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Tech House: "Alle Farben" im Interview

Es sind Produzenten und DJs wie „Alle Farben“, die zwischen Radio-Airplay, Sommerwiese und Club-Floor in den letzten vier, fünf Jahren dafür sorgten, dass sich so ziemlich alles geändert hat. Elektronische Musik ist heute nicht mehr Szene-Ding, vielmehr hört auch deine Mutter jetzt ‚Deephouse’. Zumindest, wenn sie irgendein handelsübliches Radio einschaltet. Der poppige Sound zwischen Pop-Songwriting und Housemusic-Beat hat übernommen, rotiert heftig – teils in der hundertsten Kopie der Kopie der Vorsaison. Zeit, „Alle Farben“ zu treffen, der den neuen Trend mit auslöste.

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Frans Zimmer aka „Alle Farben“ ist echter, kein Wahl-Berliner. Im Zentrum der dauerhaft pulsierenden Stadt, die längst als wichtigste elektronische City Europas gilt, macht er als DJ in den Nuller-Jahren seine ersten Schritte. In kleinen Clubs und Bars. Eigentlich will er Malerei studieren, scheitert jedoch an der Aufnahmeprüfung der Universität der Künste in Berlin. Seine Ausbildung zum Grafikdesigner an einer Privatschule bricht er nach anderthalb Jahren ab. Das Hobby-DJing und der Verkauf selbstgemalter Bilder oder Postkarten halten ihn ein paar Jahre kreativ und finanziell über Wasser. Als er 2009 entscheidet, dass aus seinem Künstlernamen „Hundert Farben“ (frei nach seinem Künstler-Idol Friedensreich Hundertwasser) „Alle Farben“ wird, zündet er die wichtige nächste Stufe. 2012 gelingt ihm der endgültige Durchbruch, als er am 1. Mai ein Open-Air vor fast 30.000 Menschen auf dem Tempelhofer Feld in Berlin spielt. Seitdem ist er Everybody’s Darling und nahezu jedes Wochenende unterwegs.

In Berlin, so sagen die Spötter heute, fallen von jedem Baum, den du schüttelst, drei DJs. Und doch: So einer wie „Alle Farben“ fiel wohl nicht ganz zufällig vom Baum. Es muss irgendeine Vorsehung gegeben haben, die ihn als unschuldig wirkenden Visionär auf die Menschheit ansetzte. Mit eins, zwei Podcasts und Klick-Zahlen im Millionen-Bereich wird er in jedem „Househalt“ bekannt. Plötzlich reden alle von seinem irgendwie neuen Sound. Heute hat er die Mainstream-Radiolandschaft erobert, mit „She Moves“ (mit Sänger Graham Candy) oder dem „Supergirl“-Cover, mit Anna Naklab am Mic, domptiert er zudem die Charts. Sein zweites Album „Music Is My Best Friend“ (Juni 2016) schnürt den Pop-Moment noch fixierter ein, auf einem guten Dutzend vornehmlich drei- bis vier-minütiger Nummern verschwimmen letzte Grenzen zwischen House-Track und Song.

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Beat / Gab es ein Rezept zum Beginn der Karriere?
Alle Farben / Also ich denke, meinen Werdegang kann man nicht kopieren. Ich hab es ja geschafft, mit Podcasts bekannt zu werden.

Beat / Gut, warum sind die so eingeschlagen, deiner Meinung nach?
Alle Farben / Ich war einer der Ersten dieser neuen melodischen Ära. Ich hab einige Dinge anders gemacht und die Tanzmusik aus dem Club ins Wohnzimmer gebracht. Ich wollte auch ganz bewusst den Sprung machen, eine neue elektronische Welle einzuleiten. DJs können heute die Band ersetzen, die elektronische Musik bedient sich immer mehr auch herkömmlicher Instrumenten. Für mich war das immer so, dass ich da auch den Pop-Song in der Elektronik wollte, und Melodien, die Leute wollen auch Melodien!

Vom Artwork seiner Social-Media-Seiten zur Cover-Gestaltung mischt der verhinderte bildende Künstler nun mit Eigen-Kreationen mit und gibt dem musikalischen Entwurf ein betont freundliches Bild. Und die Musik? Weit und breit herrscht hier Freundlichkeit. „Alle Farben“ will genau das: Musik, die genug Melodie und Pop besitzt, um daran hängen zu bleiben, und die doch die positive Energie seiner Club-Erfahrung im Groove-Herzen mitträgt. „Meine Musik ist für alle Menschen da“, zitiert ihn der Tagesspiegel 2013 und so wundert es nicht, dass seine Genrationen-übergreifende Musik, die er selber mal als „Singer-Songwriter-Folk-Elektro“ bezeichnete, Alt und Jung erreicht, exakt keinen stört und einigen den Einstieg in die elektronische Musikwelt erleichtert. Nur zu passend, dass im „She Moves“-Video seine Eltern in der ersten Reihe mittanzen …

Die Mission ist erfüllt, Musik steht bei „Alle Farben“ an erster Stelle im Leben, auch, wenn das durchaus ein Opfer sein kann. Das neue Album heißt nicht zufällig „Music is my best friend“.

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Beat / Was hat es mit dem Albumtitel auf sich?
Alle Farben / Das war eigentlich ein Song rund um genau das, was ich lebe. Ich habe ja gewissermaßen mein Privatleben ein Stück weit aufgeben, sogar eine feste Beziehung. Es ist momentan einfach schwer, Freunde zu halten, da muss ich auch ehrlich mit umgehen. Und derzeit ist Musik einfach meine wichtigste Beziehung!

Beat / Welche Rolle spielt das Zauberwörtchen Beziehung denn bei der Musikproduktion?
Alle Farben / Meine Stücke sind in enger Zusammenarbeit mit Younotus entstanden. Das DJ- und Produzentenduo aus Berlin besteht aus Tobias Bogdon und Gregor Sahm. Wir sind gute Freunde, legen oft zusammen auf, und so hat sich eine engere Kollaboration entwickelt.

Wir haben einfach so viel zusammen gemacht, ich unterstütze sie gerne und arbeite mit ihnen, da kam mir für das zweite Album die Überlegung der Ghostwriter!

Beat / Die ja aber nicht Ghost-mäßig verschwiegen werden … Endlich ist hier mal einer, der offen darüber redet, dass jemand anderes für das Produzieren (mit)verantwortlich ist.
Alle Farben / Ja, wieso auch nicht. Aber ich weiß ja, wie das ist und wie sich viele Leute aufregen. Die Zeit ist noch nicht lange so, dass man darüber redet, dass nicht immer der Künstler im Vordergrund auch die Musik produziert. Aber ich denke, es ist angebracht, darüber zu reden, und es ist auch beruhigend. Schließlich ist es doch in jeder Branche so, dass man sich spezialisiert. Bei „Alle Farben“ gibt es eben auch mich, den Songschreiber und die technisch versierteren Engineers Younotus. Ich produzier schon auch, aber nicht in dem Maß, wie es die beiden machen. Ich habe meist eine Idee oder eine Song-Vision, nur das Ausarbeiten kann ich eben mal mehr oder weniger auf den Punkt bringen. Am Ende ist das Schönste, dass man voll voneinander lernt, und ich in den Jungs zwei neue Freunde gefunden habe, mit denen man beispielsweise gemeinsam in Urlaub fährt.

Für die Interviews zum neuen „Alle Farben“-Album wünschte sich Frans dann auch offensiv, die ‚Ghostwriter’-Freunde sollten bitte mit befragt werden. Eine schöne Gelegenheit, das durch und durch moderne Unternehmen „Alle Farben“ von allen Seiten kennenzulernen.

Beat / Was ist der Arbeitsanteil, den Younotus bei der „Alle Farben“-Produktion bekleiden?
Younotus / Wir hatten ja zunächst eine Single gemeinsam rausgebracht, bei der wir absolut gleichwertig zusammengearbeitet haben. Da saßen alle drei gemeinsam im Studio, wir haben gemeinsam den Song „Supergirl“ entwickelt.

Wenn Frans, so wie beim aktuellen Album, als Künstler vorne steht, dann setzen wir das eben um, was er an Ideen und Skizzen mitbringt. Frans ist musikalisch fit, der ist seit bald 15 Jahren DJ, der hat das richtige Gespür. Fertige Produktionen entwickeln wir zusammen, wir sind dann sein verlängerter Arm in puncto Technik. Wir verstehen uns auch menschlich super, und wenn wir mal in verschiedene Richtungen wollen, wird sachlich diskutiert!

Beat / Wie lief die Arbeit zum zweiten „Alle Farben“-Album ab, ihr seid ja als DJ-Team mittlerweile fast so viel unterwegs wie Frans, wie lange hat die Produktion gebraucht?
Younotus / Also am Album haben wir mit kleineren Unterbrechungen seit Oktober gearbeitet. Mit Terminen ist es schon manchmal eng, für uns alle sieht es ja so aus: am Wochenende auflegen plus sechs Tage die Woche konzentriert im Studio arbeiten.
Alle Farben / Mein Plan war, dass das Album sollte vor dem Sommer fertig wird, ich hab dann im Dezember und Januar auch bewusst kürzergetreten, da hatte ich nur ganz wenige Auftritte.

Beat / Was ist von den jeweiligen Sound-Ressourcen von „Alle Farben“ bzw. Younotus zu hören?
Alle Farben / Ausproduziert wurde alles in deren Studio. Teils habe ich mein Equipment mitgebracht, um die Ideen und Melodien zeigen zu können. Ich mache viel am Klavier, das macht für mich seit Langem den meisten Sinn. Das Klavier ist einfach das Beste, um im Arrangement vorwärtszukommen, und es gibt ja auch heute einfach endlos viele Klaviatur-Instrumente. Ich bin unterwegs ohnehin seltener kreativ, für mich sind ruhige Phasen das Wichtigste, um Ideen zu generieren.

Beat / Was ist in puncto Studio-Equipment das Wichtigste?
Younotus / Also, zunächst mal sind wir Digital Natives, sprich wir machen den größten Teil der Arbeiten ‚in the box’. Wir haben aber auch klassische Synths zur Verfügung: Dave Smiths Prophet 12 und Prophet 6 oder den Moog Voyager. Bei den Beats sind wir weniger so klassische 808/909-Dudes. Wir haben ne große Sample-Library, schneiden uns da die Sounds gerne selber zusammen, aus One-Shot-Samples. Es wird auch gerne mal aus alten Platten rausgesampelt. Auch da haben wir eine große Library. Wir sind prinzipiell auf der Suche nach möglichst organisch wirkenden Sounds. Deswegen sind die Instrumente-Parts des Albums auch fast alle eingespielt. Da haben wir einen ganz wichtigen Studiomusiker: Philipp Thimm spielt die Gitarrenparts, hat die Single „Please Tell Rosie“ eingespielt und noch mehr. Der ist studierter Instrumentalist, kommt zur Not mit Harfe und allem rein und hat uns Cellos eingespielt.

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Unterm Strich entstand im erweiterten Team mit einem halben Dutzend neuer Sänger und Sängerinnen eine bestgelaunte Momentaufnahme von dem Soundtrend, der noch immer keinen genauen Namen hat, und der doch einen weiteren Sommer lang aus jedem Radio und jeder Bar zischeln wird. Ein Album für „das Auto, für Zuhause und für den Club“, sagt Frans Zimmer, sei „Music Is My Best Friend“ geworden. Der Club kommt ein bisschen kürzer mit nur zwei instrumentalen Tracks im herkömmlichen Sinne. Und doch: Für „Alle Farben“ ist der Favorit vom Album „Fall Into The Night“ – „der bekommt wahnsinniges Echo im Club.“ Dort will er auch weiter präsent sein, gleich wie sehr die Radio-Pop-Welt ihn umarmt:

„Ich remixe mir die Stücke ja noch, um sie selber aufzulegen. Im Club muss Energie sein und es muss nach vorne gehen.“

Geht das Gesamtprojekt „Alle Farben“ also dank vielfachem Networking und einem starken Team in der Produktion so nach vorne, steht Frans Zimmer auf der Bühne weiter alleine da. Doch auch dort gilt: Es geht nur, wenn alles stimmt. „Ich spiele immer noch mit Turntables, und so lange das geht, bleibt das so. Ich mag die Haptik, das wäre ein Traum, wenn ich weiter so auflegen könnte. Wohlbefinden auf der Bühne bedeutet für mich: die Technik läuft – das Schlimmste ist, wenn die Technik nicht funktioniert.“

Wir wetten, da wird immer jemand sein, der sich um beste Voraussetzungen kümmert. Wer wollte verantworten, dass „Alle Farben“ nicht seine allgemeingültige Lebensweisheit zu Gehör bringt? Musik ist nicht nur (s)ein bester Freund, sie schafft auch solche. Es lebe die Freundschaft, in allen Farben!

Diskografie:

2014 | I Think in Colours

2016 | Music Is My Best Friend

Diese Artikel ist in unserer Heft-Ausgabe 132 erschienen.

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