Quelle: https://www.beat.de/news/portraet-lunga-nombewu-10052781.html

Autor: Beat

Datum: 14.06.11 - 15:27 Uhr

Porträt: Lunga Nombewu

Südafrika gilt manchen Insidern bereits als das neue Zentrum der House-Kultur. Tatsächlich hat sich in der letzten Dekade eine dynamische Szene herausgebildet, die zwischen zwei Extremen pendelt: dem sanften Soul von Port Elizabeth und der urbanen Umtriebigkeit von Johannesburg. DJ Lunga von Baainar Records ist der richtige Ansprechpartner, um die Eigenheiten dieses Landes zu erklären – denn er ist in beiden Städten gleichermaßen zuhause.

Es sind fast exakt eintausend Kilometer zwischen Johannesburg, dem kulturellen Zentrum Südafrikas und dem am Nordkap des Landes gelegenen Port Elizabeth. Eintausendsiebenundsechzig, um genau zu sein. Lunga Nombewu kann sich die Zahl problemlos merken. Schließlich pendelt er ununterbrochen zwischen diesen beiden so verschiedenen Metropolen hin und her – mindestens zweimal im Monat, manchmal sogar öfter. Die Reise mit dem Bus führt entlang an dem Industriestandort Vanderbijlpark, dem idyllischen Seegebiet Allemanskraal Dam sowie an Orten mit wundersamen Namen wie „Welkom“, „Virginia“ und, etwas abseits der Route, „Frankfort“ vorbei. Doch Lunga hat weder Zeit noch Muße für die Reize der Landschaft. Schon unterwegs gilt seine ganze Aufmerksamkeit den praktischen Anforderungen seiner verschiedenen Tätigkeiten: Chef des Plattenlabels Baainar, DJ, gelegentlicher Produzent sowie Anlaufstelle für junge Musiker, die es im Dance-Bereich zu etwas bringen wollen. Das mag zwar bereits nach einer enormen Belastung klingen. Doch rechnet Nombewu schon bald mit noch weitaus größeren Entfernungen: „Es gibt für uns bei Baainar derzeit drei wichtige langfristige Ziele: Unsere Kontakte international zu intensivieren, während wir zuhause weiter wachsen. Sicher zu gehen, dass auch die Künstler aus Port Elizabeth gut auf dem Mark repräsentiert sind. Und hoffentlich schon bald um die Welt touren.“

Johannesburg. Nirgendwo auf der Welt wächst House so rasch und impulsiv wie hier. Nirgendwo ist die Begeisterung größer, die Liebe zum Soul des einundzwanzigsten Jahrhunderts leidenschaftlicher. In ganz Südafrika findet man an jeder Ecke vielversprechende DJs und in den Schlafzimmern der Nation basteln noch bis spät in die Nacht hinein aufstrebende Produzenten an ihren Beats. Doch bildet „Joburg“, wie die Einheimischen die Vier-Millionen-Metropole schlicht abkürzen, die Keimzelle der Bewegung. Es ist eine schnelle Stadt, deren umtriebige Geschäftstätigkeit sich in einer kommerziell ausgerichteten Szene sowie einem treibenden Stil ausdrückt, dessen 126 BPM sich klar von den eher gemächlichen 118 BPM in Port Elizabeth absetzen. Von hier aus breitete sich das House-Fieber allmählich auf den nahegelegenen Regierungssitz Pretoria sowie auf die Küstenstadt Durban aus, brachte Acts wie Vinny, Christos und Oskido hervor. Ihnen allen gemein ist die Liebe zum Perkussiven, zu groovigen Drumtracks mit einigen wenigen prägnanten Harmonien und Vocals. Doch den entscheidenden Schritt nimmt das Genre, als aus den reinen DJ-Tools Song-orientierte Stücke werden. Der aus Durban stammende Nkoshinathi Maphumulo beginnt 2005 abseits seiner erfolgreichen Band „Shana“, seine tiefen, zeitlupenhaft entrückten Tracks mit RnB-Stimmen, futuristischen Bläsern und Pop-Strukturen zu vermählen und daraus einen Stil zu entwickeln, der Vieles von dem vorwegnimmt, was später in England als „Funky“ gefeiert werden wird. Auf Titeln wie „Juju“ oder „Turn me On“ schlagen samtige, seidensanfte Oberflächen in dunkle Abgründe um, in Hymnen, die aus scheinbar banalen Themen Essenzielles destillieren.

Heute genießt diese Musik in den Medien breite Unterstützung. Das war Mitte der ersten Dekade des neuen Millenniums allerdings noch ganz anders. Von einer Szene konnte noch keine Rede sein und Lunga arbeitete noch Vollzeit als Flugzeugingenieur, der sich voller Träume zur ersten South African Music Conference begab. Das bahnbrechende Event wird seine Augen für Möglichkeiten öffnen, von deren Existenz er vorher nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Obwohl diese frühe Version der inzwischen zur festen Tradition gewordenen Veranstaltung eher bescheiden daherkommt, erlaubt sie es ihm, in direkten Kontakt mit wichtigen Vertretern der Industrie zu treten und von renommierten Kollegen zu lernen. Ein Workshop des französischen Deep-House-Produzenten Franck Roger erweist sich dabei als ausschlaggebender Moment: „Er hat uns alle verzaubert. Und zwar nicht dadurch, dass er einfach nur einen guten Beat gebastelt hat. Sondern vor allem, indem er seinem Grundgerüst eine Menge Musik hinzugefügt hat. Da wusste ich, was den meisten Jungs, die House produzierten, abging: Ihnen fehlte schlicht das Musikalische.“ Gerade aus dieser Desillusionierung erwächst der Wunsch, auf eigene Faust etwas aufzubauen: „Ich fand heraus, dass Francks Label Realtone eigentlich nur aus zwei Freunden bestand und nicht etwa eine riesige Firma war, wie ich mir das immer vorgestellt hatte. Also dachte ich mir, ich könnte das Gleiche auf die Beine stellen – und gründete Baainar.“

Port Elizabeth. Mit 200.000 Einwohnern zwar eine der größten in Südafrika, doch damit gerade mal vergleichbar mit der deutschen Hafenstadt Kiel. Die überschaubaren Dimensionen verleihen ihr ein einzigartig entspanntes Flair und machten aus Port Elizabeth eine Metropole der Musikkultur. Noch heute wird der Ort auch als „Manhatten Südafrikas“ bezeichnet und ist als die Landeshauptstadt von Soul und Jazz bekannt. Als kleiner Junge verbringt Lunga eine Menge Zeit drinnen – seine Eltern betreiben ein Spaza, eine Art Café mit angeschlossenem Gemüseladen – und anstelle von Freunden wird die Plattensammlung seiner Mutter zu seinem ständigen Begleiter. Hier entdeckt er die Musik der südafrikanischen Legenden Bra Hugh Masekela, Miriam „Mama“ Makeba sowie Dollar Brand und beginnt langsam aber sicher, seine eigene Kollektion aufzubauen. Noch heute, obwohl ihn die Chancen und der Puls von Johannesburg durchaus in ihren Bann gezogen haben, sind für ihn Qualitäten wie Ruhe und Gelassenheit maßgeblich.

Die Situation in Port Elizabeth erinnert stark an die Gründerjahre der Techno-Bewegung in Deutschland: Die Szene ist klein, Plattenläden dünn gesät und nur dürftig mit interessantem Vinyl ausgestattet. Doch Lunga bleibt beharrlich am Ball und von seinen nun an Häufigkeit zunehmenden Reisen nach Joburg kehrt er immer wieder mit den frischesten Scheiben nach Port Elizabeth zurück, wo die Freunde bereits auf ihn warten, um sich über die aktuellen Entwicklungen zu informieren. Während seiner DJ-Sets kaufen Kollegen teilweise direkt aus seinem Plattenkoffer. Also entscheidet Lunga sich, mehr LPs mitzunehmen, als er für den reinen Eigenbedarf benötigt. Bald entstehen daraus ein aktives Geschäftstreiben und ein enger Freundeskreis, der sich gegenseitig unterstützt und Tipps zusteckt. Auf der zweiten SAMC beeindruckt seine Zusammenarbeit mit dem Produzenten Rex Dasenar aus Zwaziland die Jury. Deren Mitglieder legen ihm nahe, die zahlreichen enthaltenen Samples zu klären und den Titel zu veröffentlichen. Aus Baainar wird damit praktisch über Nacht eine Plattenfirma.

Dabei kann man sich Lungas Aufgabe vor allem als die eines Mentors vorstellen, der dank seiner Tätigkeit als DJ genau weiß, was auf dem Tanzflur funktioniert und was nicht. So „quälte“ er die örtlichen Musiker Bluelle und Rokker Rogerz so lange mit „Hausaufgaben“, bis die Stücke schließlich gut genug für eine Veröffentlichung waren. Über das Internet tritt er in Kontakt mit nkokhi, der sein eigenes Label dojob als Sublabel positioniert und dafür einige seiner Künstler bei Baainar unterbringen kann. Schon bald wird Lunga selbst in die Jury der SAMC eingeladen, im Fernsehen interviewt, von Major-Labels zu Partnerschaften eingeladen und präsentieren sich die Baainar-Künstler auf der „Sounds of Baainar“-CD zum ersten Mal auf einem physischen und in ganz Südafrika vertriebenen Sampler, dessen Erfolg alle Erwartungen übertrifft. Vor allem aber spielen nun auch große Radiosender ihre Musik. Eine der Besonderheiten der südafrikanischen House-Landschaft besteht sicherlich darin, dass hier die Verhältnisse von Mainstream und Underground in den Medien geradezu vertauscht zu sein scheinen und die eher verspielten, ungewöhnlichen Baainar-Produktionen aus der freundlichen Stadt Port Elizabeth gelegentlich mit mehr Verständnis rechnen können als einige der stromlinienförmigen Tracks aus Johannesburg.

Und dann war da natürlich noch die WM im eigenen Land, die Lunga als „das Beste, was uns seit der Befreiung von Nelson Mandela passiert ist“, bezeichnet: „Die ganze Welt hat damals auf uns geblickt und alle haben etwas mit nach Hause genommen“, lacht er, „und wenn es nur eine Vuvuzela war.“ Auf seine eigenen Aktivitäten hat das Sportereignis des Jahres zwar keinen direkten Einfluss gehabt, weil er – König Fussball hin oder her – den größten Teil des Turniers aus dem Studio beobachteten musste. Doch bedeutete der Zustrom von Besuchern gleichzeitig, dass die Clubs noch voller als ohnehin bereits waren. Daraus ergab sich praktisch von selbst, dass auch internationale Musikmagazine ein gesteigertes Interesse an südafrikanischer Dance-Musik entwickelten, von dem auch Baainar bis heute profitiert. Und es gab noch ganz andere Vorteile: „Ich habe während des World Cups meine guten Freunde Nick Holder, Martin East und Lars Behrenroth endlich zum ersten Mal persönlich getroffen!“

Überhaupt verdichtet sich das Netz aus Anhängern und Sympathisanten des Labels zunehmend. Und so wie die Dinge stehen, wird Lunga die eintausendsiebenundsechzig Kilometer zwischen Johannesburg und Port Elizabeth noch einige Male mehr zurücklegen müssen.

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… die DJ Lunga als eine der interessantesten Projekte bezeichnet, sind Pioniere der südafrikanischen House-Szene. 1997 in Durban gegründet, zeichnet sich die Formation rasch durch einen einzigartigen Ansatz aus, in dem geradezu weggetretene Vocals weit hinter tiefe Instrumental-Tracks gemixt werden. Ihre Veröffentlichungen bleiben lange auf den heimischen Markt beschränkt, bis sie von dem Guenterslebener Label „Go Go Music“ entdeckt werden und ein internationales Podium für sich gewinnen. Zudem entwickelt sich Shana-Mitglied Nkosinathi Maphumulo unter dem Namen „Black Coffee“ zu einem erfolgreichen Solo-Produzenten. Als sich die einheimische Legende Christos Katsaitis schließlich dazu bereiterklärt, die Band zu produzieren, ist ihre Ausnahmestellung endgültig gefestigt.

von Tobias Fischer