Porträt: The Human League

Geschrieben von Beat
03.07.2011
23:47 Uhr

The Human League waren niemals wirklich weg. Doch nach der Enttäuschung über den kommerziellen Fehlschlag ihres vorigen Werks „Secrets“ schien sich das Trio vom Studio verabschiedet zu haben. Plötzlich jedoch ist da wieder ein neues Album, „Credo“, und es klingt kein bisschen nostalgisch. Das macht auch Sinn. Denn statt im Achtzigerjahre-Rummel mitzumischen, hatte die Formation niemals Angst vor der eigenen Vergänglichkeit – und wollte immer am liebsten genau auf der Höhe ihrer Zeit sein.

(Bild: beat.de)

Ein Zimmer im Hamburger Wyatt-Hotel. The Human League sitzen an einem kleinen Tisch, Songwriter Phil Oakey auf einem bequemen Sessel, die beiden Sängerinnen Susan Ann Sulley und Joanne Catherall direkt auf dem Sofa daneben. Catherall versucht gerade, mit ihrem iPad ins Hotel-Netzwerk zu kommen („Man muss doch die dreißig Freiminuten ausnutzen!“), während Oakey und Sulley ihre Späße treiben. Vor dreißig Jahren haben sie mit ihrem Album „Dare“ und dem Hit „Don’t you want me“ Millionen Platten verkauft, danach mit Produzenten-Legenden wie Martin Rushent, Chris Thomas, Jam & Lewis und Ian Stanley gearbeitet. Auch heute noch, anlässlich der Veröffentlichung von „Credo“, sind Medienvertreter aus ganz Deutschland angereist, um mit ihnen zu sprechen. Doch nichts deutet darauf hin, dass ihnen der Ruhm zu Kopf gestiegen ist: In einem Zeitungsartikel über die reiche Musikgeschichte ihrer Heimatstadt Scheffield vergaß man sie einmal zu erwähnen, weil man den Bandmitgliedern so oft im Supermarkt oder auf der Straße begegnete, dass man sie schlicht nicht mehr als Stars wahrnahm. So gesehen war die Gründung ihres eigenen Studios eine Art Wendepunkt in ihrer Karriere – und ein guter Einstieg in ein Gespräch über Einflüsse, Perspektiven, die Liebe zur Musik und die Bedeutung von Fortschritt.

Beat / Wie wichtig war die Gründung eures eigenen Studios 1989?

Paul Oakey / Es war eine wichtige Entscheidung. Ich weiß aber nicht, ob es auch eine gute war (lacht). Es hat uns auf einen einzigen Ort festgelegt. Vorher hatten wir in verschiedenen anderen Studios aufgenommen, was unsere Horizonte beträchtlich erweitert hat.

Beat / Es hatte also nichts damit zu tun, dass ihr eure eigene Stimme finden wolltet?

Paul Oakey / Nein, die Gründe waren rein finanzieller Natur. Meine eigene Stimme hatte ich bereits Weihnachten 1978 gefunden. Damals sind alle verreist und ich bin zuhause geblieben und habe mit Synthesizern gearbeitet. Ich hatte ein System 100 und einen Sequencer und war glücklich. Wenn ich hingegen ein richtiges Studio betrete, bin ich sofort irritiert. Ich mag keine Mischpulte. Was mir gefällt, ist an furchterregenden Sounds zu basteln und auch das Schreiben der Texte und Melodien macht mir nichts aus. Aber ich überlasse es lieber anderen zu entscheiden, ob die Hi-Hat in Takt neunzig laut genug ist.

Die wichtigen Stellen

Beat / Was macht für dich eine gute Produktion aus?

Paul Oakey / Mut. Der Mut, sich nicht in Details zu verzetteln. Gewinne Abstand und höre dir eine Produktion vom anderen Ende des Raums an. Es ist so einfach, alles zu perfektionieren, aber danach klingt es doch nur fad. Als wir mit Chris Thomas gearbeitet haben, habe ich ihn ehrfürchtig darauf angesprochen, dass es sehr schwer gewesen sein muss, Pink Floyds wunderschönes und furchtbar komplexes „Dark Side of the Moon“ zu mischen. Doch er entgegnete: „Ganz im Gegenteil. Ich wusste zu jeder Zeit ganz genau, was wichtig war. Und dann bin ich schlicht von einer Stelle zur nächsten gegangen und habe genau dieses Element herausgestellt.“

Beat / Das setzt ihr in gewisser Weise um, indem ihr euch auf die grundlegenden Elemente eines Songs konzentriert.

Paul Oakey / Ich glaube an Einfachheit, auf jeden Fall! Das Gleiche gilt aber auch für unsere Produzenten. Ich strukturiere meine Songs teilweise immer noch zu sehr. Als ich Dean Honer von dem Duo I, Monster, die mit uns an „Credo“ gearbeitet haben, durch Zufall im Park traf, gab ich ihm drei unserer Tracks. Das Erste was er mir sagte war: „Wir sollten sie etwas vereinfachen!“ Das hat mir sofort gefallen.

Beat / Arbeitet ihr deswegen immer noch mit Produzenten zusammen – damit diese den Kern eurer Ideen herausarbeiten?

Paul Oakey / Ja, wahrscheinlich schon. Es ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Als wir mit Martin Rushent an „Dare“ gearbeitet haben, hat er sich um jedes Detail gekümmert. Chris Thomas wiederum saß einfach nur herum, sah in etwa so aus [imitiert einen angestrengt denkenden Philosophen], hat etwas gequält geschaut und dem Engineer gesagt, was er tun soll. Er hat nicht viel gemacht, aber die Platten, an denen er mitwirkt, klingen toll.

Beat / Wer von ihnen hat eure Ideen am klarsten umgesetzt?

Phil Oakey / Ian Stanley gehört bestimmt dazu. Er hat uns wieder zu Synths zurückgeführt und weg von der Vorstellung, dass man heute nur noch mit Samplern arbeiten kann. Er hat seinen CS-80 und E-MU Modulator mitgebracht und uns gesagt: Ihr müsst diese Geräte benutzen! Das ist eure Stärke!

Susan Ann Sulley / Genau wie Martin Rushent haben auch Jam & Lewis etwas in die Band eingebracht, was uns gefehlt hat. „Dare“ war in gewisser Weise zwar ein Jam-&-Lewis-Album, aber sie haben uns trotzdem eine Menge beigebracht. Sie saßen beispielsweise im Studio und überall waren verschiedene Percussion-Elemente aufgestellt. Sobald wir einen Track fertiggestellt hatten, nahmen sie sich selbst in einem Take dabei auf, wie sie hier und dort wie zufällig eines berührten. Keiner dieser Takes durfte wiederholt werden. Es klang großartig – und nachher haben wir uns nur gefragt: Wie haben sie das bloß gemacht?

Beat / Was habt ihr konkret von Jam & Lewis gelernt?

Joanne Catherall / Wie man ein Studio aufbaut. Vorher hatten wir immer in diesen Mega-Studios gearbeitet, die von vorne bis hinten professionell aufgezogen waren. Und Jim & Terrys Studio war einfach nur ein Reihenhaus. Und sie haben ihre Lautsprecher an die Wand gehängt!

Phil Oakey / Genau gesagt, haben sie sie an Ketten aufgehängt. Wenn du dir ein Lehrbuch zur Hand nimmst, ist das Erste, was dort steht: Hänge die Lautsprecher nicht auf, schraube sie an den Boden fest. Und sie haben sie einfach aufgehängt – und dann Grammys gewonnen. Viele Instrumente hatten sie auch nicht. Jimmy spielt im Grunde genommen auf jedem Track einen OB-8 und kannte das Gerät in und auswendig.

Susan Ann Sulley / Auf ihre eigene Art und Weise waren sie fast schon Avantgarde. Nimm beispielsweise die erste Janet-Jackson-Single. Da gab es nur ein kleines Element, das funky war, das war meine Lieblingsstelle. Und jedesmal, wenn ich sagte: „Mir gefällt diese Stelle!“ (lacht), knurrte Jimmy: „Ich hasse sie!“

Beat / Trotzdem war es keine einfache Produktion.

Phil Oakey / Wir sind in eine andere Kultur eingedrungen. In Amerika ist der Produzent König. Jam & Lewis wollten mit uns arbeiten, nachdem sie „Fascination“ gehört hatten, aber sie konnten nicht verstehen, dass wir keine Musiker im traditionellen Sinn waren. Es gibt dort einfach so viele unglaublich gute Instrumentalisten. Die beiden wollten außerdem alles so kommerziell wie möglich machen. Während wir mit ihnen arbeiteten, stritten sie sich gerade mit der SOS Band, weil sie, ohne Absprache, Alexander O’Neill zum Singen auf ihrem Album eingeladen hatten.

Joanne Catherall / Und bei uns haben sie das auch ansatzweise getan. Sie haben uns eine Woche weggeschickt und als wir zurückkamen und es herausfanden, waren wir stinkwütend. Dass war einfach nicht unser Konzept. Wir sind eine Gruppe. Und auch wenn wir nicht unbedingt die besten Sänger und Musiker sind, ist es genau das, was die Leute an uns mögen.

Vorreiter und Vergänglichkeit

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Beat / Würdet ihr selbst gerne eine Avantgarde-Rolle einnehmen?

Phil Oakey / Liebend gerne! Aber wir wussten immer, dass man damit keine Platten verkaufen kann. Du kannst nicht [der amerikanische Minimal-Komponist, Red.] Steve Reich sein und trotzdem Platten verkaufen. Du musst immer größtenteils ein bereits bestehendes Vokabular verwenden.

Beat / So schlecht verkauft sich Steve Reich glaube ich gar nicht …

Phil Oakey / (lacht) Stimmt wahrscheinlich. Aber ich wollte eben lieber Marc Bolan sein. Und deswegen war für uns klar, dass der größte Teil des Materials auf Bekanntes zurückgreifen musste. Manche hielten uns für ungemein innovativ, als wir auf den Plan traten. In Wahrheit waren wir eher ein kleines bisschen innovativ. Und das hat es den Leuten erlaubt, unsere Musik in Bezug zu dem zu setzen, was sie bereits kannten.

Beat / Aber man kann schon sagen, dass der Übergang von experimenteller Elektronik zu dem Synthie-Pop auf „Dare“ damals ein sehr großer Schritt war.

Phil Oakey / Ja, aber wir waren nicht die Ersten, die ihn gegangen sind. Wir waren sehr genau darüber informiert, was um uns herum geschah. Wir haben zwar Kraftwerk gehört, aber waren uns gleichzeitig auch der Arbeit Giorgio Moroders bewusst. An dem Tag, an dem ich The Human League beigetreten bin, kam Martyn Ware in meine Wohnung und hatte ein Exemplar von Kraftwerks „Trans Europa Express“ und Donna Summers „I Feel Love“ bei sich. Moroder gab uns damals die Richtung vor.

Beat / Euer neues Album „Credo“ klingt erneut extrem frisch. Ist es euch wichtig, dass die Leute eure Musik in zwanzig Jahren noch immer für zeitgemäß halten?

Phil Oakey / Ich weiß nicht, ob das eine Rolle spielt. Mir gefällt der Gedanke, dass Pop-Musik etwas Vergängliches ist. Dass es ebenso ein Ablaufdatum hat wie eine Tageszeitung. Ich liebe Moroder und Boland zwar heute vielleicht mehr denn je. Aber wenn es nach mir ginge, würde ich alle alte Musik einfach auslöschen. Musik muss sich weiter entwickeln. In den Neunzigern gab es einen Bruch und man hat sich so sehr auf altes Material verlassen, dass es die aktuellen Sachen überflutet hat. Ich habe gerade große Angst, dass neue Musik derzeit nicht die Unterstützung erhält, die sie braucht. Die Produzenten werden in zehn Jahren nicht wissen, wen sie sampeln sollen.

Beat / Du fürchtest dich nicht davor, auf der Müllhalde der Geschichte zu landen?

Phil Oakey / Ein großer Teil von Musik muss schlicht weggeworfen werden. Mir gefällt die Vergänglichkeit von Dingen, die mir einst sehr wichtig waren und jetzt nur noch in meiner Erinnerung verweilen.

von Tobias Fischer

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