Digitale Kultur: Forever Techno

Geschrieben von Beat
23.12.2011
13:57 Uhr

Im großen Buch der Musik ist das Kapitel Techno noch recht kurz. Doch bereits in den ersten zwanzig Jahren dieser Stilrichtung ist mehr passiert als andernorts musikalisch in einem ganzen Jahrhundert. Wenig verwunderlich also, dass in der gerade anstehenden Konsolidierung der Szene eine Vielzahl von Dokumentationen erscheint, die das Phänomen rückblickend beleuchten. Eine Reise durch zwei Dekaden in vier Filmen.

(Bild: www.tresor.de)

Warum Detroit? Es ist und bleibt das große Mysterium des Techno, dass diese elektrisierende und euphorische Musik ausgerechnet in einer ausgebluteten Metropole geboren wurde, die wie keine zweite für den systematischen Rückzug einer einstmals lebendigen Innenstadt in gleichgeschaltete Vorort-Monokulturen steht. High Tech Soul trägt das Seinige zu einer Aufklärung bei und verweist dazu auch auf den Zusammenhang zwischen Architektur und Musik: Für drei Millionen Einwohner konzipiert, leben in Detroit heute gerade 900.000 Menschen und verleihen der Stadt ein ebenso weitläufiges wie gespenstisches Antlitz. Gerade die Löcher in den Fassaden, das Leerstehende und Lähmende wurde zum Auslöser für Gestaltungswillen, Wiederbelebung und klangliche Untermalung.

Vor allem aber ist High Tech Soul die Geschichte einer großen Freundschaft. Die Koordinaten sind bekannt: Juan Atkins, Derek May und Kevin Saunderson treffen sich auf der Belleville High, inspirieren sich gegenseitig zum Musikmachen und treten mit damals billigstem Equipment eine musikalische Revolution los, deren langer Atem sich als einflussreicher erweisen wird als der des Punk. Glücklicherweise aber versucht Gary Bredows Dokumentation nicht, die Entwicklung von Techno historisch aufzuarbeiten und penibel nachzuvollziehen, sondern widmet sich ganz dem Kosmos aus persönlichen Verbindungen, Verstrickungen und Verirrungen. Zielsicher bewegt sich Bredow von Gemeinsamkeiten zu Differenzen und illustriert die immer tieferen Spannungsfelder zwischen den Protagonisten: wie Atkins mit seinem Titel „Techno City“ auf der Compilation „The New Dance Sound of Detroit“ dem Kind einen Namen gibt und das „Music Institute“, ein schmuckloser dunkler Club mit einem Stroboskop, sich zum Zentrum ihres Lebens enwickelt, bis May schließlich als Erster nach London fliegt und sich die Türen zum Ruhm öffnen. High Tech Soul ist keine Hochglanzproduktion, aber eine, die ein sehr dichtes und direktes Bild von Charakteren zeichnet, die heute als lebende Legenden gelten. Klar wird aber auch, warum der Pioniergeist der Detroiter Szene, zu der auch die ebenfalls vertretenen Blake Baxter und Anthony „Shake“ Shakir gehören, letztendlich recht bald der Vorreiterstellung von Berlin weichen musste: Der Techno von Detroit war die Musik einer kleinen eingeschworenen Clique und als solches nicht auf die bald einsetzende Reise rund um die Welt vorbereitet.

We Call It Techno!

Was danach passierte, wird in „We Call It Techno!“ nacherzählt, dem möglicherweise tiefsten und umfassendsten Film, der jemals über diese Musik gedreht wurde. Maren Sextro und Holger Wick sehen elektronische Musik durch die Linse eines transatlantischen Ping-Pong-Spiels zwischen alter und neuer Welt: Während Kraftwerk, Krautrock und elektronischer Funk die Blaupause für die „Belleville Three“ (siehe oben) bildeten, verlagerte sich das Zentrum von Techno in den Neunzigern zunächst nach England, wo der kurze aber explosive Acid-Rausch die nächste Welle von Pionieren auslöste. Der Plattenhändler und Produzent Talla 2XLC sortiert in seinem Frankfurter Laden die unterschiedlichsten Neuveröffentlichungen aus den Bereichen Synthiepop, House, Detroit-Dance-Music und industriellen Klängen unter dem Label „Techno“ ein und sorgt dafür, dass sich der Begriff auch in Deutschland durchsetzt. Gerade als der Hype bereits beendet scheint, markiert der Mauerfall die zweite Stunde Null. Zwischen den beiden zusammengeführten Teilen Berlins entwickelt sich ein reger Austausch, und elektronische Tanzmusik wird zur ersten kulturellen Bewegung, bei der Ostdeutsche und Westdeutsche von Anfang an gleichgestellt sind. Berlin entscheidet in der Stildebatte die Definitionshoheit gegen die primär dem EBM-Sound verpflichteten Frankfurter für sich. Der Funke springt nach Köln, Hamburg und München über, Zeitschriften wie Frontpage und Groove entstehen. Doch Love-Parade und Mayday entzweien eine ursprünglich enge Community, Utopien einer Raving-Society zerbrechen.

Nichts an „We Call It Techno!“ ist sanfte Nostalgie. Die alten Wunden, das merkt man sofort, sind noch lange nicht verheilt. Promoter Wolle XDP erinnert an die Tiefpunkte und erzählt mit noch immer spürbarer Erregung, wie auf der Love-Parade der kommerzielle Wagen der Low-Spirit-Crew den familiären Charakter der Veranstaltung in den Boden stampfte. Claus Bachor beschreibt den Niedergang der Frontpage von einem tonangebenden Magazin zu einer von Fremdinteressen gesteuerten und Interessenkonflikten gebeutelten Postille, während Chefredakteur Jürgen Laarmann noch immer bedauert, dass man damals nicht wenigstens einmal den Versuch unternommen habe, den Schwung der Bewegung in ein politisches Statement oder gar eine Partei umzuwandeln.

SubBerlin

Über eines immerhin sind sich alle Akteure einig: dass der Club als Verbindung aus sozialem Treffpunkt und musikalischem Soundsystem die Keimzelle von Techno war. SubBerlin erweitert diese These um einen kleinen, aber entscheidenden Zusatz: nämlich, dass das „Tresor“ die Mutter aller Clubs war. Auch wenn Tillmann Künzels Doku von den Abrissarbeiten 2005 eingerahmt wird und sich ganz und gar um das Team, die erweiterte Familie und die dort beheimateten Künstler dreht, ist daraus weit mehr geworden als ein Film über die einstige Location, sondern ein fokussiertes Stück Geschichte. Natürlich: Das Tresor mit seinem von Nebelschwaden verhangenen, von Stroboskopgewittern durchzogenen, in kondensiertem Deckenschweiß schwimmendem Basement steht im Zentrum. Grandios: die Geschichte von der Entdeckung des Clubs. In einem Stau steckend bemerkt (...), dass doch eines dieser leerstehenden Fabrikhäuser einen guten Techno-Club hergeben müsste. Der immer griesgrämige Dimitri Hegemann deutet willkürlich auf ein leeres Haus an der Straße: „Wie wäre es denn damit?“ Sie haben das Tresor gefunden.

„SubBerlin“ ist kein neutraler Film. Man spürt die Liebe zum Thema und die Enttäuschung über die Kurzsichtigkeit der Politik, die schließlich zum Ende des Clubs führte. Doch steht im Zentrum der Handlung kein Götzendienst, sondern Neugier: Was machte die Magie des Tresors aus? War und ist Techno mehr als reiner Hedonismus? Warum Berlin? Künzel stellt die richtigen Fragen und gibt Antworten, die über Trivialitäten hinausgehen. Am Ende hat man nicht nur das Gefühl, etwas dazugelernt, sondern eine der spannendsten und, in Dimitri Hegemanns Worten, „magischsten Phasen elektronischer Musik“ miterlebt zu haben.

Speaking in Code

Während Techno in Deutschland zu einem Massenphänomen aufsteigt, bleibt die Musik zuhause in den USA im Untergrund stecken. David Day, umtriebiger Partypromoter in Boston und eine der Hauptpersonen in Ex-Ehefrau Amy Grills Dokumentation „Speaking in Code“, wird von den meisten seiner Freunde und Kollegen aufgrund seiner Leidenschaft für elektronische Musik eher belächelt. Weil Grill für ihren Film die Unterstützung des führenden Journalisten Philip Sherburne gewinnen konnte und praktisch mit jedem ein Gespräch führte, der in der Community etwas auf sich hält, galt ihr Projekt drei Jahre lang als das heißeste Eisen in der Szene. Doch zum Glück ist daraus letztendlich das genaue Gegenteil eines Spektakels geworden und vielmehr ein intimer und sanfter Blick auf die Menschen hinter der oft schillernden und unpersönlichen Oberfläche.

Grill beobachtet dabei Musiker auf beiden Seiten des Atlantiks: die unwiderstehlichen Jenaer Wighnomy Brothers, die rotzig-charmanten Modeselektor, das Ableton- und Monolake-Genie Robert Henke sowie den genannten David Day als Dreh- und Angelpunkt der Bostoner Techno-Gemeinde. Die glorreichen, ekstatischen Momente im Club nehmen dabei immer nur wenige Sekunden ein, die Schwierigkeiten und Rückschläge abseits der DJ-Kanzel rücken in den Vordergrund. Wighnomy-Bruder Gabor Schablitzki muss sich, von dem Stress und den Anforderungen des Erfolgs überwältigt, eine Auszeit nehmen und wird vom Arzt dringend aufgefordert, seinen Vodkakonsum zu reduzieren. Modeselektor erzählen davon, wie sie zeitweise nicht genug Geld für Essen und Miete aufbringen konnten. Und das Kreditkartenguthaben von Grill und David Day kippt immer mehr in den roten Bereich. Doch es gibt auch die entscheidenden kleinen Momente des Glücks. Allein schon Days breites, schüchternes Lächeln, als er durch die heiligen Hallen des Kölner Kompakt-Shops geführt wird, sind den Kauf der DVD wert.

Mit „Speaking in Code“ hat der „High Tech Soul“ des Techno eine natürliche Schleife beschrieben: Nach den familiären Anfängen und den Superstar-Exzessen der späten Neunziger geht der Blick nun wieder nach innen, richtet sich aufs Kleine und die Details. Doch auch wenn die Phase der explosiven Revolution vorbei scheint: Die Reise geht weiter und der Beat wird niemals enden.

von Tobias Fischer

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