Interview: Fjordne

Geschrieben von Beat
24.09.2011
09:08 Uhr

Bestseller-Verfilmungen stehen in Hollywood seit Jahrzehnten auf der Tagesordnung. In der Musikszene jedoch dienen nur selten literarische Werke als Vorlage für Kompositionen. Allein schon deswegen lässt das neue Fjordne-Album „The Setting Sun“ aufhorchen – schließlich hat der hinter dem Projekt stehende Musiker Shunichiro Fujimoto sich mit „Die sinkende Sonne“ einen japanischen Klassiker ausgesucht, dessen Themen fünfzig Jahre nach Erscheinen noch immer von Bedeutung sind. Doch auch ohne die schriftstellerischen Bezüge bietet dieses Werk aus entrücktem Klavier und verzaubernder Elektronik eine Menge Gesprächsstoff.

(Bild: beat.de)

Schon bevor er die Arbeit an seinem Meisterwerk „Shayo – Die sinkende Sonne“ aufnimmt, galt Osamu Dazai als der vielleicht vielversprechendste japanische Autor seiner Generation. Dazais Ton ist von einer seltsam poetischen Entfremdung geprägt, seine literarische Welt eine kalte und karge Steinwüste. Seine Figuren sind keine Helden, sondern Hülsen, tollpatschige Clowns auf der Suche nach Sinn. Drogen füllen die Leere in ihren Herzen, während ihnen in einer degenerierenden Gesellschaft allmählich die Hoffnung ausgeht. Dazai spricht aus Erfahrung: 1909 als Sohn eines bedeutenden Politikers geboren, stehen ihm alle Türen offen, doch er kann sich nicht dazu durchringen, sie zu durchschreiten. Mit knapp zwanzig Jahren trifft er die junge Kellnerin Tanabe Shimeko. Zwei Tage lang trinken sie sich in die Besinnungslosigkeit, nehmen Schlaftabletten und werfen sich ins Meer. Dazai überlebt, doch Shimeko ertrinkt in den Fluten.

Schmuckloser Ton

Es ist der erste einer Vielzahl von Selbstmordversuchen, die auch nicht abbrechen, als er in den Medien bereits gefeiert wird – weder Ruhm noch Reichtum können seine Wunden heilen. Dazai nimmt ein Literaturstudium auf, bricht es ab und beginnt in einem augenscheinlich schmucklosen Umgangston zu schreiben. Mit Erfolg: Schon bald werden seine Werke in ganz Japan veröffentlicht und von einer jungen Generation verschlungen. Der Zweite Weltkrieg ist für ihn eine Phase der Neuorientierung, und nach einer Vielzahl von Kurzgeschichten veröffentlicht Dazai 1947 mit „Shayo“ seinen ersten Roman. Das Buch beschreibt den allmählichen Verfall einer aristokratischen Familie und ergeht sich in detaillierten Beschreibungen des engen Regelkorsetts und den damit verbundenen, von oben verordneten Gefühlen von Wertlosigkeit und Scham. Immer wieder suchen die Charaktere bei Familie und Freunden nach Hilfe und Unterstützung – und finden doch immer nur gebrochene, opiumabhängige Gestalten vor.

Die Geschichte wird zunächst in Japan zu einem Bestseller, nach verschiedenen Übersetzungen auch weltweit. Von der Scheinheiligkeit der ehemaligen Militaristen im Nachkriegs-Japan angeekelt, sinkt Dazai jedoch erneut in die Verbitterung ab: Nur ein Jahr nach „Shayo“ unternimmt er einen letzten, diesmal erfolgreichen Versuch, sich umzubringen. Sein lebloser Körper wird 1948 in Tokyo aus dem Wasser gezogen. Auch wenn Osamu Dazais Werk überschaubar geblieben ist, inspiriert es auch heute noch Künstler aus den verschiedensten Richtungen. So hat nicht nur Shunichiro Fujimoto ein Album mit direktem Bezug zu dem Buch aufgenommen, gerade wurde auch eine Verfilmung fertiggestellt.

Beat / Worin besteht deiner Meinung nach die literarische Bedeutung von „Die sinkende Sonne“?

Fjordne / Zumindest eine der Bedeutungen besteht vermutlich darin, dass die in dem Buch angesprochenen Themen nicht nur charakteristisch für Leute aus den Vierzigerjahren sind, sondern auch aktuelle Relevanz besitzen. In vielen von Dazais Werken gibt es da die durchgängigen Themen von sozialer Abgrenzung und Selbstbetrug. Das sind genau die Schwierigkeiten, mit denen sich auch viele Menschen in der heutigen Welt auseinandersetzen müssen.

Beat / Wie kam es dazu, dass du das Buch als Ausgangspunkt für dein aktuelles Album verwendet hast?

Fjordne / Ich habe meine Jugend außerhalb von Japan verbracht. Als ich zurückkam, war die Lektüre japanischer Bücher für mich eine Zeit lang ungemein spannend. Ein Großteil meiner Musik basiert darauf – mein drittes Album „Stories Apart From The World“ bedient sich beispielsweise Haruki Murakamis gleichnamiger Novelle als Ausgangspunkt. Nachdem ich mit Ricks Ang vom Kitchen-Label gesprochen hatte, stand für mich fest, dass „Die sinkende Sonne“ ein ideales Thema für die Scheibe war.

Beat / In welcher Hinsicht ist dieses so private und intime Album für dich zu einer ganz persönlichen Reise geworden?

Fjordne / Ich denke, dass allein durch das Grundthema der Klang des Albums etwas dunkel geworden ist. Trotzdem habe ich versucht, dem Sound etwas Positives abzugewinnen. Denn ein mir sehr wichtiger Aspekt bestand darin, die Kraft zu finden, die sich erschließt, wenn man sich der Hoffnungslosigkeit stellt und sie akzeptiert. Manche Tracks basieren dabei unmittelbar auf den Charakteren des Buchs, andere auf dem Gesamtbild, welches ich aus der Story herauslese. Ich habe nicht versucht, die Atmosphäre der Geschichte in einzelnen Tracks zu zerlegen, sondern sie durch die Spannungskurve des Albums abzubilden. Für mich ist „The Setting Sun“ damit zu einer Art persönlichem Soundtrack zum Buch geworden – und so kam ich auch nicht auf die Idee, Worte zu verwenden oder ganze Passagen zu zitieren. Ich habe versucht, die Worte des Buchs in Klang zu verwandeln und wünsche mir, dass das Album als Einführung in das Werk für alle dient, die es noch nicht gelesen haben.

Beat / War dir dabei bewusst, dass das Buch parallel zu deinen Aufnahmen verfilmt wurde?

Fjordne / Ich habe es erst erfahren, als einer meiner Freunde mir davon erzählte. Ich habe den Film aber noch nicht gesehen – und habe es offen gesagt auch nicht vor. Es ist mir lieber, die Bilder meiner Lieblingsbücher für mich zu behalten, statt sie mit anderen zu teilen.

Akustische Quellen

Beat / Dein musikalisches Konzept ist deswegen so bemerkenswert, weil bei dir Elektronik und akustische Instrumente eine sehr direkte Kommunikation eingehen …

Fjordne / Beim Komponieren fand ich es immer sehr schwierig, elektronische Hilfsmittel wie zum Beispiel Synthesizer zu verwenden. Ich benutze stattdessen akustische Instrumente als Quelle, auch wenn ich sie manchmal gar nicht mag. Und ich wollte auch nachher ganz gezielt nicht so viele elektronisch bearbeitete Sounds einsetzen, damit sich die Musik natürlich entwickelt.

Beat / Könnte man diesen Stil als eine Art neue Kammermusik bezeichnen?

Fjordne / Ich wollte tatsächlich, dass die Instrumente so miteinander interagieren, dass sie in ihre eigene Richtung gehen, aber ein gemeinsames Ziel haben. Und so kommt es, dass es manchmal so scheint, als ob die Instrumente und Klänge gar nicht miteinander korrespondieren, während sie in einem anderen Augenblick perfekt zueinanderpassen. Das ist genau wie im Buch: Alle Charaktere haben es auf ihre ganz eigene Weise schwer, doch streben sie alle nach einem besseren Leben.

Klassik und Jazz

Beat / Wie stark war der Einfluss von klassischen Komponisten auf deine Musik?

Fjordne / Wenn ich ehrlich bin, höre ich zwar sehr viel verschiedene Musik, aber eigentlich nie Klassik. Stattdessen bin ich ein leidenschaftlicher Jazz-Fan. Ich habe keine klassische Ausbildung und habe mir das Klavierspiel selbst beigebracht. Ich denke deshalb, dass die Haupteinflüsse von den vielen Platten des ECM-Labels stammen, die ich höre.

Beat / Wie sieht der Prozess aus, von diesen Einflüssen zum fertigen Album zu gelangen?

Fjordne / Ich habe ein Programm entworfen, das aufgenommene Samples auf eine ganz besondere Art und Weise in Echtzeit wiedergibt. Ich verwende es für manche der Pianostücke auf dem Album. Somit sind alle „natürlichen“ Klavierthemen parallel zu den „manipulierten“ Stellen entstanden. Für mich stellt sich dieses Programm wie ein zusätzlicher Musiker dar: Ich spiele Musik und das Programm gibt mir dazu eine Rückmeldung. Ich reagiere auf dieses Feedback und daraus entfaltet sich ein Dialog.

Beat / Die Bilder der Künstlerin April Lee ergänzen deine Musik kongenial …

Fjordne / Während ich mich im Produktionsprozess für das Album befand, schickte ich April Demos und sprach mit ihr sowohl per E-Mail als auch persönlich über meine Ideen bezüglich der Scheibe. Dadurch hatte April ein sehr genaues Bild davon, was mir vorschwebte und hat dementsprechend ihre Fotomotive ausgewählt. Wir haben beide das Buch gelesen, und so stimmten unsere Vorstellungen ohnehin recht gut überein. Ich habe ihr aber in Sachen Artwork keinerlei konkrete Andeutungen gemacht, denn ich wusste bereits, dass ihre Arbeit perfekt passen würde.

Beat / Du hast praktisch innerhalb eines Jahres drei Alben aufgenommen, nach „The Setting Sun“ jedoch erstmal eine Weile nichts mehr. Hast du diesmal alles in ein einziges Werk investiert?

Fjordne / Bevor ich Ende 2007 damit anfing, selbst Musik zu machen, habe ich in ein paar Bands gespielt. Nach diesem Schritt konnte ich nicht damit aufhören, die Ideen, die mir im Kopf umhergingen, aufzunehmen. Somit war es nicht schwer für mich, drei Alben in einem Jahr zu realisieren. Die Sessions zu „The Setting Sun“ waren dabei so etwas wie das letzte Kapitel der Musik, die ich mit mir herumtrug. Nach den Aufnahmen habe ich erstmal eine Kompositionspause eingelegt, weil ich Zeit brauchte, um über neue Ideen nachzudenken und meine Fähigkeiten auf ein höheres Level zu bringen.

Diskografie

2007 | Unmoving

2008 | The Last 3 Days Of Time

2008 | Stories Apart From The World

2009 | Light Passed On Through The Layer

2009 | The Setting Sun

Equipment

Apple Logic Pro

diverse akustische und elektrische Gitarren

Klavier

Max/MSP

Samples

von Tobias Fischer

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