Porträt: Robert Miles

Geschrieben von Beat
14.06.2011
22:29 Uhr

Man hatte ihn schon abgeschrieben. Nach „Children“ folgten die ambitionierten aber kommerziell enttäuschenden Alben „23am“ und „Organik“, ein stilistischer Umbruch, verstörende Videos, das Zerwürfnis mit der Plattenfirma. Es gibt nichts, was Robert Miles davon bereut. Fünfzehn Jahre hat er für seine künstlerische Unabhängigkeit gekämpft – und legt mit „Thirteen“ nun ein Werk vor, das Elektronik, progressiven Rock und Weltmusik-Elemente zu einem schillernden Kaleidoskop verbindet.

Beat / Du hast den Übergang von „Organik“ zu „Thirteen“ als eine Suche nach deinem persönlichen Sound beschrieben …

Robert Miles / Ich glaube, ich wusste schon ganz von Anfang an, nach welchem Sound ich gesucht habe. Mir fehlten damals nur die notwendige Erfahrung und der Austausch mit anderen Musikern, um ihn umzusetzen. Früher war alles viel elementarer: Ich musste schlicht aus sehr wenigen Geräten, die mich damals ein Vermögen gekostet haben, das Beste herausholen. Im Laufe der Jahre habe ich Fortschritte gemacht und einen persönlicheren Klang geschaffen, der all die verschiedenen Musikstile mit einbezieht, die ich in meinen wenigen freien Augenblicken höre. Es gehört eine Menge Arbeit und Hingabe dazu. Und natürlich eine offene Freundin, die es akzeptiert, wenn du an manchen Tagen zwischen vierzehn und sechzehn Stunden im Studio verbringst. Ich habe rund einhundertzwanzig nicht fertiggestellte Tracks in meinem Archiv, die niemals veröffentlicht wurden und mich Schritt für Schritt dorthin geführt haben, wo ich heute mit meinen Kompositionen stehe. Ich liebe es, gelegentlich diese Files zu öffnen und dort Ideen für neues Material zu entdecken. Es ist, als ob Teile dieser Musik noch nicht fertig waren und einfach Zeit brauchten, um aufzublühen.

Beat / Was sind Fundamente dieses persönlichen Stils?

Robert Miles / Was mir am meisten bedeutet, ist, Musik zu schaffen, die zeitlos ist und auch nach zwanzig bis dreißig Jahren noch nicht alt klingt. Es ist ein großes Ziel. Aber ich habe das Gefühl, das ich mich auf dem richtigen Weg befinde und mit jedem neuen Album diesem Ideal etwas näher komme. Es ist mir wichtig, dass meine Platten gut klingen. Viele meiner Freunde und Familienmitglieder halten mich für detailversessen und für einen Perfektionisten. Wenn man die vielen Stunden bedenkt, die ich im Studio verbringe – sogar nachdem das Album bereits abgemischt ist – um an dem Sound-Design zu feilen, mögen sie damit sogar recht haben. Dabei habe ich mit nicht mehr als einem Sampler und einem Keyboard angefangen. Und wenn du Glück hattest, war noch ein Atari oder Commodore 64 mit der ersten Version von Cubase dabei.

Beat / Das ist nur wenige Jahre her, aber es klingt inzwischen wie eine komplett andere Welt …

Robert Miles / Genau. Musiker und Produzenten haben damals wirklich an einer eigenen Identität gearbeitet und eine Menge Arbeit investiert, um den richtigen Sound zu finden. Das hört man der Musik dieser Zeit an und viele dieser Platten klingen noch immer verdammt gut. Heute kann jeder innerhalb weniger Stunden in seinem Schlafzimmer eine Platte aufnehmen. Es gibt Millionen Software-Helfer, die dir vorgefertigte Loops, Melodien und Riffs zur Verfügung stellen. Und viele verwenden sie, ohne überhaupt einen Versuch zu unternehmen, ihren Sound zu personalisieren und sich von anderen Künstlern abzusetzen. Heute klingen doch die meisten Electronica-Platten ziemlich gleich. Und innerhalb weniger Minuten weiß man genau, welche Software und Samples in einem bestimmten Track zur Anwendung gekommen sind. Damit möchte ich auf keinen Fall etwas zu tun haben.

Erlebnisse aus dem Alltag

Beat / Wichtig für diese persönliche Note ist ja auch, dass bei dir Erlebnisse aus deinem Alltag in die Musik einfließen. Wie funktioniert das genau?

Robert Miles / Wirklich jeder einzelne Track, den ich in meinem gesamten Leben produziert habe, ist das Ergebnis einer ganz spezifischen Erfahrung. „Children“ habe ich beispielsweise geschrieben, nachdem mein Vater mir Bilder von Kindern gezeigt hatte, die dem Jugoslawienkrieg 1994 zum Opfer gefallen waren. Mein zweites Album „23am“ ist wiederum eine sehr direkte Reflexion dessen, was mich zu dem Zeitpunkt beschäftigt hat. Nämlich mich selbst ausdrücken zu wollen, mich aber gleichzeitig mit der Major-Label-Maschine auseinandersetzen zu müssen. Das Konzept zu „Organik“ wiederum ergab sich, während ich durch Indien reiste und versuchte, meine künstlerische Unabhängigkeit zu erlangen. „Thirteen“ schließlich ist das Ergebnis der Geschehnisse der letzten sechs Jahre. Eine Mischung aus sehr verschiedenen und starken Erlebnissen, die mein Leben und meine Musik so einschneidend verändert haben, wie ich es mir nie hätte vorstellen können.

Beat / Welche Konsequenzen hast du aus den unangenehmen Erlebnissen der „23am“-Zeit gezogen?

Robert Miles / Ich veröffentliche meine Musik jetzt auf meinem eigenen Label und behalte das gesamte Copyright. Nach dem Erfolg von „Children“ bin ich damals nach London gezogen, ohne die Sprache zu sprechen. Ich war naiv und habe den Leuten um mich herum vertraut – und auch ihren Empfehlungen. Ganz genau so, wie es wohl jeder andere, der aus einem kleinen Dorf stammt, auch getan hätte. Sobald ich einmal verstand, was um mich herum passierte und endlich fließend Englisch beherrschte, machte ich mich daran, meine künstlerische Freiheit zurückzuerobern, gründete meine eigene Plattenfirma und einen Verlag. Und ich machte die Musik, die ich selbst machen wollte, ohne Kompromisse einzugehen. Es war eine lange und schwierige Lektion. Aber heute bin ich froh darüber, dass ich über das notwendige Know-how für den juristischen und geschäftlichen Aspekt verfüge. Wenn jetzt etwas schief geht, bin ich wenigstens selbst dafür verantwortlich.

Beat / Woran hast du in den vergangen zehn Jahren gearbeitet?

Robert Miles / Nachdem ich „Organik“ veröffentlicht hatte, bin ich nach Los Angeles gezogen und habe mich dort darauf konzentriert, zunächst Musik für Werbung, später auch für Filme zu produzieren. Es war einer meiner größten Träume und Ziele, ein Standbein in der Soundtrack-Welt aufzubauen, weil meine Musik schon immer eine visuelle beziehungsweise cineastische Komponente hatte. Nachdem ich für Marken wie Gucci, Adidas, Nike, T-Mobile, Jaguar und Playstation geschrieben hatte, bekam ich mein erstes unabhängiges Filmprojekt und platzierte fünf Tracks von „Organik“ in einigen größeren Streifen wie „Die Bourne-Identität“ und „City of Ghosts“. Ich war bereits dabei, an noch größeren Projekten zu arbeiten, aber ich fühlte mich einfach in Los Angeles nicht zuhause. Ich vermisste zunehmend meine Familie und meine Freunde und entschloss mich, nach London zurückzukehren, wo sich auch mein Label S:alt und der Hardmonic-Music-Verlag befinden und begann, das Miles_Gurtu-Album mit dem indischen Perkussionisten Trilok Gurtu zu produzieren. Zwischen 2004 und 2008 habe ich mehrere Underground-Bands in England produziert und an verschiedenen Soundtracks in den USA gearbeitet. 2008 wurde ich dann auch noch Vater. Ich habe gerne viel zu tun und habe nichts dagegen, mit vielen Dingen gleichzeitig beschäftigt zu sein, solange sie kreativ sind. Trotzdem hoffe ich nicht, dass es nochmal ein Jahrzehnt dauern wird, ehe ich etwas Neues veröffentliche. Ich habe schon mit der Arbeit an dem nächsten Album begonnen.

Gesichter der Kunst

Beat / Wie funktioniert bei dir die Zusammenarbeit mit Gastmusikern?

Robert Miles / Ich habe meistens eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was ich erreichen möchte, bevor ich Musiker in das Studio einlade. Manche von ihnen haben auf allen meinen Alben gespielt oder zumindest, seitdem ich angefangen habe, Live-Elemente einzusetzen. Wir kennen einander gut, und wenn wir zusammen spielen, ist da eine gewisse Chemie. Manchmal arbeite ich sehr eng mit Gastmusikern zusammen, manchmal schicken sie mir auch einfach nur die Musik, die sie in ihrem eigenen Studio aufgenommen haben. Es hängt also vom Projekt ab. Bei Miles_Gurtu habe ich beispielsweise nur die Harmoniestrukturen programmiert und dann alle Musiker gebeten, darüber zu jammen und zu improvisieren. Darum klingt es wohl auch so frisch und Jazz-angehaucht. Im Gegensatz zu „Organik „oder „Thirteen“, für die wir wirklich mehrere Tage – oder, genauer gesagt, mehrere Nächte – zusammengesessen und für jeden Song verschiedene Sound-Alternativen und Recording-Möglichkeiten erörtert habe, bis wir mit dem Ergebnis zufrieden waren.

Beat / Du hast einmal in einem früheren Interview gesagt: Erfolgreiche Alben sind immer eine nette Sache, aber das ist nicht der Grund, weswegen ich arbeite. Was bedeutet dir Musik?

Robert Miles / Stell’ dir eine Welt ohne Klänge vor. Filme ohne Soundtracks. Keine Partys, keine Platten, keine Radiosender, keine Musicals und keine klangliche Tiefe um uns herum. Wir würden schon am ersten Tag durchdrehen. Musik und Klänge sind so selbstverständlich Teil unseres Lebens, dass wir uns gar nicht mehr der Tatsache bewusst sind, wie sehr wir uns auf sie verlassen und wie viele unserer Gefühle ihnen zugrunde liegen. Alles um uns herum ist Musik, von dem irritierendsten Industriegeräusch bis hin zu den delikatesten Naturklängen. Ich glaube man kann zurecht sagen, dass Musik so wichtig ist wie Sauerstoff, Salz oder Sonnenlicht. Es ist eine der Künste, ohne die die Menschheit nicht leben kann. Und auf einer persönlichen Ebene ist Musik das Medium, um mit dieser Welt zu kommunizieren und um mich auszudrücken. Ich verbringe viele wunderbare einsame Stunden mit ihr – und erforsche dabei die verschiedenen Gesichter der Kunst und ihrer Magie.

Diskographie:

Dreamland | 1995

23am | 1997

Organik | 2001

Thirteen | 2010

Das Video zum Track „Paths“, …

… den Robert Miles 2001 als erste Single aus seinem Album „Organik“ auskoppelte und der vor allem aufgrund der Zusammenarbeit mit der ehemaligen Smoke-City-Sängerin Nina Miranda im Vorfeld hoch gehandelt, wurde von MTV als „potenziell verstörend“ abgelehnt. Arran Bowyns assoziative Bilder von Miranda als tanzendem Skelett waren offensichtlich zu viel für einen Sender, der bemerkenswert wenig Probleme mit den Horrorfilmszenarien eines Marilyn Manson hatte – und damit von Anfang an das kommerzielle Aus eines Tracks besiegelte, der mit seiner Kombination aus schlurfenden Massive-Attack-Beats, indischen Sitar-Passagen und einem Drum-n-Bass-Breakdown der Trip-Hop-Szene einen neuen Weg hätte aufzeigen können. Miles zog sich daraufhin lange aus dem Album-Geschäft zurück und kehrte erst dieses Jahr mit dem Prog-Rock und Jazz-infizierten „Thirteen“ zurück.

von Tobias Fischer

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