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Elektronik: Tensnake

Nach dem Über-Hit „Coma Cat“ legt der Hamburger Produzent Marco Niemerski sein erstes Album vor. Wer eine Wiederholung seines Erfolgsrezepts zwischen House und Electronica erwartet, wird von „Glow“ überrascht, vielleicht sogar enttäuscht sein. Alle anderen werden die erfrischend unprätentiöse Scheibe in der Schnittmenge zwischen Disco, Funk, Soul und Elektronik ins Herz schließen. Für Niemerski war „Glow“ ein langer Lernprozess – und das Ergebnis mehr als nur ein Album.

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Beat / 2006 ist auf Mirau deine erste EP „Around The House“ erschienen. Erzähl mir doch ein wenig über die Anfänge von Tensnake und die Hamburger Szene.

Tensnake / Ich war damals nicht sehr mit der Hamburger Szene verbunden. Trotzdem war das Dial- Label eine große Inspiration und auch ein Einfluss auf die Gründung meines ersten eigenen Labels Mirau. Eines meiner liebsten DJ-Sets ever ist immer noch eines von Dial-Mitgründer Peter M. Kersten alias Lawrence, das vor vielen Jahren in der Hamburger Botschaft / Betalounge aufgenommen wurde. Zum Start von Mirau hatte ich dann ein musikalisches Projekt namens Arp Aubert. Das waren mein Kumpel Stephan Lorenz, der auch einer der Mirau- Gründer ist, und meine Wenigkeit. Die Musik war deutlich deeper und melancholischer als der Tensnake- Sound. Etwas mehr Indie. Ich hatte einfach Lust, mich musikalisch anders auszudrücken und einen anderen Sound zu machen. Das war der Grund, warum ich später unter dem Namen Tensnake produziert und meine erste EP auf Mirau veröffentlicht habe. Die EP kam ziemlich gut an und ich hatte kurz darauf meinen ersten Remix-Auftrag von der Band Junior Boys aus Kanada, die „Around The House“ in irgendeinem DJ-Set gehört hatten.

Beat / „Around The House“ enthält ja auch eine schöne Kraftwerk-Referenz.

Tensnake / Die spielst wahrscheinlich auf den Synthlead- Sound an, der diese kurzen Sechzehntel- Noten spielt. Die Inspiration für die Melodie war eher der Klassiker „Moscow Disco“ von Telex. Der Basslauf wiederum bezieht sich auf den Track „Miura“ von Metro Area. Wie du siehst, beziehe ich mich selbst sehr oft auf andere Produktion, die mich inspiriert haben. Ich denke, das muss jeder für sich selbst klären, wo da genau die Grenze zwischen Referenz und Kopie liegt. Für mich persönlich ist es wichtig, dass ich nicht 1:1 sample, sondern die Musik selber einspiele.

Beat / Wie sieht dein Produktionsprozess heute aus?

Tensnake / Ich arbeite hauptsächlich in Live (Ableton) und benutze alle Arten von Plug-ins, aber auch viel Hardware. Mein Haupt-Synth auf „Glow“ war der Oberheim Matrix 1000 und der Moog Voyager. Auf dem Album ist auch öfter die Linndrum zu hören. Das ist eine sehr charakteristische Drum Machine aus den Achtzigern. Wenn du diese Drumsamples benutzt, gibt der Sound eigentlich schon die Richtung ein bisschen vor für den Rest der Produktion. Alles erinnert sofort an Oldschool, 80er und weißen Lamborghini. Aber meistens versuche ich die Richtung in der Produktion vorzugeben und nicht die Maschine.

Beat / Nach deinem Hit „Coma Cat“ bis du verstärkt live gebucht. Siehst du es persönlich als etwas Negatives, dass die eigentliche Musik immer mehr nur noch ein Vehikel für Auftritte wird?

Tensnake / Ja und nein. Es ist nun mal so, dass heutzutage mit dem Touren das meiste Geld verdient wird. Von den Vinyl-, CD- und Digitalverkäufen alleine kann man eigentlich kaum leben. Ich finde es natürlich ärgerlich, dass allen Musik verdammt wichtig ist, jede Festplatte und jeder iPod damit vollgestopft ist, aber ein großer Teil der Konsumenten immer noch keine Lust hat, dafür entsprechend zu zahlen. Dazu kommt die unendliche Verfügbarkeit von Musik durch Streamingplattformen. Das führt dann eben dazu, dass man die meiste Zeit des Jahres tourt und entsprechend weniger Zeit für das Produzieren an sich hat. Aber für mich überwiegt deutlich das Positive an der ganzen Sache. Ich liebe meinen Job, reise um die Welt, treffe nette Menschen und andere Künstler.

Elektronischer Band-Sound

Beat / Du bist mit Disco und Funk aufgewachsen. Wie kommt es, dass du da nie in einer Band Musik machen wolltest?

Tensnake / Da habe ich noch nie so richtig drüber nachgedacht, aber es stimmt tatsächlich. Ich glaube, ich habe mit „Glow“ versucht, eher einen Band- als einen „Electronic Artist“-Sound zu schaffen. Wahrscheinlich beruht das auf einem alten Komplex. Ich bereue es heute, dass ich nie wirklich ein Instrument zu spielen gelernt habe, und sehe mich selber auch nicht als Musiker. Das ist natürlich Quatsch, weil man sich heutzutage auf tausend verschiedene Arten musikalisch künstlerisch ausdrücken kann. Ich hätte für „Glow“ sehr gerne eine Live-Band zusammengestellt. Das ist leider daran gescheitert, dass die beteiligten Künstler alle auf der Welt verstreut leben und es ein ziemlich großer logistischer Aufwand gewesen wäre. Dazu kommt, dass ich bereits bis Ende des Jahres mit DJ-Gigs komplett ausgebucht bin, und die Zeit fehlt, ein gutes Programm auf die Beine zu stellen.

Beat / Du hast vor „Glow“ mehrfach gesagt, dass es gar nicht unbedingt ein Album geben muss. Wie blickst du im Nachhinein auf die Erfahrung zurück? Was bedeuten Alben heutzutage noch?

Tensnake / Also, wenn man die Sache aus kommerzieller Sicht betrachtet, ist die Zeit der Alben definitiv abgelaufen. Die Leute picken sich ihre Lieblingstracks auf iTunes und ignorieren den Rest. Ich glaube, die wichtigsten Alben für mich wurden ohnehin alle vor vielen, vielen Jahren veröffentlicht. Nicht weil die Musik damals besser war, sondern weil sie mich damals musikalisch stark geprägt haben. Für mich war es aus künstlerischer Sicht einfach wichtig, ein Gesamtwerk zu veröffentlichen. Es fühlt sich anders an und man hat mehr Zeit sich auszudrücken. Ich habe während der Produktionsphase von „Glow“ sehr viel gelernt. Man muss viel disziplinierter und geduldiger arbeiten. Außerdem habe ich zum ersten Mal mit anderen Künstlern an Songs gearbeitet. Wir haben teilweise zusammen geschrieben. Das bedeutet, dass man manchmal Kompromisse eingeht, aber sich auch genauso gegenseitig inspiriert. „Glow“ ist innerhalb eines Jahres entstanden und wurde dann noch mal circa 1½ Jahre später veröffentlicht. Für mich ist die Musik also schon ziemlich alt. Auf Albumlänge macht es meistens Sinn, dass die Musik zusammenpasst, irgendwie einheitlich klingt. Ich denke, dass das einfacher gelingt, wenn man die Songs in einem Guss schreibt und produziert. Das war bei „Glow“ nicht der Fall. Da ich aber von Anfang an wusste, dass ich eh verschiedene Stile abdecken wollte, war es mir nicht so wichtig, ob das Album für andere als einheitlich erscheint. Es war wichtig, dass die Songs in der Reihenfolge zusammen funktionieren, aber nicht zwingend stilistisch zusammenpassen. Ich glaube, ich sehe „Glow“ eher als eine Art Showreel, welches dafür steht, welche Arten von Musik Tensnake inspiriert und berührt. Es nicht unbedingt als Artist-Album zu betrachten.

Fehlendes Verständnis

Beat / Ich habe einige recht negative Urteile über die Platte gelesen, hatte aber meistens das Gefühl, dass es dabei vor allem um die Klangfarben geht. Was für ein Sound hat dir für „Glow“ vorgeschwebt?

Tensnake / Bei einigen der negativen Kritiken war ganz klar deutlich, dass der Journalist die musikalischen Referenzen in „Glow“ nicht kapiert hat. Ihm fehlte einfach der musikalische Hintergrund. Die Wurzeln des Albums liegen in der afroamerikanischen Musik der 80er und 90er. Wenn du sonst den ganzen Tag REM und Bob Dylan hörst, wird dir das Album wahrscheinlich nicht gefallen. Ich wollte einfach meine Form von Black Music inspirierter Pop-Musik schaffen. Musik, die sowohl im Club als auch im Radio laufen kann, ohne dabei gleich jedem ins Gesicht springen zu wollen. Irgendwas zwischen Grandmaster Flash und den Venga Boys (lacht).

Beat / Warum ist diese Kombination aus Club- und Radio-Tauglichkeit so selten?

Tensnake / Bei Disco mag die Verbindung noch gegeben sein, da Disco eigentlich Pop-Musik ist. Für die meisten anderen elektronischen Genres allerdings nicht. Im House oder Techno kommt es, zumindest in den kommerzielleren Clubs, meistens eher auf die Funktionalität des Tracks an. Bestimmte rhythmische Elemente haben zu einem bestimmten Zeitpunkt entsprechend zu funktionieren. Dabei darf es dann allerdings nicht zu komplex werden, Melodien wirken eher verstörend. Die Leute freuen sich, wenn sie alle im gleichen Moment die Arme in die Luft reißen. Vergleichbar mit einem Tor beim Fußball.

Beat / Auch Worte können verstören, gerade wenn es um Musik geht. Sollte man weniger darüber sprechen?

Tensnake / Ganz genau. Ich halte es für Unsinn, über Musik zu reden. Für mich hat Musik nichts mit Theorie zu tun. Musik ist direkt und emotional und will gehört und gefühlt werden. In diesem Sinne, vielen Dank für das Interview.

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