Film: Dub Echoes

Geschrieben von Beat
15.01.2012
10:00 Uhr

Kaum eine andere Musikrichtung hat, trotz völliger Ignoranz beim großen Publikum, einen derart radikalen Einfluss auf die elektronische Musiklandschaft ausgeübt wie Dub. Aus Zufall, unerhörtem Talent und einem unglaublichen Pioniergeist entstand auf Jamaica eine Stilrichtung, die mit ihren skelettierten Strukturen und surrealen Effekten teilweise noch heute wie von einem anderen Stern anmutet. Der brasilianische Regisseur Bruno Natal begab sich auf die Suche nach den Ursprüngen – und kam dem Geheimcode dabei dennoch nur langsam auf die Spur.

(Bild: www.dubechoes.com)

Noch heute mutet die Entstehungsgeschichte des Dub wie ein Märchen an. 1968 sitzt ein Mann namens Ruddy Redwood in den Treasure Isle Studios in Jamaica. Redwood ist der Geschäftsführer des Supreme Ruler of Sound, eines der beliebten Soundsystem-Clubs der Insel, in denen jeden Abend die angesagtesten Hits gespielt werden, und arbeitet zusammen mit dem Produzenten Byron Smith an einem aktuellen Titel. Aus Versehen lässt der Engineer den Track laufen, vergisst jedoch, die Stimme zu aktivieren. Redwood ist wie elektrisiert. „Lass es laufen und nimm es so auf“, ruft er erregt, „Den Edit nehme ich am Samstag mit in den Club!“ Und genau so kommt es: Nachdem er zunächst die bekannte Vocal-Version des Stücks gespielt hat, legt er unmittelbar danach das nackte, rohe Instrumental auf, zu dem ein DJ „toastet“ (rappt) – und wird von dem euphorischen Publikum praktisch dazu gezwungen, es am gleichen Abend noch ganze zehn, zwanzig Mal zu spielen.

Was als Backingtrack für die ausufernden Attacken der Toaster entstand, entwickelt im Laufe der Zeit immer mehr ein Eigenleben: In der heimischen Küche basteln Legenden wie Osbourne Ruddock alias King Tubby oder Lee „Scratch“ Perry an einer Musik, in der das Mischpult zum Instrument wird, der wummernde Bass die Melodie ersetzt und Echo und Reverb zu den bestimmenden Elementen aufsteigen. Obwohl die Blütezeit des Dub auf Jamaica nur kurz war und sich die Jugend dort schon lange nicht mehr für ihr einzigartiges kulturelles Erbe interessiert, breitete sich das Genre und vor allem das damit verbundene Gedankengut auf der ganzen Welt wie ein kreativer Samen aus. Dub, das ist vor allem eine Produktionsmentalität, die auf den intensiven Einsatz von Effekten abzielt, um die hypnotische Wirkung stoischer Wiederholung weiß und die Stille zwischen den Tönen nicht als Leere, sondern als die wahre Seele der Musik interpretiert. Hip-Hop und Techno als eigenständige Stilrichtungen wären ohne den Einfluss von Lee „Scratch“ Perry und Kollegen ebenso undenkbar wie der Chill-Out-Boom und die visionäre Kühle von Drum-&-Bass. Und dennoch sind die Legenden hinter den Ursprüngen so unbekannt geblieben wie die alten Helden des Buena Vista Social Club vor ihrer Ry Cooderschen Entdeckung. Wenn Bruno Natal also die Kamera zur Hand nahm, um die Geschichte des Dub zu dokumentieren, dann nicht nur, weil er damit seine natürliche Neugier befriedigen konnte. Sonder auch, weil die Zeit, diese teilweise über sechzig Jahre alten Legenden wenigstens einmal vor die Kamera zu bekommen, inzwischen knapp geworden ist.


Beat / Wie entstand die Idee einer Dokumentation über Dub?

Bruno Natal / Dub war meine Lieblingsmusik, und ich habe lange gar nichts anderes gehört. Noch heute ist es mein bevorzugter Sound, wenn ich entspannen oder meine Gedanken schweifen lassen möchte. Der ursprüngliche Dub ist eine unvergleichlich kraftvolle und tiefe Musik. Und ich fand es schon immer faszinierend, wie weit es diese jamaikanischen Produzenten mit ihrem beschränkten Ressourcen bringen konnten.

Dub Echoes war mein erster Film. Da es sich dabei um ein unabhängiges Projekt handelte, bei dem mir keinerlei Budget zur Verfügung stand, dauerten die Dreharbeiten so lange, dass ich praktisch alle danach begonnenen Streifen vorher abgeschlossen habe.

Die Idee ergab sich ganz natürlich. Mein Freund Chicodub und ich haben damals sehr viel Drum-&-Bass gehört und uns immer darüber unterhalten, wie sehr dieses Genre sich auf Dub bezog. Da wir keinerlei ordentliche Literatur geschweige denn Filme zu dem Thema finden konnten, entschlossen wir uns, eben selbst einen Film darüber zu drehen. Erst bedeutend später, etwa 2004, ergab sich die Gelegenheit, nach Jamaica zu reisen, um dort Fotos für einen Modekatalog zu schießen. Wir blieben einfach länger dort und begannen mit den Aufnahmen.


Beat / Gab es dafür schon einen Plan?

Bruno Natal / Als wir vom Shooting nach Brasilien zurückkehrten, wandten wir uns an American Airlines, die bereits die Tickets nach Jamaica gesponsort hatten, und erzählten von einem neuen Projekt, bei dem wir regelmäßig in die USA und nach England fliegen müssten. Sie erklärten sich bereit, uns zu unterstützen und schon waren wir unterwegs, um alle Interviews zu machen, die uns im Kopf herumgingen. Es war schwierig, die Kontaktpersonen für die jeweiligen Künstler zu finden und von ihnen überhaupt eine Reaktion zu erhalten. Aber sobald wir einmal die Gelegenheit bekamen unsere Ideen vorzustellen, lief es eigentlich recht glatt.

Beat / Dieser persönliche Kontakt war euch ja auch hinsichtlich des Konzepts wichtig …

Bruno Natal / Auf jeden Fall. Um ehrlich zu sein, hatten wir nicht einmal einen festgelegten Drehplan. Unser einziges Anliegen war es, diese Musiker vor die Kamera zu bekommen. Man kennt diese berühmten Produzenten des Dub doch höchstens vom Namen her. Deswegen war es als Konzept schon spannend genug, sie endlich auch einmal zu sehen. Das war für uns auch ungemein wichtig, denn wir hatten schlicht nicht das Budget, mehr Musik und Performances in den Film einzubauen. Also habe ich eine Art Dub-Mentalität eingenommen und mich dazu entschlossen, mit dem zu arbeiten, was wir hatten.

Beat / Wie oft seid ihr nach Jamaica zurückgekehrt?

Bruno Natal / Ich war tatsächlich nur ein einziges Mal für den Film dort und das auch nur für zehn Tage. Wenn ich heute zurückblicke, wird mir klar, wie viel Glück wir hatten, dass wir in dieser kurzen Zeit unser gesamtes Interviewmaterial sammeln konnten. Erst als wir bereits dabei waren, Dub Echoes fertigzustellen, begab ich mich für eine andere Dokumentation erneut nach Jamaica.


Unendliche Möglichkeiten

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Beat / Wie habt ihr euch auf die Gesprächspartner geeinigt?

Bruno Natal / Es gab unendlich viele Möglichkeiten. Wir hatten eine lange Liste mit Künstlern, die wir für repräsentativ und wichtig hielten, und wir haben mit den meisten von ihnen auch gesprochen. Für uns war es entscheidend, Musiker herauszustellen, die nicht nur einen Einfluss auf Dub hatten, sondern sich dieses Einflusses auch bewusst waren. Im Hip-Hop hingegen war es bedeutend schwieriger. Teils, weil die Musiker einerseits gar nicht besonders viel zum Thema wussten oder schlicht nicht erreichbar waren. Das Business ist zu groß geworden und man kommt einfach nicht an Mos Def oder Busta Rhymes heran. Dubstep war allerdings damals erst recht klein und es war deswegen recht einfach, den inzwischen berühmten Chef des Hyperdub-Labels Kode9 für unser Anliegen zu gewinnen.

Beat / Herrschte unter euren Gesprächspartnern allgemein das Gefühl vor, sie hätten nicht den Respekt erhalten, der ihnen zusteht?

Bruno Natal / Ja, und meiner Ansicht nach ist es genau das, was diesen Film so besonders macht: Diese Gespräche sind gute, offenherzige Gespräche, weil wir mit Leuten über etwas reden, was sie lieben. Dub ist wie ein Geheimcode, und sobald du ihn nur erwähnst, fühlt es sich bereits so an, als bestünde da plötzlich eine tiefe Verbindung mit einer Person, die du vorher gar nicht kanntest. Und da dies der erste Film zum Thema ist, gaben die Musiker bereitwillig und ausführlich Auskunft.

Beat / War es für dich ein Schock, dass einige deiner Helden heute in ziemlich heruntergekommenen Häusern wohnen und ihre legendären Studios zumeist nicht viel mehr als ein Teil ihrer Wohnung sind?

Bruno Natal / Nicht so sehr, da wir natürlich bereits aus Erzählungen wussten, wie es sein würde. Und traurigerweise ist es bei einigen wichtigen brasilianischen Musikern nicht viel anders. Man muss aber auch sagen, dass Homestudios heutzutage fast zur Regel geworden sind. Also waren die Jamaicaner uns auch in der Hinsicht voraus!

Beat / Was waren für dich die bewegendsten Momente der Dreharbeiten?

Bruno Natal / Lee Perry zu treffen war sicherlich der tollste Moment. Nicht nur, weil er der größte noch lebende Dub-Künstler ist, sondern auch, weil er die letzte Person war, die wir interviewten. Wir hatten die Hoffnung schon fast aufgegeben, ihn zu treffen, auch wenn das den Film ungemein abgewertet hätte. Ich meine: Wie erklärst du es jemandem, dass du einen Film über Dub drehst und Perry ist nicht dabei? Aber dann kam er nach Brasilien und alles kam zusammen.

Die Saga, die uns Scientist, ein Schüler des legendären und leider viel zu jung ermordeten King Tubby, erzählte, hätte uns auch so einiges an Geschichten an die Hand gegeben. Leider erklärte er sich nachträglich doch nicht bereit dazu, das Filmmaterial freizugeben. Und so wird dieses Interview wohl kaum jemand zu sehen bekommen.

Beat / Die Dokumentation stellt auch die Frage, warum ausgerechnet auf Jamaica so viel tolle Musik produziert wurde. Bist du durch den Dreh einer Antwort näher gekommen?

Bruno Natal / Kein bisschen. Ich glaube aber, diese Produzenten machen einfach alles mit einer Menge Persönlichkeit. Sie versuchen erst gar nicht, mit ihrer Musik jemandem gefallen zu wollen – außer vielleicht sich selbst und, in gewisser Hinsicht, auch ihrem unmittelbaren Publikum. Diese Einstellung äußert sich in der Musik und lässt sie originell klingen.

von Tobias Fischer

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