Clubreport: U60311, Frankfurt

Geschrieben von Beat
23.07.2011
13:19 Uhr

Techno hat sich traditionell dem Fortschritt verschrieben – nur wenige Clubs übertragen dieses Konzept aber auch auf ihr Geschäftsmodell. Anders beim U60311 in Frankfurt, das bereits seit Jahren konsequent mit einer offenen Booking-Politik Zeichen setzt. Ganz genau wird hier auf die Wünsche der Besucher gehört und ein Spagat zwischen musikalischer Kultur und einer möglichst großen Party angestrebt. Damit ist man zu einem Wahrzeichen der Stadt und einer international anerkannten Inspiration für die Szene aufgestiegen.

(Bild: www.u60311.net)

Johannes Heil rockt das U60311. In einem ohrenbetäubend lauten Liveset wechselt der Produzent nahtlos von brachialem Techno zu zeitlupenhaft groovendem Hip-Hop, lässt eiskalte Flächen wie Polarlichter auflodern und baut kühne Spannungsbögen auf. Das Publikum, das gerade noch zu den fulminanten Four-to-the-Floor-Granaten des Kanzleramt-Labels gefeiert hat, geht fanatisch mit, begrüßt die atmosphärischen Momente mit stiller Andacht und die rhythmusgetränkten Augenblicke mit ekstatischen Tanzmanövern. Doch welches Jahr schreiben wir eigentlich? Etwa 2000, in dem Heil noch ein junges, viel versprechendes Talent war und mit „Future Primitive“ gerade ein allseits gefeiertes Album vorgelegt hat? Oder doch 2010, in dem sich der DJ und Produzent längst als feste Größe der internationalen Technoszene etabliert hat?

Die Musik steht im Vordergrund

In diesem Fall ist beides richtig. Denn im Gegensatz zu anderen Clubs, in denen sich stilistische Ausrichtungen und DJs im Wochentakt verändern, halten sich beim Frankfurter U60 Musiker und Organisation die Stange. So hat man in mehr als zehn Jahren feste Beziehungen zu Labeln und Künstlern aufgebaut, die inmitten eines Strudels aus Veränderungen und Umschwüngen Halt bieten und Erkennbarkeit garantieren. Auf diese Weise hat man sich von einem viel diskutierten Streitpunkt zu einem Aushängeschild der Stadt entwickelt und dabei so manche so genannte Krise sowie eine Reihe an viel versprechenden, aber letztendlich kurzlebigen Trends überlebt. Hinter dieser Konstanz steckt weitaus mehr als cleveres Marketing, auch wenn eine sinnvolle konzeptuelle Untermauerung zweifelsohne zum Erfolg beigetragen hat: „Für uns ist das U60 eine Lebenseinstellung und nicht nur ein Club. Wir leben Techno“, so Alexander Egger, der als Inhaber und Booker maßgeblich für die Inhalte verantwortlich ist. „Das Besondere unseres Ansatzes ist, dass wir keinen Wert auf Deko-Geschnörkel und andere Äußerlichkeiten legen. Bei uns steht die Musik im Vordergrund.“

Das mag zunächst wie falsche Bescheidenheit klingen. Der Grafiker Michael Fluhr sorgt schließlich persönlich für einen zugleich spannenden und verspielten visuellen Auftritt, sowohl was Internetauftritt und Poster als auch das Merchandising angeht. Und schließlich ist das U60 in den Anfangstagen gerade durch seine bestechende Ästhetik in die Schlagzeilen geraten: Für das Design beauftragte das Management Ende der Achtziger die Architekten Bernd Mey und Christian Pantzer. Gerade die Karriere von Mey steckte damals noch in den Kinderschuhen, und der Auftrag war einer der ersten für das gemeinsame Büro. Der gewagte Schritt erwies sich als Volltreffer: Innerhalb von zwei Jahren sammelte das U60 zahlreiche Designpreise und -nominierungen ein und wurde zu einem Dreh- und Angelpunkt zwischen der Frankfurter Shoppingmeile „Zeil“ und dem Hauptbahnhof. Der Entwurf ist dabei vor allem deswegen bemerkenswert, weil er zum einen mit kalter Betonästhetik und dunkel glühender Lumineszenz der klassischen Hochzeit des Techno Tribut zollt, gleichzeitig aber auch eine familiäre und warme Stimmung in den Nischen der Big-Finance-Metropole erzeugt. Andererseits berücksichtigt er die urbane Geschichte der Anlage: Jahrelang war die U-Bahn-Unterführung unter der Hauptwache ein Treffpunkt für Nachtschwärmer und dunkle Gestalten, eine rund um die Uhr geöffnete Anlage, die ihren rein funktionalen Charakter längst abgestreift hatte. Heute erinnern Holzplanken zur Verriegelung der einstmals brüchigen Eingänge, Glasvitrinen mit gefundenen Gegenständen von damals, Eimer voller Erde, ein Miniaturnachbau der Unterführung sowie die ausgestellten Originalbaupläne an die von Legenden umwobene Vergangenheit.

Techno als Kultur

Damit haben Alexander und das Team des U60 bewiesen, dass Techno schon längst weder reine Gegenbewegung noch purer hedonistischer Zeitvertreib oder gar eine flüchtige modische Momentaufnahme ist. Für sie ist diese Musik zu einem zentralen Teil der Kultur des 21. Jahrhunderts und seine Tempel zu einem integralen Bestandteil des Stadtbildes geworden – und darauf sind sie zu Recht stolz. Zu dieser Ansicht gehört aber auch eine Organisation, die sich nicht von ihren Fans abschottet, sondern gezielt versucht, jeden Abend zu einem Erlebnis zu machen, bei dem betont viele Nachtschwärmer auf ihre Kosten kommen.

Eine besonders gelungene Neuerung besteht zum Beispiel in der Möglichkeit, sich bereits vor Reiseantritt die Eintrittskarten im Internet zu bestellen und auszudrucken – eine bewusste Distanzierung von der oft exklusiven Türpolitik vieler großer Läden: „Die Idee läuft sehr gut. Denn so haben auch Leute, die von weiter her zu uns kommen, keine Angst, eventuell nicht Einlass zu finden“, so Egger. Natürlich ist auch die mediale Nachbereitung besonders gelungener Events sowie der Aufbau einer Community aus DJs und Gästen ein Eckpunkt: Das u60 hat inzwischen erfolgreich verschiedene CD-Sampler auf den Markt gebracht, die sich von Chris Liebing und Carl Cox (Techno) bis hin zu Karotte und Tobi Neumann (House) den verschiedenen hier vertretenen Musikgattungen sowie ihren prominentesten Vertretern widmen.

Jahrelang funktionierte der Club so als eine Kreativzelle für die Techno-Bewegung in Frankfurt: Sven Väth organisierte beispielsweise hier einen regelmäßigen Abend mit Gast-DJs, aus dem schließlich seine Konzertagentur Cocoon, ein eigener Club, Guest-Residences auf Ibiza sowie das „King Kamehameha“ hervorgingen, das mit seiner Mischung aus Jazz-Flair und gemütlicher Gastfreundschaft wieder selbst Akzente setzte. Der andauernde Erfolg aber war vor allem darauf zurückzuführen, dass man stets gekonnt die Balance zwischen Underground-Appeal und Massentauglichkeit hielt und sich programmatisch auf geänderte Geschmäcker und neue Bedürfnisse einstellte: „Es wird und es muss sich in unserer Szene immer einiges verändern“, bringt Egger seine Philosophie auf den Punkt, „sonst wäre Techno ja tot.“ Schon bei der eingangs erwähnten Kanzleramt-Labelnacht im Jahr 2000 wurden neben den eigenen, Detroit-beeinflussten Scheiben populäre Titel wie Mr. Oizos „Flat Beat“ aufgelegt. Noch heute deckt das Programm von Trance-beeinflussten Scheiben und Minimal bis hin zu klassischen Omen-Sounds das gesamte Spektrum elektronischer Tanzmusik ab. Bei Ausdauertests wie der 44-Hours-Party werden die goldenen Hochzeiten von Techno und House heraufbeschworen, während entspannte Events wie „Electronic Lifestyle“ oder der „Afterburner Sonntag“ die Türen des Clubs auch für diejenigen öffnen, die ansonsten niemals einen Fuß in eine Diskothek setzen würden.

Der Club als Idee

Entscheidend für das U60 indes war vor allem seine Fähigkeit, sich nicht nur als eine prägnante Örtlichkeit, sondern vor allem auch als eine Idee öffentlich profilieren zu können. Mit der Organisation der Hafentunnels-Party dehnte man den eigenen Wirkungsbereich auf andere Locations der Stadt aus, erreichte somit neue Zielgruppen und präsentierte sich selbst als vielseitigen Vorreiter. Bei dem Event traten Acts wie Booka Shade, Anthony Rother, Dave Clarke, Der Dritte Raum, Marco Bailey, Josh Wink und Toni Rios auf, und natürlich war auch Johannes Heil wieder mit von der Partie. Dass indes auch Megastar David Guetta verpflichtet wurde, sorgte zumindest bei Puristen für Naserümpfen und entrüstete Aufschreie. Was indes nicht verhinderte, dass satte 30.000 Gäste erschienen und den Hafentunnel zu einem der größten Dance-Events des Jahres machten.

Wenige Clubs haben es geschafft, die verschiedenen Fraktionen elektronischer Musik derart organisch unter einen Hut zu bringen wie das U60. So definiert Alexander Egger anno 2009 den Begriff Techno mit einem einzigen, grundlegenden Wort: „Leben“. Für die Zukunft hat er auch bereits einiges in petto: „Wir wollen noch so manche neue Idee umsetzen. Ihr könnt also gespannt bleiben.“

von Tobias Fischer

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