Quelle: https://www.beat.de/news/digitale-dividende-folgen-10054947.html

Autor: Beat

Datum: 09.03.12 - 08:26 Uhr

Digitale Dividende – und die Folgen

Die Digitalisierung von Rundfunk und Fernsehen schafft genau da Freiraum, wo man keine Enge vermutet hätte – in der Luft. Weil Raum aber immer gefüllt werden will, geht das Gedränge um die sogenannte Digitale Dividende jetzt erst richtig los. Beat erklärt im Dialog mit der Industrie, was das ist, wer sie bezahlt, wer sie bekommt – und was das alles mit Musik zu tun hat.

Wir erinnern uns: Vor nicht allzu langer Zeit wurde die digitale Rundfunk- und Fernsehübertragung eingeführt und alle, die weiter in die Röhre gucken wollten, mussten sich den passenden Receiver kaufen. Seither gibt es mehr Programme und öfter mal pixelige Bilder, wenn der Polizeihubschrauber mal wieder über der Stadt kreist. Jenseits dieser praktischen Unwägbarkeiten schuf die neue Technologie aber vor allem freie Frequenzbänder, die früher zur Fernseh- und Rundfunkübertragung genutzt wurden, denn die digitale Technik benötigt für die Übertragung jetzt nur noch rund zehn Prozent der ursprünglichen Bandbreite.

Tanz um das goldene Band

Die dadurch freigewordenen Frequenzbänder nennt man treffend „Digitale Dividende“, auch wenn dies den technischen Hintergrund eher unzureichend beschreibt. Denn zum einen sind die jetzt freien Frequenzen im ökonomischen und rechtlichen Sinne nicht frei, sondern Eigentum des Staates, der sie über die Bundesnetzagentur verwaltet und einer für das Gemeinwohl sinnvollen Nutzung zuführen soll. Zum anderen kann und soll mit diesen Frequenzen aber auch kräftig Geld verdient werden. Und spätestens jetzt wird aus der Physik dann doch Ökonomie und zu dem unstrittig hohen Gebrauchswert der freien Frequenzen gesellt sich wie selbstverständlich der nicht immer unzweifelhafte Tauschwert, um den auch prompt heftig gefeilscht wurde.

In einer 4,38 Milliarden Euro schweren Versteigerung wurden im Mai 2010 die begehrtesten Frequenzen der Digitalen Dividend schließlich an die üblichen Verdächtigen Deutsche Telekom, Vodafone und O2 verkauft. E-Plus ging leer aus. Die Auflage für die Sieger: zunächst mithilfe des flächendeckenden Ausbaus von „Long Term Evolution“ (LTE), einem neuen Mobilfunkstandard, den drahtlosen Anschluss ländlicher Gebiete an das Highspeed-Internet sicherzustellen, bevor durch neue Dienste in den Städten das Geldverdienen losgehen kann.

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Die Einwände von Umweltschutzorganisationen bezüglich zunehmender Funk-Strahlenbelastung mit möglicher Gesundheitsgefährdung oder auch die Befürchtung, dass es nur schwer nachzuprüfen sein wird, wie und ob die privaten Mobilfunkanbieter die auferlegten Pflichten zugunsten von bezahlbarem Highspeed-Internet auch für ländliche Regionen erfüllen, waren angesichts solcher Summen und der Perspektiven für die profitable Vermarktung zukünftige Online-Dienste eher nebensächlich. Auch Argumente, die eine steigende Gefährdung des freien Datenflusses und der Netzdemokratie anführten, fanden kein Gehör. Dabei waren sie keineswegs an den Haaren herbeigezogen, wie das Beispiel der Behinderung von preisgünstiger Online-Telefonie durch die Deutsche Telekom zeigt, wenn beim mobilen Internetzugang Skype auf dem iPhone einfach nicht funktioniert. Und sogar die Einwände von Fernsehanstalten, die die störungsfreie Übertragung ihrer Fernsehprogramme durch LTE gefährdet sahen, zählten am Ende wenig.

Funkmikros, was nun?

Die Umnutzung der Frequenzen hat außerdem zur Folge, dass bisher im Bereich der Veranstaltungstechnik die für Funkmikrofone und drahtlose Übertragungen wie zum Beispiel das In-Ear-Monitoring genutzten Frequenzbereiche zukünftig wegfallen, weil sie zunehmend von den Starksendern der LTE-Sendemasten gestört werden. Ab 2015 stehen diese Bereiche dann endgültig nicht mehr zur Verfügung. Ersatzweise wurden andere Frequenzen zugewiesen.

Die Folgen: Über kurz oder lang muss neues Equipment her, wenn die drahtlose Technik auf der Bühne noch störungsfrei betrieben werden soll. Das kostet Geld und ist dann besonders ärgerlich, wenn man erst kürzlich eine entsprechende Anschaffung getätigt hat. Eine nicht ganz einfache Situation, auch für den Handel. Beat hat zwei führende Vertreter der Industrie befragt, wie ihre Unternehmen mit dieser Herausforderung umgehen und welche Hilfe sie Musikern, Technikern und Verleihern anbieten. Ties-Christian Gerdes, Geschäftsführer der Sennheiser Vertrieb und Service GmbH & Co. KG, und Michael Korte, Leiter Marketing von Monacor International, vertreten im Beat-Gespräch recht unterschiedliche Standpunkte. Beide setzen jedoch auf Kundeninformation und Produktinnovationen.

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Beat / Über die Auswirkungen der „Digitalen Dividende“ gibt es viele Gerüchte, die zur Panikmache taugen. Ist die Umnutzung des UHF-Bandes aus Ihrer Sicht technisch sinnvoll oder mal wieder eine Lizenz zum Geldverdienen?

Ties-Christian Gerdes / Die von Staat und Bundesnetzagentur verfolgten Ziele sind vielschichtig. Es geht primär um die europaweite Harmonisierung der Frequenzarchitektur und die Vorteile einer grenzüberschreitenden drahtlosen Technik in einer globalisierten Gesellschaft (z.B. Mobilfunk). Selbstverständlich agieren Anbieter solcher Dienste aus ihrem Geschäftszweck heraus. Ein weiteres Ziel der Bundesregierung ist die sogenannte „Breitband-Offensive“, die Highspeed-Internet per Funkübertragung in die ländlichen Regionen bringen soll. Diese Versorgungsfunktion muss zu einem bestimmten Anteil erfüllt sein, bevor andere, finanziell attraktivere Dienste in Ballungsgebieten in Betrieb gehen dürfen. Als Deadline zur Einführung eines flächendeckenden Netzes, das die Nutzung von Funkmikrofonen in den bisherigen Frequenzbereichen ausschließt, nennen die Anbieter August 2011. Ob unsere Branche dabei grundsätzlich von Investitionen in Funkmikrofone profitiert, ist unsicher. Grundsätzlich birgt die Umstellung einen hohen Kommunikations- und Beratungsaufwand sowie logistische Herausforderungen, die von Industrie und Handel schnell erbracht und finanziert werden müssen. Einem Kunden mitteilen zu müssen, dass in jüngster Zeit erworbenes Hochfrequenz-Equipment nicht mehr spielt, ist im Übrigen keine gute Botschaft.

Michael Korte / In den letzten Monaten gab es in den Medien immer wieder Meldungen zur zukünftigen Frequenznutzung, die bei Handel und Verbrauchern zum Teil für erhebliche Irritationen gesorgt haben. Monacor International lässt die Kunden mit ihren Fragen aber nicht allein und steht mit der zuständigen Bundesnetzagentur zum Thema der zukünftigen Frequenznutzung in engem Kontakt. Diese stellt ganz klar heraus, dass ab dem Jahr 2015 der Bereich 790 MHz bis 862 MHz für die Neuzulassung von drahtlosen Mikrofonsystemen gesperrt ist. Der Betrieb noch vorhandener Systeme in diesem Bereich ist weiterhin möglich.

Beat / Müssen sich semiprofessionelle Bands und DJs, die Funkmikrofone und In-Ear-Systemen nutzen, aktuell Sorgen über technische Störungen machen? Ab wann sollte man im semiprofessionellen Bereich denn nun wirklich umrüsten?

Ties-Christian Gerdes / Grundsätzlich betreffen die gesetzlichen Änderungen alle Nutzer von Funkmikrofonen. Ob und inwiefern der Einzelne sich umorientieren muss, hängt von der Anzahl der Funkstrecken ab, die parallel betrieben werden sollen, und von der technischen Flexibilität des bisherigen Systems. Die individuelle Beurteilung hat Sennheiser in einem Online-Check, dem HF-Berater, systematisiert. Für private und semiprofessionelle Bands mit nur wenigen Funkstrecken bleibt unterm Strich das Ausweichen ins sogenannte ISM-Band (863-865 MHz), das weiterhin anmelde- und kostenfrei genutzt werden kann.

Michael Korte / Insbesondere für den semiprofessionellen Bereich sehen wir keine Notwendigkeit vorsorgend bestehende Systeme zu ersetzen. Hier sollte man erst tätig werden, wenn es tatsächlich direkt vor Ort zu Störungen kommt. Nur wer derzeit über eine Neuanschaffung nachdenkt, sollte sich mit Blick auf die Digitale Dividende für ein System entscheiden, das er gegebenenfalls auch nach 2015 erweitern kann. Bei unserer Marke IMG Stage Line haben wir bereits verschiedene Funksysteme umstellen können. Diese arbeiten schon jetzt im zukünftig nutzbaren Frequenzbereich von 740 MHz bis 764 MHz. Auch für das In-Ear-Monitoring steht mit dem SIEM-111/R2 von JTS ein System im neuen Frequenzband bereit.

Beat / Muss man wirklich alles neu kaufen? Unter welchen Voraussetzungen können bereits vorhandene Sender und Empfänger weiter genutzt werden?

Ties-Christian Gerdes / Es gibt durchaus Funkmikrofone, die weiter genutzt werden können: In der Sennheiser-Produktwelt wären das z. B. Funkmikrofone der evolution-G3-Serie, die im E-Band (823-865 MHz) senden. Hier muss der Nutzer lediglich eine entsprechende Frequenz wählen und kann funken wie bisher auch. Falls der ISM-Bereich nicht im bisherigen technischen Band liegt, ist bei jüngeren Sennheiser-Systemen theoretisch ein Frequenzumbau möglich. Ob das sinnvoll ist, hängt von Alter und Zustand des Gerätes ab.

Michael Korte / Nochmal: Bestehende Systeme dürfen weiter genutzt werden. Die Regelung betrifft nur ab 2015 neu in Betrieb zu nehmende Systeme.

Beat / Worauf ist zu achten, wenn konkret die Anschaffung von Funk-Gesangsmikros für die aufstrebende Hip-Hop-Band ansteht, und man zukunftssicher investieren möchte?

Ties-Christian Gerdes / Vorrangig ist auf verlässliches Equipment mit hervorragenden Klangeigenschaften und professionellen Technikfeatures von einem Hersteller mit Qualitätsbewusstsein zu achten. Viele billige Geräte verursachen durch schlechten Klang und minderwertige Verarbeitung mehr Schaden, als eine Gesetzesänderung es jemals könnte – dann nämlich, wenn Musiker keinen Spaß mehr an ihrer Performance haben oder ihr Equipment vorzeitig kaputt geht!

Michael Korte / Nun, es gilt wie eh und je darauf zu achten, dass mehrere Funkstrecken parallel betrieben werden können, dass das Mikrofon griffig in der Hand liegt und Wechselköpfe und Zubehör verfügbar sind. IMG Stage Line bietet sein erfolgreichstes Funksystem TXS-870 weiterhin für den Frequenzbereich 790 MHz bis 814 MHz und parallel als TXS-872 für den Frequenzbereich 740 MHz bis 764 MHz an. Erst ganz am Ende sollte sich die Frage der Funkfrequenz stellen. Denn die aktuellen Frequenzen lassen sich noch sicher und unkompliziert bis zum Jahr 2015 nutzen, die Alternativfrequenzen sind in der EU anmelde- und gebührenpflichtig.

Beat / Gute Informationen sind das beste Mittel gegen Gerüchte und Panik. Sind Sie als Hersteller gut auf die Fragen Ihrer Kunden vorbereitet? Welche Möglichkeiten empfehlen Sie Beat-Lesern, um sich über das Thema „Digitale Dividende“ zu informieren?

Ties-Christian Gerdes / Sennheiser hat für diese Mammut-Aufgabe eine Website geschaffen, auf der viele Hilfen zur kompetenten Selbstberatung der Anwender von Funkmikrofonen integriert sind. Hier finden sich neben dem genannten HF-Berater ein Wireless-System-Finder, Quickguides für jede Nutzergruppe, die FAQs zur Digitalen Dividende und vieles mehr. Neben dem Gang zum Händler kann sich also jeder selbst schnell einen Überblick verschaffen, inwiefern er von den gesetzlichen Änderungen betroffen ist.

Michael Korte / Wir haben unsere Kunden frühzeitig über die Veränderungen informiert und bieten Lösungen, die zukunftssicher sind. Für Anwendungen auf der Bühne nutzen wir alternative Frequenzbereiche, für reine Sprachanwendung gehen wir neue Wege und werden im Frühjahr 2011 ein System vorstellen, das Infrarotsignale zur drahtlosen Übertragung nutzt. Und selbstverständlich gibt es noch immer kabelgebundene Bühnen-Mikrofone – auch bei IMG Stage Line.

von Maya Consuelo Sternel