Hip-Hop: Stereo MCs

Geschrieben von Beat
24.02.2013
14:37 Uhr

Mit „Connected“ schrieben die Stereo MCs Musikgeschichte, danach verschwanden sie für eine Dekade von der Bildfläche. Nach ihrem Comeback konnten die zwei zwar nicht mehr an den kommerziellen Erfolg der Neunziger anknüpfen, hatten sich aber als eine feste Größe etabliert und als Produzenten-Duo ständig weiterentwickelt. Klang ist für die MCs weit mehr als nur eine Frage der Technik – in ihm spiegelt sich ihre gesamte kreative Einstellung.von Tobias Fischer und Mario Schumacher

(Bild: www.stereomcs.com)

Auch wenn weder die Plattenfirma, noch die Musiker selbst darauf hingewiesen haben, markiert das aktuelle Stereo-MCs Album „Emperor’s Nightingale“ einen entscheidenden Punkt in der Band-Geschichte. Denn mit dem Erscheinen ihrer mittlerweile siebten LP ist die Band inzwischen genau so lange wieder zurück, wie sie einstmals, in dem stillen Jahrzehnt nach ihrem Über-Hit „Connected“, weg gewesen war. Für ein Projekt, das nach einem kometenhaften Aufstieg plötzlich in einem schwarzen Loch verschwand, alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Doch war der kreative Motor der Formation niemals ins Stottern geraten. Hinter den Kulissen verloren sich Rob Birch und Nick Hallam weiterhin täglich in der Musik, auch wenn die Ergebnisse nunmehr nicht mehr an die Öffentlichkeit drangen.

Seitdem sie den Knoten mit dem wichtigen Comeback-Werk „Deep Down and Dirty“ selbstbewusst durchtrennten, haben sie die Suche nach dem perfekten Groove nie aufgegeben, einerseits ihre Wurzeln stärker betont und andererseits, wie auf der experimentellen Doppel-CD „Double Bouble“ den Kontakt zu einer neuen Produzentengeneration gesucht. 2012 steht das Duo stärker da denn je zuvor, erlebt einen zweiten Frühling und legt mit dem Sample-Paket „Vaultage“ sowie dem Album „Emperor’s Nightingale“ zwei großartige Veröffentlichungen vor. Auf Letzterem gelingt der Spagat zwischen zeitgemäßer Club-Musik und episch-klassischem Pop so gut, dass es einem gelegentlich Tränen in die Augen treibt. Es ist ein Triumph von Geduld und Ruhelosigkeit zugleich – und die vielleicht bisher klarste Definition einer ganz eigenen Vorstellung von Sound. Dementsprechend auskunftsfreudig gaben sich die beiden dann auch beim Interviewtermin.

Beat / Ihr habt nie mit anderen Produzenten zusammengearbeitet. Heißt das, dass Songwriting und Produktion bei Euch stets Hand in Hand gehen?

Stereo MCs / Stimmt, aus einer Vielzahl von Gründen haben wir immer alles selbst produziert. Das hat damit zu tun, dass wir zunächst mit Plattenspielern und einem einfachen Sampler und später viel am Laptop gearbeitet haben und nicht hauptsächlich in einer Bandkonstellation, die es von außen zu dirigieren gilt. Wenn wir einen Track fertiggestellt haben, kommt er entweder auf das Album oder in den Müll. Die Stereo MCs haben wahrscheinlich überhaupt nur ein einziges Demo aufgenommen – als wir ganz zu Anfang weder über einen Sampler noch ein Mischpult verfügten und in einem Studio unsere erste 12-Inch, „Move“, aufgenommen haben. Seitdem aber gibt es für Nick und mich eine klare Vorgehensweise: Wir leben mit der Musik, lassen die Beats den ganzen Tag über laufen, kochen uns dabei Tee und weiße Bohnen in Tomatensoße, spielen mit der Musik und vergessen dabei die Zeit. Es ist sehr wichtig, dass wir uns in unseren eigenen vier Wänden entspannen können.

Beat / Dabei kann man sich aber auch leicht in den Details verlieren …

Stereo MCs / Klar, auch ich habe mich schon mal zu sehr in ein Lied verliebt. Ich bin mir der Gefahren einer übertriebenen Detailarbeit bewusst und versuche deswegen heute, die Dinge einfach zu halten. Wir befinden uns auf einer steil nach oben zeigenden Lernkurve. Ich habe mit elf Jahren angefangen Gitarre zu spielen – Songs von Status Quo, Bowie, Led Zeppelin und den Sex Pistols. Dann habe ich Public Enemy für mich entdeckt und Electro und frühen Rap. Das hat eine gezielte Amnesie erfordert und ich habe alles, was ich wusste, vergessen und neu angefangen. Wir haben gelernt, Beats und Sounds mit Tape-Loops zu machen, mit ausgemusterten Plattenspielern und billigen Casio-Samplern. Der nächste Schritt war der Akai 1000 und dann folgten Computer, Cubase und Logic, später Native Instruments, Laptops, Songwriting im Flugzeug – Dinge, die uns vorher völlig fremd gewesen waren. Trotzdem ist dieses Fundament, dieses Wissen darum, ein Instrument zu spielen, von sehr großem Wert für uns gewesen. Es hat uns eine gewisse Musikalität gegeben.

Song oder Sound?

Beat / Was ist denn bei euch wichtiger: das Songwriting oder der Sound?

Stereo MCs / Das Songwriting kommt immer zuerst. Einen guten Song kann man von der Akustikgitarre auf einen elektronischen Groove übertragen. Aber man darf auf keinen Fall die Bedeutung unterschätzen, auch den Sound zu entwickeln und sich stets herauszufordern, musikalisches Neuland zu betreten, das wiederum das Songwriting inspiriert. Sound ist heute immer entscheidender, weil es immer mehr und immer bessere Wiedergabegeräte gibt – dein Song muss sowohl auf Laptop-Lautsprechern als auch auf hochwertigen Monitoren gut klingen. Und der Sound eines Tracks kann eine Menge über die Haltung der Musik und über deinen kreativen Ansatz aussagen. Als wir vor Kurzem das Loopmasters Sample-Pack zusammengestellt haben, haben wir Loops aus allen unseren Schaffensphasen gesammelt. Dabei konnte man immer ganz genau erkennen, was uns zu einem bestimmten Zeitpunkt beschäftigt und begeistert hat. Das erste Stück auf Emperor’s Nightingale, „Wooden Heart“, sollte beispielsweise im Stile der Godfather-Soundracks gehalten sein. Also haben wir eine Menge Zeit damit verbracht, Sounds zu schichten und den Klavierteil zu bearbeiten, um diesen stark komprimierten 60er-/70er-Jahre-Sound zu erzielen. Gleichzeitig aber haben wir für den Rhythmus Massive und Battery verwendet, um dem Ganzen ein aktuelles Gesicht zu verleihen.

Beat / Wie hat sich euer Songwriting konkret durch die von euch angesprochene technologische Entwicklungen verändert?

Stereo MCs / Technologie und Songwriting sind auf jeden Fall eng miteinander verzahnt. Heute mag die Kombination aus einem Turntable und einer 808 veraltet klingen, doch als wir damals damit gearbeitet haben, war es der Stand der Technik. Und sogar jetzt noch verlassen sich viele aktuelle Produktionen auf die 808 als Rückgrat. Diese Suche nach neuen klanglichen Ausdrucksformen hört beim Equipment nicht auf, sondern erweitert sich noch auf Fragen des Stils und wie die Instrumente genutzt werden, die sie relevant machen. Als wir angefangen haben, war die Vorstellung, mit Drum Machines Musik zu machen, revolutionär. Die Gewerkschaften wollten die Geräte damals sogar verbieten! Die Werte hinter den ersten Dance-Platten sind teilweise erhalten geblieben, aber die Hörer sind heute viel gebildeter und sich der Veränderungen von Sounds und Rhythmen bewusst. Als Musiker musst du deswegen ungemein auf Draht sein, wenn du ein Publikum wirklich überzeugen willst.

Das Fundament

Beat / Warum spielen dann die Sechziger und Siebziger bei euch so eine wichtige Rolle?

Stereo MCs / Die heutige Musik wurde nicht auf einer weißen Leinwand gemalt. Man könnte sich Rap, Grime, House oder auch Dubstep doch gar nicht ohne Funk, Dub, Disco, Rock, Jazz oder Boogie aus den späten Sechzigern und Siebzigern vorstellen. Sie sind das Fundament. Wenn du dir dessen nicht bewusst bist, bekommst du nur gebrauchten Staub aus aktuellen Songs. Bei uns ist es so, dass ganz egal wie weit wir uns entwickeln, es da einen Fingerabdruck dieser Einflüsse zu geben scheint, der von Soul, Funk und Reggae bis hin zu frühem Punk reicht. Manchmal höre ich mir den Radiosender rinse.fm an, der topaktuelle Underground Club-Musik spielt. Und immer wieder legen sie zwischendurch einen alten Tune auf, weil diese Musik immer noch frisch und echt klingt – und weil sie einen bedeutenden Beitrag zu der Entwicklung der heutigen Musikergeneration geleistet hat.

Beat / Wie stehst du zu der Vorstellung, dass es im Produktionsbereich noch wirklichen Fortschritt geben kann?

Stereo MCs / Wenn ich mir einige der heutigen Tracks aus dem Dubstep- und Bassline-Bereich anhöre, dann bin ich manchmal von der Breite und Tiefe der Produktion überwältigt. Die Ausdehnung des Sounds von den Tiefen bis hin zu den Höhen ist so weit und die Mitten sind so satt … Obwohl ich die Arrangements von Rose Royce liebe, muss ich zugeben, dass Produzenten wie Skream oder Redlight dem Ganzen unglaubliche Farbe und Dimension hinzugefügt haben. Solange man Seele in die Musik steckt, sind die Möglichkeiten unendlich. George Martin und die Beatles haben zu ihrer Zeit bemerkenswerte Dinge erreicht. Und das Gleiche gilt für King Tubby und Lee Scratch Perry. Sie alle haben Einschränkungen überwunden und Regeln gebrochen.

Beat / Ist es heute schwieriger als zu Zeiten der Beatles, einen wirklich eigenen Sound zu formen?

Stereo MCs / Eigentlich hat sich das nicht geändert. In den frühen Tagen von Rap haben verschiedene Produzenten den gleichen Break verwendet, aber du konntest an dem Gefühl der Tracks erkennen, welcher von Marley Marl oder Eric Sermin oder Boogie Down Productions gemacht worden war. Jeder hatte dieselben Ausgangsmaterialien. Vergleiche einen Gitarristen wie Jimmy Hendrix mit Marc Bolan, den Schlagzeuger Mickey Dolenz von den Monkeys mit Buddy Miles – sie alle haben mit denselben Instrumenten ganz unterschiedliche Dinge getan und uns dennoch durch ihren eigenen Stil ganz andere Gefühle gegeben. Die Aufgabe besteht heute darin, mit all diesen unendlichen Möglichkeiten unsere Identität herauszuarbeiten. Vielleicht ist weniger ja wirklich mehr?

Diskografie

1989 | 33-45-78

1990 | Supernatural

1992 | Connected

2000 | DJ-Kicks: Stereo MCs

2001 | Deep Down and Dirty

2005 | Paradise

2008 | Live at the BBC

2008 | Double Bubble

2011 | Emperor’s Nightingale

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