicht zu vergessen der Reaktor von Native Instruments. Das Plug-in ist sehr gut gemacht und die meisten Elemente darin entsprechen genau meinem Verständnis von Klangarchitektur. Aus Ableton Live verwende ich primär die Möglichkeiten der Verfremdung. Ich brauche die Effekte, wenn ich einzelne Segmente bearbeite. Diese importiere ich dann in Logic und überarbeite sie dort noch mal.

Beat / Die analoge Technik hast du ganz aussortiert?
Boris / Ja, das meiste. Ich trauere dem nicht so sehr nach wie andere. Aus rein emotionalen Gründen habe ich noch ein paar Geräte, beispielsweise einen ARP Odyssey oder einen der ersten Vocoder von Roland. Ich bin der Meinung, dass ich auch mit den digitalen Möglichkeiten ein analoges Feeling hinbekomme. Ich bin kein Nostalgiker, der einen Sequential Circuit Prophet 5 oder 600 braucht, um das Glück zu erleben, an dessen Knöpfen zu drehen. Mir geht es um den Sound und nicht um die nostalgisch-emotionale Beziehung zu den Geräten.

Beat / Du gehörst zu den wenigen Produzenten, die seinerzeit einen der sündhaft teuren Fairlight-Sampler besaßen. Was ist durch den Umstieg auf Digitaltechnik mit dem Gerät passiert?
Boris / Ich habe noch eine unglaublich große Fairlight-Sample-Library aus der Anfangszeit des Geräts, die nicht mehr spielbar gewesen ist, weil die Drives nicht mehr funktionierten. Ich habe den Fairlight nach Sydney geschickt, wo Peter Vogel und seine Mitarbeiter alles retten konnten. Sie haben mir die gesamte Library auf zwei Festplatten zurückgeschickt, die ich jetzt wieder zur Verfügung habe. Mit den technischen Möglichkeiten der heutigen Zeit kann man ja tief in die molekulare Struktur eines Sounds eintauchen. Viele Samples, die ich damals in sehr guter Qualität aufgenommen habe – teilweise bin ich sogar mit dem Mikrofon auf Baustellen oder Autofriedhöfe gegangen – verwende ich heute, um daraus neue Sounds herzustellen.

Beat / Hat sich dein Art Songs zu schreiben durch die digitale Technik verändert?
Boris / Eigentlich nicht. Ich bin immer noch eigenwillig und eigenartig in meiner Konstruktion von Klanggebäuden. Gut, am Anfang habe ich noch mit 4-Zoll-Magnetbändern gearbeitet und habe Geräusche aufgenommen, die Bänder in kleine, gleich lange Stücke geschnitten und sie danach in beliebiger Reihenfolge wieder zusammengesetzt. Das war jedes Mal ein Erlebnis und bedeutete viel Zeitaufwand. Dazu konnte ich Bongos oder was auch immer spielen und so neue Klangwelten kreieren. Heute entstehen die Songs weniger aufwendig, aber es gibt immer wieder Überraschungen.

Beat / Dieses Prinzip des Sampling greift auch deine eigene App Yellofier auf ...
Boris / Ja, das ist die bequemere Variante, da einem der Bandschnitt erspart wird. Man kann damit in kurzer Zeit etwas Witziges machen. Die Idee dahinter war, dass man auf jedes einzelne Sample mit verschiedensten Effekten Einfluss nehmen kann. Es steckt viel von meiner Arbeitsweise in dieser App.

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Beat / Kam der Yellofier auch auf „Toy“ zum Einsatz?
Boris / Ja, da gibt es etliche Stimm- und Percussion-Elemente, die ich im Hintergrund laufen habe. Auch einige Breaks sind damit entstanden und zusätzliche sind diverse Stücke, in denen er um Einsatz kommt, noch in Arbeit. Oft kreiere ich Tracks damit, wenn ich unterwegs bin, vor allem im Flugzeug, denn dann habe ich ausreichend Zeit für ganze Stücke.

Beat / Bist du jemand, der sich stundenlang in der Soundsuche verlieren kann?
Boris / Ja, absolut. Das ist das Üble an der ganzen Sache (lacht). Es braucht viel Zeit und oftmals verliert man sich in der Tat ein wenig darin. Allerdings habe ich nach 38 Jahren auch gewisse Erfahrungswerte und sage mir an einem gewissen Punkt einfach, „vergiss es und komm zum nächsten Thema“.

Beat / Du vergleichst deine Komposition gerne mit Malerei. Unterscheidet dich das von klassischen Songwritern, die eher text- und akkordbasiert arbeiten
Boris / Ich denke schon. Ich bin kein ausgebildeter Musiker, kann keine Noten lesen oder Partituren schreiben und nicht mal Akkorde definieren. Bei mir kommt alles aus dem Gefühl. Dadurch, dass ich Musik nicht studiert habe, fehlt mir die Kompositionssprache. Ich bin eher ein Konstrukteur oder Stimmungsmaler als ein Komponist.

Beat / Du weißt also eigentlich gar nicht, was du tust?
Boris / Ja, leider (lacht)! Ich habe mir mal so ein Kästchen gekauft, das die Klaviatur, Akkorde und etwaige Harmonieabläufe abgebildet hat. Dem ersten Stück, das ich damit gemacht habe, fehlte es total an der Charakteristik meiner Musik. Es klang so „normal“. Man muss aufpassen, dass man nicht von all diesen Presets verführt wird, die schon Musik machen, bevor man sie überhaupt angestellt hat. Ich bin sehr glücklich, dass ich dem nicht verfallen bin und meinen eigenen Weg gefunden habe.

Beat / Du sagst von dir, du gehst ins Studio wie andere Menschen zur Arbeit – der Künstler als „Fabrikarbeiter“. Ist es möglich, Kreativität zu erzwingen?
Boris / Wenn man Kreativität als eine Tür sieht, durch die man hindurchgehen kann, steht sie bei mir, Gott sei Dank, fast immer offen. Natürlich gibt es einige wenige Tage, an denen sie verschlossen ist. Dann setze ich mich eben schon mittags auf Fahrrad oder gehe spazieren. Doch irgendeine Idee habe ich fast immer, zumal stets irgendwelche Klangwelten brach liegen. Mit etwas Abstand fällt es mir leichter, weiterzumachen. Dann denke ich mir „Aha, deshalb habe ich aufgehört. Da fehlt ja die Basslinie.“ Ich bin nie nur auf ein Stück fokussiert, sondern arbeite an bis zu 70 Fragmenten parallel. Wenn ich bei einem nicht vorankomme, lege ich es beiseite und nehme das nächste zur Hand. Es geht darum, dass man ein Stück nicht verunstaltet, weil man den eigentlichen Kern nicht mehr sieht.

Beat / Wonach entscheidest du, an welchem Punkt du ein Stück an Dieter weitergibst?
Boris / Ich bin geprägt durch die lange Erfahrung. Wenn ich den Faden so weit in der Hand halte, dass er einem Seil gleicht und ich die Umrisse und die Struktur deutlich spüre, belasse ich es dabei. Früher habe ich immer noch mehr und mehr an der Basis gearbeitet, bis der Griff des Seils auch noch schön geschmückt war. Aber dann wurde es schnell überladen.

Beat / Wie behältst du bei der Vielzahl an Fragmenten den Überblick?
Boris / Ich bin wie das Eichhörnchen, das das Ablaufdatum seiner Nüsse ganz genau kennt. Ich habe ein fotografisches Gedächtnis und gebe den Versatzstücken Namen. Aber es wird immer mehr, sodass ich von Zeit zu Zeit administrative Arbeit leisten muss, damit ich wieder weiß, wo ich was finde. Dabei kategorisiere ich die einzelnen Sounds und Folder gerne nach Stimmungen.

Beat / Ihr spielt Ende Oktober nach langen Jahren wieder live – vier exklusive Konzerte im Kraftwerk in Berlin. Ist es für dich schwierig, die Studioversionen der Songs für die Live-Shows spielbar zu machen?
Boris / Das, was unseren Sound signifikant macht, wird auf einer Timeline abgespielt. Zusätzlich werde ich einige Elemente live spielen. Dass ich mich nur mit einem Laptop auf die Bühne stelle und alles Playback ist, wie bei David Guetta, kommt für mich nicht infrage. Mit Dieter und mir zusammen stehen 14 Sänger und Percussionisten auf der Bühne, die die Songs nach meinen Vorstellungen umsetzen.

Beat / Wird es über die Berlin-Konzerte hinaus weitere Shows geben?
Boris / Wenn es in Berlin gut klappt, sich die Leute freuen und wir diese Freude teilen können, werden wir weitere Städte bespielen. Diverse Offerten aus Kalifornien, Russland oder Australien liegen schon auf dem Tisch, aber wir wollen uns dabei wohlfühlen. Sonst machen wir das nicht. Uns hatten viele Leute gefragt, weshalb wir mit Yello nicht auftreten und ich dachte mir, wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn wir unseren Veröffentlichungszyklus so beibehalten, ist Dieter beim nächsten Album fast 80. Dann müssten wir ja mit Rollator auf die Bühne kommen. Jetzt sind wir dagegen noch fesch, jung und dynamisch und können das gut handeln (lacht). Vor allem ist es auch ein Muss unseren Fans gegenüber, die sich das sehr wünschen.

Beat / Wird der Punkt, an dem ihr offiziell in Rente geht, irgendwann kommen?
Boris / Ich glaube, ich werde noch Musik machen, wenn schon die Nägel in meinen Sarg geschlagen werden. Dann nehme ich die Schlaggeräusche mit dem Yellofier auf und mache einen Track daraus. Dieter hat ja noch viele andere Geschäfte, die ihn aktiv halten, aber ich bin eben ein Studiobastler und kann nichts anderes. Zusätzlich zu Yello habe ich eine kleine Firma mit Freunden aus London und Los Angeles. Zusammen machen wir High-End-Filmmusik, keine Billigproduktionen für den Mainstream. Ich kann mir gut vorstellen, das auszubauen, wenn ich in der Popwelt nicht mehr funktionieren sollte. Aber bis dahin geht alles so weiter bis bisher. Noch bin ich für ein paar Yello-Platten gut.   

Diskografie Yello:

1980 | Solid Pleasure

1981 | Claro que si

1983 | Live At The Roxy N.Y. Dec 83 (Live-EP)

1984 | You Gotta Say Yes to Another Excess

1985 | Stella

1987 | One Second

1988 | Flag

1991 | Baby

1992 | Essential

1994 | Zebra

1995 | Essential Christmas

1997 | Pocket Universe

1999 | Motion Picture

2003 | The Eye

2009 | Touch Yello

2010 | Yello By Yello

2016 | Toy

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