Quelle: https://www.beat.de/news/elektronik-max-cooper-10055448.html

Autor: Marco Scherer

Datum: 17.01.13 - 11:22 Uhr

Elektronik: Max Cooper

Viele halten Max Cooper für eines der größten Talente, das die Elektronik-Szene in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Tatsächlich ist Coopers Handschrift ungemein erkennbar und einer langen Tradition von Pionieren ebenso verbunden wie dem Anspruch, mit jeder Veröffentlichung Neuland zu erkunden. Entscheidend ist dabei für ihn stets der Spagat zwischen faszinierender Komplexität und unmittelbarer Griffigkeit - getrieben von dem Wunsch, den Dancefloor sowohl emotional als auch intellektuell zu erweitern.von Tobias Fischer

"Empirisch", "Stochastisch" und "Chaotisch" heißen einige von Max Coopers Veröffentlichungen, was so manchem Außenstehenden den Eindruck vermitteln mag, er sei in Wahrheit ein zur Musik bekehrtes Statistik-Genie. Tatsächlich hat sich Cooper als Genetikforscher betätigt und kann gewisse Korrespondenzen zwischen dem kreativen Produktionsprozess und naturwissenschaftlichen Phänomen erkennen. Letztendlich jedoch überwiegt bei ihm stets der Wunsch, mit seinem Publikum ganz unvermittelt zu kommunizieren. Weswegen er seine Musik niemals gezielt darauf anlegt, schwierig oder unnötig unverständlich zu sein.

Beat / Zu einem gewissen Grad ist deine Musik gerade aufgrund ihrer Komplexität so faszinierend. Wo aber ziehst du die Grenze?

Max Cooper / Damit du als Hörer Musik genießen kannst, muss sie dich herausfordern, ohne dich dabei völlig zu verwirren. Ein Zweijähriger mag vielleicht "Backe, backe Kuchen" für einen musikalisch ambitionierten Song halten, aber er kann ihn gleichzeitig auch verstehen und deswegen wertschätzen. Andersherum können uns die Vorlieben eines erfahrenen Jazz-Fans als unverständlich erscheinen. Wo man die Grenze verortet, ist eine persönliche Frage, je nachdem, was man mit der Musik zu beabsichtigen versucht. In den meisten Fällen bedeutet das, dass man als Künstler die Grenze entlang der eigenen Präferenzen zieht. Ich finde es aber nicht unbedingt wichtig, dass Hörer die Prozesse hinter der Musik auch nachvollziehen können. Das würde meine Kreativität nur unnötig einschränken. Die meisten Leute wird es auch gar nicht interessieren.

Beat / Es kann also durchaus sein, dass manche Leute deine Musik als zu komplex empfinden.

Max Cooper / Der eigentlich entscheidende Punkt ist, dass es einen Unterschied zwischen erfolgreicher und fehlgeleiteter Komplexität gibt. Wenn sich etwas so anhört, als ob es komplex zu sein versucht, man in Wahrheit aber erkennt, dass es recht einfach gestrickt ist, dann ist das nur ein billiger Trick. Wenn aber ein Stück Musik wirklich unerklärlich klingt, dann kann es Spaß machen, ihm auf den Grund zu gehen. Und weil die Grenzen hier vollkommen subjektiv sind, kann es dabei durchaus sein, dass meine Musik für manche Leute einfach nur pompös wirkt. Doch der wahre Grund, warum ich meinen Stücken eine gewisse Komplexität verleihe, ist, dass ich der Meinung bin, dass sie ihr spannendere Klangfarben verleiht. Ich möchte dem unangenehm formelhaften und leblosen Klang rein rechnerischer Musik ein wenig von dem Reichtum der Realität einhauchen.

Reicheres Hörerlebnis

Beat / Der Track "Simplexity" scheint ja sowohl vom Namen her als auch in seiner Mischung aus Dance- und Hörelementen sehr repräsentativ zu sein.

Max Cooper / Generell mag ich es, musikalische Kontraste zu maximieren und sehr leise Stellen mit sehr lauten, weiche und grobe Passagen, melodische und perkussive Elemente miteinander zu kontrastieren. Auch Einfachheit und Komplexität sind zwei entscheidende Elemente, die ich in vielen meiner Tracks einander gegenüberstelle. Dadurch betonen sie sich gegenseitig und man erhält man ein reicheres Hörerlebnis. Folglich kannst du dir den Track auf genau der Ebene anhören, die dir gefällt: entweder in einem Club, wo eine Menge der Details verloren gehen oder zuhause auf einer hochwertigen Anlage, wo du andersherum gezielt in die Details gehen kannst. Was die Produktion von "Simplexity" angeht, habe ich mich stark auf Max-for-Live-Effekte verlassen und API-Plug-ins, mit denen man praktisch jeden Parameter in Live modulieren kann. Das hat es mir erlaubt, gleichzeitig eine Menge Faktoren kontrolliert zu verändern und damit eine gewisse Komplexität zu erreichen, während darunter nicht viel mehr als eine einfache Bassdrum und melodische Struktur liegen.

Beat / Dank Live ist ein Stück Musik nie mehr endgültig "fertig" im klassischen Sinne.

Max Cooper / Ich kann tatsächlich die Dinge im Konzert so sehr umarbeiten, wie ich möchte. Trotzdem habe ich davon bisher noch kaum Gebrauch gemacht. Stattdessen konzentriere ich mich auf Bereiche, die ein Publikum auch wirklich wahrnehmen kann, und kümmere mich um die Flexibilität, jeden Track in jeder beliebigen Reihenfolge spielen zu können. Das erlaubt es mir, musikalischer mit dem Publikum zu interagieren und jedes Mal ein anderes Set zu spielen, was mir auch selbst mehr Spaß macht. Der Nachteil ist, dass ich nur eine eingeschränkte Kontrolle darüber habe, die jeweiligen Tracks in einem Live-Kontext anders klingen zu lassen - aber das ändert sich jetzt langsam. Eine wichtige Rolle hat dabei der Liine-Lemur-Controller [1] auf dem iPad gespielt. Er erlaubt mir eine erhöhte Einflussnahme, da ich damit persönliche Oberflächen generieren kann, die auf die spezifischen Eigenheiten bestimmter Tracks zugeschnitten sind.

Die Idee von "vorteilhaften Fehlern" ist dabei ebenfalls sehr wichtig und auch dabei hat sich Max als nützlich erwiesen. Es gibt mehr Möglichkeiten, aus Live neue Verhaltensmuster herauszukitzeln. Ich muss nur so lange herumspielen, bis etwas Interessantes dabei herauskommt.

Beat / In Max lassen sich durch die "build your own"-Funktion eigene Instrumente programmieren. Wie wichtig ist diese Möglichkeit dafür, wirklich neue Musik zu schreiben?

Max Cooper / Wenn du einen neuen Sound schaffen willst, dann musst du auch neue Techniken zur Sound-Synthese entwickeln. Es fällt mir auf, dass eine direkte Verbindung dazwischen besteht, wie interessant einerseits die Tracks von bestimmten Produzenten sind und wie interessant andererseits ihre Produktionstechniken sind. Es gibt durchaus einen gewissen Spielraum für Kreativität innerhalb des Rahmens bestehender Produktionssoftware, aber wenn du wirklich tief in unerforschtes Territorium vorstoßen möchtest, dann ist ein wenig Programmierarbeit wahrscheinlich unumgänglich. Natürlich entsteht dabei das Problem, dass sich viele in den technischen Einzelheiten der Klanggenerierung verlieren, statt ein gutes Stück Musik zu komponieren. Für mich persönlich gilt, dass ich versuche, die technischen Aspekte so schnell wie möglich abzuhandeln, damit ich die emotionale Idee oder das zu kommunizierende Konzept nicht aus den Augen verliere. Aus meiner Erfahrung schließen sich die beiden Bereiche aus - und man muss letztendlich, wie bei den meisten Dingen, ein Gleichgewicht finden.

Prozess oder Produkt

Beat / Man kann auf jeden Fall festhalten, dass deine Musik sowohl Emotionen ausdrückt, als sich auch intensiv mit dem Prozess beschäftigt.

Max Cooper / Praktisch gesehen ist das fertige Produkt das Einzige von Bedeutung, das Einzige das es erlaubt, mit dem Schreiben von Musik eine Karriere aufzubauen. Aber aus künstlerischer Sicht und auch in Bezug auf den Spaß, den man daraus zieht, ist es gerade der Prozess des Schreibens, der wichtig ist. Denn dabei entsteht doch erst alles: Du gefrierst die Emotionen und Ideen dieses Augenblicks in der Zeit ein, in der Form eines Musikstücks.

Ich meine, dass man aus der Musik verschiedener Jahrzehnte, Jahrhunderte und Kulturen viel über die vorherrschenden Einstellungen und Ideale einer bestimmten Zeit ableiten kann. Manche klassischen Kompositionen beispielsweise klingen aristokratisch und pompös, voller Ausschmückungen und Verfeinerungen, weil sie nur für die Elite der Gesellschaft geschrieben wurden, für eine ganz spezifische Gruppe mit einer ganz bestimmten Weltanschauung. Oder nimm die amerikanische Popmusik der Achtziger. Sie ist voll von naivem Idealismus und voller Größe. Das ist nicht unbedingt eine gesunde Einstellung, aber ein hervorragender Ansatz, um positive, pure Musik mit einer eindeutigen Aussage zu schaffen.

Beat / Werden für diesen Eindruck nicht eher rückblickend bestimmte gesellschaftliche Ideen von Historikern mit der Musik verknüpft?

Max Cooper / Auf jeden Fall zu einem großen Teil. Aber ich glaube schon, dass der Prozess zu einem gewissen Grad in beide Richtungen wirkt. Sobald die Verbindung einmal hergestellt wurde, ist es ohnehin egal, wie sie zustande kam: Die Sprache musikalischer Kommunikation existiert und sie wird von da an als ein Mittel von Künstlern eingesetzt, ihre Ideen zu vermitteln. Freilich gibt es auch Beispiele dafür, dass ein Musikstück sich so stark mit einer bestimmten Bewegung verbindet, dass die ursprünglichen Ziele dabei gänzlich in den Hintergrund treten - wie beispielsweise bei einem Hendrix-Track aus den Sechzigern. Dann kann das Stück plötzlich eine ganz neue und viel umfassendere Bedeutung bekommen.

Für mich persönlich ist aber die Wirkung meiner Musik auf das Publikum wichtiger als praktische Fragen und künstlerische Integrität. Ich glaube, ich kann die Frage nach der Wichtigkeit des Prozesses also nicht beantworten - und du hast mir also vollkommen umsonst so lange zugehört.

Diskographie:

2007 | Tamperine EP

2009 | Symphonica

2009 | InhaleExhale

2010 | Sleazebox EP

2011 | Miocene

2011 | Metaphysical EP   

2011 | Amalgamations EP

2011 | Empirisch EP

2011 | Empirisch Remixes

2012 | Egomodal EP

Für die aktuelle Egomodal-EP …

… erhielt Max Cooper als erster Künstler überhaupt die Gelegenheit, den englischen Kult-Komponisten Michael Nyman ("The Piano") zu remixen. Daraus ergaben sich nicht nur großartige Chancen, sondern auch einige harte Herausforderungen. Denn der ausgewählte Track lag nicht nur nicht in seinen Einzelspuren vor, sondern Nyman arbeitete in ihm auch mit ständig wechselnden Zeitstrukturen. Statt deswegen den typischen Loop-Ansatz zu wählen, zerlegte Cooper die Komposition in extrem kleine Einzelteile, die er dann für einen komplett neuen Track neu zusammensetzte. Weil der aber mit dem Original nichts mehr gemein hatte, erstelle er eine weitere Version - und baute diesmal den ursprünglichen Titel aus lauter winzigen Mikro-Bausteinen neu auf.

www.maxcooper.net

[1] siehe Test in Beat 05|2012, nachzubestellen im www.falkemedia-shop.de