Quelle: https://www.beat.de/news/netaudio-daniel-davis-10054950.html

Autor: Beat

Datum: 11.03.12 - 08:29 Uhr

Netaudio: Daniel Davis

Das All ist eiskalt, strahlenverseucht und unfreundlich. Die Musik von Daniel Davis warm, wohlig und einladend. Warum also hat der in Seattle lebende Produzent sein Ambient-Projekt „Carl Sagan’s Ghost“ nach einem Astronomen benannt? Wie David erklärt, geht es ihm nicht um die Entdeckung entfernter Galaxien, sondern einen viel näheren und dabei dennoch ebenso unergründlichen Kosmos: die mysteriöse innere Welt menschlicher Befindlichkeiten.

Daniel kann es noch immer nicht fassen: Auf MTV haben die notorischen Spaß-Rocker der Bloodhound Gang von Carl Sagan’s Ghost geschwärmt. Dabei sah es noch vor knapp zwei Jahren so aus, als sei Davis musikalisch komplett von der Bildfläche verschwunden. Erst das das Album „Distance“ des Projekts „Marconi Union“ brachte die Wende, inspirierte ihn dazu, wieder als Produzent auf den Plan zu treten. Seine Musik bewegt sich danach konsequent in Richtung der sanften Töne von Harold Budd und Brian Eno. Wie lange diese kreative Phase anhalten wird, ist ungewiss – schon jetzt hat Daniel angekündigt, Carl Sagan’s Ghost etwas zurückzufahren: „Die Dinge kommen und gehen in meinem Leben. Manchmal mache ich Musik und manchmal nicht. Ich versuche gar nicht erst, mich dagegen zu wehren.“

Beat / Was macht aus deiner Sicht die Faszination für Carl Sagan aus?

Daniel / Ich habe Sagans Arbeit vor einigen Jahrzehnten über seine unglaubliche Fernsehserie „Cosmos“ entdeckt. Sie ist trippig und hat einen coolen Synthie-Soundtrack. Sagan fliegt in einem Raumschiff durchs All, es ist unterhaltsam und informativ. Ich habe Sagans Durst nach Wissen sowie seinen Wunsch, das Weltall zu verstehen, schon immer bewundert. Und obwohl wir die Dinge unterschiedlich angehen – schließlich bin ich gläubig und er ein Atheist – hat mich seine Leidenschaft ungemein inspiriert. Mir gefallen die gnostischen Traditionen und die Vorstellung, durch Wissen und Erfahrung etwas über das Göttliche zu erfahren. Für mich gibt es keine Trennung zwischen dem Göttlichen und der Wissenschaft, dem Physischen und der Metaphysik. Alle bestätigen sich gegenseitig.

Beat / Den Zusammenhang zwischen Ambient-Musik und dem Weltall habe ich dennoch nie so ganz verstanden …

Daniel / Ich bin auch nicht wirklich an diesem kosmischen Seitenzweig von Ambient interessiert. Ich versuche, meine Musik auf organische Qualitäten und Erdklänge aufzubauen. Es geht mir um Sounds und Stimmungen, die Hörer tiefer in die Orte hineinziehen, an denen sie sich befinden, statt sie in entfernte Sphären zu entrücken. Man könnte sagen, dass mich innere Räume mehr interessieren als das All. Denn ebenso wie der Kosmos unendlich groß ist, so sind auch die inneren Welten der Menschheit unergründlich. Der Kosmos ist interessant, weil er so gigantisch, mysteriös und voll Unbekanntem ist. Es gibt so viele Fragen, die man über ihn stellen kann und wir kennen noch nicht einmal die meisten von ihnen. In gewisser Weise wissen wir nicht einmal, was wir überhaupt fragen sollen, weil es so viele Möglichkeiten gibt.

Beat / Deine persönliche Definition von Ambient ist sehr flexibel …

Daniel / Frage zehn verschiedene Leute, wofür ihrer Meinung nach der Begriff „Ambient“ steht und du wirst zehn verschiedene Antworten bekommen. Manche werden auf das leise, friedvolle New-Age-Gedudel von Patrick O’Hearn verweisen, andere auf die aggressiven, dichten Klangwellen des englischen Projekts Lustmord. Persönlich zieht es mich eher in Richtung von Enos Definition, nach der sich Ambient ebenso zum aktiven Hören als auch zum Ausblenden eignen sollte. Aber ich bin da nicht dogmatisch.

Beat/ Worauf konzentrierst du dich musikalisch?

Daniel / Mich interessieren vor allem klanglich interessante Dinge. Ich mag Musik mit Freiraum, Texturen, Nuancen und Stimmung. Das Ambient-Genre gibt Künstlern eine Menge Möglichkeiten an die Hand, mit diesen Qualitäten zu experimentieren. Ich finde es beispielsweise spannender, in langen, bedächtigen Stücken mit Dynamikveränderungen und Atmosphäre zu spielen, als mit Harmonien und traditionellen Arrangements. Ich strebe nach einer Musik, die auf vielen verschiedenen Ebenen funktioniert. Ich finde es wichtig, dass man Ambient im Hintergrund laufenlassen kann, vielleicht um dabei zu lesen oder einzuschlafen. Andererseits mache ich auch gerne Musik, die den Hörer aktiv beteiligt und die sowohl auf technischer als auch künstlerischer Ebene spannend ist.

Du hast also schon recht: Für mich ist Ambient ungemein flexibel. Bands wie

cLOUDDEAD haben sogar Ambient-Elemente in ihren abstrakten Hip-Hop eingebaut, während Post-Rock-Bands wie Isis, Mogwai und Jacob Atmosphären verwenden, um ihren Kompositionen Dynamik und Feinheit zu verleihen. Für mich kann Ambient sowohl eine eigene Stilrichtung als auch Teil einer eigenen Technik sein.

Beat / Du scheinst dabei kein großer Fan der allgemeinen Tendenz zu sein, Tracks mit unzähligen Schichten vollzustopfen …

Daniel / Ganz persönlich ziehe ich es vor, mit so wenig wie möglich Bausteinen zu arbeiten. Gerade letzte Nacht habe ich mein Studio umgebaut und nur die wirklich essenziellen Geräte stehenlassen. Ich zwinge mich dazu, ausschließlich mit einem Laptop, einem Mixer, einem Alesis Micron, einem Roland Gaia und einer Gitarre zu arbeiten. Ich habe meinen Alesis QS6.2, Nord Lead, Waldorf Blofeld, und MIDI-Controller zur Seite gestellt – was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Zu viele Möglichkeiten führen nur zu Verwirrung und Unentschlossenheit. Das Gleiche gilt auch für die Zahl an Einzelspuren in einer Aufnahme. Obwohl ich potenziell Hunderte von Audiospuren und MIDI-Tracks verwenden könnte, arbeite ich meist nur mit einem guten Dutzend. Meistens weniger, manchmal mehr.

Beat / Während du früher Faktoren wie Rauschen und Tonhöhenschwankungen aus deiner Musik herausgerechnet hast, baust du sie heute nachträglich wieder ein. Warum?

Daniel / Ich glaube, Brian Eno hat einmal gesagt, dass Imperfektionen wünschenswert werden, wenn sie optional sind. Als ich noch mit analogen Vierspur-Geräten arbeitete, war es mein Bestreben, einen möglichst klaren Sound zu erzielen. Elemente wie Rauschen und Schwankungen haben mich schier verrückt gemacht. Wenn man aber mit digitalen Aufnahmeverfahren arbeitet, klingt alles derart superknackig und sauber, dass ich wieder das Bedürfnis verspüre, ein wenig Schmutz ins Getriebe zu streuen. Manchmal füge ich originales Tape-Rauschen hinzu und dann wiederum simuliere ich es mit einem Plug-in. Somit kann ich diese Elemente als Effekte verwenden und sie ganz nach Belieben einfügen oder herausnehmen. Ich kann somit mehr Kontrolle darüber ausüben, wie sie sich auf den Gesamtmix auswirken.

Beat / Du hast einmal erwähnt, dass du dich darüber wunderst, warum manche Bands so lange dafür brauchen, ein Album zu schreiben und aufzunehmen …

Daniel / Mitte der Neunziger habe ich damit angefangen, meine eigene Musik zu schreiben und aufzunehmen. Nebenbei habe ich immer Vollzeit gearbeitet, sogar als ich noch zur Uni gegangen bin. Ich habe diese große Zahl an Alben also in meiner Freizeit geschrieben, üblicherweise in ein paar Stunden pro Woche oder einigen Stunden pro Nacht. Warum also benötigen professionelle Bands, deren Mitglieder nicht einem geregelten Job nachgehen, Jahre um auch nur ein einziges aufzunehmen? Warum, zum Beispiel, gibt es von Radiohead nicht alle paar Monate eine EP oder ein paar Alben pro Jahr? Sie könnten unterwegs schreiben und aufnehmen, wenn sie auf Tour sind. Das sieht für mich nach einer Menge verschwendeter Zeit aus. Ohne meine anderen Verpflichtungen hätte ich bisher gut und gerne vierzig Alben aufgenommen. Ich glaube fest daran, konstant etwas zu veröffentlichen. Für mich ist Porcupine-Tree-Frontmann Steven Wilson, der unter verschiedenen Projektnamen veröffentlicht, jemand, der dieses Prinzip perfekt verinnerlicht hat.

Ich arbeite gerne schnell und bin auf keinen Fall ein Perfektionist. Man sagt ja, dass ein Kunstwerk niemals fertig ist, dass man es nur verlässt. Genau daran glaube ich. Vielleicht lasse ich meine Sachen einfach nur schneller zurück als andere. Wenn ich ein Perfektionist wäre, würde ich nie etwas veröffentlichen, weil nichts jemals fertig oder gut genug ist. Ich muss einfach an einem bestimmten Punkt die Dinge loslassen können.

Beat / Du lässt ja jetzt auch Carl Sagan’s Ghost los ...

Daniel / Ich verschiebe nur meinen Fokus. Ich werde wohl noch immer ein oder zwei Alben pro Jahr unter dem Namen veröffentlichen. Aber ich möchte auch mit etwas Neuem anfangen. Ich glaube, dass dieses neue Projekt so anders ist, dass es keinen Sinn macht, den gleichen Namen beizubehalten. Es ist eher Beat- und Song-orientiert, dabei aber noch immer hauptsächlich elektronisch und atmosphärisch.

Beat / Die Bloodhound Gang hat deine Musik einmal als „Die British Airways Lounge auf dem Jupiter“ bezeichnet. Ist das eine passende Beschreibung?

Daniel / Mann, das war unglaublich. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie die Band meine Musik entdeckt hat. Ja, mir hat die Beschreibung gefallen, auch wenn sie nicht ganz zutrifft. Aber egal – ich fand es toll, wie sie den Klang meiner Musik imitiert haben: „Owowowowowowowowoowowowowow.” Na, wenn das kein Ambient ist!

von Tobias Fischer