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Sind Berufsmusiker vom Austerben bedroht?

Von der Kunst zu leben, war noch nie einfach. Doch neue Beispielrechnungen scheinen zu belegen, dass sich die Situation zuspitzt. Digitale Vertriebsmodelle bieten Kreativen kaum noch eine realistische Chance, mit ihren Kompositionen auf den Mindestlohn zu gelangen. Sind Berufsmusiker eine vom Aussterben bedrohte Spezies?

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Wer die Realität nicht akzeptiert, wird gemeinhin als Träumer abgestempelt. Krzysztof Wiszniewski hingegen bezeichnet sich lieber als einen Zyniker. Der Hauptsongwriter, Gitarrist und Manager der polnischen Hardrockband Viridian führt einen Blog, in dem er seine Gedanken zum Dasein als Musiker zum Besten gibt. Seine Thesen lassen dabei vor allem deswegen aufhorchen, weil in ihnen eine Stimme zu Wort kommt, die sich vehement dem medial verordneten Zwangsoptimismus verweigert. Dass Musik online zum kostenlosen Download erhältlich ist, findet Wiszniewski weiterhin verwerflich. Dass Politiker vor dem Internet als rechtsfreien Raum kapitulieren, ist für ihn schlicht Arbeitsverweigerung – und Copyright noch immer das beste Instrument, neue Talente zu fördern sowie Kreative für ihre Arbeit zu entlohnen.

Von Vertretern der Technologie-Branche lässt er sich keine heile Kreativ-Welt vorgaukeln, denn „ein Schneider fragt ja auch keinen Schreiner um Rat, wenn er einen neuen Anzug nähen möchte.“ Erbitterte Diskussionen mit Gegnern seiner Ansichten liefert er sich bereits seit Jahren. Doch besonders hoch ging es her, als Wiszniewski einmal den Taschenrechner in die Hand nahm und die digitale Realität nicht nur hinterfragte, sondern sorgfältig durchrechnete [1]. Denn das Ergebnis war eindeutig: Im Netz werden Musiker mit ihrer Kunst niemals ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Entweder sie ergreifen die Initiative, um das zu ändern – oder Berufsmusiker werden innerhalb weniger Jahre von der Bildfläche verschwinden.

Wiszniewskis Zahlen, die später dank einer anschaulichen Grafik [2] im gesamten Netz Verbreitung fanden, wurden von Anfang an angefochten: Da werde in einen Topf geschmissen, was nicht zusammengehöre, verglichen, was sich nicht vergleichen lasse. Es wurden Gegenrechnungen angestellt und philosophische Fragen erörtert. Doch gelang es keinem, die Grundtendenz der Aussage wirklich zu widerlegen: dass praktisch keiner mit Mechandising und Live-Auftritten alleine wirklich Geld verdient. Und dass keine der derzeitigen digitalen Verbreitungsmethoden, egal ob Abos, Online-Radio oder Downloads, jemals die gleichen Einnahmepotenziale wie die so rasch aus der Mode geratene CD bietet. Um auf das Niveau des amerikanischen Mindestlohns zu gelangen, muss ein Künstler laut Wiszniewski monatlich 143 CDs im Eigenvertrieb verkaufen, eine hohe aber vielleicht noch ansatzweise erreichbare Summe. Um über iTunes auf den gleichen Betrag zu kommen, werden hingegen 1229 Album-Downloads benötigt – dieselbe Menge wie im klassischen und längst als unfair abgestempelten Einzelhandels-Vertriebsmodell. Geradezu utopisch aber wird es bei dem Format, das gemeinhin als das der Zukunft der Industrie gehandelt wird: Streaming. Zumindest wollen viereinhalb Millionen Spielanfragen bei Spotify erstmal erreicht werden. Und so stellt sich die Welt für den Gitarristen vor allem so dar, dass Musiker das Spiel resignativ mitspielen, sich in ihr Schicksal fügen und mit dem physischen Tonträger das einzige Produkt aus der Hand geben, dass ihnen wirklich eine Chance auf Erfolg bietet.

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