Porträt: Martin Eyerer

Geschrieben von Beat
24.02.2012
18:53 Uhr

Nur zwei Jahre nach seiner Debüt-LP legt Martin Eyerer nach: Auf „Tiny Little Widgets“ verschmelzen House, Techno und Dancehall, verbinden sich Melodie und Groove und erwächst eine Parallelwelt aus perfekt abgestimmten Remixen. Darauf darf Eyerer zurecht ein wenig stolz sein – schließlich hat er fast ein Jahrzehnt auf seinen großen Moment gewartet.

(Bild: www.myspace.com/blufinrec)

Soviel Geduld ist selten: Zwischen 1999 und 2008 veröffentlichte Martin Eyerer einundzwanzig Zwölf-Inches, die ihm den Ruf eines der führenden deutschen Techno- und House-Produzenten einbrachten. Doch erst zehn Jahre nach seinem Debüt trat der Stuttgarter mit seinem ersten Album „Word of Mouth“ auf den Plan. Nicht ein Mangel an Talent, Wissen oder Know-How waren für das lange Warten verantwortlich, sondern schlicht der Anspruch ans eigene Werk: Die Scheibe war ein Paradebeispiel für Eyerers Kunst, aus scheinbar schlichten Elementen und repetitiven Zyklen eine fließende und sich stetig verändernde Musik zu schaffen, der es weder an Tiefgang noch an Tanzpotenzial fehlt. Auf seinem aktuellen Longplayer „Tiny Little Widgets“ wird dieses Konzept nun in alle Richtungen erweitert: Gast-Vokalisten wie Kosheen-Frontfrau Sian Evans oder Phil Barnes bereichern die farbenfroh pulsierenden Tracks mit ihren prägnanten Stimmen, die musikalischen Stimmungen reichen von jazzig-entspannt bis ausgeflippt, und auf einer zweiten CD werden die Stücke von einigen respektierten Kollegen einer Neubearbeitung unterzogen – ein Hinweis darauf, wie wichtig ihm das Remix-Format über die Jahre geblieben ist. Eine Revolution ist das nicht, dafür aber eine gezielte und kaleidoskopische Neuauslotung der eigenen Grenzen. Und gelegentlich kann es dabei sogar politisch werden.

Beat / War „Word of Mouth“ für dich in gewisser Weise der Beginn eines neuen Kapitels?

Martin / Ein neues Kapitel vielleicht nicht, aber ganz sicher der nächste konsequente Schritt. Ein Album zu veröffentlichen muss Sinn ergeben. Denn wenn man sich vorher nicht schon einen gewissen Status und Bekanntheitsgrad erarbeitet hat, der die Aufmerksamkeit der Medien und der Käufer garantiert, braucht man sich diese Mühe gar nicht erst zu machen. Viele sagen einem immer: Erst wenn du ein Album herausbringst, wirst du als Produzent und Künstler richtig wahrgenommen. Und genau so ist es auch, wie ich mittlerweile aus eigener Erfahrung bestätigen kann.

Beat / Wie kam es zu dem verstärkten Einsatz von Vocals?

Martin / Bei meinem ersten Album wollte ich ganz gezielt ein Werk für DJs und Clubgänger machen, sozusagen meine „Stammfans“ zu hundert Prozent bedienen. Das war zu dem Zeitpunkt auch völlig okay. Bei „Tiny Little Widgets“ hatte ich zwar kein genaues Konzept, das ich verfolgen wollte. Aber ich wollte auf jeden Fall einige Stücke mit Gesang machen. Zum einen arbeite ich sehr gerne mit Sänger(innen), das ist ein ganz anderer Workflow. Und zum anderen wollte ich zeigen, dass ich mit meinem Studio und meinem Know-How mehr als nur zwölf Loop-Tracks produzieren kann. Ganz besonders polarisiert das Stück mit Reggae Don. Hier gibt es viele, die total ausflippen, weil die Verbindung aus Dancehall und elektronischen Beats so ungewöhnlich ist, andere aber können damit gar nichts anfangen. Obwohl man das ganze Album vielleicht nicht auf ein bestimmtes Genre festlegen kann, war es mir wichtig, dass die Stücke sich alle um eine bestimmte BPM-Zahl herum bewegen. Der Bereich liegt zwischen 116 bis 126 BPM, also eigentlich alles noch Clubgeschwindigkeit. So habe ich mich nicht allzu sehr von dem, wofür Martin Eyerer bisher stand, entfernt.

Einheit und Vielseitigkeit

Beat / Welches waren deine Beweggründe, das Album von Anfang an als ein Doppelwerk mit Originalen und Remixen anzulegen?

Martin / Ganz zu Beginn war das so eigentlich gar nicht vorgesehen. Mir wurde aber irgendwann bewusst, dass ich, wenn ich eben diese Vocal-Features integriere, einen Spagat schaffen muss, bei dem ich mich zum einen, wie eben beschrieben, nicht zu weit von Martin Eyerer entferne, aber andererseits ein Album schaffe, das man auch nur anhören kann und das hoffentlich auch eine längere Halbwertzeit als reine DJ-Scheiben hat. Dabei kam ich auf die Idee, die Remixe, die man dann später, wenn das Album bereits veröffentlicht ist, sowieso in Auftrag gibt, schon im Vorfeld anfertigen zu lassen. Dann habe ich noch mehr Einfluss auf das Gesamtpaket und kann beide Zielgruppen damit abdecken. Und am Ende ist auch das Gesamtpaket viel besser.

Beat / Das Ergebnis ist also für dich eine Einheit, bei der alles zusammengehört?

Martin / Ja, absolut. Man kann es so sehen: Die CD2 ist die Club-Seite des Albums, CD1 sozusagen die Wohnzimmer-Seite. Man muss die ja auch gar nicht beide immer hintereinander hören. Insgesamt bin ich jetzt nach dem ganzen Stress und der wirklich vielen Arbeit – CD2 hat fast ebenso viel Zeit und Mühe gekostet wie CD1, da ich mit den ganzen Leuten ja ständig kommuniziert habe und alles organisieren musste – sehr zufrieden und auch etwas stolz.

Beat / Die Remixe sind in der Tat besonders gelungen. Gibt dir das wieder frische Impulse für neue Kompositionen? Ich denke da beispielsweise an den Stephan-Hinz-Remix von „The Second Day“, in dem eine Opernstimme vorkommt …

Martin / Ja, das hat auch damit zu tun, dass ich diesmal nicht klassisch vorgegangen bin, wie man es leider oft tut, wenn es um das Thema Remixe geht: Man schaut doch hauptsächlich darauf, was gerade besonders angesagt ist und sich gut verkauft. Bei „Tiny Little Widgets“ habe ich von Anfang an Leute gefragt, die mit mir befreundet sind oder die ich als Produzenten sehr schätze. Denen habe ich dann das Album gegeben, und sie sollten sich jeder einen Favoriten aussuchen. Das Interessante dabei ist, dass sich fast alle für unterschiedliche Stücke entschieden haben, was mich übrigens auch darin bestätigt hat, dass die Mischung so falsch nicht sein kann. Der Umstand, dass ich die alle auch gut kenne, tat der Sache auch deswegen gut, weil man Entwürfe hin und her schicken und noch eine gemeinsame Richtung finden konnte. Ein gutes Beispiel dafür ist der angesprochene Remix von Stephan. Natürlich ist der Mix von ihm genial und die Idee mit dem Opernsänger auch. Nur das ist eben Stephan Hinz und nicht Martin Eyerer. Ich glaube, ich könnte so eine Opernstimme gar nicht cool in dem Kontext umsetzen wie Stephan, der sich in den letzten Jahren mehr auf Komposition und Filmmusik spezialisiert hat.

Beat / Remixe sind für dich auch eine Art direkte Kommunikation mit anderen Künstlern, oder?

Martin / Ja absolut. Ich brauche auch für jeden Remix relativ viel Zeit. Ich schraube eben nicht mal schnell in ein paar Stunden was zusammen, sondern das dauert fast immer vier bis fünf Tage. In den letzten Jahren habe ich auch ganz strikt die Strategie verfolgt, nichts rauszugeben, mit dem ich nicht selbst zu hundert Prozent zufrieden bin. Das habe ich leider in früheren Jahren nicht ganz so eng gesehen und auch mal etwas Mittelmäßiges abgegeben. Besonders schwer ist es, wenn man nicht so tolle Remix-Parts bekommt und eigentlich quasi einen neuen Track basteln muss. Trotzdem sollte vom Original aber noch etwas drin sein. Es kommt auch mal vor, dass ich einen angenommenen Remix-Auftrag wieder absage, weil ich merke, dass mir nichts gelingt, was ich so abgeben möchte.

Handwerk und Kreativität

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Beat / Welches sind für dich – ganz allgemein – Qualitätskriterien für eine gute Produktion?

Martin / Das ist immer eine Mischung aus gutem „Ingenieurshandwerk“ und Kreativität. Das eine funktioniert ohne das andere nicht. Es gibt klasse produzierte Stücke, denen das gewisse Etwas fehlt, und ebenso Songs mit guten Ideen, die einfach zu schlecht klingen, um erfolgreich zu sein – dafür ist der allgemeine Anspruch inzwischen einfach zu hoch. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel und es kommt auch auf das Genre an. Wenn wir beispielsweise über funktionale DJ-Tools sprechen, liegt der Hauptfokus ganz klar auf einer fetten Produktion. Ich werde oft von Nachwuchsproduzenten gefragt, welche Tipps ich ihnen für die Zukunft geben kann. Meine Antwort lautet immer: Lerne erstmal die Basics. Sprich: wie funktioniert ein Kompressor, was ist „Side Chaining“ und so weiter. Nur wer die grundlegenden Skills beherrscht, kann auch irgendwann ein Meister werden.

Beat / Das schon angesprochene „The Second Day“ ist ein gutes Beispiel für eine solche Meisterschaft: Eine wirklich organische Produktion, bei der Jazz nicht platt imitiert, sondern aus einer neuen Perspektive interpretiert wird …

Martin / Ich saß mit Phil Barnes im Studio, um Aufnahmen für unsere Band zu machen. Als wir damit fertig waren, hatten wir noch etwas Zeit und ich schlug vor, etwas für mein neues Album zu schreiben. Ich hatte nur eine Grundidee, nämlich einen Song über den „nächsten Tag“ zu machen. Ich gab Phil ein paar Schlagworte und er setzte sich hin, um einen Text zu schreiben, während ich mal ganz locker ein paar Harmonien und Beats schraubte. Das ging dann alles relativ schnell, und wir fingen an, ihn aufzunehmen. Phil ist übrigens ein exzellenter Sänger und daher brauchten wir auch nur ein paar Takes, an denen ich ganz wenig geschnitten habe. Den Song habe ich dann später ausproduziert, doch mir fehlte noch ein tragendes Element. Dabei kam ich auf die Idee mit dem Vibraphon. Mein alter Partner Oliver Laib ist ja Jazzpianist, und der hat mir dann diesen genialen Vibrapohon-Part eingespielt, den ich dann noch etwas bearbeitet habe.

Beat / „Jazzy Things“ beginnt mit einem Malcolm-X-Zitat und gibt dem Stück damit einen ganz neuen Bedeutungsrahmen. Wie wichtig ist es dir, auf subtile Art und Weise in einer oft als unpolitisch verschrieenen Musik Botschaften zu verstecken?

Martin / Generell muss ich sagen, dass ich politisch zwar sehr interessiert bin und auch viel lese und diskutiere, das andererseits aber aus der Musik heraus halte. Das liegt natürlich auch daran, dass es in dem Genre, in dem ich mich bewege, nicht so viel Text und Gesang gibt und sich diese Frage gar nicht oft stellt, was sich in Zukunft aber ändern kann. Bei „Jazzy Things“ war es aber schon so, dass ich dieses Zitat von Malcolm X, wenn man mal davon absieht, dass es sich eigentlich auf die Schwarzen bezieht, mehr als passend für unsere Zeit empfand und es daher auch benutzte.

Diskographie

2010 | Tiny Little Widgets

2008 | Word of Mouth

von Tobias Fischer

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