Sounddesigner: Mark Grey

Geschrieben von Beat
03.10.2011
09:02 Uhr

Auf den ersten Blick ist Mark Grey ein ganz gewöhnlicher Sounddesigner: Er arbeitet mit Sängern und mit Mikrofonen, mit Lautsprechern und Mischpulten, mit elektronischen Klängen und Effekten. Und dennoch, wenn er zur Tat schreitet, geht so manchem Puristen die Galle hoch: Der aus San Francisco stammende Grey arbeitet nämlich vornehmlich für die Oper und klassische Symphonien – und sieht sich dabei immer wieder Vorurteilen ausgesetzt.

(Bild: www.markgreymusic.com)

Für Mark Grey, dessen eigenes Schaffen als Komponist in den USA regelmäßig aufgeführt wird, steht wie selbstverständlich fest, dass Sounddesign zu jeder musikalischen Bühnenproduktion gehört, ganz egal ob es sich dabei um ein Rockkonzert oder eine Theateraufführung handelt. Dennoch können wir es uns nicht verkneifen, mit der Frage einzusteigen, die Grey bestimmt am meisten hasst:

Beat / Mark, warum braucht man in der Oper überhaupt einen Sounddesigner?

Mark / Weil viele Konzertbesucher heutzutage zu Hause digitale Audiotechnologien und Mehrkanal-Soundsysteme verwenden. Die Art und Weise, wie wir Musik hören, hat sich einschneidend verändert. Deswegen halte ich Sounddesign für einen essenziellen Bestandteil sowohl neuer Opernproduktion als auch der Häuser, in denen sie aufgeführt werden. Genau genommen gibt es Sounddesign für Opern und orchestrale Musik schon viel länger als die meisten Menschen denken: Der Einsatz von Mikrofonen, um die Balance der Musik zu verändern und eine Darbietung zu gestalten, hat das gesamte vergangene Jahrhundert grundlegend beeinflusst. Seitdem erwartet man, dass Sänger und Solisten deutlich lauter als das Orchester erscheinen. Wenn Leute mit dieser Erwartung nun eine Liveaufführung einer Oper besuchen, sind sie zunächst geschockt, dass sie den Sänger oder die Sängerin oftmals gar nicht hören können. Meistens nehmen sie stattdessen nur lang angehaltene Töne ohne viele Details wahr und verbringen den Abend damit, im Textheft mitzulesen, statt die Komplexität und Schönheit der Aufführung zu genießen.

Mit der heutigen Technologie können Studioingenieure tiefer in einen Mix eindringen und unsere Wahrnehmung verändern. Und genau an dieser Stelle trete ich auf den Plan: Ich verwende hochqualitative Soundsysteme, typischerweise Meyer-Sound-Lautsprecher und digitale Konsolen, um den Raum zu beeinflussen. Damit bringe ich im Grunde genommen das Opernerlebnis auf den heutigen Stand. Wenn ein solches Werk richtig entworfen und gemischt wird, kann das Publikum quasi fließend von ihren geschlossenen Bose-Kopfhörern zur Bühnenerfahrung begleitet werden, ohne dass dabei jemand enttäuscht wird.

Prägende Projekte

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Beat / Welche Projekte aus deiner Frühphase waren für deine heutige Arbeit besonders wichtig?

Mark / Meine ersten Sounddesign-Aufträge fanden zumeist im Bereich experimenteller zeitgenössischer Musik statt. Ich baute ausgeklügelte, riskante und häufig offen-gelötete Patch-Verbindungssysteme, um die Musik von John Cage, Karlheinz Stockhausen, Luciano Berio, Pierre Schaeffer, Pierre Henry oder Steve Reich, aber auch meine eigene Musik umzusetzen. Viele dieser Erfahrungen fanden während meines Unistudiums sowie bei elektro-akustischen Konzerten statt, bei denen ich ohne Einschränkungen mit der Technologie experimentieren konnte. Da ich im Silicon Valley in Kalifornien aufwuchs, waren kreative Geister um mich herum so reichlich gesät wie Zitronenbäume auf Sizilien.

Beat / Ein wichtiges Erlebnis war für dich der Kontakt mit dem berühmten Komponisten John Adams. Wie kam es dazu?

Mark / Ich traf John Adams zum ersten Mal im Jahr 1990 am kalifornischen Kunstinstitut CalArts. Zusammen mit meinem Kollegen Tom Mays, der viele Jahre lang ein großartiger Max-/MSP-Programmierer am französischen IRCAM-Zentrum für experimentelle Musik war und heute am Pariser Konservatorium unterrichtet, organisierten wir Sommerkurse für elektronische Musik und Komposition. Eines Tages stieß John zu uns, um eine Meisterklasse für unsere Kompositionsstudenten zu geben. Er spazierte dabei auch in die Musikstudios, die Tom und ich jedes Jahr einrichteten, und fragte mich, ob ich einen Job suche. Er hatte gerade seine zweite Oper „The Death of Klinghoffer“ fertiggestellt, und sein Studio in Nordkalifornien musste dringend repariert werden. Da wir beide in der Bay Area lebten, fingen wir sofort damit an. So begann eine wunderbare musikalische und technische Zusammenarbeit, die bis heute andauert.

Beat / Was genau beinhaltet deine Arbeit in Sachen Sounddesign für John Adams' Opern?

Mark / Nach den anfänglichen Vorbereitungen arbeite ich zusammen mit John im Studio, während er an seinen Stücken schreibt. Jedes dieser Werke enthält auch elektronische Soundscapes. Typischerweise lege ich für John eine große Klangbibliothek an, aus der er sich passende Sounds auswählen und sie modifizieren kann. Nachdem er seinen Teil der Arbeit beendet hat, setze ich diese Klangflächen zusammen, um sie in mein Sounddesign zu integrieren. Manche Werke brauchen vielleicht ein Keyboard und/oder einen Softwaresampler im Orchestergraben, andere nutzen eher Max/MSP oder Ableton Live, um die verschiedenen Szenen der Soundscapes zu organisieren. Sobald ich damit fertig bin, die elektronischen Musikwerkzeuge zu sammeln, lege ich das Soundsystem vor Ort an. Üblicherweise gibt es ein oder zwei Wochen lang reduzierte Pianoaufführungen des Werks, und ich versuche schon zu diesem Zeitpunkt, an allen wichtigen Orten schnurlose Mikrofone zu installieren. Danach balanciere ich die Sänger mit diesen Mikrofonen aus, noch bevor das Orchester im Graben sitzt. Wenn es dann da ist, brauche ich seinen komplexen Klang nur noch um das herumzubauen, was ich bereits tagelang vorbereitet habe.

Unsichtbares Wirken

Beat / Wie schwierig ist es, darauf achten zu müssen, dass jeder Besucher das gesamte Klangerlebnis mitbekommt?

Mark / Je unsichtbarer mein Sounddesign sowohl in akustischer, visueller als auch konzeptueller Hinsicht ist, umso mehr empfinde ich, dass ich meine Aufgabe zufriedenstellend gelöst habe. Wenn du für Opern und Konzerte arbeitest, musst du bescheiden veranlagt sein: Du musst immer daran denken, dass es da draußen sehr ernste Gegner deiner Arbeit gibt, nämlich Puristen, die den neuen Technologien stets kritisch gegenüberstehen. Als ich zum Beispiel 2002 in der Royal Albert Hall in London arbeitete, standen während der gesamten Show zwei Besucher vor mir, lehnten an meiner Konsole und sahen sich an, was ich tat. Jedes Mal, wenn ich in ihre Richtung sah, zuckten sie mit den Achseln und machten verärgerte Geräusche. Da musst du schon eine sehr starke Zuversicht in deine musikalischen Fähigkeiten haben.

Beat / Man arbeitet in der modernen Oper ja mit sehr vielen verschiedenen Parametern gleichzeitig. Ist deine Arbeit damit in gewisser Hinsicht die progressivste und komplexeste Form des Sounddesigns?

Mark / Meiner Ansicht nach sind alle Bereiche des Sounddesigns gleichermaßen progressiv und komplex, egal ob es sich dabei um Studioarbeit oder Konzertproduktionen handelt – alle haben ihre Vor- und Nachteile. Wenn ich live Surroundsound verwende, gleiche ich normalerweise die Beziehung zwischen den Lautsprechergruppen an. Dafür verwende ich Sonic-Image-Lokalisation und hochwertige Reverbs. Ich kann beispielsweise eine Sopranstimme unter Verwendung von Frontfills – das sind die Lautsprecher für die vordersten Reihen in der Oper – in das Zentrum legen. Dafür verwende ich die linken und rechten Hauptkanäle und Surroundlautsprecher, um das Klangbild tiefer in das Auditorium zu drücken. In diesem Fall würde ich vielleicht das Signal von dem schnurlosen Sopranmikrofon an die Frontfills schicken, wobei jeder Frontfill seine eigenen individuellen EQs und Delays besitzt und somit seine Parameter mit einem Computer oder MIDI-Controller in Echtzeit verändert werden können, um das Bild über die Bühne wandern zu lassen. Dann lege ich ein Delay auf die linken und rechten Hauptlautsprecher und reduziere die hohen Frequenzen. Das bedeutet konkret, dass du auf den Frontfills das gesamte Spektrum hörst, aber die linken und rechten Mains in den Höhen ganz leicht gedämpft sind. Somit kannst du die Anlage lauter aufdrehen, weil das Ohr der Verständlichkeit der Frontfills folgt und nicht den Mains. Ich nenne dieses Konzept „umgedrehte Center-Cluster“: Wenn es kein physisches Center-Cluster gibt, sorgen die Frontfills für das Bühnenklangbild und die Mains vertiefen den Klang. Um auf unser Beispiel zurückzukommen, lege ich ordentlich Reverb auf die Surroundlautsprecher, die für die Sinnverständlichkeit nicht so wichtig sind. Der Klang entwickelt sich akustisch zunächst beim Sopran auf der Bühne. Danach bewegen ihn die Frontfills nach vorn und durchdringen den Orchesterklang. Die Mains vertiefen ihn noch mehr, bis er am Ende über die gesamte Länge des Hauses in den Surrounds noch voller wird. Das Publikum spürt den Klang des Soprans überall um sich herum. Dadurch wird die Bühnenpräsenz intimer und die Klangquelle scheint immer von der Bühne zu kommen.

Beat / Du bist sowohl Komponist als auch Sounddesigner. Wie wichtig sind diese beiden Bereich jeweils für dich?

Mark / Für mich sind sie in künstlerischer Hinsicht absolut ebenbürtig. In meinen orchestralen Werken versuche ich, Klangverstärkung zu vermeiden und mich wirklich darauf zu konzentrieren, neue klangliche Formen auf eine rein akustische Weise zu erschaffen. Meine gesamten Jahre mit John Adams und dem Kronos-Quartett haben meinen Wissensstand ungemein bereichert. Wenn ich Musik schreibe, verlasse ich mich auf diese Erfahrungen, um mich musikalisch und klanglich zu entwicklen – ganz egal, in welche Richtung das jeweilige Werk tendiert. Für mich sind Musik und Klang dasselbe. Meiner Ansicht nach haben wir in der heutigen Musikwelt die große Chance, endlose Facetten der Klangestaltung, von Liveerlebnissen und Musik zu erforschen. Wir haben gerade einmal die Spitze des Eisbergs künstlerischen Potenzials erreicht.

von Tobias Fischer

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