Ewige Momente: Essentielle French-House-Produktionen

Geschrieben von Beat
14.09.2011
16:52 Uhr

Die Blütezeit des French House dauerte von 1993, als Produzenten zum ersten Mal Elemente aus Acid, House, Jazz und Ambient miteinander verwoben bis 2001, als Daft Punk mit „One More Time“ wohl das ultimative Statement des Genres vorlegten. Dazwischen lagen acht Jahre, in denen praktisch jeden Monat etwas Aufregendes, Neues passierte. Neun der herausragendsten Momente stellen wir in der aktuellen Printausgabe Beat vor – hier sind elf weitere Klassiker.

(Bild: beat.de)
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Bereits gegen Mitte der 90er sollte sich die französische House-Szene in eine eher funk-angehauchte (Daft Punk), kommerzielle (David Guetta) und technoid-jazzige Richtung um St. Germain und Laurent Garnier's F-Communications-Label aufspalten. 1993 aber gab es noch so etwas wie ein Familien- und Zusammengehörigkeitsgefühl. In dieser Hinsicht ist „Soul Salsa Soul“ eines der letzten übergreifenden Statements vor dem Aufspalten, ein Latin-infizierter House-Track, bei dem Piano und Trompete sich geradezu von den Beats abzuschälen scheinen – und damit eine Art Gegenentwurf für bald folgende, bedeutend spartanischere Produktionen bilden.

Motorbass: Flying Fingers

Jahr: 1993

(Bild: beat.de)

Dieser gerade einmal fünf Minuten lange Track, enthalten auf der „Transphunk EP“, kam wie aus dem Nichts. Ein linear stampfender Rodeo-Beat, ein knochentrockener Bass, zerstückelte Scratches und Orchestra-Hits, eine sinnliche, auf einem einzigen Akkord verharrende Fläche, ein Arrangement ohne Anfang und Ende – auf „Flying Fingers“ finden sich in Rohform fast alle Zutaten, die später für den „French Touch“ so ausschlaggebend werden sollten: Der Funk, die Hip-Hop-Bezüge, der Minimalismus, das Stumpf-Repetitive, der Gegensatz zwischen brutalem Sex und Traum-Poesie. Drei Jahre später folgte mit „Pan Soul“ das Schlüsselwerk auf voller Länge.

Daft Punk: Da Funk

Jahr: 1995

(Bild: beat.de)

Die Geschichte des French House beginnt zwar nicht mit Daft Punk, aber sie tritt mit ihnen zweifelsohne in eine neue Phase ein. Bereits deutlich vor dem Erscheinen des Debüt-Albums rissen sich die Plattenfirmen um das Pariser Duo aus Guy-Manuel de Homem-Christo und Thomas Bangalter und „Da Funk“ zeigt warum: Einerseits greift das Stück die Acid-Euphorie Laurent Garniers auf, verbindet sie andererseits mit einer ebenso lässigen wie dringlichen Urbanität, die auch ohne Zitate auskommt. Wie die beiden in der Mitte den Song scheinbar komplett neu aufbauen, dann aber das Leitmotif wieder organisch eingliedern, ist noch immer beeindruckend.

Thomas Bangalter: On Da Rocks Jahr: 1995

(Bild: beat.de)

Interessanterweise klingt Thomas Bangalters erste Solo-EP mehr nach Daft Punk als das gleichzeitig erschienene „Da Funk“. Vor „On Da Rocks“ war Bangalter noch vor allem als Chef des Roule-Labels bekannt, ehe kurz danach die Majors mit den Verträgen winkten. Seinerzeit weitestgehend unbeachtet ist der Track bis heute interessant geblieben, weil er einen spielerischen Ansatz aufzeigt, der in Daft Punk schließlich seinen Höhepunkt erreichen sollte. Ganz groß auch, wie Bangalter aus dem scheinbar naiven Groove ein immer dichter werdendes Netz aus Flächen und rhythmischen Synths webt, in das man als Hörer tief eintaucht.

Dimitri from Paris: Dirty Larry

Jahr: 1996

(Bild: beat.de)

Nicht nur als Grieche in Paris setzte sich Dimitris Yerasimos zwischen alle Stühle. Auch seine Musik kam ohne stilistische Verbindlichkeiten aus und verrührte Elemente aus Jazz, Easy Listening und House zu einem hinreißenden Cocktail. Das, was noch drei Jahre vorher als unvereinbar galt, wurde auf seinem Debüt „Sacrebleu“ aufs Harmonischte miteinander verquickt und bildete damit eine natürliche Brücke zwischen zerstrittenen Szene-Lagern. „Dirty Larry“ war einer der Höhepunkte: Über sieben Minuten lang legen sich quietschende Synth-Solos und rüde gehämmerte Klavier-Akkorde über einen schweißtreibenden Beat wie ein ewig vertagter Orgasmus.

Motorbass: Ezio

Jahr: 1996

(Bild: beat.de)

Ihre ersten 12inches waren bereits eine kleine Sensation, aber mit dem Doppel-Album „Pansoul“ führten Motorbass eine Art Initialzündung für die Szene durch – die Zahl von Produzenten, die sich heute auf diesen Klassiker berufen, ist immens. „Ezio“ steht beispielhaft für das auf dem gesamten Werk propagierte Ideal: Nackte, skelettierte Percussions, eine gefühlte Nähe zum Hip-Hop, träge, schleppende Beats, ein ewig herausgezögerter Klimax, dunkle, leere Atmosphären durch die verstörend erotische Chor- und Harfen-Fetzen gleiten – die House-Version von Dub sozusagen. Nach dem Geniestreich war immer wieder von einem Folgealbum die Rede, welches aber nie kam.

MC Solaar: Paradisiaque Jahr: 1997

(Bild: beat.de)

Der Funk war weder zufällig noch umwegslos in den House gekommen. Es war der Daisy-Age-Hip-Hop, welcher frische Ideen in die Club-Szene hineinatmete und sie bedeutend befruchtete. Auch MC Solaar war mit diesen Einflüssen groß geworden, hatte mit ihrer geschickten Umdeutung bereits drei Millionen-Seller landen können. Mit „Paradisiaque“ wurden die verschiedenen Bezüge aber so klar wie selten zuvor: produziert hatte Album und Single der bereits von Motorbass bekannte Boom Bass, der dem Song mit seinem eleganten Gangsterfilm-Sound und unwiderstehlichen Flow seinen Stempel aufdrückte. Ein Jahr später folgte mit „MC Solaar“ ein weiterer Meilenstein.

Alex Gopher: You, My Baby and I

Jahr: 1998

(Bild: beat.de)

Gophers Beitrag zum French House wird oft darauf verkürzt, dass er kurzzeitig mit Nicolas Godin, Jean-Benoît Dunckel, Xavier Jamaux, Éric LaCourt und Étienne de Crécy in der Band Orange spielte, aus der sich schon bald einige der bekanntesten Projekte des Genres entwickeln sollten. Gopher brauchte länger, um als Solo-Künstler auf den Plan zu treten und war zunächst vornehmlich als Sparring-Partner von Air und de Crécy tätig. „You, My Baby and I“ änderte das: Ein schmutziger Funk-Touch und ein dunkles Klaviermotif durchziehen den Track, der von einer finsteren Hip-Hop-Stimmung geprägt ist.

Bob Sinclar: I Feel for You

Jahr: 2000

(Bild: beat.de)

Sinclar wird heute gerne Ausverkauf vorgeworfen, doch markierte „I Feel for You“ nach einer Phase der Stagnation einen Schritt nach vorne für den French House. Musikalischer als auf vergleichbaren Produktionen geht es auf dem Track zu, der klingt, als habe man einen 70er-Jahre-Klassiker auf 200bpm erhöht. Das Besondere an der Produktion ist dabei nicht nur, wieviel beweglicher und organischer hier die einzelnen Spuren klingen, sondern auch, dass sie einem traditionellen Pop-Song-Schema mit Strophe und Refrain folgen – die Basis für noch größere Hits war gelegt.

Alan Braxe & Fred Falke: Most Wanted Jahr: 2000

(Bild: www.beat.de)

Der vielleicht unbekannteste Hit des French House verwandelt garantiert jeden Club in einen Hexenkessel. Falkes futuristisch schimmernde Moroder-Basslinie dreht sich minutenlang um sich selbst, während Braxe nur gelegentlich die Filter rein- und rausdreht. Und dennoch verbraucht sich der Effekt über sechseinhalb Minuten lang kein einziges Mal. Bis zu seiner Beteiligung an „Music Sounds Better With You“ war Braxe eher ein Underground-Phänomen, danach wollten Björk, Britney Spears, Kylie Minogue, Jamiroquai und Beyoncé Remixe von ihm. „Most Wanted“ zeigt eindrucksvoll auf, warum.

Etienne De Crécy: Am I Wrong

Jahr: 2000

Ob es an dem großartigen Animationsvideo lag oder der lupenreinen Produktion wird nicht erschöpfend zu klären sein. Fest steht, dass de Crécy mit „Am I Wrong“ noch einmal einen ansehlichen Erfolg landen konnte, ehe er und der French Touch sich weitgehend aus den Charts verabschiedeten. Ganz offensichtlich zog es ihn bereits an neue Ufer, weswegen der Track trotz erkennbarer Soul-Zitate, Funk-Referenzen und Acid-Geblubber eher auf einen Abschied denn eine Wiederholungsübung hindeutet. Die Quellen werden bewusst versteckt, die Nahtstellen kaschiert – dahinter wird eine andere, geheimnisvolle Welt ersichtlich.

von Tobias Fischer

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