Coverdesigner: Jeremy Bible

Geschrieben von Beat
03.10.2011
08:42 Uhr

Ganzheitlichkeit ist zumeist nicht mehr als eine hohle Phrase für Hobbypsychologen und Esoteriker. Für Jeremy Bible jedoch wird daraus Lebensgrundsatz: In Personalunion als Künstler, Einmann-Vertrieb, Labelchef und Designer übernimmt Bible jeden Aspekt einer Veröffentlichung selbst. Bild und Klang gehören für ihn untrennbar zusammen, und bevor er sich an die grafische Umsetzung macht, baut er zunächst eine tiefe Beziehung zur zugrundeliegenden Musik auf. Kein Wunder, dass er insgeheim große Pläne hegt.

(Bild: www.jeremybible.com)

Wenige Künstler sind in der Ambient- und Klangkunstszene so beliebt wie Jeremy Bible. Seine eigenen Veröffentlichungen sind ebenso abenteuerlich und anspruchsvoll wie emotional. Sein Mailorder und Vertrieb „Experimedia“ gilt als verlässliche und professionelle Quelle für aktuelle Veröffentlichungen und unter demselben Namen veröffentlicht er zudem einige der herausragendsten Werke der Community. Wer auch nur ein einziges Mal mit ihm per E-Mail korrespondiert, weiß, dass Bible zudem ein ungemein sympathischer Zeitgenosse ist, der ein stets offenes Ohr und viel Humor hat. Doch wenn es um das Artwork der Experimedia-Platten geht, kennt er keine Kompromisse. „Da bin ich sehr direkt und streng. Sobald ich dem Musiker signalisiere, dass ich an einer Veröffentlichung auf Experimedia interessiert bin, betone ich, dass ich kompletten Freiraum für das Design brauche. Ich bitte da um ein gewisses Maß an Vertrauen. Das Label und vor allem die visuelle Darstellung sind für mich eine Form kreativen Ausdrucks.“

Eine schönere Welt erschaffen

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Diese Art der tiefen Beteiligung eines Labelchefs am kreativen Prozess ist in der Musikbranche längst außer Mode geraten. In gewisser Weise ähnelt Bible damit Legenden wie Clive Davis, der nicht nur Manager von Columbia Records, sondern auch deren maßgeblicher Produzent und wichtigster Talentscout war. Auch steht es für ihn fest, dass in einer Welt, in der Musik zunehmend als Strom aus digitalen Daten konsumiert wird, physische Objekte nur dann eine Überlebenschance besitzen, wenn sie von Anfang an als einzigartige Kunstobjekte konzipiert sind. Und so hat Bible, dem Fragen des Marketings durchaus nicht fremd sind und der um das Verkaufspotenzial eines gelungen Covers weiß, einige exzentrische Wunschvorstellungen: „Wenn es finanziell keine Grenzen gäbe, würde ich alles daran setzen, die Welt zu einem schöneren Ort zu verändern. Ich würde kommerzielle Plakatwände kaufen und sie in Kunst verwandeln. Ich würde ausgefeilte Alben veröffentlichen, deren Produktion mehr kostet, als sie jemals einspielen können. Ein eigenes Studio einrichten, in dem ich meine CDs selbst pressen, meine Booklets selbst drucken, meine Verpackungen selbst zusammensetzen kann.“

Daraus folgt gleichzeitig, dass Bible das Artwork einer Platte bereits im Kopf hat, bevor er einen Künstler unter Vertrag nimmt. Mit der Demo im MP3-Spieler begibt er sich ins Feld oder in die Stadt, lauscht der Musik, während er fotografiert und entwickelt so eine tiefe audiovisuelle Beziehung zu dem Werk. Immer steht dabei die Frage zentral, ob ein Album hundertprozentig zu Experimedia passt, ob es sich nahtlos in das Gesamtbild einfügt oder stattdessen eher wie ein Fremdkörper wirkt. Nur wenn alle Faktoren stimmen, kann er sich auch mit ganzem Herzen in die wirtschaftlichen Aspekte der Veröffentlichung stürzen und alles für eine Scheibe herausholen. Dabei geht es nicht darum, den eigenen Willen gegen den des Künstlers brutal durchzusetzen – tatsächlich sieht Bible durchaus kein Problem darin, in Konfliktsituationen notfalls seinen Vorschlag anzupassen –, sondern um eine Beziehung zwischen Bild und Klang, die über triviale Spiele mit dem Titel oder banale Porträtbilder hinausgeht. Die meisten der von ihm vertretenen Musiker fühlen sich dabei keineswegs bevormundet: „Sie sind vielmehr häufig sehr gespannt darauf, wie das fertige Produkt aussehen wird. Und ihre Reaktionen auf den Entwurf sind fast immer sehr begeistert.“

Ein Auge für Details

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Dabei sind Bibles Motive auf den ersten Blick alles andere als spektakulär. Wie so viele seiner Kollegen holt auch er seine Inspiration aus der Natur, von Pflanzen, Landschaften, Horizonten, Sonnenuntergängen und verwesenden Strukturen. Doch dank seines Auges für Details und Texturen entsteht daraus immer bedeutend mehr als eine rein oberflächliche Wohlfühlästhetik. Einmal sind es die Mikrostrukturen einer Blume, die ihn reizen, ein anderes Mal die endlose Weite einer von Hochstrommasten durchstochenen Prärie. Und während manche Designs sich am schwerelosen asiatischen Minimalismus anlehnen, sind andere von strahlenden, leuchtenden Farben und einer opulenten Dichte geprägt: „Für mich sollen sowohl das Artwork als auch die Musik Gefühle ausdrücken, die man nicht einmal im Traum sprachlich einfangen könnte“, erklärt Bible.

Zum Träumen kommt er aufgrund seiner vielfältigen Verpflichtungen ohnehin nicht oft. Zwar ist es für ihn unbestreitbar von Vorteil, als Beschäftigter in der Papierindustrie seine Verpackungsideen direkt in die Praxis umsetzen und dabei verschiedene Muster ausprobieren zu können, ehe sie in die Serienfertigung gehen. Doch wacht auch er manchmal morgens auf, ohne zu wissen, wie all seine aktuellen Projekte jemals umgesetzt werden können: „Ich habe dieses unglaubliche Bedürfnis, jeden und alle unterstützen zu wollen. Dabei muss ich mich oft selbst daran erinnern, dass ich nicht alles tun kann.“ Wie gesagt: Jeremy Bible ist gelegentlich streng, doch er hat ein großes Herz.

von Tobias Fischer

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