Clubreport: Soju Bar Berlin

Geschrieben von Beat
16.06.2011
21:35 Uhr

Wie viele Quadratmeter braucht es zum Glück? In der Berliner Mikro-Bar-Szene wird die Antwort auf diese Frage immer wieder neu verhandelt. Die Soju Bar beispielsweise bietet gerade einmal hundert Gästen Platz, öffnet dabei aber die Tür in eine fantastische Welt, in der koreanische Zitate auf köstliche Cocktails treffen – und in der man den Tanzflur nie verlassen kann.

Los Angeles, 2019, ein Vergnügungsviertel in einer apokalypisch-utopischen Metropole. Blade Runner Rick Deckard ist auf der Suche nach Ablenkung. Von futuristischen Cocktails berauscht stolpert er durch eine von bis zur Unkenntlichkeit geschminkten Figuren bevölkerte Welt aus skurrilen Bars und Clubs, verwirrt von existenziellen Fragen und der Sehnsucht nach Nähe. Es ist eine ebenso mysteriöse wie attraktive Vision und ein wenig so, wie mancher sich wohl in der Fantasie eine Nacht in Seoul vorstellt – als unvergleichliche Mischung aus zuckerwattefarbener Fassade und hedonistischer Ausgelassenheit, den geschmacklichen Gegensätzen von unmenschlicher Schärfe und extremer Süße. Auch die Berliner Soju Bar, bei der Hyun Wanner seit einigen Monaten für Sound und Booking zuständig ist, passt mit seinem exotischen Flair und futuristischem Ambiente augenscheinlich optimal in dieses Raster. Doch sieht Wanner eher Unterschiede als Gemeinsamkeiten: „Die Koreaner saufen viel mehr, hören meistens ein bisschen schlechtere Musik, sind viel verrückter auf diese niedliche, unschuldig wirkende koreanische Art“, sagt er, „Und nachher tragen sich gegenseitig nachhause.“

Korea-Town in Kreuzberg

Hyun muss schmunzeln, aber er hat auch wirklich gut Lachen. Denn in nur zwei Jahren hat er an der Skalitzer Straße in Kreuzberg, unweit des Knotenpunktes Görlitzer Platz, eine Art Miniatur-Korea-Town aufgebaut. Zuerst gab es das Kimchi Princess, das möglicherweise erste Restaurant der Hauptstadt, in dem wirklich original koreanisches Essen serviert wird. Herrlich dampfende Anjus (kleine Vorspeisen), direkt am Tisch zubereitetes koreanisches Barbeque sowie eine Vielzahl traditioneller Gerichte wie Jeongol oder Bibimpap. Weil der Erfolg des Kimchi Princess zum eigenen Untergang zu werden drohte – lange Wartezeiten auf einen Tisch machen einen spontanen Besuch schwierig – gründeten Hyun und seine Partnerin Young-Mi Park kurz danach das Angry Chicken, bei dem es einige der feurigsten und besten Gerichte der Kimchi-Speisekarte direkt auf die Hand gab.

Neben diesen beiden sorgfältig geplanten Unternehmungen war die Soju Bar dann eher ein Zufallsprodukt. Als das neben den Restaurants gelegene Reisebüro verlauten ließ, man wolle umziehen, übernahm das Duo, zu dem sich seit einem halben Jahr auch noch Andrea Volpato gesellt hat, den Laden, ohne eine allzu genaue Vorstellung davon zu haben, welches Projekt damit zu verbinden sei. Die ursprüngliche Idee einer typisch koreanische Bar, bei der man auch noch delikate Häppchen serviert bekommt, wurde wegen allzu intensiver Gerüche aufgegeben und schließlich durch eine Lösung ersetzt, bei der zwei scheinbar unvereinbare Konzepte aufeinander prallen: eine entspannte Cocktailbar und ein bis in die frühen Morgenstunden geöffneter Dancefloor. Es ist diese Gleichzeitigkeit von entspannter Atmosphäre und der Ekstase der Club-Kultur, die die Soju Bar so einzigartig macht und ihr in der kurzen Zeit ihres Bestehens ein so unverwechselbares Profil bereitet hat.

Dieses Profil ist vor allem deswegen so prägnant, weil hier eine bunte Sci-Fi-Ästhetik nicht nur aufgegriffen, sondern auf engstem Raum konzentriert wird. Entworfen wurde die Bar vom eigenen Stamm-Designer Felix Pahnke, der bereits das Kimchi wohltuend von den Hauptstadt- Klischees absetzte („Wir konnten alle keine abgezogenen Tapeten und Flohmarkt-Sessel mehr sehen“, so Hyun). Ein paar Hocker an der Bar und eine elegante Wohnlandschaft laden zum entspannten Plausch ein, von der Decke hängt Leuchtreklame mit koreanischen Zeichen und Bildmotiven – eine Kombination aus auf eBay erworbenen Elementen und eigenen Entwürfen. Im Klo gibt es eine Karaoke-Anlage, die mit Hits von Britney Spears und anderen Pop-Größen gefüttert wird – ein Abend in der Soju Bar endet nicht selten mit wunden Stimmbändern. Mit dieser schlichten, aber unwiderstehlichen Kombination ist man zu einer der führenden Locations der sogenannten Micro-Bar-Szene in Berlin aufgestiegen, zu der auch Läden wie die „Kleine Reise“ oder der „Farbfernseher“ gehören und die gleichermaßen von kosmopolitischem Flair und familiärer Intimität lebt. In der Soju Bar freilich wird diese Kombination noch einmal übersteigert. So gibt es an Spitzenabenden zu den Stoßzeiten einen Durchlauf von dreihundert Besuchern, obwohl nur einhundert Platz finden. Dafür, so Hyun, wird es dann am frühen Morgen um so persönlicher, wenn die letzten übrig gebliebenen Gäste zu einer verschworenen Clique verschmelzen. Wanner: „Ein paar von mir geschätzte DJs haben mir gesagt, dass das, was sie in der Soju Bar von fünf bis sieben Uhr morgens mit den restlichen zehn Leuten erlebt haben, so viel Spaß gemacht hat wie lange nichts mehr.“ Das ist sicherlich auch eine direkte Folge der platztechnischen Gegebenheiten, denn das Kleine ist hier gezielt Teil des Konzepts: „Man kann zwar aufhören zu tanzen, aber die Tanzfläche nicht verlassen.“

Ausgezeichnete Akustik

Natürlich wissen die DJs auch die ausgezeichnete Akustik der Soju Bar zu schätzen, in die extrem viel Zeit und Liebe investiert wurde. In direkter Nähe der Skalitzer Straße befindet sich der Skutnik Musik-Verlag, dessen Inhaber bereits an der Ein- und Ausrichtung von über dreißig Studios beteiligt war. Gemeinsam machte man sich daran, der Soju Bar ein passendes akustisches Ambiente angedeihen zu lassen. Das erwies sich als eine durchaus nicht einfache Aufgabe, vor allem weil die Bar nicht von Anfang an als „Tanzschuppen“ avisiert worden war. So musste das erste Soundproofing komplett verworfen und an die neuen Zielsetzungen angepasst werden. Zunächst galt es, sich mit den zwei verschiedenen Deckenhöhen auseinanderzusetzen: Während eine Hälfte des Raums gerade einmal zweieinhalb Meter maß, ging es in der anderen satte vier Meter nach oben. Die Folge: Im Mix schienen die Höhen über den Köpfen der Besucher hin und her zu flitzen. Man löste das Problem durch das Abhängen der hohen Hälfte mit Schaumstoff sowie durch intensive Arbeit am Equalizer. Auch im technischen Bereich freilich lief nicht alles von Anfang an reibungslos: „Wir haben ein russisches System von der Firma Apart. Nicht besonders gut, aber auch nicht besonders schlecht. Das ist ein Komplettsystem mit zwei Bässen und vier Full-Range-Speakern. Am Anfang hatten wir ein Pioneer 500 Mischpult, das uns aber klanglich enttäuschte. Jetzt verwenden wir einen Allen Heath 92, das den Sound sehr nach vorne gebracht hat, sowie einen DMX-Equalizer.“

Nach vorne ging es in der Tat, denn schon bald fanden in der Soju Bar nicht nur ungezwungene DJ-Abende, sondern regelrechte Raves statt, bei denen Größen wie Pascal FEOS den Laden zum Beben brachten. Nachdem man endlich die richtige Kombination aus allen Faktoren gefunden hatte, machte dann aber ein erboster Nachbar, der sich über den druckvollen Klang der neuen Mini-Diskothek nicht ganz so freuen konnte wie die zahlreichen Gäste, gleich wieder einen Strich durch die Rechnung. Nach einer Anzeige wegen „illegalem Diskothekenbetrieb“ („Ein bisschen übertrieben“, findet Hyun) sah man sich gezwungen, einen Limiter einzusetzen. Das dadurch entstandene Manko an Unmittelbarkeit und Intensität versuchte man, durch eine zentralere Positionierung der DJ-Kanzel sowie eine Eingrenzung der Tanzfläche mit den Boxen zu beheben – ein Schritt, der nicht ganz unkontrovers war, aber lediglich die Fähigkeit der Betreiber, sich auf wechselnde Bedingungen einzustellen, unter Beweis stellt.

Immerhin hat diese Reduzierung der Lautstärke die Soju Bar wieder näher an die ursprüngliche Idee einer Fusion aus guter Unterhaltung und Dancefloor-Feeling gerückt. Gerade wurde die Wand zwischen dem Kimchi und der Soju Bar zur Karaoke-Toilette durchbrochen, was die beiden Locations noch enger miteinander verzahnt. Immer mehr nähert sich der entstandene Komplex damit der Traumwelt von Blade Runner an, was manchen zu viel sein mag, aber durchaus so gewollt ist: „Das alles muss für den ganz „normalen“ Restaurantbesucher ziemlich verwirrend sein“, attestiert Hyun, „Das finden wir gut.

von Tobias Fischer

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