Test: Sidsonic Libraries: Tubes!

Geschrieben von Kai-Uwe Heuer
08.12.2011
09:52 Uhr

„Dreh’ durch, normal ist nicht genug!“ – das zumindest verkündet die Webseite der Berliner Soundschrauber Sidsonic, die mit ihrer Circuit-Bending-Library, einer furiosen Klangsammlung eigens dafür kurzgeschlossener Synthesizer, Drumcomputer und Klang erzeugendem Kinderspielzeug bereits im letzten Jahr die Sampleszene gehörig aufmischten. Jetzt stehen sie mit einer neuen Soundbibliothek in den Startlöchern, die die ganze Vielfalt des Röhrensounds in noch nie gehörter Weise aufzeigen möchte. Was steckt wohl diesmal in dem Wahnsinns-Soundpaket?

Keine Frage: Liebhaber von Röhrenverstärkern und Röhrensounds neigen gerne dazu, diese zu mystifizieren. Doch jenseits aller Ideologie lässt sich nicht bestreiten, dass Röhren aufgrund ihrer speziellen technischen Beschaffenheit einen eigenen Klang erzeugen, der eintreffenden Audiosignalen eine besondere Färbung verleiht. Grund genug für Sidsonic, verschiedene Audioquellen mit diversen mit Röhren bestückten Geräten bis hin zu vollständig auf Röhren basierenden Synthesizern zu kombinieren und das Resultat in hochwertige Samples zu gießen.

Jenseits aller Grenzen

Entstanden ist ein Klangmonster namens Tubes!, ein Virtual-Instrument mit über zehntausend Röhrensamples, organisiert in 135 Multisample-Sets und mit einer Gesamtgröße von 16,3 Gigabyte. Eine Klangbibliothek, bestehend aus exzellenten Samples, von leicht angezerrt bis zur puren Verzerrung, für den kreativen Einsatz jenseits von Genregrenzen und Stil-Regularien. Mit sanfter Sättigung und der viel zitierten Wärme können hier manch digitaler, eher klinisch klingender Produktion wieder Körper und Seele eingehaucht werden. Sterile Flächen umschmeicheln plötzlich prägnante Leadstimmen, und Bässe erheben sich zu monströser Größe. Für die einfache Installation und Handhabung sorgt eine spezielle Version des Kontakt-Players von Native Instruments. Damit lassen sich die Samples komplett zerlegen und auf eine individuelle Klangästhetik abstimmen. Die ausgefeilte Klangformung lädt dazu ein, mit wenigen Griffen in noch nie gehörte Klangwelten abzutauchen.

Auffallend gestaltet ist auch die aus Karton mit Prägedruck gefertigte Verpackung. Neben den beiden DVDs findet sich darin ein 36-seitiges, attraktiv bebildertes Booklet, das nicht nur den Umgang mit dem Kontakt-Player ausführlich beschreibt, sondern interessante Einblicke in die Besonderheiten des Röhrensounds ,wie auch deren Historie gibt.

Mit Eric Barbour, dem Guru des „röhrengetriebenen“ Instrumentenbaus, der mit seiner Firma unter dem Namen Metasonix agiert, haben Sidsonic alle Kompetenz an Bord, die sie über jeden Verdacht Nerd-getriebener Soundfrickelei erhaben macht. Doch wer steckt eigentlich hinter diesen innovativen, vielseitigen und bisweilen fast schon exzentrischen Klangbibliotheken? Beat begibt sich auf Spurensuche und wird in Sidsonics Berliner Soundlabor fündig.

Im Gespräch

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Zur Begrüßung erwartet uns Titus, der stattliche aber sehr freundliche „Betriebshund“, der sich wie selbstverständlich auf dem Sessel zwischen Sidsonic-Geschäftsführer Nanno Lenz und Marvin Hinkel niederlässt. Ihnen gegenüber sitzt Henning Schonvogel, kreativer Kopf der Produktentwicklung.

Beat / Eure Klangbibliotheken sind außerordentlich inspirierend, wirklich einmal ganz anderes …

Nanno / Ja, es war uns wirklich wichtig, dass wir uns nicht genrespezifisch festlegen, sondern dass der Anwender eine große Bandbreite an Möglichkeiten hat, diese Samples einzusetzen.

Henning / Für uns ist es entscheidend, damit nicht ausschließlich elektronische Musik produzieren zu können. Wir sagen, hier hast du eine große Bandbreite an Sounds, du hast mit dem Kontakt-Player die Möglichkeiten, alles komplett zu verbiegen, wie du möchtest, und wofür du es dann am Ende verwendest, kannst du dir selbst aussuchen.

Nanno / Das kann beispielsweise auch ein Hintergrundeffekt im Theater sein. Tubes! ist eigentlich überall einzusetzen. Wenn du die Library kaufst, solltest du klanglich weiter denken. Speziell mit den Modulationsmöglichkeiten, die wir in die Kontaktoberfläche eingebracht haben, kann man die Sounds in eine ganz andere Richtung schieben, als im Preset vorgegeben wurde. Darin sehen wir die große Chance.

Beat / Ihr nehmt innovatives Audiomaterial „von LoFi-, HiFi- und übergeschnappten Quellen“ auf, um ein Werkzeug zu schaffen, eigene Ideen auszuleben. Seht ihr einen musikalischen Entwicklungsbedarf für verschiedene Genres?

Nanno / Auf jeden Fall. Es gibt so viele Presetschubser. Denen möchten wir sagen, benutzt doch mal eine Hüllkurve auf einem Cutoff und schaut mal, was dann passiert. Wenn du einfach nur einen Sound lädst, ist das noch längst nicht alles, was du damit machen kannst. Da geht’s doch weiter.

Beat / Wie ist die Resonanz auf eure Soundsammlung?

Nanno / Die Tubes! kommt jetzt erst auf den Markt. Auf die Circuit-Bending-Library haben wir ziemlich gute Resonanzen bekommen, sogar Reed Gazala gefiel das gut.

Henning / Die Library, das fand Reed ebenfalls, bietet speziell auch für Einsteiger eine gute Möglichkeit, sich mit Circuit Bending zu befassen. Im beiliegenden Booklet findet man viele Informationen über die Geschichte des Circuit Bendings und die verwendeten Geräte. Bei Tubes! wird erklärt, wie eine Röhre funktioniert und was das dann Ganze so besonders macht. Erklärt werden auch die für diese Library verwendeten Geräte, sodass wir ein bisschen Hintergrundwissen mitliefern. Unser Produkt soll Lust darauf machen, zu erforschen, was klanglich so alles möglich ist. Ähnlich wie beim Circuit Bending. Da sagen wir: Nehmt doch einfach mal einen Lötkolben in die Hand und fangt an.

Beat / Bei euren doch recht ungewöhnlichen Produkten fragt man sich schon, wie man auf solche Ideen kommt. Was ist euer musikalischer Background?

Henning / Bei mir fing das ganz klassisch mit musikalischer Früherziehung zwei Jahre vor der Einschulung an. Es folgten Klavierunterricht, Kinderchor und Spielkreise. Irgendwann hatte ich die Nase voll und habe ein paar Jahre musikalisch überhaupt nichts mehr gemacht. In meiner pubertären Phase habe ich dann Gitarre gespielt und zu meinem achtzehnten Geburtstag meinen ersten Synthesizer bekommen. Da kam dann ziemlich schnell ein alter Atari als Sequenzer hinzu. Es wurde dann stetig mehr und das Interesse an unterschiedlicher Musik wuchs. Irgendwann habe ich im Internet etwas über Circuit Bending gelesen und über diese Do-it-Yourself-Bausätze. An der SAE habe ich Nanno und Jens kennengelernt. Die Idee zu dem, was wir nun bei Sidsonic realisieren, entstand dadurch, dass viele Leute immer wieder sagten: „Ich habe ein neues 808- oder 909-Sampleset“. Da dachte ich, du hast doch schon zwanzig, was willst du denn mit noch einem mehr? Such dir doch mal etwas anderes. Darüber kam ich auf die Idee, Circuit Bending so aufzubereiten, dass es für den normalen Anwender einfach einzusetzen ist.

Nanno / Ich habe eine klassische Gitarrenausbildung. Im Alter von 16 habe ich angefangen, mit Freunden Hip-Hop zu machen. Wir haben ein paar Mixtapes produziert und Spaß gehabt.

Marvin / Mit acht Jahren habe ich im Fernsehen die Loveparade gesehen und fand die Musik und das ganze Drumherum ziemlich toll. Seitdem habe ich meine Eltern genervt, dass ich Plattenspieler haben möchte. Meine Mutter hat die ganze Zeit gesagt: „Gib dein Geld nicht für so einen Scheiß aus“. Mit 11 Jahren war ich bei einem Freund, dessen großer Bruder Plattenspieler besaß. Da dachte ich mir, der kann mir welche besorgen. Darauf haben wir zusammen in Katalogen gestöbert. Ich habe nicht meine Eltern nach Geld gefragt, sondern hatte Geld gespart, das ich aber nicht dafür ausgeben durfte. Deswegen habe ich einfach die Plattenspieler über ihn bestellt, zuhause hingestellt und gesagt, die könne man nicht mehr zurückgeben.

Danach habe ich viel aufgelegt, einen Part geloopt und einen anderen dazu gesetzt. Ich hatte dabei immer das Gefühl, das ist ein bisschen wie Kochen. Als DJ lege ich unter dem Namen Marvin Sebastian auf. Anfang Mai ging mein erster Release gemeinsam mit JNK an den Start. Zusammen mit Luc Ringeisen betreibe ich außerdem das Vinylclub-Label.

Beat / Wie kam es dann konkret zur Gründung von Sidsonic?

Nanno / Das entstand durch Zufall. Henning, Jens und ich waren fertig mit der SAE, aber haben uns weiterhin zweimal pro Woche zum Musikmachen getroffen. Dann kam ein anderer Freund dazu und wollte mit uns ein Tonstudio aufbauen. Wir haben dann in Berlin am Businessplan-Wettbewerb teilgenommen. Im Laufe des Wettbewerbs kamen wir immer mehr vom Tonstudio weg. Stattdessen sind wir dazu übergegangen, Samplebibliotheken zu entwickeln. Also haben wir angefangen, bei Henning zuhause Sounds aufzunehmen. Irgendwann haben wir eine Bank überzeugen können, dass unser Projekt förderungswürdig sei. Und so konnten wir uns Räumlichkeiten mit Studio und Werkstatt aufbauen.

Henning / Die Circuit Bends für die Library sind in meiner Waschküche entstanden, die nicht mal zwei Quadratmeter misst und in der man nicht gerade stehen kann. Gleich neben der Waschmaschine habe ich einen Tisch hingestellt und dann fröhlich angefangen zu löten, bis wir dann hierher umgezogen sind.

Nanno / Anfangs wurde hier mehrfach versucht, einzubrechen. Es hat uns teilweise ein Fenster gefehlt, sodass wir hier drei Monate lang abwechselnd übernachtet und Wache gehalten haben. Jetzt haben wir zum Glück vorne ein Gitter davor und können wieder zuhause schlafen.

Beat / Ihr habt jetzt euer Team erweitert …

Nanno / Ja, wir haben gerade Marvin aufgenommen. Wir wollen den Kontakt zu Musikern ausbauen und uns noch mehr in die Szene einbinden. Und er wird Jens im Marketing unterstützen.

Marvin / Für die Zukunft plane ich, dass wir einen gewissen Künstlerkreis aufbauen, mit dem wir eng zusammenarbeiten. Das heißt, zusammen aufnehmen, uns gegenseitig supporten und direktes Feedback geben.

Beat / Ihr liefert auch Samples auf Bestellung. Welche Idee steckt hinter eurem neu eröffneten Onlineshop?

Nanno / Uns ist aufgefallen, dass auch Download-Bibliotheken ziemlich groß sind. Die bestehen teilweise aus 60 bis 80 Kits. Und wir sind der Meinung, dass das eigentlich viel zu viel ist. Wenn man einen bestimmten Sound sucht, möchten man oft nicht mehr als ein oder zwei Kits haben. Daher haben wir selbst angefangen, Samplepacks für bestimmte Klangrichtungen zu bauen und diese dann in drei oder vier kleinere Packs zu unterteilen. Man hat die Möglichkeit, entweder ein komplettes Paket mit 500 MB bis 4 GB mit 20 Kits zu kaufen, oder man entscheidet sich für eines der Subpakete, in denen jeweils nur fünf Kits enthalten sind. Diese kosten dann auch nur wenige Euros. Der Anwender muss also nicht gleich viele Hundert Megabyte auf seine Festplatte laden, wenn er eigentlich nur zwei Kits davon haben möchte.

Henning / Alle Samples sind natürlich qualitativ hochwertig, das heißt, in 24 Bit und mit 96 kHz aufgenommen. Dazu realistisch spielbar, also mit verschiedenen Velocity-Layern versehen.

Nanno / Die ersten Resonanzen sind sehr begeistert ausgefallen. Da waren Leute dabei, die über alle Maßen erfreut waren, weil die Packs wirklich gut spielbar sind. Insbesondere für Keyboarder. Wenn ein Sample über große Teile der Tastatur gezogen wird, fehlt das expressive Spielen. Genau das geht eben mit unseren Samplepacks sehr gut.

Marvin / Wir möchten im Shop auch Samples direkt auf Anfrage erstellen. Wenn also ein Künstler einen besonderen Wunsch äußert, dann machen wir das.

Beat / Unterstützen euch Freunde beim Erstellen der vielen Samples?

Nanno / Nein. Freunde von uns helfen bei der Grafik. Aber im Studio schrauben nur Jens, Henning und ich den ganzen Tag an neuen Klängen.

Henning / Speziell die Circuit-Bending-Library war sehr aufwendig, weil viele Geräte keine MIDI- oder CV-Eingänge hatten. Zudem hatten wir mit schwankender Tonhöhe und Klangfarbe zu kämpfen. Bei der Editierarbeit haben wir alle schon einen leichten Schaden davon getragen.

Testergebnis
ProduktnameTubes!
HerstellerSidsonic
Vertrieb: m3c.de
Preis189 €
Webseitesidsonic-libraries.com
Pro
  • riesige Samplebibliothek
  • individueller Klang
  • Klangformung dank Kontakt-Player
  • innovatives Kreativwerkzeug
  • gute Sampleaufbereitung
  • hervorragende Spielbarkeit
Bewertung
1sehr gut
 
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