Netaudio: Fabrizio Paterlini

Geschrieben von Beat
23.12.2011
14:09 Uhr

Spätestens seitdem Brian Eno und Harold Budd mit „The Pearl“ einen ewigen Ambient-Klassiker vorgelegt haben, ist das Klavier aus der Elektronik nicht mehr wegzudenken. Auch der italienische Pianist Fabrizio Paterlini kann sich dem Charme progressiver Perspektiven nicht verschließen. Dank zweier Remix-EPs und einem engen Kontakt mit der Szene erstrahlt sein klassisch orientierter Stil plötzlich in einem neuen Licht.

(Bild: www.fabriziopaterlini.com)

Achtzehntes und neunzehntes Jahrhundert sind wieder in – unter dem Mantel der „Neo-Klassik“ feiern Komponisten wie Max Richter, Jóhann Jóhannsson und Ólafur Arnalds weltweite Erfolge. Paterlini bildet dabei sozusagen den Gegenpol: Während die zuerst genannten Künstler sich um einen Kompromiss zwischen klassischem Klang und elektronischem Fundament bemühen, geht es dem Italiener um eine zeitgemäße Bereicherung seiner romantischen Sprache. Schönheit ist ein in dem Zusammenhang mit seiner Arbeit häufig verwendeter Begriff – doch ist es auch der richtige?

Fabrizio Paterlini / Schönheit liegt in den einfachen Dingen. Ich versuche mich ständig zu entwickeln und dabei wird mir immer klarer, dass das bedeutet, das Unbrauchbare zurückzulassen und sich auf die unkomplizierten, echten Dinge zu konzentrieren. Wenn man sich diesem Ziel nähert, entdeckt man Schönheit in allem, was man tut. Mein Kompositionsansatz besteht darin, die richtigen Noten zum richtigen Zeitpunkt zu spielen und dem Hörer so viel als möglich auch die Botschaft zu vermitteln, die er hören möchte.

Beat / Minimalismus ist dir also eine Herzensangelegenheit?

Fabrizio Paterlini / Die Noten, die mir am besten gefallen, sind die, die ich nicht spiele! Das Klavier hat diese magische Eigenschaft der Resonanz. Für mich wird Resonanz nicht so sehr von einer Taste stimuliert, sondern bildet eine Art Wolke, die meine Kompositionen umgibt. Und ich liebe es wirklich sehr, die Musik atmen und zwischen den Sounds und Noten Platz zu lassen. Die Kunst, etwas wegzunehmen und überflüssige Noten so sehr wie möglich zu reduzieren ist ebenso schwierig wie das Schreiben der Melodien selbst.

Beat / Ist unser Bild von Schönheit in gewisser Weise von der „harten Realität“ zerstört worden?

Fabrizio Paterlini / Ich würde eher sagen, es ist von einer Menge von außen auferlegter Schönheitskonzepte überfrachtet worden. Wir leben in einer Gesellschaft der tausend Triebe, in der angeblich alles schön und unersetzlich ist. Manchmal ist es das Beste, sich dem zu widersetzen und sich zu fragen, wonach wir wirklich suchen.

Für mich ist die Kunst ein pures und reines Feld, in dem die Kraft der Ideale noch immer lebt. Ich teile meine Musik mit anderen auf der Basis von digitalen Formaten und einer freien Preispolitik und stelle meine Arbeit immer gerne in den Dienst von Projekten, die den hohen Stellenwert, den ich Musik und Kunst im Allgemeinen beimesse, teilen. Damit meine ich nicht, dass alles Kommerzielle schlecht ist. Aber wenn wir über Kunst sprechen, sollten wir sie immer mit Respekt behandeln.

Klavier und Keyboards

Beat / In wieweit kommen Keyboards oder Sampler in dieser Hinsicht an das Klavier heran?

Fabrizio Paterlini / Das Klavier steht für meine Stimme. Oder, um es noch deutlicher auf den Punkt zu bringen: Das Klavier spricht für mich. Jedes noch so kleine Teilchen des Instruments nimmt beim Komponieren eminente Bedeutung an. Es ist wie ein Spiegel, der mir unmittelbares Feedback auf meine Ideen liefert. Den meisten digitalen oder elektronischen Instrumenten fehlt es im Vergleich an Persönlichkeit.

Beat / Welches Keyboard oder Digitalpiano kommt deinen Vorstellungen noch am nächsten?

Fabrizio Paterlini / Nachdem ich verschiedene Modelle ausprobiert habe, habe ich mich für ein Kawai MP8ii entschieden. Mir war ganz besonders die Mechanik wichtig, und mit seinen Holztasten ist dieses Keyboard so nahe an einem echten Klavier wie möglich. Weil der Klang ohnehin nicht an den eines Originals heranreicht, habe ich mich also auf eher technische Aspekte beschränkt. Zuhause verwende ich es mit verschiedenen Piano-Plug-ins, und in einigen Fällen ist das Ergebnis mehr als akzeptabel!

Beat / Inwiefern ist klassische Musik für deine eigenen Stücke von Bedeutung?

Fabrizio Paterlini / Es fällt mir stets schwer, eine Definition des Stils zu geben, in dem ich komponiere. Er ist nicht klassisch, er ist nicht zeitgenössische Komposition, aber irgendwie ist er streng mit der Schönheit der perfekten harmonischen Lösungen einer bestimmten Periode klassischer Musik, zumeist Ende des neunzehnten Jahrhunderts und zu Beginn des zwanzigsten, verbunden. Das ist gar nicht so offensichtlich, denn obwohl ich als Junge klassische Musik studiert habe, verfüge ich über keine anderen direkten Referenzen in diese Richtung. Ich denke schon, dass man eine Art allgemeinen Fingerabdruck meiner Studien in meinen Stücken entdecken kann. Aber immer mal wieder verlasse ich auch gerne die eingetretenen Pfade, um Neues zu entdecken.

Elektronische Perspektiven

Beat / Wie zum Beispiel bei deinen Remix-Projekten …

Fabrizio Paterlini / Die Remixe meiner Solo-Tracks waren eine Idee von Thom Carter, als ich ihn um eine Neubearbeitung der Klavierstücke meines Albums „Viandanze“ bat. Mir gefielen alle seine Veröffentlichungen und ich war sehr gespannt auf seine Perspektive auf meine Musik. Ich glaube, dass das Teilen von Musik und Ideen und eine generelle Offenheit gegenüber allen Stilrichtungen uns eine großartige Gelegenheit bietet, zu lernen und uns zu verbessern.

Es hat mir ungemein gefallen zu hören, wie andere Künstler meine Musik empfanden und wie viel Spaß es ihnen gemacht hat, sie zu remixen – unabhängig davon, ob nur ein wenig Elektronik hinzugefügt wurde oder ganze Orchesterarrangements.

Beat / Das Klavier wird ja gerade im Ambient-Bereich immer wichtiger. Wie stehst du dieser Entwicklung gegenüber?

Fabrizio Paterlini / Ich sehe es grundsätzlich als eine positive Tendenz, wenn Instrumentalmusik mehr Platz eingeräumt wird. Dass gerade das Klavier derzeit immer mehr Aufmerksamkeit findet und an Beliebtheit gewinnt, ist für mich ein Zeichen der Hoffnung und motiviert mich dazu, so gut wie möglich zu komponieren. Ich liebe den Zusammenklang von Klavier und Elektronik und möchte mich auf jeden Fall in einer meiner zukünftigen Veröffentlichungen in diese Richtung bewegen.

Beat / Dein Landsmann Ludovico Einaudi ist mit einer Musik, die deiner sehr ähnelt, zu großer Beliebtheit gelangt. Ist er für dich Inspiration oder ein lästiger Vergleich?

Fabrizio Paterlini / Einaudi ist zweifelsohne einer meiner Lieblingsmusiker. Ich liebe die Balance und die weichen Details, die er seinen harmonischen Texturen mitgibt. Vor einigen Jahren habe ich eine Menge Zeit damit verbracht, seine Musik zu studieren und zu spielen. Meine Musik wird manchmal mit seiner verglichen, vor allem mein erstes Album „Viaggi in aeromobile“. Aber das ist alles andere als störend, sondern für mich eher ein Zeichen von Anerkennung.

Diskografie

Viaggi in aeromobile 2007

Remixed 2009

Viandanze 2009

Viandanze Re-imagined 2009

von Tobias Fischer

Cookies helfen uns, bei der Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Verstanden