Sounddesigner: David Kristian

Geschrieben von Beat
19.09.2011
20:50 Uhr

Seit den Neunzigerjahren hat sich David Kristian als ein vielseitiger Musiker zwischen allen Stühlen profiliert. Sein emotionaler Stil zwischen Electro und Ambient stand an der Wiege dessen, was man heute gemeinhin „IDM“ oder „Intelligente Tanzmusik“ nennt. Auch als Filmkomponist hat er einen beeindruckenden Katalog an Arbeiten aufgebaut. Schon immer jedoch haben ihn neue Herausforderungen gereizt – weswegen er sich nun als Komponist für Computerspiele und Sounddesigner einen Namen macht.Wir sprachen mit David Kristian über seine aktuelle Sound-CD „Entangled Species“ für das String Studio VS-1 von Applied Acoustics Systems sowie seine Klangästhetik.

(Bild: www.beat.de)

Beat / Wurden die Sounds auf „Entangled Species“ speziell für dieses Projekt entworfen?

David / Ich schätze, dass ungefähr die Hälfte der Sounds der Entangled-Species-Soundbank ursprünglich für meine Arbeit als Filmkomponist und Sounddesigner bestimmt waren. Der Rest wurde für eine mögliche zukünftige Nutzung angelegt. Wegen der zunehmenden Nachfrage für organische Klänge entwickelte sich das String Studio VS-1 zu einem zuverlässigen Instrument besonders für Flächen, mit dem ich Lücken auffüllen und gelegentlich akustische Instrumente in meine Arbeit integrieren konnte. Als ich mich dazu entschloss, den Schritt von der Filmmusik hin zum Sounddesign für Spiele zu machen, blieb es als flexibles Werkzeug für mich relevant. Das Instrument erlaubt mir, üppig geschichtete Effekte und Atmosphären zu programmieren.

Beat / Wie kam überhaupt der Kontakt zu Applied Acoustics Systems zustande?

David / Bereits in den späten Neunzigern, zur Markteinführung des großartigen Tassman-Synthesizers, traten Marc-Pierre Verge, Philippe Derogis und Vincent Gagnon von Applied Acoustics an mich heran. Tassman übernahm bis dahin innerhalb einer Produktion eher die unterstützende Funktion einer Samplequelle. Das war zwar nicht optimal, doch dank der Einführung flexibler DAWs wie Ableton Live konnte ich Tassman bedeutend spielerischer und praktischer einsetzen. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis im Hinblick auf das Potenzial der Physical-Modeling-Synthese.

Beat / Gab es eine Vorgabe in Bezug auf deine Arbeit?

David / Das Team von AAS betonte, dass es keinerlei Grenzen für meine Soundbibliothek gab. Und genau das habe ich dann auch beherzigt. Ich habe aber berücksichtigt, dass meine Klänge sowohl von Sounddesignern als auch Komponisten verwendet werden sollen. Ich bin jedoch kein Anhänger blanker Presets und hoffe deswegen, dass zumindest ein paar meiner Klänge von den Endnutzern weiter verändert werden.

Vielfältige Inspirationsquellen

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Beat / Wie bist du konkret vorgegangen?

David / Ich werde von vielen verschiedenen Quellen inspiriert. Viele davon sind visueller Natur, aber es gibt auch Sounds, die ich programmiere, um die Lücke zwischen dem Realen und Surrealen zu schließen. Oder um einen Soundeffekt, den ich gerade entwerfe, zu verstärken. Das String Studio erlaubt es mir, Klänge zu erstellen, die man sonst häufig als „Found Sounds“ bezeichnet.

Beat / Was für Qualitätskriterien legst du dir selbst auf?

David / Ich liebe ätherische, sich bewegende, subtile Sounds. Da mir hypnotische, sich allmählich entwickelnde Musik besonders zusagt und weil ich inzwischen auch einige Zeit damit verbracht habe, Sounds für Videospiele zu programmieren, habe ich zunehmend eine Abneigung gegenüber statischen Klängen, wie beispielsweise Samples und Soundeffekten von Sample-DVDs, entwickelt.

Beat / Du verwendest gern den Begriff der „lebendigen Sounds“ …

David / Was mir an physischen Modellen wie Oszillatoren, Membranen oder Streichern gefällt, ist ihre Unvorhersehbarkeit. Als ich noch mit analogen Geräten arbeitete, hätte ich es niemals versäumt, einen Synthesizersound, den ich gerade fertiggestellt hatte, sofort aufzunehmen. Mir war nämlich klar, dass sich das Instrument von selbst verstimmen würde. Physical Modeling ist zwar nicht ganz so chaotisch wie analoges Equipment, aber es gibt immer noch eine dezente Zufallskomponente, die fast vergessen lässt, dass die Klangerzeugung in einer digitalen Welt stattfindet.

Handwerk oder Kunst?

Beat / Du hast bereits in fast allen Bereichen des Musikgeschäfts Erfahrung sammeln können. Ist das Entwerfen von Sounds für dich auch eine Kunstform?

David / Ich neige immer mehr dazu, diese Frage mit einem Ja zu beantworten. Ich bewundere Sounddesigner, die die „Musik in einem Klang“ hören, ungemein. Aus meiner Sicht hat jeder Sound seinen ganz eigenen Platz in der Musik. Deswegen haben mich traditionelle Kompositions- und Arrangementansätze auch nie sonderlich interessiert. Mit Sounds und Effekten kannst du hingegen eine komplette Geschichte erzählen, die verschiedenen Elemente aufeinander abstimmen, damit sie im Mix passen und mit dem Rest der Musik harmonieren. Tatsächlich verschwimmen dabei die Grenzen zwischen Sounddesign und Musik.

Beat / Ist es auch das, was dir an deiner Arbeit als Sounddesigner besonders zusagt?

David / Mich reizt es zu verspüren, dass ein Klangexperiment nicht nur technisch, sondern auch aus kreativer Sicht heraus funktioniert. Ich versuche zwar durchaus, progressiv zu sein, doch manchmal ist es auch schön, in der Vergangenheit nach der Essenz eines Klangs zu suchen, die mit modernem Equipment nur schwer einzufangen wäre. Ich liebe zum Beispiel die Streicher- und Chor-Bänder des Mellotrons und die eben nicht ganz perfekten Sounds älterer Aufnahmemedien. Vielleicht ist das aber auch ein reines Nostalgiegefühl aus meiner Jugend: Damals habe ich für einen Fernseh- und Radiosender gearbeitet, grundlegende Studiotechniken erlernt und musste mit dem vergleichsweise Wenigen auskommen, was mir zur Verfügung stand.

Beat / Versuchst du, wenn du an deiner eigenen Musik arbeitest, alle die von dir genutzten Sounds selbst zu entwerfen?

David / Als ich mich noch häufiger mit dem Schreiben von Soundtracks beschäftigte, habe ich mir alle bekannten akustischen Schlagzeug- und Orchesterbibliotheken zugelegt. Ein Grund dafür war, dass die guten Sammlungen tatsächlich hervorragend zusammengestellt sind. Außerdem hätte mein Terminplan es mir sehr schwer gemacht, alle Klänge allein zu programmieren. Die Nutzung von fertigem Material war eigentlich auch kein Problem für mich, solange ich nur ausreichend eigene Sounds in den Mix einbauen konnte, anhand derer ich als Künstler erkennbar blieb. Man kann außerdem eine Menge lernen, wenn man der Arbeit anderer Komponisten und Sounddesigner Aufmerksamkeit schenkt.

Beat / Wie gestaltet sich bei deiner Arbeit normalerweise das Verhältnis von Sound und Komposition – was ist bei dir der auslösende Reiz?

David / Meist wird der Schaffensprozess bei mir durch Sounds ausgelöst. Das ist auch ein Grund dafür, dass ich Klangsynthese dem Sampling vorziehe. Wie ich bereits vorher erwähnte, hat für mich jeder Klang eine ganz genaue Funktion beim Musikmachen. Es gefällt mir, ein ganzes Stück zu komponieren und dann vollständig wieder auseinanderzunehmen, indem ich jeden Drehregler und Fader auf seine ideale Ausgangsposition zurückstelle. Dann drücke ich „Aufnahme“ und setze alles wieder in Echtzeit zusammen. Dabei entdecke ich bei jedem Durchlauf neue Möglichkeiten. Allein das Fading richtig hinzubekommen, kann dabei manchmal Stunden dauern, aber das gehört alles zum Prozess dazu. Mir ist zwar klar, dass ich das alles auch automatisieren oder in meiner DAW einstellen könnte. Aber jetzt, da Computer ausreichend schnelle Prozessoren besitzen, ist es mir möglich, Software und Hardware gleichzeitig und ohne Overdubs aufzunehmen. Bei den Filmsoundtracks konnte ich noch nicht so vorgehen, aber für meine eigene Musik ist es sehr befriedigend. Außerdem spricht eine Menge für ein subtiles Zusammenspiel von Liveinstrumenten und Effekten.

Beat / Du hast einmal gesagt, dass es heutzutage nicht mehr ausreicht, „einfach nur eine CD zu veröffentlichen“. Aber reicht das Entwerfen von Sounds an die konkrete Erfahrung, Musik zu komponieren, heran?

David / Die Veröffentlichung von „Entangled Species“ war für mich die Erfüllung eines lebenslangen Traums, und ich hoffe, dass ich die Gelegenheit haben werde, noch mehr in diese Richtung zu arbeiten. Seitdem ich damit angefangen habe, in der Spieleindustrie zu arbeiten, fühle ich mich auch wieder dazu inspiriert, in meiner Freizeit Musik zu produzieren – etwas, wozu ich während meiner Jahre als Filmmusikkomponist entweder keine Zeit oder keine Energie hatte. Ganz egal, wie anstrengend ein Tag als Sounddesigner auch gewesen sein mag, fühle ich immer noch die Inspiration, weiter zu recherchieren, zu experimentieren und zu komponieren, wenn ich zu Hause bin. Häufig nehme ich die dabei entstandenen neuen Sounds dann am nächsten Tag mit zur Arbeit.

von Tobias Fischer

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