Vintage-Synthesizer bei Hieber-Lindberg

Geschrieben von Beat
07.12.2011
10:09 Uhr

Zuerst als veraltet abgestempelt, danach als Sammler- und Kultobjekte verehrt: In einer Zeit, in der Musiksoftware zunehmend zum Massenprodukt und Standard wird, bieten Vintage-Synthesizer eine selten gewordene Exklusivität. Eben diese Exklusivität drückt sich in teilweise aberwitzigen Preisen aus und enthält einen wichtigen Teil elektronischer Musikgeschichte einem interessierten Publikum vor. Eine aktuelle Ausstellung in München erlaubt Neugierigen nun, Hand anzulegen und einige klassische Schätzchen auf ihre Brauchbarkeit abzuklopfen – ein spannender Einblick in die analoge Seele.

(Bild: www.klaus-schulze.com)
(Bild: www.klaus-schulze.com)
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Richard Lainhart kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Seit über dreißig Jahren bereits ist der Analogexperte einer der aktivsten Live-Performer seiner Zunft und hat unter anderem mit Größen wie dem Dream-Theater-Keyboarder Jordan Rudess gejamt. Heute jedoch wirkt Lainhart nervös. Sein Auftritt beim Avantgarde-Festival Schiphorst steht kurz bevor, und während draußen die Temperaturen dem Siedepunkt entgegenschnellen, drohen nicht nur er, sondern auch sein Buchla 200e/Haken-Continuum-System ins Schwitzen zu geraten. Wird es die Töne halten können? Von Aussetzern verschont bleiben? Den gesamten Auftritt durchstehen? Fragen wie diese könnten direkt aus den Siebzigern gegriffen sein, als analoge Synthesizer noch nicht „Vintage“, sondern auf der Höhe der Zeit waren. Dass Bauteile spontan den Dienst verweigerten, durchbrannten oder plötzlich, wie von Geisterhand gelenkt, die unwahrscheinlichsten Sounds und Sequenzen ausspuckten, stand bei Acts wie Tangerine Dream oder Klaus Schulze auf der Tagesordnung: „Du musstest vor dem Konzert sehen, was heute geht und was nicht“, lacht Schulze auf die „gute alte Zeit“ angesprochen, „Der Wave von PPG funktionierte jedes dritte Konzert überhaupt nicht. Der war dann schon immer aufgeschraubt, damit man gleich den Deckel aufmachen und die Platinen festdrücken konnte. Manchmal hat’s geholfen, manchmal auch nicht. Zum Schluss habe ich dann aus Verzweiflung die ganzen Platinen mit Sekundenkleber festgeklebt. Ab da hielt er durchgehend!“ Was heute, aus der sicheren Distanz von inzwischen vier Jahrzehnten, als äußerst amüsante Anekdote durchgeht, war indes für die beteiligten Musiker ein reines Ärgernis. Kein Wunder, dass gerade diejenigen, die mit analogen Maschinen aufwuchsen, heute oftmals auf digitale Lösungen setzen und sich angesichts der Retrowelle und horrender Ebay-Preise für schlecht erhaltene Minimoogs verwundert den Kopf kratzen.

(Bild: www.klaus-schulze.com)

Dem Geheimnis auf der Spur

Eine von Hieber-Lindberg organisierte Ausstellung geht dem Geheimnis der Retrowelle auf den Grund. Da sich das Münchner Musikhaus bereits seit Längerem auf analoge Geräte spezialisiert hatte, wusste man genau, was potenzielle Kunden beschäftigte: die Frage nämlich, ob die legendenumwobenen Vintage-Maschinen denn nun tatsächlich besser als die inzwischen allgegenwärtigen Plug-ins klingen. Statt sich auf theoretische Erläuterungen verlassen zu müssen, können Interessierte endlich selbst in die Tasten greifen – eine Einladung, der ein bemerkenswert buntes Publikum mit Begeisterung Folge leistet, wie Stefan Leberfinger von Hieber-Lindberg betont: „Es kommen natürlich viele Synth-Freaks speziell wegen der Ausstellung zu uns, allerdings auch Gitarristen, die sich in die Abteilung verlaufen haben und Leute die nur in München ihren Urlaub verbringen. Es sind alle Altersgruppen vertreten, und sogar Leute aus dem Ausland. Für alle aber gilt: wer sich einmal vor die Geräte gesetzt hat, bleibt meist auch lange sitzen. Viele freuen sich natürlich, dass sie mal einen Minimoog, einen ARP 2600 oder einen MS-20 anspielen können.“ Damit bedient Hieber-Lindberg zum einen aktiv den Gear-Fetisch der Fans, leistet aber zum anderen auch einen wichtigen Beitrag zur Demystifizierung. In der Praxis erweist sich nämlich schon recht bald, dass auch die Klassiker nicht zwangsläufig jedermanns Sache sind. Oder, wie Leberfinger es ausdrückt, dass einige Besucher „zu manch legendärem Synthesizer einfach keinen Zugang finden und sich dann was anderes suchen.“

Natürlich steht Vintage immer noch für Geschichte. Eine Geschichte, die man beispielsweise in dem aktuellen Buch „Zauberhafte Klangmaschinen – Von der Sprechmaschine bis zur Soundkarte“ nachverfolgen kann. Allein schon beim Durchblättern des großzügig bebilderten Bandes wird einem recht bald klar, dass analoge Synthesizer weder der Anfang, noch das Ende elektronischer Musik, sondern lediglich eine kurze Etappe in einer sich rasant beschleunigenden Fortschrittsspirale darstellen. Gleichzeitig ist der Begriff zu einem festen Bestandteil der Gegenwartskultur mit ihren launischen Modezyklen geworden. Jean-Michel Jarre wurde noch 1993 für sein Album „Chronologie“, das stark von einem Nebeneinander klassischer Instrumente wie dem ARP 2600 oder Minimoog und den damals brandneuen Roland JD-800 und Kurzweil K2000 geprägt war, von der Presse weitgehend verrissen. Heute hingegen gilt die Scheibe als ihrer Zeit weit voraus: Die auf „Chronologie“ verwendeten Maschinen sind so begehrt wie nie und finden Einsatz in einer Vielzahl zeitgemäßer Produktionen, während ein Online-Magazin wie synthtopia.com seinen Lesern stolz Fotos der auf der aktuellen Jarre-Tour verwendeten analogen Keyboards zeigt.

(Bild: www.klaus-schulze.com)

Philosophische Unterschiede

Bemerkenswert dabei: Mit der Klangqualität der Museumsstücke beschäftigen sich diese Diskussionen, wenn man einmal von den erbitterten, auf Seiten wie „Gearslutz“ ausgetragenen Fehden absieht, eigentlich schon lange nicht mehr. „Es gibt mittlerweile sehr gute Emulationen, die sehr nah an die Originale herankommen“, so Stefan Leberfinger, der zudem auf die zunehmende Detailverliebtheit der Plug-ins und Software hinweist: „Alte analoge Synthesizer aus der gleichen Serie unterscheiden sich im Klang durch Ungenauigkeiten in den Bauteilen beziehungsweise durch die Beziehungen der Bauteile untereinander. Zudem waren die Oszillatoren meist nicht stimmstabil und veränderten die Tonhöhe bei unterschiedlicher Temperatur. Allerdings werden diese Ungenauigkeiten, die ja gerade den Charakter alter Synthesizer ausmachen, inzwischen ebenfalls emuliert. Ich bin mir sicher, dass man in einigen Jahren den Klang beider Welten nicht mehr unterscheiden kann.“ Tatsächlich sind Systeme wie der bereits genannte und konsequent weiterentwickelte Buchla oder Arturias Modular-Moog-Emulator, für dessen praktisch perfekte Reproduktion des Klassikers sich Schulze wie ein kleines Kind begeistern kann („Genauso gut wie der Große! Das ist echt Wahnsinn, ein halbes Wunder!“), inzwischen sogar bei sonst eher konservativen Analogfetischisten hundertprozentig akzeptiert. Doch auch kostengünstige Alternativen (siehe Leberfingers Empfehlungen im Kasten) bieten sich an. Damit sind die Unterschiede zwischen analog und digital, wie Richard Lainhart es treffend auf den Punkt bringt, „eher philosophischer Natur“.

Dennoch entsteht fortwährend ein extrem brisantes Spannungsfeld zwischen praktisch allen großen musikalischen Themen der heutigen Zeit: virtuell vs. physisch, analog vs. digital, Nostalgie vs. Progression, Beschränkung vs. unendliche Möglichkeiten. Immer mehr setzt sich bei Kreativen dabei die Einsicht durch, dass der Begriff „Fortschritt“ in der Kunst etwas anderes bedeutet als in der Medizin, dass Formationen wie Human League oder OMD nicht von neuen Synthie-Pop-Bands „ersetzt“ werden oder moderne Software analoge Geräte überflüssig macht. Alt und neu kann nebeneinander koexistieren, die Rückkehr zu bereits Bewährtem als bewusster Versuch verstanden werden, dem eigenen Instinkt zu folgen, statt blind modernen Hypes und Trends hinterherzuhecheln. In diesem Sinne hat die Lust an altem Equipment, das wird aus den Erfahrungen der Hieber-Lindberg-Ausstellung mehr als deutlich, mit einer bewusst angestrebten Beschränkung zu tun, mit einer Sehnsucht nach einem charakteristischen Klang statt einer unüberschaubaren Flut an Samples, mit dem Wunsch nach einer über die reine Funktionalität hinausgehende Beziehung mit dem eigenen Instrument. Genau wie die Vinylschallplatte ihre Rückkehr weniger wegen ihrer klangtechnischen Vorzüge gegenüber CD oder MP3-Formaten, sondern vor allem aus haptischen und ästhetischen Gründen feiern konnte, sind das direkt Fassbare und die faszinierende Körperlichkeit der Analogsynthesizer für ihre unwiderstehliche Aura verantwortlich, deren Ausstrahlung jedes noch so sexy verpackte Plug-in um Längen schlägt. Und genau wie viele Musiker sich im Rahmen einer „Slow-Media-Diät“ von Facebook, MySpace und Blogs verabschieden, um sich wieder auf die Essenz – nämlich das Musikmachen – zu besinnen, liegt in dem drastisch reduzierten Potenzial alter Synths eine Chance zur technischen Entschlackung und oft auch kreativen Neuanfang.

Konvergierende Welten

Was indes noch viel entscheidender erscheint: Die beiden Welten bewegen sich schon längst aufeinander zu. Der Buchla 200e ist schließlich gerade deswegen so beliebt, weil er die Vorteile digitaler Technologie, beispielsweise die Möglichkeit, Einstellungen zu speichern, mit den direkten Klangsynthesemöglichkeiten und der gesteigerten „Gefühlsechtheit“ von analog verbindet. Auch orientieren sich Entwickler aktueller Synthesizer immer öfter an der besseren Bedienbarkeit von Vintagegeräten. „Die letzten fünfzehn Jahre wurden sehr viele virtuell-analoge Geräte gebaut, darunter der Nord Lead, Access Virus, Microkorg oder auch der gerade ausgelieferte SH-01 von Roland“, so Stefan Leberfinger, „Der nächste Schritt für die Musikindustrie wäre, dass diese Geräte auch andere Syntheseformen wie die Granularsynthese beinhalten und diese intuitiv bedienbar machen.“ Statt eines Kriegs der Formate sieht Leberfinger somit Anzeichen für eine Rückbesinnung auf die eigentlich wichtigen Werte: „Die beiden Bereiche geben einem Musiker schlicht alternative Möglichkeiten, neue Ideen zu entdecken und zum Experimentieren. Wenn man einen guten Song produziert hat, interessiert es nicht, ob er mit digitaler oder analoger Technik entstanden ist.“

Dieser Pragmatismus soll indes nicht verhüllen, dass beim Anblick eines komplett aufgebauten Modularsystems das Herz schon mal ins Rasen kommt. Die analoge Erotik eines futuristisch blinkenden Kabelsalats wiegt die meisten praktischen Probleme zumindest mehr als auf, zumal sich diese mit etwas Kreativität oft schon recht rasch beseitigen lassen: Nach einigen kleinen Handgriffen kann auch Richard Lainhart wieder beruhigt in die Tasten greifen – sein Auftritt in Schiphorst gerät zum Triumph.

von Tobias Fischer

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