Porträt: Tiefschwarz

Geschrieben von Beat
02.11.2011
19:38 Uhr

Nach zwanzig Jahren als DJs möchten die Vorzeige-Minimalisten von Tiefschwarz es noch einmal wissen: Denn mit „Chocolate“ haben sie nicht nur ein ambitioniertes Album vorgelegt, auf dem sie ihren erkennbaren Stil erneut für spannende neue Einflüsse öffnen. Gleichzeitig begeben sie sich als Live-Act auch auf ihre erste Tour, auf der Musik als alle Sinne ansprechendes Erlebnis gefeiert werden soll. Dabei lassen sie sich ins Ungewisse fallen und verlassen sich ganz aufs Bauchgefühl.

(Bild: www.myspace.com/tiefschwarz)

Das vermeintliche Primat der Technologie war schon immer eine Illusion. Natürlich wären House, Acid, Techno, Minimal und der ganze große Rest ohne die Innovationen von Hard- und Software undenkbar gewesen. Und erst die Massenproduktion von Kreativwerkzeugen erlaubte die entscheidende Demokratisierung des Schaffensprozesses mit all seinen Vor- und Nachteilen. Doch haben sich die Konstanten des Musizierens durchaus nicht so einschneidend verändert, wie die Fortschrittsapostel uns glauben machen möchten. Noch immer geht nichts über den direkten Kontakt mit einem Publikum. Noch immer hat selbst die aktuelle Version von Final Scratch es nicht geschafft, das Gefühl zu ersetzen, mit herb duftenden 12-Inches an zwei hypnotisch rotierenden Technics-Plattenspielern aufzulegen.

Für Basti und Ali Schwarz ist diese Erkenntnis keineswegs das Ergebnis eines Blitzkurses in Slow Media, sondern seit Anbeginn ein fester Bestandteil ihrer künstlerischen Philosophie. Noch vor wenigen Jahren machten die Gebrüder durch ihr trotziges Festhalten an Vinyl sowie durch einen Sound, der sich ungemein effektiv den Gesetzen eines immer schneller werdenden Markts zu entziehen suchte, von sich reden. In dem neuen Video zu „Trust Us“ sieht man das Tiefschwarz-Team sogar in der heimischen Küche, in der sie ihren Töpfen und Pfannen mit Löffeln und Rührern zu Leibe rücken und sich dem Thema Techno geradezu genießerisch nähern: „Musikmachen macht Spaß und ist auf alle Fälle ein sinnliches Vergnügen“, bestätigen die beiden emphatisch. „Unsere Liebe zu Vinyl besteht nach wie vor, obwohl die Zeiten sich natürlich verändert haben. Es ist schon schade, dass man in diversen Clubs heute keine Plattenspieler mehr vorfindet.“

Fortschritt rückwärts

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Die Zeiten ändern sich ganz gewiss, doch versteht die Community Fortschritt heutzutage zunehmend als eine Rückbesinnung auf alte Werte. Begriffe wie „Härte“ oder „Underground“ werden scheinbar reaktionär umdefiniert, und sogar einstmals für ihre Kompromisslosigkeit bekannte DJs wie Sven Väth entdecken plötzlich Melodie, Harmonie und Soul für sich. Dass Väth auf seiner Cocoon-Compilation Künstler wie Tiefschwarz ganz natürlich in seinen Mix einbaut, zeugt von einem neuen Selbstverständnis und der Erkenntnis, dass von einer gegenseitigen Befruchtung verschiedener Spielarten letztlich alle profitieren. Ebenso wie Rockbands elektronische Bestandteile in ihren Klang einfließen lassen, stellen sich immer mehr DJs der Herausforderung, in ihren Sets auch kompositorisch zu walten.

Nach zwanzig Jahren, in denen sie sich als DJs international profiliert haben, steht nun auch für Basti und Ali der große Schritt zum Konzert-Duo an. Auf einer unzählige Termine umfassenden Tour wollen die beiden das Konzept ihres neuen Albums „Chocolate“ auf die Bühne bringen und sich deutlich über das hinaus emanzipieren, wofür der Name Tiefschwarz zu einem Markenzeichen geworden ist.

Ästhetische Verschmückung

Weltbewegend ist daran im Grunde genommen nichts, standen die gebürtigen Stuttgarter und derzeitigen Wahlberliner doch schon immer für eine prägnante stilistische Offenheit, bei der sich die positive Aggression von Rock mit der ekstatischen Energie elektronischer Tanzmusik verband. Wenn an dem Schritt überhaupt etwas auffällt, dann wohl, dass er so spät kommt: „Wir haben schon oft darüber nachgedacht, auf Tour zu gehen, aber es hat sich bisher nie so konkret ergeben“, so die Brüder. „Vom Gefühl her sind wir jetzt auch bereit dazu. Live vor einem Publikum zu spielen ist natürlich etwas komplett anderes, als aufzulegen. Es ist für uns ein spannender Schritt – vor allem, weil es unsere eigene Musik ist, die wir dem Publikum präsentieren. Wenn wir auflegen, spielen wir ja viele Fremdproduktionen. Das ist jetzt ein ganz neuer Thrill!“

Zu diesem Thrill gehört in erster Linie eine Kombination aus Computern und akustischen Instrumenten. Während Ali und das inoffizielle dritte Bandmitglied Philipp Maier (alias Santé) für die von Native Instruments und Ableton geprägte Elektronik verantwortlich sein werden, versteht sich Basti als Schlagzeuger mit Leib und Seele, der die Tracauf seiner Roland V-Drum unterstützt. Tiefschwarz haben in der Vergangenheit sowohl Madonna als auch Depeche Mode remixt und begreifen ihre Kompositionen als Rohmaterial, das es umzuformen und den Gegebenheiten anzupassen gilt. Dabei geht es weniger um eine perfekte Übertragung des Albumkonzepts auf den Konzertsaal, sondern um die ästhetische Ausschmückung und Verfeinerung und vor allem um ein neues, komplett eigenständiges Erlebnis.

Konsequente Clubtauglichkeit

Dabei wurde „Chocolate“ von Anfang an konsequent auf Clubtauglichkeit hin produziert. Der erkennbare Tiefschwarz-Sound ist anno 2010 zwar noch immer „deep“, vielseitig und voller Seele. Mehr denn je baut er dabei aber auf ein Fundament aus lässig pochenden Beats, die mit ihrem schrägen Swing eigentlich für sich allein stehen könnten. Tiefschwarz betrachten sich sozusagen aus einem dezent verzerrten Blickwinkel selbst – ähnlich wie sie 2006 zur Eröffnung ihres Labels „Souvenir“ mit einem Nebenprojekt namens „Ichundu“ auf den Plan traten und sich dabei nicht nur von ihren angestammten Techniken entfernten, sondern bei der Gelegenheit auch gleich noch eigenhändig remixten.

Ganz so weit geht man auf dem aktuellen Werk nicht: Doch immerhin ist klar erkennbar, dass die Konstanten im eigenen Schaffen immer wieder hinterfragt wurden. Es ist sehr viel Platz in diesen Stücken, die entspannt atmen und in denen teilweise auf dem Papier nur wenig passiert. So schwebt „Bon Voyage“ auf einer leicht schwindelig machenden Klaviermelodie, während das von Bastis Toms durchzogene „What You Want“ trotz eines süßen Soulsamples vor allem aus dem eher fühl- denn hörbaren Subbass-Bereich seine Kraft entfaltet. Andere Stücke, wie das nach Kraftwerk-meets-Hawtin klingende „Stones“ oder „Babel“, frönen einer Leidenschaft für stoischen Minimalismus und definieren sich vor allem durch einen Fokus auf den Raum zwischen den Takten und eigenwillige Klangquellen.

In den Kollaborationen geht es hingegen bedeutend hemdsärmeliger zu. Und tatsächlich scheint das Album um sie herumgebaut zu sein: Das übercoole, von verspielten Glockenspiel-Läufen durchzogene „I can’t Resist“ wird beispielsweise von dem Süßholzgeraspel der menschlichen Beatbox Dave Aju verfeinert. Die dunkle Tunnelvision der ersten Single „Find Me“ von Cassys wird von geisterhaften Vocals in einen Abgrund aus Verlangen und Besessenheit gestoßen. Und dem bitterbösen Liebestribunal „Trust“ sitzt der BPitch-Control-Star Seth Troxler als gnadenloser Scharfrichter vor.

Der Geschmack entscheidet

„Album ist Album und Clubset ist Clubset“, haben Tiefschwarz 2005 einmal gesagt – und zu diesem Zitat stehen sie noch heute. Trotzdem ist „Chocolate“ gleichermaßen von einer Offenheit gegenüber kreativer Spontaneität und der Vermeidung ausgetretener Pfade geprägt. Kann man diesen Ansatz vielleicht mit der Improvisation in der Küche vergleichen? „Kochen ist eine unserer Leidenschaften“, pflichten Tiefschwarz bei, „speziell Ali ist ein unglaublich guter Koch. Man wirft Zutaten in einen Topf – und manchmal weiß man, was man tut, manchmal eher nicht. Der Geschmack entscheidet! Für manche Sachen gibt es hingegen einfach kein Rezept. Da geht es rein ums Gefühl.“An anderer Stelle zählt wiederum die bedingungslose Liebe zum Detail, für die die Brüder bekannt sind: „Philipp hat verschiedene Instrumente, wie zum Beispiel das Einspielen der Gitarre, übernommen. Die haben wir dann aber so verändert, dass sie zur Stimme wurde.“

Auf den anstehenden Gigs wird man dieselben Rezepte noch um die Visuals der Berliner Medienagentur Flora und Fauna ergänzen. Deren Anspruch an die Show ist ebenso simpel wie ergreifend: „Wir sehen unsere Aufgabe in einer Neudefinition der Interaktion zwischen Künstler und Visuals im Clubkontext“, erklärt Agenturchefin Leigh Haas. Konkret gesagt geht es dabei um eine optische Untermalung aus Licht und Schatten, deren subtiles Ineinandergreifen eine Vielzahl von räumlichen und konzeptuellen Ebenen schafft. Auch hier sollen die technologischen Errungenschaften nicht als Verwechslung von Prioritäten missverstanden werden: Wenngleich die Installation die Performance kongenial aufwertet – im Mittelpunkt steht noch immer die Musik.

Equipment (Auszug):

Jomox XBase

NI Maschine

Ableton Live

Apple Logic

Apple Power Mac G5

Schippmann Filter

TL Audio Röhrenpult

diverse Plug-ins

Diskografie:

2001 | RAL9005

2005 | Eat Books

2006 | Fabric 29

2007 | Ten Years of Tiefschwarz

2010 | Chocolate

von Tobias Fischer

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