Spotify und die Musikindustrie

Geschrieben von Beat
01.10.2011
13:50 Uhr

Streaming-Dienste wie Spotify und Deezer scheinen das Unmögliche möglich zu machen: Sie konkurrieren mit kostenlosen Downloads und bieten ihren Nutzern Musikgenuss ohne Reue und schlechtes Gewissen. Querfinanziert durch Werbeeinnahmen und Premiummitgliedschaften, werden Urheberrechte wieder eingehalten und Labels für ihre Investitionen honoriert – so zumindest das Versprechen. Doch bilden sich immer mehr Risse in diesem einst so makellosen Bild: Ist das Modell auf Dauer praktikabel? Und: Lohnt es sich überhaupt?

(Bild: www.beat.de)

Ziemlich genau ein Jahr lang hielt die Traumehe zwischen Spotify und der Musikindustrie. Zwar konnten Nutzer der Seite kostenlos Musik streamen und dabei aus einem schier endlosen Katalog aus Titeln auswählen. Auch gab der schwedische Spotify-Mitbegründer Daniel Ek in Interviews gern zu, dass seine Idee maßgeblich von seinen berühmt-berüchtigten Landsmännern von „The Pirate Bay“ inspiriert wurde. Doch war bei Spotify, im Gegensatz zu Piraten- und Bittorrent-Seiten sowie Filesharing-Blogs, alles legal: Wie man erfuhr, finanziert sich der Dienst aus Werbeeinnahmen und zahlt angeschlossenen Labels brav in regelmäßigen Abständen ihre Tantiemen aus. Kreative und Verleger verdienen wieder an ihrer Musik, Hörer tragen keine Kosten und die „bösen“ Filesharer gucken dumm aus der Wäsche – es klang wie ein Traum. Und so gelang es Ek dann auch, alle Majorlabels mit ins Boot zu holen. Schon bald lauschten Spotify-Nutzer wieder online sowie mit gutem Gewissen ihrer Lieblingsmusik und empfahlen den Dienst fleißig weiter. Im März 2009 stand der Kundenstamm laut eigenen Angaben bereits bei einer Million Mitgliedern. Kritische Stimmen wurden als Spielverderber verdammt, doch werden Skeptiker es bereits geahnt haben: Bei so viel Harmonie war der Eklat bereits vorprogrammiert.

Und so reichte eine einzige Nachricht aus, um die Spotify-Seifenblase endgültig platzen zu lassen: Wie schwedische Zeitungen berichteten, hatte die derzeit scheinbar omnipräsente Lady Gaga an einer Million Streams ihres Hits „Poker Face“ auf Spotify gerade mal 167 US-Dollar verdient – der Frust entlud sich in wütenden Aussagen von Musikern wie dem Glamrocker Magnus Uggla, dem es angeblich lieber sei, dass „die Pirate Bay mich vergewaltigt, als dass Spotify mich spielt“. Die gesamte Meldung stellte sich aber später als extrem irreführend heraus: Zum einen enthielt der Betrag nämlich lediglich die Auszahlungen einer einzigen Verwertungsgesellschaft in nur einem Land, das nicht gerade den Löwenanteil der Umsätze im Musikgeschäft ausmacht, nämlich Schweden. Zum anderen wurde darauf hingewiesen, dass Fräulein Gaga im öffentlichen Radio sogar noch weniger Geld für eine vergleichbare Anzahl an Airplay erhalten hätte. Zu diesem Zeitpunkt hatten allerdings überall auf der Welt einige smarte Denker bereits damit begonnen, verstörende Fragen zu stellen. Und das Ergebnis ihrer Arbeit ließ Streamingdienste im Allgemeinen alles andere als gut aussehen.

Die Sicht der Beteiligten

Aufgrund von vertraglich abgesicherten Schweigepflichten hat es das Spotify-Management stets vermieden, allzu konkrete Aussagen zu den genauen Vergütungssätzen gegenüber Plattenfirmen zu machen. Um zu verstehen, wie sich die Situation wirklich darstellt, muss man deswegen direkt mit den Beteiligten sprechen – mit jemandem wie Nicolas Chevreux zum Beispiel: Seit nunmehr zehn Jahren betreibt Chevreux von Berlin aus die Independent-Plattenfirma „Ad Noiseam“, die sich zu einem internationalen Qualitätssiegel in Sachen Electronica, Breakbeats, Drum ‚n‘ Bass, Dubstep und artverwandten Genres entwickelt hat. Der Katalog umfasst inzwischen über einhundert Veröffentlichungen von Künstlern, die fast ausnahmslos in ihren jeweiligen Nischen zu den führenden Köpfen gerechnet werden dürfen. Die Situation von Ad Noiseam entspricht damit ziemlich genau der tausender anderer Plattenfirmen: keine Sekretärin, keine „Ferraris und Schlösser“, wie Chevreux im Scherz zugibt, aber dafür viele Überstunden und das stetige Risiko, das sich selbst eine scheinbar sicher geglaubte Scheibe nicht gut verkauft.

Seit einigen Monaten sind alle Ad-Noiseam-Alben nun auch per Spotify kostenfrei anhörbar. Wie hat sich dies auf das Label ausgewirkt? „Wenn ich mir die Zahlen von Spotify und dem vergleichbaren französischen Dienst Deezer anschaue, dann verdiene ich an 20.000 Streams ungefähr so viel wie an dem Durchschnittspreis gerade einmal einer CD“, so Chevreux, „klar muss ich diese CD auch noch pressen und dem Kunden schicken. Aber einen Katalog aus hundert Veröffentlichungen auf Spotify hochzuladen, braucht ebenfalls Zeit. Das kostet mich vielleicht mehr an Elektrizität, als ich dabei wieder rausbekomme.“ Wie aber sieht es mit dem oft von Spotify genannten Vorteil aus, Nutzer sanft an den Back-Katalog eines Labels heranzuführen, um so weitere Umsätze zu generieren? Die Realität sieht ernüchternd aus: „Ich erhalte ziemlich detaillierte Informationen zu dem genauen Verhalten der Hörer von den verschiedenen Plattformen, darunter auch einen vierhundertseitigen Bericht von Spotify. Und das Ergebnis ist, dass Leute online konservativer einkaufen und hören, als sie es in einem Plattenladen tun würden. Das bedeutet, dass das Verhältnis neuer Veröffentlichungen in meinen MP3-Verkäufen höher ist als bei meinen CD-Umsätzen. Es gibt immer wieder Nachfragen nach dem physischen Back-Katalog, aber fast niemand sieht ihn sich bei iTunes oder Spotify online an. Inmitten eines derart überwältigenden Stroms neuer Musik vergisst man alte Alben einfach – es sei denn, es handelt sich um einen sehr bekannten Künstler. So betrachtet ist die „Long-Tail“-Theorie nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurde.“

Erbärmliche Tantiemen

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Bei den für Ad Noiseam genannten Zahlen ergibt sich für jeden Stream eine Tantiemenauszahlung von 0,00075 Cent – ein erbärmlicher Wert, findet Chevreux. Dabei geht es ihm nicht nur darum, dass die hinter der Musik stehenden Bands für ihr Produkt bezahlt werden sollten, vielmehr bietet Spotify seinen Mitgliedern eine offensichtlich gefragte Dienstleistung und sammelt dabei auch noch wertvolle Kundendaten, ohne die Content-Lieferanten dafür entsprechend zu würdigen. Warum hat er sich dennoch entschlossen, dieses Spiel mitzuspielen? „Neben Sex, Drogen und Rock ‚n‘ Roll beruht die Musikbranche vornehmlich auf deinem guten Ruf. Du musst gesehen und gehört werden, um Leute kennenzulernen, Konzerte zu bekommen und eine Handvoll Platten an den Mann zu bringen. Wie gesagt: Vielleicht sollte ich lieber den Strom sparen und meinen Katalog nicht auf diese Seiten hochladen. Aber wenn du nicht vergessen werden willst, musst du mittanzen. Jeder in der Musikindustrie schiebt derzeit Panik, und im Grunde genommen hat niemand eine Ahnung, wie es weitergehen soll. Also springen alle auf so viele verschiedenen Züge wie möglich auf. Vielleicht ist es sicherer, einfach gar nichts zu tun. Aber das wirst du erst wissen, wenn sich die Dinge beruhigen.“

Hinter Chevreux' Argumentation steht immer noch die Vorstellung, dass Spotify mit Werbeeinnahmen kräftig Kohle scheffelt. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist jedoch durchaus nicht sicher. Hinter vorgehaltener Hand wird bereits gemunkelt, der Dienst werde spätestens innerhalb eines Jahres schließen müssen, falls es nicht gelingen sollte, mehr Anhänger zu kostenpflichtigen Premium-Mitgliedschaften zu überreden. Dem praktisch denkenden Ek, vom Typ her der genaue Gegenpol zu Apples Steve Jobs, sind Visionen offenbar zuwider, doch ohne sie wird sein Geisteskind wohl kaum Bestand haben. Für viele ist und bleibt es ein Rätsel, wie es ein derart nüchtern argumentierender Mensch geschafft hat, die ansonsten so vorsichtigen Majors hinter sich zu scharen.

Die Antwort mag bei weitem prosaischer ausfallen, als viele Spotify-Fans vermuten. In der kritischen Einführungsphase seiner Idee hat Daniel Ek den großen Plattenfirmen zu Schnäppchenpreisen Anteile an seiner Firma angeboten: Sony BMG Music, Universal Music, Warner Music, EMI und Merlin kauften für schlappe 8800 Euro gemeinsam 18 Prozent der Spotify-Aktien. Neun Monate später waren diese satte 2 Milliarden Euro wert. Hinter dem Einkauf steht jedoch weit mehr als ein kurzfristiger monetärer Gewinn, stattdessen sehen die Industrieriesen Streaming-Dienste als Bestandteile eines diversifizierten Portfolios, mit dem sie sich in den von Nicolas Chevreux beschriebenen harten Zeiten über Wasser halten wollen. Es ist ein wenig wie im Blackjack: Am Ende gewinnt die Bank doch immer.

Selbstmörderische Tendenzen

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Doch nicht einmal für die Majors sieht Nicolas Chevreux indes Hoffnung: „Da die Leute für Musik nichts mehr bezahlen wollen und Labels anscheinend selbstmörderisch genug sind, sie ihnen tatsächlich umsonst zur Verfügung zu stellen, und solange Firmen nicht bereit sind, in Werbung zu investieren, werden die einzigen Leute, die an Musik wirklich etwas verdienen werden, die Gerätehersteller und die Plattformen selbst sein.“

Ist es wirklich so schlimm? Der Musiker Steve Lawson, der in seinem Blog immer wieder faulen Online-Journalismus geißelt, liest die Lady-Gaga-Meldung ganz anders: „Die eigentliche Schlagzeile ist doch, dass es Lady Gaga scheinbar gelungen ist ihren Track, in einer Zeit, in der die Leute alles, was sie wollen, bei Torrents kostenfrei herunterladen können, 20.000 Mal als bezahlten Download zu verkaufen.“ Worauf Lawson hinaus will, ist, dass Spotify ein Teil einer breiten digitalen Strategie sein sollte, deren Gesamtwirkung den Kunden zum Kauf bewegt. Die Details einer solchen Strategie müssen noch ausformuliert werden, doch scheint es unwahrscheinlich, dass das uneingeschränkte Verfügbarmachen des gesamten Katalogs auf lange Sicht dazugehören wird.

Ganz egal, zu welchen Ergebnissen man diesbezüglich allerdings kommen mag – die Traumehe zwischen Spotify und den Labels wird in den kommenden Monaten auf jeden Fall auf eine harte Probe gestellt werden.

von Tobias Fischer

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