Digitale Kultur: Ende der Loveparade - Ende eines Traums

Geschrieben von Beat
23.12.2011
14:14 Uhr

Selbst Wochen nach der Loveparade in Duisburg kann man sich nicht von einem Gefühl der Verwirrung befreien. Zwar brannten sich die schockierenden Szenen schmerzhaft in die Netzhaut ein. Doch blieb das, was man im Fernsehen und auf Fotos sah, stets seltsam unwirklich.

(Bild: www.loveparade.de)

Die Panik, die Beklemmung, die Enge, die Gewalt tausender ineinander verkeilter Menschenkörper – die physische Realität all dessen ließ sich mit Digicams und Kameras einfach nicht einfangen. Vielleicht ist es dieses wahrhaft Unfassbare, was den Ereignissen, neben ihrer unermesslichen menschlichen Tragik, eine derart tiefe Wirkung verliehen hat: Was sich am 24. Juli in dem Tunnel vor dem alten Güterbahnhof abspielte, lässt sich höchstens erahnen, aus Zeugenaussagen ableiten, aus Polizeiberichten entnehmen, in den dunkelsten Ecken der eigenen Vorstellungskraft zusammensetzen. Tritt üblicherweise der Inhalt hinter den Bildern zurück, war es diesmal genau umgekehrt: Gerade die Gesichtslosigkeit der Geschehnisse verlieh ihnen ein derart dramatisches Antlitz.

Bitterer Unterton

Dass die Medien, trotz dieser Vermittlungsschwierigkeiten, wieder einmal ihre traditionelle Doppelrolle als Aufklärer und Ankläger wahrnahmen, geht dabei ausnahmsweise in Ordnung. Und das nicht nur, weil einige in den Stunden direkt nach den Todesfällen eben jene dringend benötigten psychologischen Hilfsleistungen übernahmen, derer sich die Organisation nicht als mächtig erwies. Vielmehr wurden in einer Kulturlandschaft, in welcher der WM-Ausfall eines Michael Ballack einen Brennpunkt wert ist, wieder einmal schmerzlich die wahren Prioritäten ersichtlich. Wer die beinahe schon ohnmächtige Pressekonferenz des hilflosen Organisationskommitees mitverfolgt hat, kann nicht umhin, sein Schicksal in den Händen Gleichgültiger zu vermuten: Da blieben grundlegende Fragen gezielt unbeantwortet, wurde offen eklatantes Unwissen eingestanden und eine Erklärung verlesen, deren kühl-sachlicher Ton ganz offensichtlich mehr von der Angst vor Konsequenzen als von Mitgefühl geprägt war. Man kann es natürlich als Zufall werten, dass wenige Tage nach der Katastrophe im örtlichen McFit die üblicherweise vor tonnenweise Tages-News flirrenden TV-Monitore schwarz blieben. Doch schwang selbst in diesem demonstrativen Schweigen der Maschinen ein bitterer Unterton mit.

Ende einer Reise

Man kommt freilich nicht umhin festzustellen, dass genaue Schuldzuweisungen vielleicht ebenso unmöglich sein werden wie hundertprozentig sichere Massenveranstaltungen. Man war in diesen Tagen mit den Gedanken nie ausschließlich bei den Trauernden, sondern immer auch bei Erinnerungen an ähnliche Ereignisse aus dem eigenen Bekanntenkreis. Mein Bruder wurde 1998 inmitten einer dicht gepackten Menge bei einem öffentlichen Rock-Konzert bestohlen und beinahe erdrückt. Eine Freundin erlitt in Frankreich bei einem Open Air in der Innenstadt Atemnotattacken. Selbst die beste Planung bringt keine Garantien: Trotz eines bedeutend effizienteren Sicherheitssystems war auch die zum kilometerlangen friedlichen Frühstückstisch umfunktionierte A40 an einigen ihrer Knotenpunkte nie vor einer plötzlichen Panik gefeit. Es erscheint deswegen nur als angemessen, von dem Ende einer Ära zu sprechen. Aufgrund ihrer Repräsentationsstellung für das gesamte Genre hat der Fall der Loveparade für elektronische Tanzmusik Symbolcharakter. Nie war es so einfach, zu argumentieren, dass die Veranstaltung lediglich eine mobile Partymeile, eine zur Kommerzkarikatur verkommene Mega-Sause, die Gallionsfigur einer unpolitischen Generation, ein letztes Trugbild einer inzwischen in Hunderte von kleinen Szenen zersplitterten Community gewesen sei. Nie schien die Wahrheit so einfach und so bitter: dass nun, als der Techno offiziell erwachsen geworden war, er auch endgültig seine Unschuld verloren hatte.

Letzter Hoffnungsträger

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Und doch ist es vollkommen inakzeptabel, wie ein Rainer Schaller, dessen Interesse an der Marke sich auf die Schaffung von medienwirksamen Werbeflächen für seine Fitness-Kette beschränkt, nun eigenmächtig und über die Köpfe der eigentlichen Fans hinweg, die Reise eigenmächtig für beendet erklärt. Die wahren Idealisten mussten ja schon ab der dritten Ausgabe mit ansehen, wie ihre private Vision vom Glück durch Tanzen zu einer sinnentleerten Konsensmaschine verkam. Doch war die Loveparade, trotz aller ihrer Fehler und Inkonsequenzen, immer auch ein letzter Hoffnungsträger dafür, dass man selbst nach den so oft besungenen Siebzigern die Welt durch Musik doch noch verändern konnte. So wie es einmal war, wird es nie mehr werden. Doch sich in ein von Dritten diktiertes Ende zu fügen, bedeutete, diesen Traum endgültig für gescheitert zu erklären.

von Tobias Fischer

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