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Digitale Kultur: Stadion-Alarm

Viele sehen Booking-Agenturen als Hauptverantwortliche für die missliche Lage der Szene. Dabei sind auch Booker vor immense Herausforderungen gestellt. Explodierende Gagen, Bürokratie, eine Flut an DJs und die Macht des großen Geldes – ist die Dance-Industrie noch zu retten?

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Gerne erinnert sich Club-Betreiber und Event- Veranstalter Row Weber an die gute alte Zeit zurück. An Nächte, als Paul Kalkbrenner auf dem riesigen Münchner Königsplatz für 1000 Euro spielte, als er Superstars wie den Amsterdamer DJ Afrojack für 5000 Euro buchen konnte. Inzwischen habe sich die Lage jedoch drastisch geändert, so Weber. Afrojacks Spitzengage liege bei 150.000 Euro und immer wieder komme es vor, dass er mit DJs über eine Entlohnung im Wert eines neuen Kleinwagens verhandle – und diese dennoch ablehnten. Für Albert Berdellans, den Chefredakteur der Online-Seite Dubstep.net stellt sich die Schuldfrage erst gar nicht: „Es gibt ja einige in der Industrie, die die Fans dafür verantwortlich machen. Für mich jedoch sind es vor allem die Agenten, die einen Nachfrage-Wahn auslösen, um damit ihre Booking-Preise in die Höhe zu treiben.“. Berdellans ist nicht der Einzige, der hart mit den Agenturen ins Gericht geht. Auf einem zunehmend polarisierten Markt sind Booker zu einem Symbol für Ungleichheit und Ausbeutung geworden – und damit zu Sündenböcken für alles, was derzeit falsch und ungerecht ist in der Szene. Tatsächlich hat sich das Booking-Geschäft in den letzten zehn Jahren radikal verändert. Das Tempo der Branche hat sich vervielfacht. Während es noch vor einem Jahrzehnt vollkommen üblich war, die Details von Verträgen über Fax und Telefon in wochenlangen Besprechungen auszuhandeln, sind heute Deadlines von wenigen Tagen keine Seltenheit mehr. Das Netz mit seinen viralen Marketing-Möglichkeiten und zielgerichteter Kundenansprache hat viel dazu beigetragen, dass solche kurzfristig organisierten Gigs überhaupt möglich sind. Gleichzeitig haben soziale Medien und DJ-Rankings den Star-Kult in unvorstellbare Höhen getrieben. Vor der Online-Revolution reichten gerade einmal 1200 Stimmen aus, um beim Jahres-Ranking des angesehenen DJ-Mags die Spitzenposition zu belegen. Das nutzte gerüchteweise der niederländische DJ Tijs Michiel Verwest aus, indem er bei Festivals Abstimmungsformulare verteilte und um Unterstützung buhlte. Drei Spitzenpositionen in Folge später war Tiësto zum erfolgreichsten DJ der Welt aufgestiegen. Das macht sich bezahlt. Denn eine hohe Platzierung, so wissen Experten, kann die eigene Gage multiplizieren. Doch auch an anderer Stelle wird an der Preisschraube gedreht. Die Zunahme von Mega-Veranstaltungen in Europa – sei es die riesigen Clubs auf Ibiza oder Events wie Sensation, bei denen pro Abend 40-45tausend Tickets verkauft werden – sowie der Markteintritt der USA haben zu der Herausbildung eines Rockstar-Ideals und entsprechenden Gehaltsvorstellungen geführt. Was an sich nur gerecht erscheint – wer Stadien füllt, möchte schließlich auch an den dabei anfallenden Gewinnen beteiligt werden. Doch was passiert, wenn DJs diese Maßstäbe auch bei Club-Auftritten anlegen? Wenn die Anhebung der Spitzengehälter zu einem Gehaltsanstieg führt, der für kleine Clubs nicht mehr tragbar ist?

Schlüsselrolle

Die Booking-Agenturen scheinen bei der Beantwortung dieser Fragen eine Schlüsselrolle einzunehmen – und nicht jeder ist mit den Antworten zufrieden. Es häufen sich die Stimmen derjenigen, welche im Booking-System den Hauptgrund für die zunehmende Verzerrung und Polarisierung der Szene sehen. Die empfindliche Balance zwischen Preisverhandlung und Preistreiberei, so die Kritiker, neige immer mehr zu letzterer und viele DJs würden zu früh in ihrer Karriere von Agenturen „entdeckt“, was ihnen wichtige Erfahrungen vorenthalte und sie in ihrer Entwicklung hemme. Unabhängig davon, ob diese Einschätzungen zutreffen oder nicht, lässt sich festhalten, dass sich für alle Beteiligten der Grad der Bürokratisierung erheblich erhöht hat, wie der Inhaber des Berliner Horst-Clubs, Johnny Stieler einmal beklagt hat: „Die immer weiter wachsende Anzahl von Veranstaltungsorten und Clubs, die mit dir um dieselben 50 Künstler buhlt, hat eine Situation kreiert, in der man zwölf Monate im Voraus Bookings machen muss, um ein Date mit guten Freunden des Hauses zu finden. Lächerlich hohe Gagen werden gezahlt und Veranstalter verbringen die meiste Zeit damit, Leuten, die sie nicht mögen, in den Arsch zu kriechen, kafkaeske Formulare auszufüllen oder anderen Clubs die Künstler abzuluchsen.“ Die deutlich vernehmbaren Negativstimmen verkennen gleichzeitig, dass die Zusammenarbeit mit einer Agentur für die meisten DJs sehr konkrete Vorteile bietet und in vielen Fällen sogar den entscheidenden Unterschied zwischen Stillstand und Durchbruch ausmachen kann: Agenturen verfügen über ein über Jahre aufgebautes Netzwerk an Kontakten zu Clubs und Festivals, kennen die richtigen Ansprechpartner und deren Wünsche, können jungen, unbekannten Namen Türen öffnen. Gerade bei DJs, die sich in einer erfolgreichen Phase ihrer Karriere befinden, übernehmen Agenturen die rapide wachsende administrative Arbeit und erlauben es den Künstlern, sich voll und ganz auf das Auflegen zu konzentrieren. In den Vertragsverhandlungen können Agenturen deutlich besser eine angemessene Gage heraushandeln als ein DJ, der oftmals auch für ein nur geringes Budget spielen würde. Booker besitzen ein fundiertes Wissen sowohl darüber, was „der Markt hergibt“ als auch, wann es sinnvoll ist, die eigenen Bedingungen aufzuweichen. So ist es durchaus sinnvoll, bei kleineren Locations, die mit einem geringeren Einkommen pro Abend auskommen müssen, eine niedrigere Gage zu verlangen als bei großen Clubs. Im Idealfall erhöhen Booker für Veranstalter sowohl Planungssicherheit als auch Zuverlässigkeit und unterstützen langfristige Geschäftsbeziehungen. Tanya Bednar der Wiener Veranstaltungsreihe Icke Micke hat das einmal trefflich folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Modeselektor und Ellen Allien haben früher ausschließlich bei Icke Micke gespielt. Wir konnten uns auf die Exklusivität verlassen, und die Booking-Agentur hatte einen fixen Termin im Jahr. Wenn du so viel tourst wie Modeselektor, suchst du dir die Locations ja auch nicht nur nach Kohle aus, sondern auch danach, wo du dich ein bisschen zu Hause fühlst.“

Schieflage

Dass der Erfolg der Agenturen vor allem auf Exklusivität und Selektion beruht, hat es für viele DJs extrem schwierig gemacht, ein passendes Zuhause bei einem Booker zu finden. Doch die Schieflage und die damit verbundene Flut an Bewerbungen ist auch für Booker alles andere als vorteilhaft. Gerade das Entdecken neuer Talente gestaltet sich als Wagnis. Einige in der Branche geben offen zu, sich auf Empfehlungen von aktuellen Kunden zu verlassen, wenn es um Neuzugänge geht. Auch die Anzahl der Facebook-Fans ist, trotz aller ihrer Nachteile und Manipulierbarkeit, eine der wenigen Größen, welche annäherungsweise anzudeuten imstande sind, wie viel „Buzz“ ein Künstler generiert, was für ein Netzwerk er bereits aufgebaut hat und was für ein potenzielles Publikum seine Auftritte generieren können. Auch wenn alle Beteiligten grundsätzlich betonen, dass nackte Zahlen alleine nichts bedeuten, wird man laut Insider-Anfragen letztendlich eben doch erst ab einer Schar von mindestens 20,000 Followern für größere Booker interessant. Für diejenigen, welche keine Star-DJs zum Freund haben und keine Fans im fünfstelligen Bereich, bedeutet das allerdings durchaus nicht das Aus. Die Erfahrung lehrt, dass es einige entscheidende Weichenstellungen gibt, die jeder DJ zu seinen eigenen Gunsten vornehmen kann: Die Schlüsselstellung für Bookings nehmen heutzutage eigene Produktionen ein. „Gute Musik auf guten Labels zu veröffentlichen korreliert zu 100% mit Booking-Anfragen“, so Sam Slade von Colluded Talent, „Arbeite nicht mit jedem und entscheide dich für drei oder vier Labels, die glaubwürdig sind.“  Persönliche Beziehungen werden angesichts der Flut an DJs auch für Club-Betreiber stets wichtiger. Wer in einer Location auflegen möchte, sollte deshalb unbedingt vor Ort sein, dem Inhaber persönlich ein Demo überreichen und immer wieder sein Interesse bekunden. Wenn aus dem Booking bei einem Club nichts wird, kann man immer noch eigene Partys organisieren. DJ Paul Morris empfiehlt dabei, nicht nur mit seinem eigenen Namen zu werben, sondern eine Marke aufzubauen. Morris selbst beispielsweise wurde für seine „Sunset Rocks“ Strand-Feiern bekannt, die bei Tageslicht begannen und vor dem Sonnenuntergang beendet wurden – und konnte diese bei späteren Bewerbungen immer wieder gewinnbringend einsetzen. Dass man es auch ohne die Unterstützung angesagter Agenturen schaffen kann, wird überzeugend von einem DJ wie Benny Rodrigues demonstriert, der nach einer Phase der Agentur-Mitgliedschaft die Kontrollmöglichkeiten der Solo-Karriere genießt. Und dennoch taugen Booker herzlich wenig als Sündenböcke. Vielmehr ist ganz allgemein der Traum gestorben, man könne das DJing nur als Hobby betreiben und trotzdem Erfolg haben. Produzent Alex Preda beispielsweise glaubt an die knallharte Logik des Marktes: „Für mich ist ein DJ wie eine Firma: Um so mehr du für dich wirbst, um so mehr potenzielle Kunden ziehst du an. Du musst schon wirklich furchtbar sein, wenn du trotz angemessener Promotion keine Fans findest.“  Das mag einerseits einen Hoffnungsschimmer bedeuten. Doch die vermeintlich gute alte Zeit bringt auch das nicht mehr zurück.  

Interview:  Bookerin Patci

Weil im Gespräch Bookings sind der Schlüssel zu einer professionellen Existenz als DJ und Produzent. Aber was macht gutes Booking überhaupt aus und was sind in der Branche wichtige aktuelle Entwicklungen? Wir haben bei Patci Weil, mit Wilde Agency eine der erfolgreichsten Bookerinnen Deutschlands, nachgefragt.

Beat / Worauf basiert das Konzept der Wilde Agency?

Patci Weil / Ich habe sehr viel Spaß an meiner Arbeit. Das ist für mich das Wichtigste und dafür musste ich lernen loszulassen und immer wieder neue Dinge anzupacken. Kontakte sammle ich akribisch. Ich habe bis heute jeden einzelnen Kontakt der letzen 12 Jahre in meinem Adressbuch abgelegt. Ich habe die Kontakte immer mit der ersten Mail dieses Kontaktes abgespeichert – so kann ich heute noch sagen: „Hey du hattest mich doch damals für das Open Air in Pusselmuckel schon mal angeschrieben!“ Das ist sozusagen mein digitales Gehirn. Neben meiner Datenbank habe ich über 20 Jahre weltweites Nachtleben hinter mir und so kenne ich die für mich wichtigsten Kontakte alle persönlich.

Beat / Kann man als Künstler die eigenen Bookings durchführen?

Patci Weil / Man kann, wenn man darauf Lust hat, wunderbar sein Booking selbermachen. Ich kenne einige Künstler, die mit einem Synonym ihre eigenen Bookings machen und somit auch noch eine Bookingfee bekommen. Das ist super und macht finanziell Sinn bis zu einem gewissen Punkt. Ab einer bestimmten Anzahl an Anfragen und Gigs kommt man nicht mehr hinterher, da das eigentliche Ziel für einen Künstler ja das Spielen und Produzieren ist. Ein/e Agent/in arbeitet nicht Anfragen ab, sondern betreibt Akquise – schöpft also aus einer großen Kontakte- Bank und lenkt den Künstler in eine gewisse Richtung mit den Bookings und Kontakten die dadurch entstehen. Ein Agent hat ein Ziel vor Augen, welches er mit dem Künstler erreichen will. Er/Sie führt Verhandlungen, schreibt Verträge, bucht Flüge, ist auf dem neusten Stand, was internationale Steuerabkommen angeht, arbeitet mit den neuesten Booking-Organisationstools. Booking ist ein Berufszweig der, wenn man ihn professionell betreibt, nicht nebenbei oder von einem Praktikanten zu bewerkstelligen ist. Unser Roster ist immer zwischen 25 bis 30 Künstler groß, so können wir eine professionelle Betreuung garantieren. Wir bauen seit Jahren slowly but surely unsere Wilden Nächte auf. Das macht großen Spaß und gibt uns die Freiheit, junge Künstler in den – für uns – richtigen Clubs zu präsentieren. Die Künstler lieben es, mit ihren Kollegen on the road zu sein. Ich bekomme am Wochenende oft sehr lustige Fotos zugeschickt (lacht).

Beat / Wie wichtig ist die Präsenz eines Künstlers in den sozialen Medien?

Patci Weil / Wenn ich mit der Kunst/Musik Geld verdienen möchte, brauche ich Fans und Menschen, die mir folgen und Auftritte besuchen. Es geht darum, wie viel Interesse wecke ich da draußen? Wie viele Menschen kommen zu meinen Auftritten? Wie kann ich die Party People verzaubern und in meinen musikalischen Bann ziehen? Für uns als Agentur ist es, neben der Musik und allem was ich schon aufgezählt habe, ein wichtiger Bestandteil.

Beat / Worauf legen andersherum die Veranstalter wert?

Patci Weil / Veranstalter riskieren mit jedem Booking eine Menge Geld. Viele Veranstalter greifen dafür sehr tief in ihre eigene Tasche. Für Veranstalter ist es sehr wichtig, wie aktiv ein Künstler oder Management heutzutage arbeitet. Je mehr Fans ein Künstler hat, desto weniger Risiko ist es, einen finanziellen Ruin zu erleben. Viele Clubs und Veranstalter buchen die Resident Advisor Top 100 DJ Liste hoch und runter. Es gibt auch Clubs, die sich die Künstler aussuchen können – und der Club, egal was für ein Künstler spielt, immer voll ist. Aber das sind eher Ausnahmen heutzutage.

Beat / Wilde hat gerade ein eigenes Label begonnen. Was sind Bereiche, in denen sich Booking-Agenturen neu positionieren müssen?

Patci Weil / Ich kann immer nur für meine Agentur und mein Team sprechen und nicht generell für Booking- Agenturen. Uns macht es großen Spaß Dinge auszuprobieren. Das Label macht für uns großen Sinn, denn wir veröffentlichen potenziell erfolgreiche Tracks unserer Künstler. Wir präsentieren den Release bei unseren Veranstaltern und im besten Falle buchen sie einen Gig oder direkt eine Wilde Nacht. Somit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klatsche: Wir promoten unsere Künstler und verschaffen ihnen Bookings in renommierten Clubs. 

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