Quelle: https://www.beat.de/news/netaudio-nils-quak-10054824.html

Autor: Beat

Datum: 09.02.12 - 11:33 Uhr

Netaudio: Nils Quak

Nils Quak ist nicht einer dieser Elektronik-Musiker, die jede Woche ein neues Album am Start haben. Seine Diskographie mag zwar vergleichsweise langsam an Umfang hinzugewinnen, doch kann man an ihr eben auch beobachten, wie der Künstler wächst: Von den zerbrechlichen und romantisch knisternden Stücken der gerade wiederveröffentlichten „Balconies & Backyards“ bis hin zu ambitioniert angelegten Projekten wie „Like Styrofoam, bleeding“ hat Quak einen langen Weg zurückgelegt. Auch auf seinen aktuellen Alben geht er der Forschung nicht aus dem Weg.

Nils Quak (NQ) produziert nicht nur einige der spannendsten elektronischen Klänge derzeit. Er ist immer auch Hörer und Fan. In seinem Werk reflektieren sich deswegen nicht nur seine Persönlichkeit, sondern zudem aktuelle Interessen und Leidenschaften. Eine Konversation mit Quak ist gerade auch dadurch so anregend, weil sich in ihr Brücken schlagen lassen – vom rein Persönlichen zu den großen Themen der Musik.

Beat / Wir leben in einer Zeit, in der manche Künstler-Diskographien ins Unermessliche wachsen. Wird deiner Ansicht nach heute zu oft Musik veröffentlicht, derer es nicht unbedingt bedurft hätte?

NQ / Ich möchte das nicht generalisieren, da es genug gute Gegenbeispiele gibt. Aber ich denke, dass die Möglichkeit, schnell, unkompliziert und vor allem kostengünstig Platten zu veröffentlichen, schon sehr verführerisch ist. Dazu kommen die mittlerweile doch oft recht prekären Bedingungen unter denen gerade auch experimentelle Musik veröffentlicht wird. Viele Labels sind nicht mehr in der Lage – wie vielleicht noch vor wenigen Jahren – ein gutes Mastering zu bezahlen und viele Künstler haben ebenso wenig das Geld dafür. Das führt häufig zu Ergebnissen, die in dieser Form besser noch einmal überarbeitet werden sollten, bevor sie veröffentlicht werden.

Zusätzlich resultiert aus dieser hohen Release-Menge ein vollkommen anderes Problem. Da so viele verschiedene Veröffentlichungen tagtäglich um Aufmerksamkeit ringen, fallen viele kompliziertere oder komplexere Alben sowie alles, was unter Umständen einer längeren Aufmerksamkeitsspanne oder einer tieferen Beschäftigung bedarf, schnell unter den Tisch.

Beat / Stellst du dir für jedes NQ-Werk den Anspruch, dich nicht zu wiederholen?

NQ / Ich denke nicht, dass da eine vollkommen bewusste Entscheidung vorliegt. Es verhält sich vielmehr so, dass es immer wieder Punkte gibt, an denen ich einer bestimmten Arbeitsweise oder einer Ästhetik überdrüssig werde und diese dann anderen Methoden Platz macht. Das ist aber meist ein eher fließender und subtiler, beinahe unbewusster Prozess, bei dem sich bestimmte Faktoren in eine andere Richtung entwickeln. Ich würde es jedoch auch schade finden, wenn dies nicht der Fall wäre und sich nicht alles stetig ändern würde – das wäre schrecklich und langweilig obendrein.

Die allgemeine Entwicklung elektronischer Musik habe ich den letzten Jahren nur nebenbei verfolgt. Bei mir verhält es sich so, dass mich phasenweise bestimmte Ideen besonders faszinieren und ich dann dieser Ästhetik folge, tiefer eintauche, neue Labels entdecke, neue und alte Spuren finden und diesen weiter nachgehe. Das können sowohl alte und neue Musikstile als auch Labels sein.

Beat / Ergibt sich aus dieser natürlichen Suche nach frischen Ansätzen dann auch beispielsweise der Kontakt zu Live-Instrumentalisten?

NQ / Für mich besteht der Reiz darin, dass ich einfach neue Sachen erleben möchte; dass ich mit Situationen konfrontiert werde, die ich so vorher nicht kannte und die mich zwingen, bestimmte Herangehensweisen fallen zu lassen und zu überwerfen. Darüber hinaus bedeutet die Arbeit mit anderen Künstlern – gerade wenn sie nicht genau die gleichen Ansätze wie ich verfolgen – immer neue Impulse, neue Ideen aufgezeigt zu bekommen. Das ist immer gut, alles andere wäre Stillstand. Und das wäre für mich der entscheidendste Grund aufzuhören, Musik zu machen.

Beat / Wie bist du an deine beiden aktuellen Alben auf Neo Ouija und Wolf Interval herangegangen?

NQ / Die Herangehensweise bei beiden Platten war sehr unterschiedlich. Bei der Veröffentlichung auf Wolf Interval wusste ich von vornherein, dass es sich um ein Tape-Release handeln wird. Daher waren mir Klänge und Klangfarben wichtig, die diesem Medium gerecht werden: Verzerrung und Rauschen haben hier eine große Rolle gespielt. Aber auch der technische Umstand, dass eine Kassette keine Track-Markierungen besitzt, war wichtig für mich. Es ging mir darum, den Stücken Zeit zu geben, sich langsam zu entwickeln, um letztendlich bei einem sich stetig und gemächlich verschiebenden Klangkörper anzukommen. Ich konnte quasi den Hörer zum ersten Mal dazu zwingen, die Stücke in der von mir vorgesehen Reihenfolge zu hören. Auch wenn es am Ende nur zwei Tracks geworden sind (lacht).

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Beat / Die Suche nach neuen Extremen läuft gelegentlich schon mal ins Leere. Wie stehst du zu einem Thema wie Komplexität in der Musik?

NQ / Komplexität bedeutet ja nicht unbedingt Tiefe. Zwar entstehen bei mir ab und an recht komplexe Stücke. Aber das ist nicht mein Ziel. Es ist in der Retrospektive unterhaltsam und spannend zu sehen, in welche Richtung sich ein Stück, nachdem es fertig ist, entwickelt hat. Das anvisierte Ziel ist für mich fast immer, dass ein Stück so minimalistisch wie eben möglich aufgebaut ist. Wenn ich zur Fertigstellung eines Tracks Umwege und Komplexität in Kauf nehmen muss, dann ist das wohl so notwendig.

Ich denke aber nicht, dass die Entwicklungen, die sich etwa bei den letzten Autechre- oder Mille-Plateaux-Veröffentlichungen zeigen, bedeuten, dass die Suche nach Extremen ins Leere läuft. Ich denke, diese Suche ist gerade heutzutage mehr als notwendig, ebenso wie das Scheitern an dieser Suche. Das gehört zum Erforschen von Grenzen und neuen Territorien dazu. Ohne Scheitern und ohne Fehler kann nichts Neues entstehen.

Beat / Die Frage ist natürlich, ob damit – oder auch mit besonders langen, experimentellen Stücken – die Grenzen der Aufnahmefähigkeit überschritten werden…

NQ / Ich denke, dass ein Großteil dessen, wie wir momentan Musik wahrnehmen, von den letzten siebzig bis achtzig Jahren geprägt ist. Radiosendungen, Schallplatten, CDs – alle diese Formate haben dazu beigetragen, dass wir annehmen, dass Musik eine ideale Länge besitze. Sicherlich sind Stücke, die sich über extreme Längen erstrecken, eher als Gesamtkonzept zu sehen. Meiner Meinung nach bieten sich hier aber auch spannende neue Optionen. Gerade Ideen wie etwa die Buddha Machine oder diverse iPhone- oder Android-Programme wie Bloom oder Thicket durchbrechen gerade diese Formatvorgaben. Alles, was sich an bestimmten Grenzen abarbeitet und versucht, neue Wege zu finden oder neue Brüche und Risse aufzuzeigen, ist erst einmal begrüßenswert und spannend.

Beat / Du hast deinen Prozess einmal als „Musik aus dem Nichts“ schaffen bezeichnet. Was genau verstehst du darunter?

NQ / Die Idee, „Musik aus dem Nichts“ zu schaffen, ist für mich einer der zentralen Punkte, warum mich Laptop-Musik so fasziniert. Jedes Mal, wenn ich den Sequencer öffne, habe ich eine leere Leinwand vor mir, die es mit Klängen zu füllen gilt. Das kann mit allen möglichen Texturen, Farben und Formen in unterschiedlicher Dichte und Intensität geschehen – ohne feste Regeln. In Kombination mit Werkzeugen, wie Max/MSP oder Reaktor kann so Musik entstehen, die sich sowohl klanglich als auch strukturell nicht an gängigen Formen orientieren muss. Es gibt einfach keine Grenze, die einen bestimmten Weg vorgibt. Die Arbeit mit anderen Mitteln – etwa einem Vierspurgerät – schränkt den Umgang hingegen eher ein, limitieren ihn. Diese Limitierung finde ich zwar auch sehr spannend. Sie hat aber nie eine solche Sogwirkung auf mich ausgeübt, wie der leere Bildschirm eines Musikprojekts. Das ist vielleicht ein wenig wie der Unterschied zwischen Kindern, die lieber mit Lego oder mit Playmobil spielen. Ich war immer der Lego-Typ.

Beat / Gehst du dabei eher von größeren Formen aus und arbeitest dich zu den Details vor oder entwickeln sich eher aus kleinen Motiven große Formen?

NQ / Das kommt immer auf den Einzelfall an. Mal steht eine bestimmte Idee im Vordergrund, aus der sich dann ganze Stücke entwickeln. Mal ist es eine Programmieridee in Reaktor oder Max/MSP. Manchmal ist es einfach eine Melodie, kleine Experimente oder irgendwelche Sound-Zufälle, über die ich stolpere und die sich dann zu neuen Ideen zusammensetzen. Eine generelle Programmatik gibt es da nicht.

Dennoch sind mir besonders Details sehr wichtig; kleine, eigentlich eher unbedeutende Elemente. Das heißt nicht, dass ich Projekte mit sechzig Spuren und wahnwitzigen Automationsfahrten brauche, aber oft gibt es in den Stücken kleine Sounds, Rhythmen oder Wendungen im Arrangement, die mich faszinieren, die für mich eine zentrale Rolle spielen, und um die sich vieles im weiteren Verlauf dreht.

Beat / Wie würdest du deine Produktions-Ästhetik beschreiben?

NQ / Attribute wie druckvoll, warm, analog oder was noch alles in die Waagschale einer guten Komposition geworfen werden könnte, interessiert mich nicht. Das heißt nicht, dass ich mich nicht über einen tiefen Schlag in den Magen bei einem guten Dubstep-Bass oder über eine gute Steve-Albini-Produktion freue. Solange der Sound aber zu den Stücken passt und mich überrascht und begeistert, ist die Produktion meiner Meinung nach richtig. Insofern finde ich verrauschte Vierspur-Home-Recordings ebenso spannend wie eine Brian-Wilson-Soundwand. Gleiches gilt auch für die Komposition. Ob es jetzt ein Joanna-Newsom-Stück mit knapp dreizehn verschiedenen Segmenten und Taktwechseln sowie irrsinnigen Modulationen durch eine gute Handvoll Tonarten oder ein gradliniges Detroit-Stück ist – für mich ist das beides gleich aufregend, komplex und gut.

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von Tobias Fischer