Porträt: Norman Kolodziej

Geschrieben von Alexander Bota-Weber
25.03.2011
12:17 Uhr

Von der Kleinstadt nach Hamburg und vor dort auf die Bretter, die angeblich die Welt bedeuten: Der Rendsburger Norman Kolodziej tourt mit seinem Elektronikprojekt „Der Tante Renate“ sowie als Teil von „Bratze“ durch Europa und gilt als einer der talentiertesten Vertreter seines Genres.

(Bild: Tante Renate)

Beat / Es ist nun nicht gerade so, dass man Rendsburg eine große Szene für elektronische Musik zugestehen kann. Wie kam dein Interesse an Elektronik zustande?

Norman / Ich komme aus der Punk- beziehungsweise Hardcore-Richtung, habe aber mit ungefähr zwölf Jahren nahezu zeitgleich meine erste Gitarre und den ersten Computer bekommen und war schon immer von den Möglichkeiten der elektronischen Klangerzeugung begeistert. Als die ersten Tracker-Programme in Umlauf kamen, habe ich zusammen mit Freunden die ersten – sehr schlechten Songs – zusammengebaut. Zu diesem Zeitpunkt gab es verhältnismäßig viele Personen aus meinem Umfeld, die elektronische „Musik“ machten – und das schrägste Zeug wurde am meisten abgefeiert. Hinzu kam, dass wir versucht haben, uns die uncoolsten Namen zu geben, die überhaupt möglich sind, um einen Gegenpol zu den glatt geschliffenen Techno- und House-Affen zu bilden. So entstanden Bezeichnungen wie „DJ Brotzeit“, „Tipo van Scoop“ und eben „Der Tante Renate“.

Beat / Dann war dein erster Musikcomputer also ein Amiga?

Norman / Also musikalisch beeindruckt war ich schon von der Musik der C-64-Spiele. Was Chris Hülsbeck, Jeroen Tell oder auch Rob Hubbard da komponiert haben, hat mich damals einfach umgehauen. Gerade die stark limitierte Zahl an Spuren hat sie gezwungen, ganz andere Kompositionswege einzuschlagen: Dadurch, dass Bass, Hi-Hats und Snare nacheinander auf eine einzige Spur gekloppt werden mussten, hatten sie meiner Ansicht nach einen nicht zu überschätzenden Einfluss auf die Entwicklung der elektronischen Musik. Tatsächlich habe ich aber mit dem Amiga angefangen Musik zu machen. Mit vier Spuren konnte man damals schon ganz schön abgefahrene Sachen machen.

Eine Jugend in Rendsburg

/p>

Beat / Eine Jugend in der Kleinstadt: Inwieweit beeinflusst das hier er- und gelebte dein Songwriting noch heute? Das Freimachen von Enge und Provinzialität liegt als Thema für einen Künstler irgendwann nahe …

Norman / Was beim Erarbeiten meiner Musik wirklich vor sich geht, weiß ich nicht. Es kann gut sein, dass mein Hintergrund da mit rein spielt. Ich glaube aber nicht, dass dieser als solches noch erkennbar ist, er wird mittlerweile durch eine Vielzahl von Eindrücken und Erfahrungen überlagert und verwässert.

Lustig finde ich aber, dass du das Leben in der Kleinstadt als Enge empfindest, obwohl dort eigentlich sehr viel Raum zur Verfügung steht. Wahrscheinlich empfindest du eher den engen Kontakt zu den Nachbarn und das Kleinstadtgerede als bedrückend, und das ist tatsächlich etwas, dass mich früher auch genervt hat. Obwohl es in der Größenordnung von Rendsburg viele Städte gibt, die da viel schlimmer sind. Aber manchmal haben mich die fein säuberlich gemähten und akkurat bepflanzten Vorgärten der kleinkarierten Ordnungspsychopaten auch verrückt gemacht. Und machen es immer noch.

Beat / Irgendwann hast du Rendsburg verlassen, um in Hamburg zu leben. Ist die Großstadt für Musiker generell inspirierender, da die Szene einfach ungleich größer ist – oder besteht auch die Gefahr des fortwährenden Eklektizismus und Anpassens an einen bestimmten Sound? Da gibt es diesen ausgelutschten Begriff der „Hamburger Schule“ …

Norman / Beides trifft sicherlich zu, und es gibt auch genügend Beispiele dafür. Allerdings gibt es hier nicht nur eine Szene, die Stadt bietet allen möglichen, auch sehr kleinen Szenen ihre Räume, um sich zu formieren und zu positionieren. Das passiert wahrscheinlich ohne konkrete Absichten, sondern einfach aus der Tatsache heraus, dass manche Menschen eine ähnliche Vorstellung davon haben, wie sie ihre Zeit verbringen möchten, und dies gern zusammen tun. Wenn du dann einen Kneipenbesitzer findest, der das geil findet und den Raum dafür stellt, hast du deine Szene zusammen.

Beat / Was würdest du jungen Bands heute empfehlen? Ist das „raus in die Großstadt“ immer die beste Lösung?

Norman / Dies ist zumindest eine Möglichkeit Menschen zu treffen, die genauso bescheuert sind wie man selbst. Für eine Zeit lang würde ich das tatsächlich jedem empfehlen. Auch im Umgang mit Menschen, die einem selbst unähnlich sind, lernt man eine ganze Menge. Das sieht man nicht zuletzt an der relativ geringen Zahl rassistisch motivierter Gewalttaten in Großstädten.

Aber um gute Musik zu machen, muss man nicht in der Großstadt wohnen. Es reicht, wenn man ab und zu herkommt und sich unter die bunt zusammengewürfelten Leute mischt und ein bisschen abfeiert. Das öffnet doch ungemein. Wenn man jedoch als Band erfolgreich sein will, kann man mir aber auch ganz viel Geld schicken. Dann geht das fast von allein!

Renate & Bratze

/p>

Beat / Deine Projekte „Der Tante Renate“ und „Bratze“ haben zwar beide elektronische Wurzeln, unterscheiden sich aber merklich. Wo siehst du Schnittmengen, wo neue Herausforderungen?

Norman / Meine eigenen Sachen sind größtenteils ohne Gesang oder haben wirre Roboterstimmen, während bei Bratze Kevin Hamann singt. Vor allem der Produktionsprozess unterscheidet sich dadurch recht gravierend, weil wir darauf achten müssen, dass im Klangspektrum genug Platz für die Stimme bleibt. Manchmal ist das gar nicht so einfach, und wir müssen dann irgendwelche Spuren rausschmeißen.

Eine andere Sache ist, dass wir bei Bratze naturgemäß Kompromisse eingehen müssen, und da kommt es zwangsläufig zu Meinungsverschiedenheiten. Aber wir gehen damit eigentlich immer sehr gut um und wissen beide, dass es gar nicht anders geht. Jedenfalls kann ich mir keine Band vorstellen, in der allen alles gefällt, was alle mit einbringen.

Beat / Dein Live-Sound ist sehr voluminös. Was sind hier die wichtigsten Elemente, um den Klang so fett zu bekommen, ohne dass live der gefürchtete „Klangbrei“ entsteht?

Norman / Um den Klang so hinzukriegen braucht es eigentlich gar nicht viel. Wir versuchen immer gerade im Bass sowie in den unteren Mitten nicht zu viele Stimmen anzulegen und setzen live auch mal einen Lowcut bei 50 Hz oder so, wenn die Anlage das nicht schafft. Ansonsten kommt es immer auf die Situation an. Aber prinzipiell versuchen wir ein ausgewogenes Klangbild zu erzeugen. Das ist es dann schon.

Beat / Welche Musik inspiriert dich heute?

Norman / Hauptsächlich inspiriert mich gute Musik. Aber manchmal auch schlechte! Inspiration ist meiner Erfahrung nach auch überbewertet. Wichtiger ist mir, einen Arbeitsfluss zu generieren, in dem sich die einzelnen Teile eines Songs zwangsläufig aus den vorherigen ergeben. Deshalb entstehen meine Stücke auch meistens an einem Tag oder sogar in wenigen Stunden; alles weitere ist Kleinarbeit und Herumgefeile. Das hat auch nichts mit Kunst oder so zu tun, es ist eher reine Arbeit. Aber es ist die einzige Arbeit, die ich machen kann, ohne danach todmüde zu sein.

Beat / Was sind für dich die wichtigsten Werkzeuge, um diesen „Fluss“ zu gestalten?

Norman / Das wichtigste Werkzeug ist ein Rechner, der nicht abstürzt! Manchmal ist das echt die Hölle, wenn der wieder rumzickt, nichts funktioniert und man wieder einmal Stunde um Stunde verplempert, um das Ding wieder zum Laufen zu bekommen. Ansonsten brauche ich immer Klangerzeuger, die so flexibel wie möglich sind – und davon so viele wie möglich. Meistens habe ich beim Songbasteln dann eine Idee von einem Sound und überlege dabei schon, welcher Klangerzeuger den herstellen kann. Das reicht mir eigentlich schon aus, um gut zu arbeiten. 

Bratze ist ein 2007 gegründetes Indie-Elektronik-Projekt der Musiker „ClickClickDecker“ und „Der Tante Renate“. Bratze kombiniert den Gesang des Songwriters Kevin Hamann und den elektronischen Sound von Norman Kolodziej. Das Debütalbum Kraft pendelt zwischen Techno, Rave und Akustikstücken mit minimaler elektronischer Untermalung.

von Thomas L. Raukamp

Cookies helfen uns, bei der Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Verstanden