Digitale Kultur: Bass meets Space

Geschrieben von Beat
23.12.2011
14:22 Uhr

Bislang war Dubstep vor allem ein englisches Phänomen. Mit einer groß angelegten Nacht auf der diesjährigen Ruhrtriennale soll nun auch Deutschland für die Matrix aus brachialem Sub-Bass und unwiderstehlich pochenden Beats gewonnen werden. Mit dabei: das Nujazz-Kollektiv Jazzanova und einige der derzeit angesagtesten Produzenten der Insel. So unterschiedlich ihre Stile auch sein mögen, ist ihnen doch eines gemein: Der Wunsch, der Musik das Reden zu überlassen. Eine Bestandsaufnahme einer Szene, die sich nicht mit lästigen Definitionsfragen aufhalten will.

(Bild: www.hyperdub.com)

Wer als Musikproduzent nicht über den Tellerrand schaut, wird verlieren“, meint Jazzanova-DJ Alex Barck und dieses nur zunächst wie eine typische Phrase anmutende Statement erscheint bei näherer Betrachtung ein ideales Motto für die gesamte „Bass meets Space“-Nacht bei der diesjährigen Ruhrtriennale. Das gilt natürlich zunächst einmal in rein geographischer Hinsicht. Denn obwohl sich auch in Deutschland inzwischen eine kleine Dubstep-Community gebildet hat, gelang ein Durchbruch auf breiter Basis bisher nur im englischen Ursprungsland. Auch Barck erinnert sich noch gerne daran zurück, wie er in London seine ersten Dubstep-12-Inches gekauft hat. Dass der Einladung des Organisationsteams um Christoph Gurk nun die Crème de la Crème der Szene Folge geleistet hat, könnte hierzulande eine ebenso bedeutende Initialzündung einleiten, wie es Mary Anne Hobbs’ berühmte Radiosendung „Dubstep Warz“ aus dem Jahr 2005 für die Insel war. Gurk untertreibt jedenfalls nicht mit der Feststellung, dass es „außerhalb von Großbritannien einen Dubstep-Abend mit einem derart hochkarätigen Line-up bisher kaum gegeben hat“. So geben sich neben dem Berliner Kollektiv Jazzanova, das zwar dem Genre nicht direkt zuzuordnen ist, sich aber umso mehr dafür begeistern kann, die Produzenten Appleblim, Ramadanman, Scuba und Sam Shackleton die Klinke in die Hand. Die Doppelrolle als Künstler und Labelbetreiber vereint die ungleichen Charaktere: Ramadanman als Kopf von Hessle-Audio, Appleblim und Shackleton als Macher bei Skull Disco und Scuba mit Hotflush Recordings. Man veröffentlicht gegenseitig beieinander, tritt gemeinsam auf und bildet so einen festen Kern, um den herum inzwischen eine wild wuchernde Szene gewachsen ist. Doch gilt der Blick über den Tellerrand natürlich auch in musikalischer Hinsicht, vor allem in Bezug auf das diesjährige Triennale-Thema „Islam“. Christoph Gurk: „Natürlich hat Dubstep mit dem Islam erst einmal wenig zu tun. Aber es ist schon eine Musik, die sehr offen ist für die unterschiedlichsten kulturellen Impulse. Da wir uns in diesem Jahr auch mit den Spuren beschäftigen, die der Islam in zeitgenössischer westlicher Kultur hinterlassen hat, habe ich beispielsweise mit Shackleton einen Musiker eingeladen, der sich ausdrücklich auf musikalische Einflüsse aus dem persischen und arabischen Kulturraum bezieht. Darüber hinaus verfügen einige Vertreter des Genres, wie etwa Ikonika, über einen einschlägigen Migrationshintergrund. Andere wiederum beziehen sich mit Künstlernamen wie Ramadanman, wenn auch spielerisch, sogar direkt auf den Islam.“

Definitionsprobleme

Damit sind Definitionsprobleme quasi vorprogrammiert. Was genau Dubstep denn nun ist, weiß so ganz genau keiner. Und manche, wie beispielsweise Sam Shackleton, wollen auch lieber gar nicht erst darüber reden, um dem Genre nicht von vornherein die Fähigkeit zur weiteren Entwicklung zu verstellen. Immerhin aber erinnert sich jeder, der vom Dubstep-Virus infiziert wurde, noch ganz genau an das einschneidende Ereignis, als es zum ersten Mal funkte: „Für mich repräsentiert das Wort eine Gruppe von Leuten und eine ganz bestimmte Periode“, so Ramadanman, „Ende 2005 hörte ich zum ersten Mal von dieser Musik, die man „Dubstep“ nannte, und wollte mehr darüber erfahren. Ich hörte mir Tunes wie „like sun“ von Toasty an oder die Beats von Mala. Dann ging ich zum ersten Mal ins FDW. Das war im April 2006 und es hat mein Leben verändert, ganz egal wie klischeehaft sich das anhört. Ich hatte noch nie einen solchen Bass gehört! Von dem Augenblick an war ich von dieser neuen Musik besessen!“ Clubs wie das von ihm angesprochene FDW waren zweifelsohne von entscheidender Bedeutung bei der Popularisierung von Dubstep. Doch gerade deswegen ist es in gewisser Weise unsinnig, über die genaue Geburtsstunde des Genres zu sprechen, weil die führenden Produzenten sich in den frühen Jahren noch gar nicht der Tatsache bewusst waren, dass sie daran arbeiteten. Kevin Martin, alias The Bug, oder Kode9 schien es eher so, als knüpften sie ganz natürlich an eine lange Tradition an, die von spätem Drum’n’Bass über 2Step und Garage zu Grime führte – dem dunklen, von markerschütternd tiefen Frequenzen getragenen Bastard mit Hip-Hop. Gleichzeitig vermischte sich ihre Arbeit mit einer scheinbar völlig unkorrelierten Tendenz: Ebenso wie das ehemalige Napalm-Death-Mitglied Mark Harris stammte Martin ursprünglich aus der Metal-Ecke. Während Harris unter dem Namen Scorn das Rasen der Drums auf ein fiebriges Pulsieren zurückfuhr (beispielsweise auf dem wegweisenden „Stealth“ auf dem Berliner Label Ad Noiseam), lotete Martin die Soundsystemkultur des Dub aus. Ebenso unbewusst wie von einer unbeirrbaren Logik getrieben, verbanden sich die beiden Entwicklungen unter dem Druck einer unbändigen Leidenschaft für Klangforschung zu etwas gänzlich Neuem.

Wenn man nun von Dubstep spricht, dann spielen die früher typischen Halfstep-Beats, bei denen der dritte Schlag jedes Takts betont wird, heute keine entscheidende Rolle mehr. Überhaupt: Die Trennlinien waren höchstens in den Anfangstagen einmal scharf, als man sich noch auf einen heftigen Sub-Bass und ein Tempo von 140 BPM einigen konnte. Anno 2010 ist vielmehr Sound als kompositorisches Element die Basis der Musik. Ramadanman: „Wenn man sich damals manche Songs auf dem Laptop angehört hätte, wäre einem neunzig Prozent der Musik entgangen. Manche Titel, die ich in meinem Schlafzimmer im Piratenradio hörte, veränderten sich komplett, als sie plötzlich auf dem Soundsystem des Londoner Clubs Plastic People gespielt wurden. Eine Menge davon hatte mit der physischen Wirkung eines Tracks zu tun. Damit, wie Klang deinen Körper bewegen und wirklich intensive Effekte hervorrufen kann.“ Wenn diese körperliche Wirkung mit musikalischen Faktoren verknüpft wird, entsteht aus scheinbar primitiven Rhythmus- und Bass-Gerüsten etwas, das weit über Euphorie und Ekstase hinausgeht: „Im Grunde genommen bewegte sich Clubmusik in den letzten Jahren durch verschiedene Zustände“, fasst Jazzanova-DJ Alex Barck die Entwicklung zusammen, „Der Song wurde zum Sound, der Sound wurde zum Effekt, beispielsweise einem Sub-Bass. Im Idealfall fusionieren diese drei Prinzipien zu einem vollendeten Track“.

Fusion der Prinzipien

Wie entscheidend diese Fusion tatsächlich sein kann, lässt sich an dem einschlagenden Erfolg von Ikonikas „Please“ ablesen. Die Debütsingle der Produzentin wurde 2008 zu einem ungemein einflussreichen Underground-Hit und machte sie innerhalb weniger Monate zum Star. Für manche unerträglich, war es für andere gerade die Mischung aus einem maximal gesteigerten Experimentierwahn und einer unwiderstehlichen Melodieseligkeit, welche dieses nervtötende Quietsch-Monster zu einem Klassiker veredelte. Das im März nachgelegte „Contact, Love, Want, Have“ gilt zugleich als eines der wenigen Album-Statements einer sonst primär von Singles und Compilations getragenen Szene. Veröffentlicht wurde es auf Hyperdub, dem Label des bereits erwähnten Kode9 alias Steve Goodman, der nun mit seinem Beitrag zur „DJ Kicks“-Reihe auf !K7 ebenso auf das Wohnzimmer wie die Clubs zielt: „Der erste und letzte Teil des Albums sind zwar stellvertretend für meine aktuellen DJ-Sets“, so Goodman im Beat-Gespräch, „Doch habe ich den Mittelteil bewusst als eine Art Zwischenspiel angelegt, das die für einen Mix typische Nahtlosigkeit aufbrechen soll“. Tatsächlich finden sich in diesem Abschnitt wie aus dem Nichts heraus Anspielungen auf R’n’B: Die Drums werden wärmer, die Harmonien weicher, das Metrum ruhiger. Doch bereits kurz danach verfinstern sich die Farben erneut und Goodman taucht ein in ein spannungsgeladenes Finale, das in seiner ganzen Vielseitigkeit die gespaltene Persönlichkeit von Dubstep aufzeigt. Gleichzeitig aber lässt es auch erkennen, dass diese teilweise ausschließlich aus skelettierten, metallisch rasselnden Percussion-Elementen bestehenden Tunes ebenso Kopf wie Körper bedienen. In ihnen spiegelt sich der aktuelle Stand der Tanzmusik in seiner ganzen Stilbreite wider: „Für mich funktioniert dieser letzte Teil der DJ Kicks wie eine Art Prisma, in dem Dub, House, Juke (eine Spielart des House, Red.) und Grime zu einem zusammenhängenden Stil verquickt werden.“ Damit erfüllt das Album kongenial Goodmans wichtigstes Ziel: Einerseits einen für seine DJ-Arbeit repräsentativen Mix zu erstellen, andererseits die vielen Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Genres aufzuzeigen.

Nicht immer laufen in diesem Zusammenhang die Einflusslinien so, wie man es vielleicht erwarten würde. Als Techno, House oder Drum’n’Bass zu erfolgreichen Mischungen wurden, fand praktisch unmittelbar ein Prozess der Einverleibung durch kommerzielle Spielrichtungen statt, oft mit schädlichen Folgen für den Zusammenhalt und die musikalische Integrität der jeweiligen Stile. Nicht so im Dubstep, der bislang noch praktisch nie in den Charts vertreten war. Stattdessen verleibt sich das Genre umgekehrt Tendenzen von außen ein, um sich ständig zu hinterfragen und von innen heraus zu erneuern: „Wenn man fragt, wie Dubstep sich auf uns auswirkt, liegt ein Irrtum vor“, so Alex Barck, „Derzeit sind es gerade die aus dem Nujazz und Brokenbeat kommenden Produzenten wie Bugz in the Attic oder Seiji, die von der Dubstep-Szene respektiert werden – zum Beispiel wegen ihrer Soundästhetik. Es geht um Fusionen: Die Spannung entsteht bei Dubstep vor allem durch musikalische Verschmelzungen wie bei Joy Orbison, Mount Kimbie und Martyn. Puristische Strömungen führen oft in die Sackgasse. Viele verorten Dubstep auch in einen Blackmusic-Kontext. Was passiert aber, wenn sich Dubstep mit Rockmusik verbindet?“

Die Antwort bleibt für den Augenblick offen. Immerhin aber darf man davon ausgehen, dass das Ergebnis den Tanzflur genauso rocken wird, wie alle bereits bestehenden Reinkarnationen des Genres. Auch bei der Ruhrtriennale ist akademische Arbeit eher nebensächlich: „Ich denke, man kann sofort erkennen, wenn gerade Dubstep läuft, wird aber immer überrascht, was alles innerhalb dieser stilistischen Parameter möglich ist“, stellt Christoph Gurk passend fest. Und es stimmt: Man muss diese Musik nicht definieren, um sie genießen zu können. „Am wichtigsten ist mir, dass dieser Clubabend eine gelungene Party wird“, sagt Gurk, und das klingt keineswegs wie eine dieser typischen Phrasen, sondern wie ein Versprechen.

von Tobias Fischer

Fotos: Ben Wolf, Shaun Bloodworth, Benjamin Biel

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