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DJ-Interview mit Stacey Pullen

Ein Stacey-Pullen-Mix ist immer ein Ereignis. Das war schon auf seiner klassischen DJ-Kicks-CD vor zwanzig Jahren so. Und das gilt genauso für sein Doppel-Album für die berühmte Balance-Reihe. Tobias Fischer sprach mit ihm über die Bedeutung von Radio, den Rhythmus im Blut und die erstaunlichen Vorteile davon, so zu klingen wie alle anderen.

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Beat / Ich finde es bezeichnend, dass dein DJ-Kicks-Mix aus 1996 diese prägnanten Blade-Runner-Samples verwendet. Auch eines deiner Idole, Alan Ester, hat regelmäßig Vangelis-Tracks in seinen Sets gespielt.
Stacey Pullen / Unglaublich, oder? In Europa hätte man sich damals nie vorstellen können, dass wir schwarzen Jungs diese Art Musik hören! Aber wir haben uns darin wiedererkannt und es war ein essenzieller Teil unserer Geschichte. Der Radio-Moderator „The Electrifying Mojo“ war in der Hinsicht sehr wichtig. Einmal hat er in seiner Show als Erstes 15 Minuten aus dem 2001-Soundtrack gespielt. Erst danach ging es mit einem Song von Prince weiter. Das war ein unglaublich beeindruckender Moment.

Beat / Der Mix steht sinnbildlich also für diesen fast schon cinematischen, eklektischen Radio-Ansatz.
Stacey Pullen / Ja, es war eine Erweiterung von dem, was ich um mich herum hörte. Auf dem DJ-Kicks-Album gibt es eine Menge Edits, es war kein Mix wie mein neuer für Balance, der im Grunde genommen wie in einem Club mit Traktor und etwas Outboard-Gear aufgenommen wurde. Vielmehr habe ich immer wieder auf „Pause“ gedrückt und nachgedacht und zum Schluss sind wir ins Studio gegangen und haben das Ganze wie ein Puzzle zusammengesetzt. Wir alle aus Detroit haben damals so gearbeitet. Wir haben Mixe von Audiokassetten auf Real-to-Real überspielt und dann das Tape so bearbeitet, wie ein Filmproduzent es getan hätte.

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Beat / Radio scheint damals unglaublich wichtig gewesen zu sein.
Stacey Pullen / Kann man wohl sagen. Die Musik war 2-3 Mal am Tag zu hören. Es gab einen DJ namens Dwayne „in the mix“ Bradley, der hatte eine Show zwischen 12 und halb eins. Du bist zum Mittagessen gegangen, hast das Radio angemacht und alles von Disco über House bis hin zu Techno gehört. Jeff Mills hatte auch eine Show und DJ T-1000 hat die industriellere Seite von Techno gespielt: Depeche Mode, Nitzer Ebb, Front 242.

Beat / Ich bin beeindruckt, dass du dich teilweise noch an die genaue Uhrzeit erinnerst.
Stacey Pullen / [lacht] Ich habe sogar noch einige meiner alten Tapes von damals! Es war einfach eine historische Zeit. Rap war gerade durchgebrochen und ich war total anti-Rap eingestellt. Meine Freunde und ich wollten anders sein, innovativ, von der Musik bis zu unserer Kleidung. Ich bin morgens aufgewacht, habe meine Klamotten gebügelt und dabei die Electrifying-Mojo-Show von letzter Nacht angehört. Es hat mir das Gefühl gegeben, etwas zu besitzen, das anders war und das keiner sonst hatte.

Beat / Aus dem DJing wurde erst eine wirkliche Karriere, als du 1993 nach Amsterdam gezogen bist?
Stacey Pullen / Ja. Ich hatte Derrick May, Juan Atkins und Kevin Saunderson kennengelernt und mich gut mit ihnen verstanden. Ich habe meine erste Platte auf Derricks Label Fragile veröffentlicht und dann sind wir zusammen nach Amsterdam gezogen. Er hat mir einen Vorschuss gegeben und das Flugzeugticket bezahlt.

Beat / Wie hat sich dieser Umzug musikalisch auf dich ausgewirkt?
Stacey Pullen / Ich habe plötzlich verstanden, wie viel elektronische Musik es da draußen gab. Wir kannten die Musik aus Detroit und Chicago und auch Italo-Disco. Doch über die europäischen Labels und Künstlern wussten wir nur sehr wenig. So habe ich viel über die europäische Seite kennengelernt und andersherum den Europäern unsere Musik nahe gebracht.

Beat / Was mir immer wieder auffällt: Sehr viele der amerikanischen Produzenten dieser Zeit waren ausgebildete Musiker. Die Europäer nicht. Teilweise hört man das auch in der Musik.
Stacey Pullen / Das stimmt. Ich habe Flöte und Schlagzeug an der Schule gespielt und jeder an der Schule wollte in irgendeiner Form Kunst oder Musik machen. Mein Vater hat in den 50ern und 60ern in Motown-Gruppen gespielt und ist mit Mitgliedern der Temptations zur Schule gegangen. Meine Mutter ist an der High School mit Smokey Robinson ausgegangen! Wir haben ein musikalisches Erbe, das in unserem Blut fließt und Teil unserer Kultur ist.

Beat / Jeff Mills hat mir erzählt, wie wichtig seine Erfahrungen als Schlagzeuger für sein DJing waren. Würdest du das bestätigen?
Stacey Pullen / Auf jeden Fall. Es gibt für mich nichts Schlimmeres, als wenn der DJ eine neue Platte auf der eins und drei einfadet, aber die Snare auf der zwei und vier liegen. Die Drums sind das Herz der Musik. Der Herzschlag darf niemals stolpern.

Beat / Gab es in Amsterdam einen Augenblick, dass du das Gefühl hattest, dich selbst als DJ gefunden zu haben? Dass du anders aufgelegt hast als deine Kollegen?
Stacey Pullen / [denkt nach] Eher nicht. In Detroit waren wir ja alle von den gleichen Dingen beeinflusst. Es war damals für uns eher umgekehrt wichtig, dass wir alle den gleichen DJ-Stil hatten. Dieser Stil war etwas Neues, er hatte viel Kraft. Wir waren eine Bewegung, und weil wir alle gleich spielten, hat es diese Bewegung verstärkt und wachsen lassen.

Beat / Wie würdest du euren Stil beschreiben?
Stacey Pullen / Wir legen in Detroit gerne „on the fly“ auf. Das heißt, wir machen den Übergang, wenn die nächste Platte schon auf der Club-Anlage zu hören ist. Wir haben sehr schnell gespielt, meistens bei +4 oder +6. Wenn wir den nächsten Track gemixt haben, haben wir die Synchronisierung nicht mit unseren Händen am Plattenteller, sondern mit dem Pitch Control am Mischpult vorgenommen. Diese Energie und gleichzeitige Flüssigkeit hat uns einen Vorsprung verschafft. Manchmal ist es auch voll in die Hose gegangen. Aber so waren wir eben.

Beat / Ein Auflegen mit viel Adrenalin.
Stacey Pullen / Ja, aber ich denke trotzdem immer auch an gewisse Ruhe-Phasen. Es ist wie beim Aerobic: Du hast eine Aufwärmphase, einen intensiven Cardio-Teil und den Cooldown. So sehe ich das auch beim DJing: Ich bin der Aerobic-Trainer [lacht].

Beat / Wenn man ähnlich mixt wie die anderen DJs aus Detroit und ähnliche Platten spielt, wie setzt man sich dann dennoch ab?
Stacey Pullen / Es geht beim Auflegen vor allem um Timing und Vermittlung. Man hört ja manchmal von Leuten, die davon keine Ahnung haben, so etwas wie: „Wieso zahlt ihr dem Typen eigentlich so viel Geld, wenn er nur die Musik anderer Leute spielt?“ So jemandem sage ich: Der DJ war immer die Person, die neue Musik nach vorne gebracht hat. Sie haben Musik gespielt, die dich in verschiedenster Weise bewegt und die Leute dazu bringt, in den Club zu gehen und eine Platte zu kaufen. Der DJ ist der Botschafter.

Beat / Du legst digital auf, nutzt aber Traktor eher konventionell als virtuelle Turntables. Reizen dich die Möglichkeiten nicht, noch tiefer in die Arrangements vorzudringen?
Stacey Pullen / Ich stehe nicht so drauf, Knöpfe zu drücken. Leute wie Richie Hawtin und Dubfire machen das richtig gut, aber ich spiele einen Track lieber, wie er ist, bringe ihn voll zur Geltung und lasse ihn dann in den nächsten fließen. Vergiss nicht, ich komme aus einer Zeit, als der DJ zwei bis drei Tracks zur gleichen Zeit gespielt hat und parallel ein a capella vorbereitet hat. Und das alles mit zehn Fingern! Klar, kannst du das heute mit einem einzigen Knopfdruck erledigen. Aber mir gefällt der handwerkliche Aspekt des klassischen Ansatzes.

Beat / Das heißt, du lässt dich nicht von den neuen Werkzeugen von deinen grundlegenden Präferenzen abbringen.
Stacey Pullen / Genau. Ich erinnere mich noch daran, dass ich als 15-Jähriger Jeff Mills live gesehen habe. Es war im Club, aber ich habe nicht getanzt, sondern nur dagesessen und ihm zugeschaut. Er hatte seine Roland 727, 707, 909 und 808 dabei. Es war unglaublich intuitiv und interaktiv. Im Grunde genommen macht er heute aber immer noch das Gleiche.

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Beat / Wie entscheidest du, was du an einem bestimmten Abend spielen wirst?
Stacey Pullen / Ich spiele gerne auf jedem Gig neue Tracks. Es ist mir dabei egal, ob ein anderer Track letzte Nacht wie eine Bombe eingeschlagen ist und die Leute zum Schreien gebracht hat. Trotzdem spiele ich lieber was Neues. Manchmal ist das gar nicht so gut, weil ich dann in der Mitte des Sets feststelle, dass mir gar nicht gefällt, was ich da auflege. Aber andererseits sehe ich darin meine Aufgabe. Die Suche hält mich am Ball.

Beat / Dir gefällt also eine gewisse Spannung.
Stacey Pullen / [lacht] Daraus beziehe ich meine Energie, Mann – aus der Erkundung des Unbekannten. Ohne diese Aufregung könnte ich mich selbst nicht motivieren.

Beat / In dem Pressetext zu deiner Balance-CD hast du davon gesprochen, Musik zu spielen, die du in einem Club nicht auflegen könntest. Gibt es da tatsächlich Einschränkungen?
Stacey Pullen / Die gibt es. Aber nur, wenn du ein kurzes Set spielst oder zur Peak-Time. Sogar, wenn du gerne Risiken eingehst, funktioniert unter den gegebenen Bedingungen einfach nicht alles. In einem 2-Stunden-Set kannst du höchstens 19 Tracks spielen oder 23, wenn du eine Stunde mehr hast. Ich habe das genau nachgezählt [lacht]. Da gibt es auch schlicht nicht immer Raum für deine persönlichen Vorlieben. Deswegen ist es auch meine Stärke, von Anfang bis Ende zu spielen. Denn das erlaubt dir, spannende Musik zu pushen.

Beat / Diese kürzeren Sets sind auch ein Zeichen der Zeit. Kannst du der Verwandlung der DJ-Szene dennoch etwas abgewinnen?
Stacey Pullen / Ich freue mich über den Generationenwechsel. Ich liebe, was ich tue und wenn sich die Dinge verändern, dann ist das für mich ein Segen. Techno steht für Technologie und du musst Technologie und Fortschritt begrüßen, sonst bleibst du zurück. Durch das viele Reisen bin ich Veränderungen gegenüber offener geworden. Wäre ich nicht nach Amsterdam gezogen, hätte ich diese Vielseitigkeit der Szene nie verstanden. Inzwischen wohne ich zwar wieder in Detroit, bin aber genau deswegen um so neugieriger, was anderswo passiert. Es ist eine perfekte Balance. Ich komme viel rum, aber ich habe auch ein Zuhause. Und wenn ich dorthin zurückgekehrt bin, denke ich über die Dinge nach, die ich gesehen habe. Und darüber, wie ich sie in meine Kunst einfließen lassen kann.

www.facebook.com/staceypullendetroit

Dieser Artikel ist in unserer Heft-Ausgabe124 erschienen.

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