Digitale Kultur: Paul Kalkbrenner

Geschrieben von Beat
04.07.2011
15:35 Uhr

Für Paul Kalkbrenner gilt: Nach dem Film ist vor dem Film. Während „Berlin Calling“ noch immer Lobeshymnen einfährt, erscheint mit „2010 – A live Documentary“ nun bereits die DVD zur anschließenden Tournee. In der Kombination aus einem einstündigen Blick hinter die Kulissen und zehn prägnanten Live-Mitschnitten aus zehn verschiedenen Clubs bringt die Veröffentlichung Stimmung und Motivationen der Auftritte kongenial auf den Punkt. Was natürlich Kritiker nicht davon abhielt, bereits im Vorfeld zu bemängeln, es gehe hier ausschließlich um Profitmaximierung. Ein Gespräch mit den Machern.

(Bild: beat.de)

Gemeinhin gilt der Grundsatz, dass Erfolg einem recht gibt. Nur in der Musikbranche macht er einen verdächtig. Nach der Kino-Sensation von „Berlin Calling“ und 140.000 verkaufter Einheiten des Soundtracks sahen plötzlich alle hinter der Karriere von Paul Kalkbrenner einen eiskalten Masterplan, galt seine Musik als Mainstream, die anschließende Tour als Kalkül. Dass man Parallelen zwischen Kalbrenners Person und seinem cineastischen Pendant Ickarus, einem notorischen Pendler zwischen Genialität und Absturz, ziehen würde, war nicht nur von Anfang an klar, sondern zumindest teilweise sogar gewollt; dass der Film geschickt zwischen Kunst und Realität navigierte, sicherlich ein maßgeblicher Grund für seine Wirkung. Doch wurde all zu oft übersehen, dass Kalkbrenner hier durchaus nicht klischeehaft im Rampenlicht stand. Genau wie alle anderen Personen in Hannes Stöhrs Streifen wurde auch er hinweggefegt von dem Strudel der Geschichte, dem Rausch der Bilder, dem Mantra des Klangs und dem Sog der Musik – dem eigentlichen Star der Story. Es passt in diesem Zusammenhang, dass die Tour-DVD im Netz bereits zu einem Zeitpunkt als reine Marketing-Aktion gewertet wurde, als sie noch nicht einmal erhältlich war. Manche der Angriffe lassen sich indes auch ohne die dazugehörigen Bilder entkräften: Dass Kalkbrenner beispielsweise vornehmlich Stücke des Soundtracks spielte – ein Vorwurf, dem sich ein Bruce Springsteen wohl kaum ausgesetzt sähe – war kein Indiz künstlerischer Leere, sondern gerade eine jener Qualitäten, die den gebürtigen Leipziger von Anfang an ausgezeichnet haben: Als einer der Pioniere der Szene vermittelte Kalkbrenner Techno in den Neunzigern Glaubwürdigkeit, indem er gezielt die Grenzen zwischen DJ-Set und Live-Konzert aufweichte und die Polarität zwischen Track und Komposition aufhob. Natürlich wird „A Live Documentary“ die Zweifler nicht zu Fans bekehren. Doch Glorifizierung oder Statements für die Ewigkeit lagen Regisseur Max Penzel und Hannes Stöhr, der hier für die Dramaturgie verantwortlich war, ohnehin fern. Oder, wie Manager Marcus Ruschmeyer es ausdrückt: „Primär ging es uns darum, die Atmosphäre der Konzerte so ‚echt’ wie möglich abzubilden. Wir wollten kein Kunstwerk, das am Ende keiner versteht oder alle langweilt. Wir wollten kurzweilige, aber dennoch nicht seichte Unterhaltung schaffen.“ Die kritischen Fragen bleiben in dem Film ganz bewusst aus, denn, so Ruschmeyer, die wolle man den Journalisten überlassen. Na dann mal los ...

Beat / Für manche ist alleine schon das Erscheinen dieser DVD ein Zeichen des „Ausverkaufs“. In wieweit konnte man nach dem Erfolg von „Berlin Calling“ einen solchen Dokumentarfilm überhaupt noch naiv und unbefangen angehen?

Max / Ich habe da bis zum Release gar nicht drüber nachgedacht. Vielleicht zu meinem Glück, da mich das sonst sicher in meiner Arbeit beeinflusst und ich ständig gedacht hätte: Wie mache ich das jetzt, ohne dass der Eindruck entsteht, dass…. Ich habe mich stattdessen gefragt: Was interessiert die Jungs und Mädels, die auf die Konzerte gehen und drei Stunden konstant die Hände oben haben? Dabei wollte ich gleichzeitig nicht zu viel zu zeigen, um nicht alles zu entmystifizieren.

Hannes / Na ja, Ausverkauf… So sehe ich das nicht. Ich fand von Anfang an spannend, wie Marcus, Paul, Max, die Pfadfinder und das Team das auf die Beine gestellt haben. Davor habe ich großen Respekt. Ehrlich gesagt finde ich es schade, wenn Leute etwas als Team auf die Beine stellen und Ihnen dann sowas vorgeworfen wird.

Beat / Wo habt Ihr für euch die Spannungsmomente und Eckpunkte gesehen, über welche sich die Geschichte entwickeln sollte?

Hannes / Außer in Berlin, München und Frankfurt war Max ja alleine mit seinen Kameras. Das sieht nach vielen Kameras aus, aber das ist eigentlich immer ein Mann. Da muss man auch spontan sein. Beispielsweise bei der Jetgeschichte, Max ...

Max / … das ist ein gutes Beispiel. Da das Equipment bewusst sehr spartanisch war, waren wir extrem beweglich und spontan. Die Eckpunkte waren das Ungewisse und wie wir darauf reagieren. Im Falle der Geschichte, warum Paul und ich mit dem Learjet nach Nizza geflogen sind, war ich vielleicht zu langsam. Da mussten wir die Geschichte über einen O-Ton nacherzählen, was aber den Bildern nicht die Spannung nimmt. Fakt ist, dass wir bei Regenwetter in Frankfurt den Flug nach Nizza verpasst hatten. Der nächste Flieger wäre viel zu spät in Nizza angekommen, und eigentlich waren wir schon fast drauf und dran nach Berlin zu fliegen. Aber Paul wollte unbedingt dahin und mir ist eingefallen, dass man sich ein Lufttaxi nehmen könnte – auch wenn die Gage danach halt weg ist. Zwei Stunden später waren wir im Flugzeug: Das Wetter reißt auf, die Abendsonne kommt durch, eine 747 fährt im Hintergrund vorbei und der Busfahrer hält den Bus im richtigen Moment an. Das sind Aufnahmen, die bekommst du nicht gestellt hin. Das sind die Momente, auf die wir gehofft hatten.

Besonderheiten

Beat / Inzwischen hat sich Techno in vielerlei Hinsicht schon sehr nah an die Welt des Rock angenähert. In wieweit ergeben sich dennoch beim Drehen eines Dokumentarfilms Besonderheiten?

Max / Der markanteste Unterschied ist die konstante Bassdrum, an der sich alles orientiert. Außerdem ist kein Lipsync notwendig. Da kann man mit wenigen Kameras sehr viel erreichen ...

Marcus / Man sieht sich doch immer wieder mit den alten, langweiligen Klischees konfrontiert: Techno heißt verpillt, Rock heißt Bier. Viele Rockveranstalter haben durchaus im ersten Moment schon einen Haufen Raver erwartet, die da aus dem Bus kommen, mit mindestens fünf Pillen in der Hand, bunten Haaren und vielleicht auch noch weißen Handschuhen. Große Überraschung, wenn es dann doch nicht so war.

Beat / Die Tour-Etappen eines DJs ähneln sich untereinander teilweise sehr stark. Wie habt Ihr für euch das Problem gelöst, dass sich viele Szenen optisch nur wenig voneinander absetzen werden?

Max / Ja, das hat uns zu Beginn Kopfschmerzen bereitet. Wir haben es dann gelöst, indem wir Konzerte und Venues ausgesucht haben, die möglichst unterschiedlich sind in Beschaffenheit und Größe. Auch ein kleiner Club musste dabei sein, und dann wieder der alles zusammenbindende Teamgedanke. Das Berliner Design-Kollektiv Pfadfinderei hatte bereits die Visuals für die Tour entwickelt. Dieses Konzept sollte auch in die Live-Aufnahmen einfließen und so verhindern, dass sich die Einstellungen und Bilder zu sehr ähneln. Paul Wass und Alex Kraudelt, die Cutter, haben zusätzlich im Schnitt daran gearbeitet, mit den Bildern, die ich während der Konzerte eingefangen habe, kleine Geschichten zu erzählen.

Live-Tracks vs. Doku

Beat / Wie kam es zu der Entscheidung, dem Dokumentarfilm nicht ein zusammenhängendes Konzert beizulegen, sondern eine Zusammenstellung von Live-Tracks?

Max / Ich würde es eher so sehen: Den Live-Tracks wurde die Doku beigelegt. Wir haben es dann so konzipiert, dass beide Teile gleich stark wirken und nebeneinander existieren. Es sollte von vornherein eine Compilation verschiedener Gigs in Europa sein – weil’s vielschichtig ist und die Bilder sich nicht abnutzen. In einem Konzert mit allen Tracks am Stück wäre das schon hart geworden. Im Endeffekt ist es also eine Win-Win-Situation – für mich als Filmemacher und für die Fans in Europa.

Marcus / Es ging uns außerdem darum, etwas für die Fans zu schaffen. Für jemanden in Frankreich sind dann vielleicht 60 Minuten von einem Konzert in Frankfurt nicht sonderlich spannend.

Beat / Der Ton ist bei Live-Tracks immer eine delikate Angelegenheit. Wie seid Ihr dieses Thema angegangen?

Max / Der Ton ist das Wichtigste bei einer Musik-DVD. Robby Jäger von „Berlin Calling“ stand als Mischtonmeister schon zu Anfang des Projekts fest. Wir haben uns vorher zusammen mit dem Sound-Designer Martin Frühmorgen unterhalten, was wir vor Ort tun können, um die Atmosphäre am besten einzufangen. Natürlich kann man nicht alles fehlerfrei aufnehmen, wenn man in so einem kleinen Team unterwegs ist. Paul hat die besten Gigs ausgesucht und diese haben wir als Grundlage für den Schnitt genommen. Dem Ganzen kam natürlich zugute, dass Robby schon lange in der Technoszene unterwegs ist und ganz genau weiß, was er wann hochzieht und wie das Publikum drauf reagiert.

Marcus / Wir haben den Ton direkt von Pauls Pult genommen und hatten somit immer die Version zum Venue. Das Publikum haben wir über eine weitere Quelle mitgenommen und später mit Robbies Hilfe in der Mischung versucht, alles so harmonisch wie möglich zu vereinen.

Beat / Der Pressetext beschreibt den Ansatz des Films als „intim“ und tatsächlich wird es oft durchaus persönlich. Gab es dennoch vorher eine Absprache darüber, wo man die Grenze ziehen sollte?

Max / Die Grenze ist das, was nach dem Auftritt passiert. Das bleibt im Ungewissen. Wir schauen ein wenig Backstage, belassen es aber bei kleinen Besuchen. Ich finde das auch gut so. Ich würde es eher als „Ausverkauf“ empfinden, wenn ich zu viel Privates erzähle. Das ist ja kein BILD-Zeitungs-Film.

Marcus / Beim Dreh gab es eigentlich keine Grenzen. Wobei sicherlich hier auch Material entstanden ist, dass hoffentlich niemals jemand zu Gesicht bekommt.

von Tobias Fischer

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