Kultur: Silent Disco

Geschrieben von Beat
04.04.2012
17:05 Uhr

Wenn hemmungslos getanzt wird, obwohl kein Ton zu hören ist, dann befindet man sich in einer sogenannten „Silent Disco“. Hier dienen Clublautsprecher nur noch dekorativen Zwecken, die Musik kommt einzig über Kopfhörer. Jeder Partygast kann dabei an seinem Funk-Kopfhörer zwischen zwei DJs wählen, die live aber lautlos auflegen. Doch getanzt wird gemeinsam. Kann das funktionieren? Beat stürzte sich ins Berliner Nachtleben und sprach mit den Verantwortlichen.

(Bild: www.beat.de)

Es ist Freitag Nacht im historischen Ballsaal des Heimathafen Neuköllns. Discolichter kreisen über die Tanzfläche. Die Menge wiegt sich wie kollektiv ferngesteuert zu einem imaginären Beat. Außer Trittgeräuschen ist nicht ein Ton zu hören. Wir raten, wer wohl zu welchem der beiden DJs tanzt. Den Tänzer scheint es ebenso zu ergehen, denn sie lächeln sich hin und wieder zu, wenn sie feststellen, dass ihr Gegenüber wohl demselben Song folgt. Zwischendrin steht ein Pärchen, die Kopfhörer um den Hals gehängt, und unterhält sich angeregt. Hier treffen wir Xyko Sa, mit bürgerlichem Namen Francisco Silva, der der Initiator dieses Treibens ist.

Beat / Wie bist du auf die Idee gekommen, eine Silent Disco zu veranstalten?

Xyko Sa / Ich lege schon seit über zwanzig Jahren auf und organisiere Partys. Um das Jahr 2000 herum hatte ich diese verrückte Idee, eine Kopfhörer-Discothek zu machen, weil ich sehr gerne Musik über Kopfhörer hörte. Du hast dabei diesen intensiven Stereo-Surround-Sound direkt in deinem Kopf. Da dachte ich, es wäre doch großartig, eine Party mit Kopfhörern zu machen. Ich lebte damals in Rotterdam und ging also los, um Investoren und Partner zu finden, die mich bei der Umsetzung unterstützen könnten. Ich war total enthusiastisch und habe überall davon erzählt. So passierte es, dass nach ungefähr sechs Monaten andere meine Idee – sagen wir – gestohlen haben und eine „Silent Disco“ veranstalteten. Das desillusionierte mich und ich verfolgte mein Vorhaben nicht weiter.

Beat / Wieso und wann hast du die Idee dann wieder aufgegriffen?

Xyko Sa / Letztes Jahr zog ich nach Berlin. Ich habe seit dem mit vielen Leuten gesprochen, eine Silent Disco zu veranstalten. Aber es ist nichts passiert. Da habe ich mir gesagt, ich mache es jetzt selbst. Ich habe mir Geld von Freunden geliehen und Kopfhörer gekauft. So habe ich vor acht Monaten angefangen. Das ist jetzt ein Revival meiner Idee von vor zehn Jahren.

Beat / Wie ging es weiter?

Xyko Sa / Die ersten drei Veranstaltungen war eine echte Katastrophe. Die Partys fanden draußen statt. Aber jedes Mal goss es in Strömen und keiner kam. Außerdem kannte ich ja auch kaum jemanden in Berlin und wusste nicht, über welche Kanäle ich die Partys promoten sollte. Meine Freunde hielten mich für verrückt. Man, dachte ich, das ist ja wie in Rotterdam.

Beat / Und wann stellte sich der Erfolg ein?

Xyko Sa / Seit letztem Oktober veranstalte ich regelmäßig Kopfhörer-Partys im Lido. Dort spürst du wirklich den Spirit des Ganzen. Der Raum ist total gefüllt mit Leuten und alle singen mit. Da ist dieses Gemeinschaftsgefühl ganz stark spürbar.

Beat / Wer sucht die DJs bei deinen Veranstaltungen aus?

Xyko Sa / Bis jetzt sind das die Clubbetreiber. Im Lido spielen beide DJs Rock, Grunge und Indie, während im Heimathafen Neukölln der eine DJ RnB und Hip-Hop-Classics auflegt und der andere DJ mehr Indie und Rock mixt. Ich würde DJs auswählen, die über eine ganz große Bandbreite an Musik verfügen. Die DJs in einer Silent Disco stehen ja in Konkurrenz zueinander. Sie legen nicht alleine auf und sind daher auch mehr unter Druck. Sie können vielleicht nicht allzu unbekannte Songs spielen, sondern versuchen mehr, dem Publikum zu gefallen.

Beat / Die DJs wissen ja nie so genau, wer zu ihnen tanzt, oder ob alle auf den anderen Kanal geschaltet haben …

Xyko Sa / Ja, insbesondere wenn die DJs das allererste Mal in einer Silent Disco auflegen. Andernfalls haben sie schon die Erfahrung gemacht, dass ab einem bestimmten Punkt die Leute anfangen zu tanzen und mitzusingen und ihre Zurückhaltung ablegen. Von allen DJs, die bis jetzt in einer Silent Disco aufgelegt haben, gibt es keinen, der nicht ein weiteres Mal wieder auflegen würde, weil diese Art von Party einen großen Spaßfaktor hat. Du kannst auch mal einen Fehler machen, schlimmstenfalls wechselt das Publikum den Kanal. Du hast also auf der anderen Seite auch weniger Druck als in einer herkömmlichen Disco.

Beat / Also ist eine Silent Disco letztendlich die Chance für einen DJ, sich musikalisch zu verbreitern und nicht nur auf ein Genre zu beschränken, wie es in den meisten Clubs üblich ist?

Xyko Sa / Ja, das war meine Intention. Wir leben nicht mehr in den Sechzigern und müssen nur Hippie-Musik hören. Es gibt mehr als Rock. Wir haben Zugriff auf Musik aus der ganzen Welt mit allen möglichen Einflüssen und unterschiedlichsten Fusionen. Ich empfinde es als sehr engstirnig, immer zur selben Musik tanzen zu müssen. Das langweilt mich. Mein Motto ist schlicht „Everything“.

Beat / Was planst du als Nächstes?

Xyko Sa / Ich werde mein Konzept erweitern und unter dem Namen „Pirate Disco“ organisiere ich gerade alles, um mobil in Parks und Beach-Clubs unterwegs sein zu können. Dafür brauche ich Papiere und Transportmittel für die Laptops, die Kopfhörer und den Transmitter und vieles mehr.

Beat / Was machst du, wenn du nicht gerade die nächste Party vorbereitest?

Xyko Sa / Im Moment habe ich kaum Zeit für andere Sache. Es gibt allerdings eine Sache, die mir sehr wichtig ist, für die ich mich sehr engagiere. Ich habe vor einigen Jahren die Organisation „Miracle Trees“ gegründet, um – kurz ausgedrückt – die Welt zu retten, die nicht mehr zu retten ist. Ich möchte zeigen, dass jeder etwas tun kann. Die Idee ist, andere zu unterstützen ihre Umweltprobleme zu lösen und Hunger zu bekämpfen, indem du die Ausbreitung des „Miracle Trees“ vorantreibst. Dieser Baum, der Moringabaum, stellt aufgrund seines hohen Vitamin-, Mineralstoff- und Proteingehalts eine unglaublich reiche Nährstoffquelle dar. Jeder kann ein Päckchen Samen verschicken. Man sucht sich beispielsweise über Google die Adresse einer Schule in Zimbawe aus, legt ein Schreiben dazu, wie die Samen gepflanzt werden, und schickt es los. Schon nach einem Jahr können die Leute den Ertrag nutzen. So einfach ist das. Mein größter Wunsch ist, dass sich die Miracle-Tree-Idee verbreitet und ganz viele Leute mitmachen.

Vor einer ungewohnten Herausforderung stehen auch die beiden DJs Dejoe und DJ Hifi Brown. Wie kann man ein spannungsvolles DJ-Set aufbauen, wenn man kein direktes Feedback von der Tanzfläche bekommt?

DJ Hifi Brown / Das ist komplett irritierend und verunsichernd. Vor allem habe ich Angst, dass die CD springt oder stoppt und ich das nicht mitbekomme. Die Stimmung ist völlig anders, als wenn man die Musik laut hört.

DJ Dejoe / In einer Silent Disco aufzulegen ist auf jeden Fall eine komische Sache. Es ist witzig, dass das Publikum immer mitsingt, wenn bekanntere Songs gespielt werden. So weiß ich dann auch, was Hifi Brown gerade spielt.

Für Christian Gierden, den Lichtmixer des Heimathafen Neuköllns, der sonst überwiegend Theaterproduktionen ausleuchtet, ist es ebenfalls eine neue Erfahrung.

Christian Gierden / Das Licht muss für beide DJs funktionieren – ob nun einer eine romantische Ballade spielt, während der andere gerade einen schnellen Song durch die Kopfhörer jagt. Ich muss permanent das Licht wechseln. Dabei ist mir aufgefallen, dass die musikalischen Höhepunkte bei beiden DJs ungefähr zur gleichen Zeit stattfinden, auch wenn sie ganz unterschiedliche Songs auflegen.

Interessant ist, wie sich die Soundkulisse im Saal ändert. Der Abend begann mit dem Klacken von einem paar tanzenden Stöckelschuhen, die dann bald vom Gesang weiterer Tänzerinnen begleitet wurden. Jetzt ist es richtig laut, auch wenn keine Musik zu hören ist. Man sieht, dass die Leute wirklich Spaß haben. Das kann auch der Veranstalter des Heimathafens Neukölln, Norbert Jackschenties, bestätigen. Was hat ihn überzeugt, die Silent Disco in den Ballsaal zu holen?

Norbert Jackschenties / Ich habe ja sehr viel Erfahrung als Veranstalter und denke zu wissen, wenn ein Partykonzept funktioniert. Also habe ich beschlossen, das Konzept in Verbindung mit meinen eigenen Ideen auszuprobieren. Ich mache das DJ-Booking. Wenn wir zwei Channels haben, will ich einen meiner Lieblings-Indie-DJs, DJ Hifi Brown, dabei haben, von dem ich weiß, dass seine Musik funktionieren wird und als zweiten dann DJ Dejoe, der im Soul-, Funk- und Disco-Bereich cool ist. Ich habe mir überlegt, dass das Retro-Publikum gut mit dem Indie-Publikum zusammenpasst. Es war mir wichtig, dass es kompatibel ist.

Beat / Und geht die Überlegung auf?

Norbert Jackschenties / Ich finde es kurios. Es ist eine andere Art zu feiern. Es ist wirklich sehr lustig, das alle in einem total stillen Raum tanzen und Spaß haben. Besonders lustig wird es, wenn sie alle mitsingen.

Das stimmt, der Lautstärkepegel steigt zunehmend. Je lebhafter getanzt wird, desto enthusiastischer wird auch mitgesungen. Die DJs ernten immer wieder Szenen-Applaus. Dass da hin und wieder musikalische Welten aufeinandertreffen, tut dem Spaß keinen Abbruch, wie man den sichtlich gutgelaunten Partygästen ansieht. Wie zur Bestätigung erschallt unvermittelt ein hundertfaches „Celebrate good times, come on!“ durch die Stille des Raums.

von Maya Consuelo Sternel

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