Clubreport: Tresor, Berlin

Geschrieben von Beat
30.07.2011
19:40 Uhr

Für einen kurzen Augenblick stecken wir fest. Die grell blendenden Frontleuchten eines Jeeps in den Augen und von vorn und hinten eingekeilt, scheint unsere Reise quer durch Berlin zwangsbeendet. Doch Dimitri Hegemann bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Während er über sein Handy die Release-Party des neuen Albums von Ambient-DJ Matthew Hawtin aushandelt, navigiert er lässig rückwärts durch einen millimeterschmalen Korridor aus zwei Autos und lässt den Gegenverkehr passieren.

(Bild: www.tresor-berlin.de)
(Bild: www.tresor-berlin.de)
(Bild: www.tresor-berlin.de)
(Bild: www.tresor-berlin.de)

Vor einer halben Stunde hat mich Hegemann an der Currybude direkt am Tresor aufgesammelt. Allein schon der Einstieg war abenteuerlich: Ohne Rücksicht auf Verluste habe ich mich durch hohe Schneehaufen zu seinem Land Rover durchgekämpft und bin über kleine Seen aus Schmelzwasser gesprungen. Seit Wochen schon wird die Hauptstadt von Schneestürmen und Hagel heimgesucht, ist von einer Kruste aus spiegelglattem Eis überzogen. Auf diesem frostig glänzenden Parkett passiert es schon einmal, dass man zunächst ein paarmal an dem Club vorbeischlittert, ehe man endlich die Hausnummer 70 entdeckt. Außer einem Poster am Zaun deutet nämlich nichts darauf hin, dass sich hier eine der legendärsten Locations der elektronischen Musikgeschichte befindet: Das ehemalige Kraftwerk, unmittelbar neben der Vattenfall-Zentrale gelegen, ist derzeit von riesigen Metallgerüsten verdeckt und sieht von außen eher wie eine Baustelle denn ein Partytempel aus. Als ich endlich ankomme, ist Hegemann spontan abgefahren, um seinen Sohn abzuholen, unser Termin scheinbar geplatzt. Kurz darauf jedoch ist er bereits wieder auf dem Rückweg, und es beginnt ein Trip durch Zeit und vor allem Raum.

Technische Erfindung

Zunächst jedoch dreht sich unser Gespräch weder um die Geschichte des Tresor noch um Techno. Denn Hegemann hat eine technische Erfindung gemacht, und auf die ist er zurecht sehr stolz: Sein sogenannter „Trackfish“ ist zunächst einmal nicht mehr als ein leicht modifiziertes digitales Autoradio. Jedes Mal, wenn der Fahrer einen Song hört, der ihm gefällt, drückt er auf einen blauen Knopf an dem Gerät. In diesem Augenblick werden die gesamten Metadaten auf einen kleinen USB-Stick übertragen. Abends wird dieser dann in den heimischen PC gesteckt, damit man sich bequem und kinderleicht aus dem iTunes-Store die entsprechenden Titel herunterladen kann. Ohne sich durch die üblichen Terabytes an Musik kämpfen zu müssen, können somit selbst Laien eine umfangreiche persönliche Bibliothek aufbauen und Musik für sich entdecken. Der Ansatz hat ganz klar ein gewaltiges Potenzial: Gespräche mit dem Fraunhofer-Institut über eine Zusammenarbeit laufen bereits.

Die Idee passt zu Hegemann – und sie passt auch zum Tresor. Beide stehen für eine Mentalität des Nicht-Stehenbleibens, beide sind von einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein gekennzeichnet und sehen Möglichkeiten, wo andere Risiken fürchten. Der Detroiter James Smith fasste einmal die Geschichte des Tresor in einem einzigen Satz zusammen: „Dimitri took a chance“. Und genau so instinktiv und dennoch wohlüberlegt geht er auch heute noch seine Projekte an. Später, in Hegemanns Kreuzberger Wohnung, wird er mir Ausschnitte aus der Rohfassung von „SubBerlin“ zeigen, eines neuen Films, den Tilmann Künzel über den Tresor gedreht hat. Da zerstören Abrissbirnen die letzten Reste des Clubs, reißen nieder, was vierzehn Jahre lang Dreh- und Angelpunkt elektronischer Musik in Berlin war. Im Gegensatz zum Frankfurter „Omen“, das gegen Ende seines Bestehens bereits seinen Zenit überschritten hatte, blieb Hegemanns Club am Puls der Zeit. Noch heute betrachtet er die einleitenden Bilder der Doku mit Enttäuschung und Unverständnis: „Wir hätten einen wirtschaftlichen Komplex, einen Tresor-Tower darauf aufbauen können. Mit dem Club sind doch unglaublich viele Branchen verbunden: Agenturen, Mode, sogar die Getränkeindustrie. Die ganze Umgebung hätte sich entwickelt, wir hätten den Begriff der ‚Creative Industries‘, der heute so angesagt ist, mit Leben füllen können. Doch die Verantwortlichen haben das einfach nicht erkannt. Wir haben ihnen immer wieder gesagt: ‚Hey, seid stolz auf eure Jugend, auf eure junge Intelligenz, die etwas bewegen möchte. Unterstützt das, betrachtet es als ein Gründerzentrum, das das wilde Element in Büros, in Hotels, in neue Unternehmen kanalisiert.‘ Aber die Stadt hat versagt.“ Trotzdem folgte dem Untergang ein Phönix-artiger Aufstieg. In dem Kraftwerk an der Köpenicker Straße witterte Dimitri Hegemann die Möglichkeit eines Neuanfangs, spürte dieselbe Magie des Raumes.

(Bild: www.tresor-berlin.de)

Ort und Raum

Letztere ist für ihn seit jeher entscheidend gewesen. Community-Building in allen Ehren, doch für Hegemann kann ein Club nicht nur ein Konzept sein, das sich beliebig vermarkten und auf andere Locations übertragen lässt. Stattdessen ist ein Club immer und inhärent mit einem ganz bestimmten Ort verbunden: „Dass Leute von ganz weit herreisen, um diesen Laden zu besuchen, zeigt, dass es nicht nur um die Musik geht, sondern auch um den Ort. Ich erinnere da an den schönen Begriff der ‚physikalischen Qualität‘ eines Raumes, der von dem Architekten David Chipperfield geprägt wurde. Es gibt einfach Lokalitäten, da gehst du rein und sagst: ‚Wow!‘ Und dann gibt es wiederum andere, mit denen kannst du nichts anfangen. Und da sehe ich auch meinen Auftrag: Ich bin ein Raumforscher.“ Dass seine Vorstellung durchaus keine Selbstverständlichkeit ist, entdeckt er aktuell bei den Verhandlungen über die Eröffnung eines Tresor-Ablegers in Beijing: „Wir sind dort teilweise in Karaokebars gelandet. Die jungen chinesischen DJs und elektronischen Komponisten wundern sich gelegentlich, warum bei ihnen keine Stimmung aufkommt. Doch das hat genau mit dieser Raumbeschaffenheit zu tun.“ Es ist das Zusammenspiel zwischen der Intensität eines prall gefüllten Clubs, einer euphorisierend-rhythmischen Musik und einem fast schon mythischen Raum, das das Erfolgsgeheimnis ausmacht: „Ein guter Club befriedigt eine Sehnsucht, durch eine Tür zu gehen und in eine Parallelwelt einzutauchen“, so Hegemann.

Dass ihm das mit dem Tresor gelungen ist, steht außer Frage. Ein „Mekka“ der Technomusik wollte er errichten, und in gewisser Weise ist der Club tatsächlich ebenso eine touristische Attraktion geworden wie das Brandenburger Tor. Jahrelang war damit auch das hauseigene Label verbunden, auf dem Pioniere wie Jeff Mills Genre-prägende Alben veröffentlichten, darunter Klassiker wie „Waveform Transmission“ oder das mit einem philharmonischen Orchester aufgenommene „Blue Potential“. Nach über zweihundert Veröffentlichungen ist der Rhythmus der Plattenfirma allerdings zuletzt ein wenig ins Stocken geraten: „Es war einfach kein Business mehr da“, so Hegemann, „wir haben in den vergangenen Jahren zwei fette Insolvenzen unserer Vertriebe erlebt: Zuerst haben wir mit der EFA 65.000 Euro verloren und danach ist auch Neuton untergegangen.“ Jetzt hat Hegemann eine neue Strategie entwickelt, bei dem der Club das Label finanziert: Streng limitierte farbige Vinyleditionen sollen den Sammlergeist der Tresor-Fans wecken. Und aus dem riesigen Angebot an Beatport-Tracks wird Hegemann das Beste herauspicken und als Sampler veröffentlichen. Alle Mitglieder der fast 100.000 Benutzer starken Tresor-Community sollen sich diese Alben kostenlos herunterladen dürfen, die Künstler bekommen statt einer Gage ihre Alben gepresst und einen Auftritt im Laden. Die berühmte Marke fungiert dabei als Qualitätsfilter, durch den nur das Beste passieren darf.

Inzwischen sind wir zu Hegemann nach Hause gefahren und die Treppe zur Wohnung hinaufgestiegen. Schon bei Betreten fällt unmittelbar auf, dass er seine Vorstellungen in Bezug auf Raumarchitektur hier genauso auslebt wie im Beruf: Sein Arbeitszimmer hat eine atemberaubend hohe Decke, die von nackten, untapezierten Wänden getragen wird, aus denen an manchen Stellen frech der Putz hervorlugt. Außer einer Couch steht hier nicht viel, doch die meterhohen Regale sind gefüllt mit Büchern, Katalogen, HiFi-Geräten, CDs und einer prominent zur Schau gestellten Frank-Sinatra-Platte. Während Hegemann seine E-Mails abruft, lausche ich der für Mai geplanten neuen Label-Veröffentlichung, einer 4-Track-EP der Future Beat Alliance aus London, die mit ihren elegant pulsierenden Beats und dichten Flächen eher Bezug auf klassischen Trance und melodiösen Goa als den berühmten Tresor-Sound nimmt. Die Musik ist dicht, episch und dennoch ungemein konzentriert, ebenso funktional wie fantasievoll. Das hohe Maß an Musikalität, das hier durchscheint, ist sicherlich auch repräsentativ für das weite musikalische Interesse des Clubgründers, der zunächst in Münster Klassik studierte, dann für die Lesungen des ersten deutschen Punk-Professors nach Berlin zog und heute nach eigenem Bekunden vor allem Dub und Dub-House hört.

(Bild: www.tresor-berlin.de)

Neue Konzepte

Nachdem die elektronische Post erledigt ist, skizziert mir Hegemann kurz das neue Konzept für den Tresor: Indem man sich gezielt auf Besucher zwischen achtzehn und sechsundzwanzig Jahren ausrichtet, soll die Location wieder zu einer Kreativzelle für die Szene werden. Auch sollen junge DJs eine Chance bekommen. Gerade noch hat man einen Aufruf zum Einschicken von Bewerbungsmixen gestartet. Die Endauswahl liegt jetzt bei Hegemann auf dem Laptop und beläuft sich auf satte acht Stunden Musik. Gleichzeitig will er seinen Laden auch für die moderne Kunst öffnen. In einer minimalistischen Hochglanzbroschüre macht der Tresor Werbung für das demnächst in seinen Räumlichkeiten stattfindende „Berlin Art Festival“, ein „Labor, das sich vor allem der nachhaltigen und unabhängigen Nachwuchsförderung verschrieben hat.“ So könnte man noch stundenlang reden, Ideen diskutieren, Visionen aus der Taufe heben, Musik hören.

Als ich zwei Stunden später die Straße betrete, ist es bereits dunkel und die Stadt ist in ein warmes, gelbliches Licht getaucht. Es ist eine stille Erwartung: In wenigen Stunden schon wird der Tresor von neuem erwachen und die Nacht wieder in seinen Bann ziehen.

von Tobias Fischer

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