Personality: Hauschka

Geschrieben von Beat
24.10.2011
13:26 Uhr

In den Fußstapfen von Pionieren wie Charlemagne Palestine und John Cage bewegt sich Volker Bertelmann alias Hauschka an der Grenze zwischen fragiler Pianomusik und atmosphärischem Experiment. Seine Konzerte, bei denen er jeden Abend den Flügel mit neuen Objekten präpariert und hohen Wert auf Risiko legt, stellen einen Versuch dar, Techniken elektronischer Musik auf ein akustisches Instrument zu übertragen. Dabei nähert er sich unaufhaltsam einem seiner derzeit wichtigsten Ziele: der Konstruktion einer Echtzeit-Loopmaschine.

(Bild: Estelle Klawitter)

Kinder, wie die Zeit vergeht: Fünf Alben hat Volker Bertelmann schon veröffentlicht, doch das vergangene liegt tatsächlich bereits zwei Jahre zurück – auch wenn zwischendurch zwei eingeschobene EPs den Hunger auf die nächste Scheibe zumindest kurzfristig befriedigen konnten. Die ist inzwischen auch endlich fertig, und man merkt Bertelmann die Mischung aus Zufriedenheit und Erleichterung an, die einen Künstler beschleicht, wenn er einmal mehr die eigenen Grenzen verschoben hat: „Ich lasse mir noch etwas Zeit, um die Stücke zusammenzustellen“, verrät er, „es ist immer interessant und gleichzeitig aber auch eine Unsicherheit, wo der Weg hinführt.“ Eines ist indes sicher: Auf jeden Fall führt dieser Weg zu einem Ensembleklang, bei dem Hauschka in einen Dialog mit dem norwegischen Magic Orchestra tritt und sich somit zunehmend von den reinen Soloexkursionen des Frühwerks entfernt. 

Beat / Viele Menschen werden in ihrer Jugend zum Musizieren gezwungen. Wie freiwillig war deine ursprüngliche Entscheidung, das Klavierspiel zu erlernen?

Hauschka / Meine Entscheidung Klavier zu lernen kam wirklich aus dem tiefen Wunsch heraus, das Instrument so zu spielen, wie der Mann, der mich als Erster darauf beeindruckt hat. Bei ihm hatte ich dann auch Klavierunterricht. Er war der Lehrer der dörflichen Musikschule und ein leidenschaftlicher Musiker. Ich glaube, das hat mich mehr geprägt, als alles andere. Menschen, die Dinge mit Leidenschaft tun, sind wunderbar.

Auf dem Weg zum präparierten Klavier

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Beat / Du hast nebenbei immer auch andere Musik gehört und gemacht als Klassik. War dir von Anfang an klar, dass das „pure“ Klavier dir als Ausdrucksmittel nicht reichen wird?

Hauschka / Ich habe eigentlich eher umgekehrt, während meines klassischen Klavierunterrichts, schon mit zwölf Jahren meine erste Rockband gegründet und Stones-Coverversionen gespielt. Von da an gab es keine Zeit, in der ich keine Band hatte, bis ich vor sechs Jahren mit Hauschka anfing und eigentlich zum ersten Mal das Klavier in den Mittelpunkt stellte.

Beat / Das präparierte Klavier war dann für dich zunächst vor allem eine Art „billiger Synthesizer“. Heute könntest du dir spielend einen teuren Gerätepark anschaffen. Worin besteht für dich also der Unterschied, ein Klavier direkt zu präparieren, statt eine elektronische Nachbearbeitung zu nutzen?

Hauschka / Der teure Gerätepark ist eher eine Illusion, denn ich mache Musik, die vornehmlich Minderheiten anspricht – du kannst dir also vorstellen, was das in wirtschaftlicher Hinsicht bedeutet. Aber ich würde das präparierte Klavier als eine geniale Möglichkeit bezeichnen, alle Klangqualitäten ohne elektronische Hilfsmittel herzustellen. Das bedeutet, dass man „leicht“ reist, und somit in vielerlei Hinsicht immer am Basteln ist. Genau das macht mir enormen Spaß. Das Haptische ist also ein großer Unterschied. Hinzu kommt, dass die Klangqualität viel direkter und anders ist – sie atmet.

Beat / Gab es ein erstes Durchbrucherlebnis, das präparierte Piano zum Fokus deiner Musik zu machen?

Hauschka / Ja, ich war in Wales in den Breacon Beacons. Dort hat ein Freund von mir ein Studio und ich habe meine erste CD „Substantial“ aufgenommen. Die ganze Zeit habe ich darüber nachgedacht, wie ich das, was ich machen wollte, auch live umsetzen kann, ohne einen Laptop zu benutzen. Dann lagen dort einige Kekstüten von Weihnachten herum, und ich dachte mir: Vielleicht kann ich beim Spielen elektronische Klänge erzeugen, indem ich Material zwischen die Saiten und den Hammer klemme. Und es funktionierte!

Beat / Ist jede Präparation eine Art eigenes Instrument?

Hauschka / Ja, denn ich spiele oft auf unterschiedlichen Klavieren oder Flügeln, und manche davon sind eher schlechter, andere hingegen extrem voll im Klang. Außerdem unterscheidet sich die Mechanik, und die Präparationen beeinflussen diese und den Anschlag sehr stark – man muss viel kräftiger spielen. Außerdem hat jedes Klavier eine eigene Resonanz.

Praktische Risiken

Beat / Ist es schon einmal vorgekommen, dass sich eine bestimmte Präparation während des Auftritts als komplett unpassend erwiesen hat und der Musik sozusagen im Weg stand?

Hauschka / Das ist vorgekommen, und meistens habe ich dann angehalten und die Präparation geändert. Aber das entsteht fließend, und da meine Arbeit ohnehin ein Prozess ist, nehmen die Zuschauer dies eher als etwas Besonderes im positiven Sinne wahr. Und mir gefällt es, weil ich mir damit die Bedingungen so schaffen kann, wie ich möchte. Das Risiko ist ein ganz großer Faktor, der meiner Meinung nach Konzerte erst zu außergewöhnlichen Erlebnissen macht. Das Publikum reagiert sehr stark darauf und zeigt mir immer wieder, wie sehr es genau dies schätzt.

Beat / Fürchten manche Veranstalter bei so vielen Veränderungen um ihre teuren Pianos?

Hauschka / Ja, bei Konzerthäusern, die sehr klassisch ausgeprägt sind, kommt das häufig vor. Es gibt einige Menschen, die denken, dass ich mit Sägen und Schrauben anrücke!

Beat / Du hast aber tatsächlich erwähnt, dass du gern noch extremere Seiten der Präparation ausloten würdest …

Hauschka / Extrem heißt nicht schädlich fürs Instrument, sondern eher, Möglichkeiten zu schaffen, alle erdenklichen Sounds herzustellen und sie live abzurufen. Ich denke da auch an mechanische Motoren und Magnete. Ich möchte Flächen spielen können, die im Instrument von allein erzeugt werden und die es mir erlauben, dazu zu spielen. Also eine Echtzeit-Loopmaschine, die aber nichts aufnimmt.

Beat / Jemand wie Charlemagne Palestine nutzt für seine physischen Klavier-Drones auch keine zusätzlichen Materialien, sondern nur spezielle Spiel- und Anschlagtechniken. Wie siehst du diesen Ansatz?

Hauschka / Ich finde ihn äußerst reizvoll, denn die eigen inszenierten Grenzen zwingen dazu, eine Thematik tief zu durchdringen und sie vielleicht in andere Dimensionen zu überführen. Meine selbstgesteckte Grenze, weitestgehend ohne Elektronik zu arbeiten, ist eine gute Entscheidung gewesen, denn sie trieb mich in immer neue Gefilde und Erkenntnisse. So wird es auch mit den Methoden sein, auf dem Instrument zu spielen. Man muss vielleicht manchmal etwas vorgebildet sein, um diese Nuancen überhaupt wahrzunehmen. Aber Vor- oder Weiterbildung ist ja ein toller Nebeneffekt beim Musikhören.

Elektronik und Klassik

Beat / Welche Rolle spielt Elektronik heute noch in deiner Musik?

Hauschka / Elektronik ist für mich eine Möglichkeit von vielen, Klänge zu erzeugen, und ich schließe sie ganz und gar nicht aus. Sie ist wie eine Spielzeugbox, die anregt und viele unglaubliche Möglichkeiten bietet.

Beat / Wie sehr kannst du andersherum mit dem häufig verwendeten Begriff „Neoklassik“ leben?

Hauschka / Ich würde jedem, der mich unter diesem Begriff einordnet, sagen, dass meine Musik mit Klassik wirklich nichts zu tun hat. Insofern ist die Begrifflichkeit schon mal nicht richtig. Ich würde meine Werke als zeitgenössische Musik bezeichnen, die im Hier und Jetzt stehen und ein Dokument meiner momentanen Gedanken darstellen – so wie es die sogenannte klassische Musik übrigens auch einmal war. Insofern ist die Entwicklung eher altertümlich, Musik, die aus einem Verliebtheitsgefühl im Jahre 1780 geschrieben wurde, mit einem Verliebtheitsgefühl anno 2010 gleichzusetzen. Da ist einerseits einiges passiert, und doch kann man vielleicht feststellen, dass die Gefühle gar nicht so weit voneinander entfernt sind. Das bekommt man aber nur heraus, wenn es zeitgemäße Kompositionen gibt, die vielleicht tonal sind und sich dem Lebensgefühl einer Generation erschließen. Also ich bin ein großer Befürworter von zeitgenössischer Komposition und würde es gern sehen, dass fünfzig Prozent aller Gelder in die Förderung und Aufführung lebender Komponisten fließen.

Beat / Stört es dich da manchmal, dass Fragenden in Interviews, wie in diesem ja auch, sehr oft auf die Präparationen fokussieren, statt mehr auf die Kompositionen zu achten?

Hauschka / Nein, überhaupt nicht, denn wir würden ja das Interview nicht führen, wenn dir meine Musik nicht gefallen würde. Ich finde es andersherum auch eher langweilig, über technische Aspekte der Komposition zu sprechen und Fragen über diese Themen oder darüber, was für eine Bedeutung ein bestimmter Teil der Komposition hat, zu beantworten. Außerdem bewege ich mich im Moment kaum in einem formalen Raum. Das ist zwar ein großes Geschenk, aber ich möchte dennoch auch mit damit umgehen können. Deshalb sind auf der neuen CD Kompositionen für ein zwölfköpfiges Ensemble, bei dem ich manchmal dabei bin und manchmal nicht. Ich arbeite an meiner Auflösung.

Diskografie:

2004 | Substantial

2005 | The Prepared Piano

2006 | Room to Expand

2007 | Version of the Prepared Piano

2008 | Ferndorf

2009 | Snowflakes and Carwrecks

2009 | Small Pieces

von Tobias Fischer

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