Sounddesigner: Tim Prebble

Geschrieben von Beat
24.09.2011
08:33 Uhr

Filmmusikkomponisten genießen heute in cineastischen Kreisen ein hohes Ansehen. Reportagen und „Making Of“-Dokumentationen zelebrieren ihre Leistungen, während im Konzerthaus die Werke eines Jerry Goldsmith neben denen von Ravel und Tschaikowsky aufgeführt werden. Doch obwohl ein guter Soundtrack immer sowohl aus Musik als auch Geräuschen besteht, kennt kaum jemand selbst die bekanntesten Sounddesigner beim Namen. Für Tim Prebble spielt das auch gar keine Rolle. Wir sprachen trotzdem mit ihm – über seine Arbeit, seine akustischen Erinnerungen und darüber, wie schön es klingen kann, jemandem eins mit einer Flasche überzuziehen.Tim Prebble liebt seinen Job. Seit Mitte der Achtziger war er an über fünfzig Produktionen beteiligt und hat sich zu einem der angesehensten Sounddesigner Neuseelands entwickelt. Dass ihn trotzdem außerhalb eines engen Kreises von Kollegen und Insidern praktisch niemand kennt, ist für ihn dennoch eher ein Kompliment als ein Ärgernis.

(Bild: www.beat.de)

Beat / Tim, enttäuscht es dich eigentlich, dass dich kaum ein Kinobesucher namentlich kennt?

Tim / Keineswegs. Ich war schon immer der Meinung, das Werk solle für sich sprechen. Zudem möchte ich auch nicht, dass man den Mechanismen der Produktion zu viel Beachtung schenkt. Im Kino geht es darum, niemals diesen Augenblick des Staunens loszulassen. Und wenn es da ein Element im Soundtrack gibt, das dich vom Filmerlebnis ablenkt, und du anfängst, es bewusst wahrzunehmen, dann ist er in gewisser Hinsicht gescheitert. Ich ziehe es grundsätzlich vor, dass mir jemand erzählt, er habe den Film als Film genossen und nicht einen bestimmten Aspekt des Sounddesigns. Ein Film ist eine Gruppenarbeit, und die beste Arbeit ist immer mehr als die Summe ihrer Teile. Das Publikum kennt sich heutzutage technisch sehr gut aus, und wenn sich jemand eingehender für das Sounddesign interessiert, dann steht ihm online ein riesiger Berg an Informationen zur Verfügung. Aber zuallererst geht es darum, ein emotionales Kunstwerk in Echtzeit zu erleben.

Beat / Trotzdem kann man den Eindruck gewinnen, als sei Sounddesign als eigenständige Disziplin in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wichtiger geworden …

Tim / Der wichtigste Teil eines Soundtracks sind trotzdem immer noch die Dialoge. Denn ohne eine tolle Geschichte und Schauspieler, mit denen du mitfühlen kannst, gibt es keine dramatische Spannung. Und der größte Teil davon wird nun einmal durch die Gespräche der Charaktere vermittelt. Aber natürlich sind alle Elemente eines Soundtracks wichtig, und genau wie bei einer Jazzband bekommt jeder einmal die Gelegenheit zu einem Solo. Obwohl man einen sehr direkten Musikeinsatz vielleicht bewusster wahrnimmt, kann dich eine subtile Stimmung oder ein bestimmtes Geräusch genauso berühren, ohne dabei groß die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aus Erfahrung kann ich sagen: Jeder gute Regisseur hat eine ausgeprägte Meinung zu jedem Aspekt eines Soundtracks – und genau, wie jeder Film einzigartig ist, gilt dies genauso für Regisseure.

Beat / Wie siehst du ganz allgemein das Verhältnis zwischen Bild und Klang?

Tim / Beide Aspekte haben eine faszinierende Beziehung, und das ist einer der maßgeblichen Gründe, weshalb ich Filme so liebe: Der Klang kann extrem die Art und Weise beeinflussen, wie wir ein Bild sehen und interpretieren. Dies geschieht sehr offensichtlich durch Filmmusik, aber ich interessiere mich auch für diskretere Mittel. David Lynch hat einmal gesagt: „Filme sind zu fünfzig Prozent visuell und zu fünfzig Prozent Klang. Manchmal ist der Klang sogar wichtiger als das Bild.“ Und damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Ich denke oft, dass Bilder den bewussten Teil unseres Gehirns beeinflussen, während Sounds in das Unterbewusstsein eindringen und dort unsere Gefühle verändern. Es sieht zwar zunächst so aus, als gebe es eine Hierarchie der Wahrnehmungen, aber trotzdem sind sowohl Klang als auch Musik so unglaublich kraftvoll.

Eine Kindheit auf dem Bauernhof

Beat / Überzeugendes Sounddesign hat oft überhaupt nichts damit zu tun, wie die Dinge in der realen Welt klingen. Was sind also die Kriterien dafür, was funktioniert und was nicht?

Tim / Ich glaube, es geht um Instinkte. Seit meiner frühesten Kindheit, als ich bei meinen Eltern auf dem Bauernhof aufwuchs, habe ich Klänge geliebt. Ich habe damals in den leeren Getreidesilos gespielt, weil mir ihr donnerndes Echo so gefallen hat. Aber eine offene Geisteshaltung gehört auch dazu. Ich finde durchaus, dass es wichtig ist, einen realen Bezugspunkt zu haben. Wir führen eine Menge spezifischer Aufnahmen durch, um sicherzugehen, dass wir eine sehr gute reale Version der meisten Elemente besitzen. Aber bei einem dramatischen Film besteht unsere Aufgabe nicht darin, penibel Sounds zu dokumentieren – man muss auch das Ziel des Films berücksichtigen. Ich habe zum Beispiel einmal den Drehort eines Films besucht, der an einem Kai gedreht wurde. Die Stimmung dort war nicht so charaktervoll, wie man es vielleicht erwarten würde. Also habe ich im Studio ein bewegendes Ambiente für diese Location geschaffen und dafür Elemente verwendet, die ich an vielen verschiedenen Orten aufgenommen hatte, um sie dann organisch in das Geschehen der Szene einzuflechten. Ein Klangelement funktioniert also, wenn es die Geschichte unterstützt und sich in der Filmwelt „echt“ anfühlt.

Beat / Wie gehst du konkret vor, um diese Wirkung zu erzielen?

Tim / Es ist eine Illusion zu glauben, dass eine bestimmte Handlungsabfolge im Film aus einem einzigen Klang besteht. Ein Großteil meiner Arbeit besteht darin, Sounds so zu schichten und miteinander zu verbinden, damit sie wie eine Einheit wirken. Ein einfaches Beispiel: Stell dir vor, jemand bekommt mit eine Flasche übergezogen. Wenn du fürs Fernsehen tätig bist, wirst du dir schon allein aus der Zeitnot heraus vielleicht einen Effekt aus einer Klangbibliothek schnappen und ihn mit der Handlung synchronisieren. Ich aber würde diese Handlung in alle Einzelteile der Bewegung zerlegen und die Sounds dementsprechend bearbeiten. Da gibt es dann den Teil, in dem mit der Flasche ausgeholt wird. Dann trifft die Flasche auf den Kopf, was sich wiederum unterschiedlich auf die Flasche und den Kopf auswirkt: Ist es ein stumpfer Treffer? Hören wir das Zerbrechen des Schädels? Das Zerreißen des Fleisches? An welche Stelle wird die Person getroffen? Zerbricht die Flasche? Und falls sie zerbricht, gibt es da unterschiedliche Phasen des Zerbrechens, das Aufsplittern in Einzelscherben oder das Auftreffen der Scherben auf dem Boden? Wenn eine Szene einmal gemixt ist, besteht der augenscheinliche Einzelsound aus vielen verschiedenen Elementen, von denen jedes einzelne realisiert und aufgenommen, synchronisiert und geschichtet wurde, um eine Handlung darzustellen. Wenn du dich einmal richtig auf die Aspekte eines zusammengesetzten Sounds einlässt, kann es komplex werden und einige der Elemente mögen isoliert auch recht abstrakt wirken. Manchmal nehme ich Sounds sogar gezielt mit der Absicht auf, sie später rückwärts laufenzulassen. Aber meistens sind Klänge aus der Realität der Ausgangspunkt für mein Sounddesign.

Manchmal fragen mich junge Leute, was für Plug-ins sie für das Sounddesign für Filme benötigen, aber es geht in Wahrheit gar nicht um Plug-ins. Es geht vielmehr darum, interessante Sounds zu entdecken, und in dieser Hinsicht ist mein wichtigstes Kapital meine eigene Sammlung an Fieldrecordings sowie meine Klangbibliothek. Ich nehme ständig neue Dinge auf und sammle Sounds. Je persönlicher die eigene Bibliothek ist, umso besser. Ich versuche, kommerzielle Soundeffektbibliotheken zu vermeiden.

Stumme Soundtracks

Beat / Ist für dich der fertige Soundtrack auch eine Art Komposition?

Tim / Nachdem wir den kompletten Mix fertiggestellt haben, machen wir einen separaten Mix sowie einen Mix für Musik und Effekte, der für die Länder bestimmt ist, in denen der Film in andere Sprachen übersetzt wird. Ich liebe es, mir Letzteren anzuhören. Wenn die Dialoge und die Produktion stumm geschaltet sind, treten alle subtilen Elemente offen zutage. Es ist fast so, als sehe man sich einen Film an, in dem alle Schauspieler stummgeschaltet sind – es entsteht ein wunderschönes, abstraktes Werk aus Bild, Klang und Musik. Ich ziehe es persönlich übrigens immer vor, den Film in der Originalsprache zu hören und die Untertitel zu lesen, aber auch die Synchronisation hat ihre Vorteile.

Beat / Wie geht man bei der Erstellung einer dynamischen Kurve über den gesamten Film vor?

Tim / Der größte Teil der Dynamik sowie des Tempos eines Films entsteht im Bearbeitungsprozess. Aber sowohl die Mixer als auch ich selbst achten sehr penibel auf die Dynamik innerhalb einer Szene sowie über den gesamten Film hinweg. Sogar schon ab den allerersten Beratungen mit dem Regisseur denken wir über die Lautstärkeverteilung nach. Meiner Ansicht nach ist es genauso wichtig, die leisen Momente zu identifizieren, wie die lauten, denn in einem stillen Augenblick kann jedes einzelne Element von entscheidender Bedeutung sein. Ich bin umso stolzer auf einige der leisesten Momente in Filmen, an denen ich gearbeitet habe, als auf die lauten. Es ist eine unglaubliche Freude, die Mittel zu finden, einen Soundtrack bis an den Rand der vollständigen Stille zu bringen: Wenn man ein Publikum an solch stille Orte führen kann, bedeutet das nämlich, dass sie wirklich zuhören.

Beat / 3D-Filme scheinen gerade die Tür zu neuen visuellen Erlebnissen aufzustoßen. Dagegen hört sich 5.1-Audio manchmal etwas blass an …

Tim / Meiner Meinung nach ist das Hauptproblem die sehr unterschiedliche Qualität der Kinos. Die Surroundeffekte von 5.1 sind diffus, weil sie dem gesamten Publikum ein kohärentes Klangfeld bieten müssen. Sogar wenn du ganz hinten im Saal sitzt, musst du immer noch vornehmlich die vorderen Lautsprecher hören, denn ansonsten verpasst du die Dialoge und verlierst den Faden. Ich finde daher die 7.1-Technik sehr spannend, bei der die Möglichkeit gegeben ist, Elemente ganz gezielt auf die einzelnen Surrounds abzulegen. Aber auch bei diesem System spielt nach wie vor die Qualität der Kinos eine Rolle. Für mich stellen 3D-Filme jedoch nicht so ganz den umwälzenden Ansatz dar, den manche Medienvertreter darin sehen.

Beat / An welchem Film hättest du gern als Sounddesigner gearbeitet?

Tim / „Wings of Desire“ von Wim Wenders war der erste Film, der mich erkennen ließ, dass ich gern in diesem Bereich arbeiten würde. Ich habe ihn gesehen, als ich in den späten Achtzigern zur Uni ging, und ich liebe den Film immer noch. Als ich 2006 für den „Berlinale Talent Campus“ in Deutschland war, habe ich während meiner Freizeit die Drehorte des Films besucht und mir vorgestellt, wie die Engel meinen Gedanken lauschen.

Equipment:

Unterschiedlichste Instrumente und Effekte helfen Tim bei seiner Suche nach dem richtigen Klang.

Equipment (Auszug):

ProTools|HD

Ableton Live

Doepfer A100 x 18U mit Analogue-Solutions-Modulen

Cwejman-Module

Harvestman-Module

Korg MS10

Sequential Circuits Pro 1

Yamaha CS1

Roland SH101

Roland MC202

Roland Juno 106

Oberheim Matrix 6

Sherman Filterbank

Roland SH201 Space Echo

AKG BX5 spring

Metasonix TM6Frostwave Resonator

JoMox T-Resonator

Orban 674A

DBX 120XP Sub harmonic Synth

Lexicon Vortex

Washburn-Akustik- und E-Bass

Monome 64

Novation SL25

Von Tobias Fischer

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