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Interview: Fjordne

Bestseller-Verfilmungen stehen in Hollywood seit Jahrzehnten auf der Tagesordnung. In der Musikszene jedoch dienen nur selten literarische Werke als Vorlage für Kompositionen. Allein schon deswegen lässt das neue Fjordne-Album „The Setting Sun“ aufhorchen – schließlich hat der hinter dem Projekt stehende Musiker Shunichiro Fujimoto sich mit „Die sinkende Sonne“ einen japanischen Klassiker ausgesucht, dessen Themen fünfzig Jahre nach Erscheinen noch immer von Bedeutung sind. Doch auch ohne die schriftstellerischen Bezüge bietet dieses Werk aus entrücktem Klavier und verzaubernder Elektronik eine Menge Gesprächsstoff.

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Schon bevor er die Arbeit an seinem Meisterwerk „Shayo – Die sinkende Sonne“ aufnimmt, galt Osamu Dazai als der vielleicht vielversprechendste japanische Autor seiner Generation. Dazais Ton ist von einer seltsam poetischen Entfremdung geprägt, seine literarische Welt eine kalte und karge Steinwüste. Seine Figuren sind keine Helden, sondern Hülsen, tollpatschige Clowns auf der Suche nach Sinn. Drogen füllen die Leere in ihren Herzen, während ihnen in einer degenerierenden Gesellschaft allmählich die Hoffnung ausgeht. Dazai spricht aus Erfahrung: 1909 als Sohn eines bedeutenden Politikers geboren, stehen ihm alle Türen offen, doch er kann sich nicht dazu durchringen, sie zu durchschreiten. Mit knapp zwanzig Jahren trifft er die junge Kellnerin Tanabe Shimeko. Zwei Tage lang trinken sie sich in die Besinnungslosigkeit, nehmen Schlaftabletten und werfen sich ins Meer. Dazai überlebt, doch Shimeko ertrinkt in den Fluten.

Schmuckloser Ton

Es ist der erste einer Vielzahl von Selbstmordversuchen, die auch nicht abbrechen, als er in den Medien bereits gefeiert wird – weder Ruhm noch Reichtum können seine Wunden heilen. Dazai nimmt ein Literaturstudium auf, bricht es ab und beginnt in einem augenscheinlich schmucklosen Umgangston zu schreiben. Mit Erfolg: Schon bald werden seine Werke in ganz Japan veröffentlicht und von einer jungen Generation verschlungen. Der Zweite Weltkrieg ist für ihn eine Phase der Neuorientierung, und nach einer Vielzahl von Kurzgeschichten veröffentlicht Dazai 1947 mit „Shayo“ seinen ersten Roman. Das Buch beschreibt den allmählichen Verfall einer aristokratischen Familie und ergeht sich in detaillierten Beschreibungen des engen Regelkorsetts und den damit verbundenen, von oben verordneten Gefühlen von Wertlosigkeit und Scham. Immer wieder suchen die Charaktere bei Familie und Freunden nach Hilfe und Unterstützung – und finden doch immer nur gebrochene, opiumabhängige Gestalten vor.

Die Geschichte wird zunächst in Japan zu einem Bestseller, nach verschiedenen Übersetzungen auch weltweit. Von der Scheinheiligkeit der ehemaligen Militaristen im Nachkriegs-Japan angeekelt, sinkt Dazai jedoch erneut in die Verbitterung ab: Nur ein Jahr nach „Shayo“ unternimmt er einen letzten, diesmal erfolgreichen Versuch, sich umzubringen. Sein lebloser Körper wird 1948 in Tokyo aus dem Wasser gezogen. Auch wenn Osamu Dazais Werk überschaubar geblieben ist, inspiriert es auch heute noch Künstler aus den verschiedensten Richtungen. So hat nicht nur Shunichiro Fujimoto ein Album mit direktem Bezug zu dem Buch aufgenommen, gerade wurde auch eine Verfilmung fertiggestellt.

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