Digitale Kultur: The Young Punx

Geschrieben von Beat
07.12.2011
10:15 Uhr

Dass sich die Anforderungen an Bands im einundzwanzigsten Jahrhundert grundlegend geändert haben, hat sich herumgesprochen. Doch nur wenige sind bereit, den weisen Worten von neuen Strategien, direkter Kommunikation mit der Zielgruppe und alternativen Distributions- und Verkaufskanälen auch Taten folgen zu lassen. Die Young Punx bilden da eine Ausnahme. Das Quartett um den Produzenten Hal Ritson rührt nicht nur den vielleicht derzeit buntesten Stilcocktail auf dem Planeten zusammen, sondern geht auch in Sachen Selbstvermarktung ungemein entschlossen zur Sache. Eine Erfolgsgeschichte, die Hoffnung macht, aber auch Fragen aufwirft.

(Bild: www.theyoungpunx.com)

„Mishpop und Dubstep“ heißt das aktuelle Album der Young Punx, und seine wilde Mischung aus eingängigem Pop, schmachtendem Soul, warmem House, bretthartem Rock, drängendem Drum’n’Bass und zu Tränen rührenden Opernausschnitten schlägt ein wie eine Bombe aus Blumen. Dass die Formation aber überhaupt CDs veröffentlicht, könnte man fast übersehen, derart breit sind ihre Aktivitäten gestreut. So haben die Punx bereits einige ihrer Titel bei erfolgreichen Videospielfranchises wie The Sims, FIFA und Fight Night Round 4 untergebracht, sind als Club-DJs gerngesehene Gäste und moderieren in Japan Shows wie „American Dance Idol“. Ritson führt nebenbei bei den genreübergreifenden „BBC Proms“ die Zuschauer auch schon mal stilsicher und auf eigene Faust durch das abendliche Programm. Dass die Punx von einigen eher als „Künstlerkollektiv“ denn als traditionelle Musikgruppe gesehen werden, ist also durchaus verständlich, und mit dem niederländischen Designer Han Hoogerbrugge verbindet die Band gar eine derart enge Beziehung, dass Ritson ihn als vollwertiges Mitglied bezeichnet. Diese Formation, soviel steht fest, hat ihre Hausaufgaben gemacht.

Den eigenen Weg gehen

Interessant ist die Geschichte der Young Punx nicht so sehr als DIY-Anleitung für zukünftige DSDS-Bewerber, sondern vor allem als Beispiel dafür, wie man als Band heutzutage außerhalb der Strukturen der ehemaligen Musikindustrie wirtschaftlich seinen eigenen Weg gehen kann, ohne dabei gleich das Rad neu erfinden zu müssen. Vor allem belegt sie, dass selbst augenscheinlicher Erfolg immer nur eine Momentaufnahme ist, die nicht über fundamentale und für Musiker hochproblematische Veränderungsprozesse hinwegtäuschen darf: „Um ehrlich zu sein, sind die Zeiten noch immer recht schwierig für die traditionelle Musikindustrie oder Musiker, die von ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten wollen“, so Ritson, „Trotzdem entsteht gerade eine neue Musikindustrie, die kleiner, weniger extravagant, global positioniert und Internet-basiert ist. Ihre wahre Stärke besteht darin, dass Musiker durch das Internet im Allgemeinen und soziale Netzwerke im Besonderen überall auf der Welt Fans finden können. Selbst wenn du nie in die Charts kommst und keinen Nummer-1-Hit landest, kannst du trotzdem überall Leute erreichen, denen gefällt, was du tust. Die Herausforderung besteht darin, in einer Zeit, in der die meisten Konsumenten nicht für Musik zu zahlen bereit sind, gerade genug zu verdienen, um mit der Musik über die Runden zu kommen, oder wenigstens die Aufnahmekosten bezahlen zu können. Aber du musst kreativ sein und nach Chancen Ausschau halten, wo sie sich anbieten.“

Genau das haben die Young Punx getan, und in gewisser Weise ist ihr Erfolg einerseits das Ergebnis eben jener Kreativität sowie eines schonungslosen Arbeitspensums, das nur dank aberwitzigen Multitaskings zu bewältigen ist. Auch wenn man als abgeklärter Konsument hinter einer solchen Biographie immer massive Investitionen vermutet, gab es dabei weder einen kapitalkräftigen Mäzen noch einen kühl kalkulierten Masterplan. Vielmehr rutschte man nahtlos von einem komplett unspektakulären Dasein als heimische Produzenten in immer größere Projekte und Auftritte vor stets mehr Zuschauern hinein. Ritson nennt Basement Jaxx als Beispiel für eine Band, der es ebenfalls nahezu unbemerkt gelungen ist, aus dem Schlafzimmer heraus eine Revolution anzuzetteln. Dass man selbst heute, wo man es nach traditionellen Maßstäben doch eigentlich geschafft hat, noch immer an mehreren Fronten gleichzeitig aktiv ist, ist dabei bezeichnend für eine Zeit, in der man parallel bis zu fünf Jobs haben muss, um sich ein einigermaßen komfortables Polster zu verschaffen. Für die Young Punx ist das zwar keine Wunschvorstellung aber, einfach gesagt, eine Realität, der auch sie sich noch immer stellen müssen: „Alle diese verschiedenen Berufe, die es einmal in der Branche gab, werden heute von allen ausgeübt. Musiker sind im Grunde genommen kleine Unternehmer, die aus vielen verschiedenen Fäden ihr Zuhause in der Szene zusammenflechten.“ Und so betreibt man das eigene Label Mofo Hifi, bastelt nebenbei an mehreren Projekten gleichzeitig und greift auch anderen gerne unter die Arme: Ritson hat sich als Partner von David Guetta und verschiedenen Top-Produzenten einen Namen gemacht und gilt heute als einer der aktivsten Studiomusiker überhaupt.

Pragmatische Erkenntnisse

Natürlich spielt „Social Media“ bei den eigenen Aktivitäten eine wichtige Rolle, wobei die Band klar differenziert zwischen MySpace (das man als kompliziert und veraltet ansieht), Twitter (nützlich, aber in seiner Reichweite eingeschränkt) und Facebook, dem für sie eindeutig schlagkräftigsten Werkzeug. Diese Plattformen erlauben der Band eine Form der Selbstdarstellung, die von ihren Anhängern und potenziellen neuen Hörern akzeptiert und nicht als störend empfundener Spam angesehen wird. Doch vor allem gelangte man zu einer Reihe pragmatischer Erkenntnisse: Zum einen muss man, um finanziell zu überleben, dorthin gehen, wo die Leute noch für Musik Geld auszugeben bereit sind, sich also auf Partnerschaften mit der Werbebranche, TV-Shows, Kino und Computerspielherstellern einlassen. Zum anderen alle Hoffnung auf die Majors fahren lassen, weil Plattenfirmen heute paradoxerweise nur noch in Acts investieren, die bereits Erfolg haben. Dass die Young Punx beispielsweise Mofo Hifi gegründet haben, ist weniger ihrer Obsession geschuldet, sich ununterbrochen mehr Arbeit aufzuhalsen, sondern stellt einen Versuch dar, sich zunächst einen Namen in der Szene zu erspielen und eine Plattform für mögliche Verhandlungen mit den Rümpfen der ehemaligen Majors aufzubauen.

Freilich greifen all diese Faktoren aus heutiger Sicht kongenial ineinander. Die Kooperation mit einem festen visuellen Künstler macht sich durch ein wiedererkennbares Design und dementsprechend ansprechendes Merchandising bezahlt. Die Produktionsjobs haben inzwischen zu einem engen Geflecht an Beziehungen sowie einem starken Netzwerk an künftigen Partnern für gemeinsame Projekte und Kollaborationen geführt. Die Lizenzierungen ihrer Songs an Spielestudios und zu Werbezwecken sorgt für einen konstanten Einnahmenstrom und verbreitert die Hörerschaft auf eine virale, asymmetrische Art und Weise. Auch die eigene Plattenfirma ist von einer reinen Briefkastenfirma zu einem eigenständigen Geschäftszweig gewachsen: „Im Laufe der Zeit ist daraus etwas Größeres und Besseres geworden, und jetzt benutzen wir das Label, um spannende junge Künstler unter Vertrag zu nehmen, deren Karrieren sich im Aufstieg befinden. Wir haben auf Mofo Hifi heute viele neue Acts und einer von ihnen, Phonat, ist meiner Meinung nach der beste Elektronikkünstler überhaupt!“

Sorgfältige Imagepolitik

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Die Zeiten, in denen es sich Bands aus Imagegründen grundsätzlich nicht leisten konnten, einen ihrer Tracks als akustische Untermalung für dahinbrausende PKWs oder Waschpulver zu „verschleudern“, sind in jedem Fall vorbei. Und dennoch ist eine sorgfältige Imagepolitik laut Ritson von entscheidender Bedeutung: „Wenn du dein neues Album auch wirklich aufnehmen möchtest, musst du mit kommerziellen Marken zusammenarbeiten, um das Geld für deine Musik zu verdienen. Trotzdem ist es wichtig, dass diese kommerziellen Chancen nicht mit dem Bild der Band konfliktieren. Unsere Arbeit dreht sich um eine Leidenschaft für Musik, eine Leidenschaft für das Leben, eine Leidenschaft für eine bestimmte soziale Szene und eine lebendige Einstellung ohne Grenzen. Solange ein Angebot diese Aspekte unserer Persönlichkeit reflektiert, sind wir zufrieden.“ Ganz klar: Wenn die eigene Band das Kapital ist, dann sollte sorgsam damit umgegangen werden.

All das klingt sehr nach Marketing und Betriebswirtschaft und wenig nach Kunst, doch entspricht das genaue Gegenteil der Wahrheit: In einer Welt, in der sich mit Musik selbst im Grunde genommen kein Geld mehr verdienen lässt, kann und muss man sich als Künstler interessanterweise um so mehr um sie kümmern. Erst wenn die eigenen Songs wirklich persönlich und frei von allen Zwängen sind, werden sich die so lebenswichtigen täglichen Kontakte zu den Fans oder die Beziehungen zu finanzstarken Unternehmen herstellen lassen. Authentizität, ein oft leidsam fehlinterpretierter Begriff, wandert wieder dorthin, wo er eigentlich hingehört. Und der Umgang mit den Verlockungen der freien Marktwirtschaft wird zum eigentlichen Gewissenskonflikt für den Schaffenden – ganz so, wie es sein sollte. Dass die Young Punx diesen Spagat derzeit ungemein elegant hinbekommen, macht sie auch durchaus nicht zu unkritischen Fortschrittsaposteln. „Wenn du kein Geld einnimmst, kannst du dir teure Faktoren wie Gastmusiker, die früher von den Labels bezahlt wurden, nicht mehr leisten. Somit öffnen und schließen sich zurzeit kreative Türen. Ich habe sogar von Beck gehört, dass er nicht mehr die Musik machen kann, die er früher gemacht hat, weil sie zu teuer geworden ist. All die Kids, die der Meinung sind, Kunst sollte umsonst sein, müssen erkennen, dass dann eine Menge interessanter Musik von der Bildfläche verschwinden wird.“

Licht am Ende des Tunnels aber gibt es auf jeden Fall: Als die Young Punx dem EMI-Mitarbeiter Nathan Taylor ihr Demo schickten, bot er ihnen zwar keinen Vertrag an – wechselte aber stattdessen zur Band. Ein weiterer Beleg dafür, dass sich die Fronten verschieben. Und das nicht unbedingt zu Ungunsten der Kreativen.

von Tobias Fischer

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