Quelle: https://www.beat.de/news/intim-portraet-star-dj-label-gruender-michael-mayer-kompakt-10066644.html

Autor: Tobias Fischer

Datum: 12.06.17 - 15:42 Uhr

Michael Mayer im Porträt: Star-DJ und Label-Gründer (Kompakt)

Michael Mayer gilt einigen als bester DJ der Welt. Doch auch als Produzent wächst sein Ansehen. Dabei basiert Mayer's Ruhm nicht auf einem Superstar-Ego, sondern auf kreativer Zusammenarbeit und gleichberechtigtem Austausch. Das gilt insbesondere für sein neues Album „&“, für das er einige illustre Gäste zu Jam-Sessions in sein tief unter der Erde gelegenes Studio einlud – mit teilweise ebenso eigensinnigen wie euphorisierenden Ergebnissen.

Manche Geschichten kann man gar nicht oft genug erzählen. So zum Beispiel die tolle Story dazu, wie Michael Mayer zu kompakt gekommen ist. Die ist sogar so gut, dass sie in nahezu jedem Interview wieder ausgepackt und aufgewärmt wird. Trotzdem gibt sie Mayer auf Nachfrage bereitwillig zum Besten, wohl auch deshalb, weil man aus ihr eine Menge über ihn als Person und Künstler erfahren kann. Denn was vor knapp einem Vierteljahrhundert in Köln begann, ist bis heute seine nahezu exklusive musikalische und berufliche Heimat geblieben. Die rheinische Dependence des einstmaligen deutschen Techno-Pioniers Delirium, ein kleiner Raum mit kaum mehr als drei spärlich gefüllten Plattenkisten, ist einem modernen, einladenden Shop gewichen, einer Art Pilgerstätte für Techno-Fans; aus dem an das Delirium angeschlossenen Label New Transatlantic wurde eine renommierte Plattenfirma mit einem der europaweit besten Vertriebe, aus Rave-Träumen ein internationales Business-Netzwerk, dessen Professionalität und Effizienz Maßstäbe setzen. „Ich liebe meine Firma“ sagt Mayer heute, schlicht, klar und ohne jeden Anflug von Ironie – wer kann das schon von sich und seiner Arbeit behaupten?

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Die tolle Geschichte dazu, wie Michael Mayer zu kompakt kam, ist auch deswegen so bedeutend, weil sie eine Menge darüber aussagt, was ihn von anderen Künstlern in einer ähnlichen Rolle unterscheidet. Das Universum nämlich, zu dem kompakt inzwischen herangewachsen ist – ein immer noch vergleichsweise kleines, aber weltumspannendes; ein verkaufstechnisch eher in der zweiten Liga spielendes, aber innerhalb seiner natürlichen Grenzen sehr erfolgreiches; und vor allem: ein stilbildendes – dieses Universum steht nicht nur für einen eigenen Ansatz, Geschäfte zu tätigen, sondern auch für eine ganz bestimmte Art, sein Leben zu führen: im engen Kontakt mit Gleichgesinnten, die trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten ähnlich denken und fühlen und fantastische Ideen in fassbare Produkte umsetzen. So steht der Team-Spirit – man könnte auch schlicht „der Spaß“ dazu sagen – stets im Vordergrund. Das gemeinsame, gesunde Mittagessen ist inzwischen zu einem viel zitierten Symbol für diesen inneren Zusammenhalt geworden. In einem Umfeld, in dem sich viele in der Rolle des Einzelkämpfers gefallen und die Unabhängigkeit als das Maß aller Dinge feiern, hat sich Mayer für die Gemeinschaft entschieden. Das mag keinen weltbewegenden revolutionären Akt darstellen. Bezeichnend aber ist es doch.

Kollaborationen also bilden in jeder Hinsicht das Herzstück von Mayers Schaffen. So kann es also kaum verwundern, dass er sich mit seinem neuen Album „&“ voll und ganz auf Duos und Trios als Produktions-Modell eingeschossen hat. Zwölf Kreativ-Partnerschaften mit einer kunterbunten Riege an Gästen bilden das Rückgrat der Scheibe, die vier Jahre nach ihrem Vorgänger, dem ambitionierten, streckenweise großartigen, dicht orchestrierten aber letztlich zumindest aus meiner Sicht gegenüber dem Debüt „Touch“ etwas abfallenden „Mantasy“ erscheint. Wenn überhaupt etwas an dem Projekt überrascht, dann, dass es nicht auf kompakt, sondern dem in vielerlei Hinsicht nicht ganz unähnlichen !k7 verlegt wird. All zu viel aber sollte man in diese Entscheidung nicht hineinlesen. Nach vielen Jahren mit absoluter Narrenfreiheit, in denen er nach eigener Aussage sogar „einen Pups“ zur Veröffentlichung hätte einreichen können, wollte Mayer wieder etwas Druck spüren; das Gefühl, dass man seine Musik ablehnen oder zumindest nicht sofort wohlwollend abnicken könnte. Auch wenn man rückblickend nun sehr leicht behaupten könnte, dass ein Album mit Größen wie Roman Flügel und Agoria sowie Hot-Chip-Sänger Joe Goddard und Friendly-Fires-Frontmann Ed MacFarlane kein großes Wagnis darstellt, so stellte sich die Situation in der Praxis weitaus gewagter dar. Es gab stets das Risiko, nicht nur mit einzelnen Kollaborationen, sondern sogar mit dem gesamten Konzept zu scheitern. Doch dazu später mehr.

Legendäre DJ-Sets

Denn zunächst einmal muss ein Blick auf Mayer's Tätigkeit als DJ gestattet sein, ohne die sein kompositorisches Schaffen niemals gänzlich verstanden werden kann. Das gilt auch deswegen, weil er gerade, nur kurz nach „&“ mit seinem DJ-Kicks-Beitrag eine neue, vorzügliche Mix-CD vorgelegt hat. Vor allem aber, weil damit für ihn alles anfing: Schon mit 15 betreibt er ein winziges „mobiles Disco-Unternehmen“ mit selbstgemachten Lichteffekten. 1987 kauft er sich einen gebrauchten SL 1210, den er bis heute benutzt, leiht sich von einem Freund einen zweiten und beginnt, mit einem Vivanco 4-Kanal-Mischpult und einem miserablen CD-Spieler ohne Pitch-Control aufzulegen. DIY ist alles, es gibt keinen Manager, es gibt kaum Strukturen und nur sehr eingeschränkte E-Mail-Kommunikation. Doch viel mehr als einen leeren Raum und ein paar Freunde braucht es auch nicht, um eine Party zu rocken. Diesen Spirit hat er sich bis heute beibehalten und das Element des Unerwarteten, das den Underground in diesen frühen Tagen auszeichnete, zum einzigen gemacht, auf das in seinen Sets stets Verlass ist. Auch mich verbindet mit seinen Fähigkeiten hinter den Decks eine wichtige persönliche Erinnerung. So stellt sein DJ-Set in der Panorama-Bar des Berghains einen dieser seltenen Höhepunkte dar, die man sogar nach vielen Jahren Club-Erfahrung nicht aus dem Kopf gehen. Schon das vorangegangene Set des von ihm hoch geschätzten kompakt-Kollegen Matias Aguayo, der seinen Auftritt mit einem 60er-Jahre-Pop-Song abschloss – ich habe leider längst vergessen, mit welchem – deutete bereits an, was in den nächsten Stunden möglich sein würde. Doch geht Mayer noch weiter. Die ersten, gefühlt 30 Minuten, bestreitet er ausschließlich mit einem lang angehaltenen Ambient-Feld, in dem es keinen Beat gibt, keine Percussions, nicht einmal die Andeutung von Bewegung. Dennoch wogt die Menge in stiller Vorfreude zu den zeitlupenhaft an- und abschwellenden Flächen, tanzt scheinbar jeder gemeinsam, doch in seinem eigenen Tempo auf einem Floor zu einer anderen Musik. In vielen meiner DJ-Interviews habe ich dieses Szenario erwähnt und jedes Mal eine ähnliche Antwort wie die des dänischen Culture-Box-Betreibers und DJ-Kollegen Kenneth Christiansen bekommen: „Sowas kann man eigentlich nicht machen. Das kannst du nur, wenn du Michael Mayer bist.“

Als DJ will Mayer sich vor allem nicht wiederholen. Sich selbst herausfordern. An die Grenzen gehen. Den Ansatz, dass er seine Sets nicht im Voraus minutiös durchplant („Das würde alles ruinieren“), teilt er freilich mit den meisten seiner Kollegen. Worin er sich jedoch von ihnen absetzt, ist die Motivation, warum ihm dies so wichtig ist. Mayer nämlich geht es nicht um ein Ideal von Perfektion. Vielmehr steht für ihn zentral, mit dem Raum, den Leuten, der Stimmung und vor allem auch seinem eigenen Befinden zu spielen. Ein leichter Schwips, der ihm dabei hilft, in den mentalen Tunnel tiefer Konzentration zu gelangen, gehört ebenso dazu wie eine Abneigung davor, seine Aufgabe in den Bereich der Kunst einzuordnen: „DJing ist doch so viel interaktiver, als Bilder zu malen. Eine glücksbringende Nacht im Club kann schon ein Kunstwerk sein, aber vielleicht eher im Sinne eines Fluxus-Events. Es wird nicht von einer einzigen Person erschaffen, sondern von allen Produzenten, die unbewusst ihre Musik beisteuern, von der Menge, der Crew des Clubs, den Licht-Technikern. Der DJ ist so etwas wie ein Regisseur oder Dirigent. Er verdient niemals alleine das gesamte Lob.“ Wenn sich auf „&“ eine Textzeile der DDR-Kult-Rockband Stein Meißen findet, in der von „Fremden Menschen“ die Rede ist, die einem „plötzlich so nah“ sind, dann ist das eine sehr greifbare Metapher für den Anspruch, als DJ jeden Abend aufs Neue wieder eine tiefe Verbindung mit dem Publikum aufzubauen – ein fragiles und aus Vertrauen gewobenes Band, das zwangsläufig am Ende der Nacht zum Reißen verurteilt ist, nur um beim nächsten Gig wieder elastisch zurückzufedern. So etwas ist nur möglich bei jemandem, der sich in stilistischer Hinsicht alle Türen offenhält. Und so haben sich in Mayers DJ-Auftritte die unterschiedlichsten Einflüsse eingeschlichen, darunter Soul, Funk, Pop, Jazz und die rohen, dokumentarischen Aufnahmen des Sublime-Frequencies-Labels, auf dem sich Folk-Musik aus Madagascar oder Burundi neben algerischem Rock aus den 70ern und Field Recordings aus entlegenen Ecken Indiens tummeln. In unserer eklektisch angelegten Zeit kann theoretisch jeder all diese Einflüsse mit wenigen Clicks nebeneinanderstellen. Doch nur wenige können ihnen dabei auch einen Sinn und inneren Zusammenhang verleihen.

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Kristallisierte Augenblicke dieser Philosophie lassen sich auch im heimischen Wohnzimmer auf Mayer's legendärer DJ-Mix Trilogie „Immer 1-3“ erleben, deren drei Teile feinsäuberlich in Vierjahresabständen zwischen 2002 und 2010 erschienen sind. Auch wenn hier keine vergleichbar radikalen Genre-Kollisionen stattfinden und die Extreme zeitlich gerafft daherkommen, so sind diese äußerlich unspektakulären Mixe doch von einer solch dringlichen Dichte, dass alle Grenzen zwischen den Tracks zerfließen und der dramatische Aufbau einer ewigen Wellenbewegung gleicht, bei der das Ende der CD nahezu nahtlos in ihren Anfang übergeht. Bemerkenswerterweise fällt die „DJ Kicks“ demgegenüber kaum ab. Nach einem wilden Anfang, auf dem der Posaunist Peter Zummo mit Electro und Electroclash, weichem House und dem industriell bratzenden „Gary“ von Alter Ego die Degen kreuzt, tauchte die Scheibe in einen mesmirisierenden Mittelteil ein, auf dem das achtminütige „The Drift“ (der Prins Thomas Remix eines Lionheart-Brothers-Titels) den Hörer mit himmlischen Vocals über einem Berliner-Schule-Krautrock-Beat in eine tiefe, entspannte Trance hineinführt. 


Auch wenn Mayer keine Mystifizierung betreiben möchte, so kann man doch aus diesen Veröffentlichungen, die für ihn genauso wichtig wie seine Studio-Alben sind, seine musikalische Sozialisation in den 80ern heraushören, einem Jahrzehnt, in dem nicht alles besser, aber doch durchlässiger war: „Ich halte die 80er für das maßgeblichste Jahrzehnt, zumindest was Dance und Pop anbelangt“, erklärt er seine andauernde Faszination für diese Zeit. „Da wurden die Blaupausen geschaffen für fast alles, was uns auch heute noch bewegt. Obwohl ich vieles damals schon „live“ mitgekriegt habe, entdecke ich bis heute noch mir Unbekanntes. Die Art und Weise, wie die Szenen von Post-Disco, Punk, New Wave, Pop, Prä-House und Techno damals ineinander verschachtelt waren, ist wirklich bis heute verblüffend. Larry Levan beispielsweise hat Samantha Fox’s „Touch Me“ in der Paradise Garage aufgelegt!“ Er schmunzelt: „Ein herrlicher Schlag ins Gesicht aller selbsternannten Gralshüter und Dogmatiker.“ Seine eigene Reise begann mit den Instrumentals, die im Radio seiner Mutter immer pünktlich zur vollen Stunde vor den Nachrichten eingespielt wurden: „Magic Fly“ von Space, Harry Thumann's „Underwater“, das legendäre „Popcorn“ oder „Voyager“ des Alan Parsons Projects. Man mag diese naiv anmutenden Stücke aus heutiger Sicht belächeln, doch kreuzen sich in ihnen auf immer noch faszinierende Weise die Pfade von Disco und Elektronik – eine Mischung, die sie bis heute bemerkenswert relevant erscheinen lässt. Wohl auch aus diesem Grund sagte Mayer nur zu gerne zu, als er das Angebot erhielt, in einem niederländischen Club die gesamte Inneneinrichtung im 80er-Jahre-Look zu planen, was dann in einer Welt aus Plastikpalmen und Vintage-Lichtern endete. Echos der 80er finden sich darüber hinaus, in den unterschiedlichsten Variationen, auf irgendwie allen kompakt-Veröffentlichungen, sowohl seinen eigenen als auch denen der von ihm unter Vertrag genommenen Label-Künstler. Doch waren sie vielleicht niemals so deutlich und eindeutig wie auf seinem aktuellen Album.

Zusammenhalt trotz Spannungen

Das wird am augenscheinlichsten daran, wie die Scheibe als Ganzes funktioniert, trotz ihrer inneren Spannungen. Die Zusammenarbeit mit den beiden kompakt-Blutsbrüdern Reinhard und Wolfgang Voigt führte zu einem aberwitzig groovenden Disco-Track mit himmlischen Streichern. Das Duo mit Ed MacFarlane, der mit seinem Nebenprojekt The Pattern Forms selbst ein 80er-seliges Synthie-Pop-Projekt an den Start gebracht hat, lieferte das federnde, von bleepigen Synths geschmückte „Mind Games“. Und dann sind da noch die Club-orientierten Stücke mit Gui Boratto (das famose „State of the Nation“) Kölsch (ein düsteres, von absteigenden Tonfolgen dominiertes Stück hymnischen Technos) und Barnt (in dem sich das besagte Fremde-Menschen-Textfragment wiederfindet). Alleine aufgrund der schieren Vielfalt an Ansätzen, Ideen und Stilen drängen sich Vergleiche mit Jean-Michel Jarre's epischem Electronica-Projekt auf, auf dem die französische Legende mit aktuellen und vergangenen Größen der Szene auf zwei randvoll gepackten CDs die Kräfte misst. Und doch könnte der Unterschied kaum größer sein. Denn während keine der beiden Electronica-Folgen jemals zu einem zusammenhängenden Stück Musik heranreift, stand genau dieser Aspekt für Mayer zentral: „Die Herausforderung bestand von Anfang an darin, trotz der sehr heterogenen Teilnehmergruppe eine gewisse Kohärenz zu wahren. Es galt zu vermeiden, dass das Hörgefühl wie bei einer Kompilation ausfällt. Andererseits wollte ich aber auch nicht von vorneherein einen strikten ästhetischen Rahmen vorgeben, das hätte ja jeglichen Spaß im Studio gekillt. Ein vorläufiger Artwork-Entwurf von John Harten, welcher auch die finale Version gestaltet hat, zeigte ein Eiskunstläuferpaar in ziemlich abenteuerlicher Position. Das brachte diesen Drahtseilakt, der da im Studio stattfand, ganz gut auf den Punkt.“

Um diesen Effekt zu erzielen, bastelte Mayer im Vorfeld an kurzen Skizzen, in denen sich der andere möglichst genau wiedererkennen soll. Danach setzte die heiße Phase der Produktion ein, in der es „wie im Taubenschlag“ zuging und er alle zwei Tage einen anderen Musiker bei sich zu Gast hatte. „Ich bin immer noch überrascht, dass es dabei keinerlei Ausfälle gab“, gibt Mayer zu, betont aber, dass „die Idee, mich bei der Auswahl der Kollaborateure auf Künstler zu beschränken, mit denen mich außer einer musikalischen Affinität auch Freundschaft verbindet“, sich rückblickend wirklich ausgezahlt habe. Im sich unmittelbar anschließenden abschließenden Teil der Produktion wurden die Sessions in langen, ausdauernden Studio-Sitzungen dann im Alleingang zu fertigen Kompositionen umgebaut. Als „Strategie gegen die Vereinsamung“ sei „&“ somit nur sehr bedingt geeignet gewesen, bekennt er, was dadurch weiter verstärkt wurde, dass einige Kollaborateure, darunter der Ambient-Loop-Guru Andrew Thomas, nicht aus Neuseeland eingeflogen werden konnten. Bei anderen, wie dem im nur wenige Kilometer entfernten Düsseldorf wohnhaften Hauschka bot sich ein Treffen zwar an. Doch wurde der Plan dann aufgrund der logistischen Komplikationen, dessen präpariertes Piano „den Rhein hoch zu schiffen“ dann doch noch als zu ambitioniert aufgegeben. Vor allem aber entdeckte Mayer seinen spielerischen Trieb wieder und modellierte einige Stücke komplett um, sodass das Ergebnis nicht mehr kalkulierbar und somit zum Wagnis wurde. Zu diesen Experimenten gehört der Song mit MacFarlane, bei dem nur die Vocals überlebten oder auch die erstaunlich tanzbare Kollaboration mit besagtem Hauschka, der ansonsten bevorzugt mit Klassikgrößen wie der Star-Geigerin Hillary Hahn arbeitet. Bei diesen Tracks wird aus 1+1 weder 2 noch 3 oder 0 – sondern ein komischer Bruch. In einem anderen Universum würde das wohl kaum funktionieren oder erzwungen wirken. Hier aber reißt es einen mit. Ganz klar: „&“ ist eine Pop-Platte – und verdammt stolz darauf.

Maschinen als Mittel zum Zweck

Wenn bisher noch kaum von dem für die Produktion zum Einsatz gekommenen Equipment die Rede war, dann hat das einen guten Grund: Für Mayer sind die Maschinen immer nur Mittel zum Zweck, mit denen er einen „unromantischen Umgang“ pflegt. Während so mancher Produzent von einer Beziehung zu seinen Synthies schwärmt oder gar Freundschaften mit den Geräten aufgebaut haben möchte, empfinde er höchstens eine gewisse Sympathie für sein Studer-Mischpult, wenn dieses gerade mal wieder ein bisschen übersteuert: „19-Inch-Talk war noch nie meine Sache und ich verspüre Todessehnsucht allein bei dem Gedanken, bald wieder durch die Systemupdate-Hölle gehen zu müssen“, gesteht Mayer. Seine Gear-Philosophie? „Wenn sich mir ein Gerät intuitiv erschließt, können wir vielleicht Freunde werden. Handbücher Lesen zählt gewiss nicht zu meinen Steckenpferden. Generell sind mir „Spezialisten“ lieber als Alleskönner. Je weniger ich mich durch Menüs scrollen muss, um an den gewünschten Sound zu kommen, desto besser.“ Die Simmons Clap Trap, die trotz ihrer winzigen Maße unerhörte analoge Power entfaltet, findet er aus genau diesem Blickwinkel „vorbildlich“: „Ein Gerät, das ausschließlich Handclaps ausspuckt? Fantastisch!“ Vielleicht ist auch deswegen weiterhin der Plattenspieler sein Traumgerät, weil es neben einer hervorragenden Quelle für Samples auch noch sehr direkt eine Vielzahl unerwarteter Sounds hervorzubringen imstande ist.

Demgegenüber pflegt er eine besonders tiefe Beziehung zu seinem Studio, einem Raum, der zwei Stockwerke unter der Erde unterhalb der kompakt-Zentrale liegt. Kein Tageslicht dringt hierher, stattdessen ist alles „puffig“ ausgeleuchtet, sodass man sich „gut darin verlieren kann“. Die Aura dieses geheimnisvollen und abgeschiedenen Ortes, der fast schon an einen Bunker erinnert, deutet darauf hin, dass Mayer eben nicht nur der Team-Player und Kollaborateur ist, als den man ihn nur allzu leicht abstempeln könnte. Vielmehr gibt er gerne zu, dass er ständig zwischen „Eigenbrödler-Dasein und totaler Kollaborationswut“ hin und her pendele und nach dem in völliger Isolation aufgenommenen „Mantasy“, bei dem er sich von Literatur inspirieren ließ und wie alte Seefahrer in neue Gewässer aufbrechen wollte, beim aktuellen Werk ein wenig mehr Gesellschaft suchte. Vielleicht aber ist seine Beziehung zum Produzieren schlicht genauso romantisch, wie seine Beziehung zu den Produktionsmitteln unromantisch ausfällt. Man hat auf jeden Fall beim Hören von „&“ immer wieder das Gefühl, dass sich jemand hier sehr persönlich offenbart und in jedem Takt kleine Geheimnisse preisgibt.

Ganz sicher aber stellt das Studio einen Quantensprung gegenüber den ganz frühen Tagen dar, als Mayer zusammen mit Reinhard Voigt und Tobias Thomas unter dem Namen Forever Sweet zuerst in der WG, dann in wechselnden Hinterzimmern des jeweils aktuellen kompakt-Ladens Musik machte. Thomas und Mayer kannten sich schon aus ihren frühen Tagen in den örtlichen Diskotheken, wo sie lange vor Shazam dem DJ in der lokalen Diskothek über die Schulter schauten, sich zugleich die besten Tracks und die Kunst des Entertainments abguckten und für den unvergleichlichen Deep-House von DJ Pierre's Wild Crew schwärmten. Das Set-Up bestand aus einem Paar der damals omnipräsenten Yamaha NS-10M-Lautsprechern und Creator auf dem Atari ST, man konnte maximal auf Zimmerlautstärke abhören. „In den letzten 25 Jahren hat sich demgegenüber eine Menge verbessert“, stellt Mayer zufrieden fest, und fügt noch schnell hinzu: „Zum Glück.“ Und tatsächlich nimmt jede Scheibe einen weiteren Schritt in Richtung eines ganz individuellen Sounds. Das war auf „Touch“, mit dem 10-minütigen Alien-Funk-Groover „Slowfood“ so und das ist auch auf dem von Querflötentupfern durchzogenen Abschluss-Titel „Cicadelia“ auf „&“ so. Hinter einer scheinbar bescheidenen Produktionsmittelphilosophie steht ein Künstler, der sich des unglaublichen Reichtums des riesigen Archivs an bereits existierenden Aufnahmen stets bewusst ist – und den Anspruch erhebt, dass man nur dann etwas veröffentlichen sollte, wenn es diesen auch wirklich etwas hinzufügt.

Unser Gespräch ist inzwischen zu Ende, und für einen Augenblick denke ich darüber nach, Mayer noch kurz auf die tolle Story anzusprechen, als er als junger DJ zum ersten Mal in den Kölner Delirium-Plattenladen spazierte und praktisch über Nacht zum Teilhaber wurde. Dann aber lasse ich es sein. Er hat sie nun wirklich oft genug erzählt. Und überhaupt: Die besten Geschichten im Leben Michael Mayers, so lautet das Versprechen dieses Albums, sie kommen erst noch.

Dieser Artikel ist in unserer Heft-Ausgabe 139 erschienen.

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