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Porträt: Vincent Fugère

Vincent Fugère war dabei, als sich die Welt veränderte. Als winzige, aus dem Schlafzimmer geführte Labels den Majors plötzlich den Ton vorgaben. Als kostenlos noch etwas bedeutete. Als es keine Grenzen mehr zu geben und der Traum vom Dasein als Musiker in Erfüllung zu gehen schien. 2009 jedoch beendete Fugère sein Netlabel Camomille von einem Tag auf den anderen und verabschiedete sich von der Musik. Jetzt ist er wieder da – und erneut ist alles anders.

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Vielleicht, so argumentierte der leicht schrullige aber gelegentlich auf geradezu unheimliche Weise prophetische Komponist und Theoretiker John Cage einmal, haben wir den großen Fluss der Musikgeschichte bereits hinter uns gelassen und sind in ein Delta eingetreten, in dem sich die klare Linie der historischen Entwicklung auflöst und verästelt und alle Stile gleichberechtigt nebeneinander treiben. Genau dieses Stadium scheint jedenfalls derzeit die Netlabel-Szene erreicht zu haben. Während die einen von einer Krise sprechen und statt wöchentlicher Neugründungen ein grassierendes Labelsterben monieren, betrachten es die anderen eher als Triumph, dass die Ideen der Pioniere inzwischen komplett vom Mainstream assimiliert wurden: Es gibt heute kaum noch erfolgreiche Plattenfirmen, die „kostenlos“ nicht in irgendeiner Form für sich entdeckt haben und es entweder als gelegentliches Marketing-Zuckerl oder integrale Komponente ihres Katalogs einsetzen. Mit Qualität und kompositorischem Gehalt hat die Unterscheidung zwischen traditionellem Business und CC-Lizenzen schon lange nichts mehr zu tun, und was „Hauptwerk“ oder „Neben-Releases“ sind, lässt sich ebenso wenig anhand des Preisschildes erkennen. Gleichzeitig aber ist ein eindeutiges Nachlassen des revolutionären Triebes zu verkennen, eine Art stille Resignation bei denen, die sich einstmals stolz am Puls der Zeit bewegten. Flagschiffe der Szene wie thinner oder Stadtgruen haben ihre Kommunikationsrate drastisch heruntergefahren, sind in einen Winterschlaf versunken oder in die private Bedeutungslosigkeit abgeglitten.

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