Clubreport: Fusion

Geschrieben von Beat
02.08.2011
22:17 Uhr

Der erste Satz des Motivationstrainers lautet nur allzu gern: Du musst deinen Traum leben! Doch was macht man, wenn man Hip-Hop und Techno liebt, aber die leicht verschlafene westfälische Studentenstadt, in der man wohnt, nicht verlassen möchte? Thomas Pieper und Christof Bernard haben ohne Rücksicht auf Verluste ihren eigenen Club eröffnet und sich mutig gegen demografische Widerstände gestemmt. Heute gilt das Münsteraner Fusion unter Kennern als einer der feinsten Clubs des Landes. Und Pieper muss sich mit vierzig keine Vorwürfe machen.

(Bild: www.beat.de)

Thomas Pieper ist begeistert, als ich ihm den Grund für meinen Besuch mitteile: „Niemand fragt mich sonst nach dem Fusion! Obwohl wir erstklassige DJs und einen Verteiler von fast zehntausend Leuten haben, kennen immer noch viel zu wenige den Namen.“ In seinem Büro im komplett umgestalteten Hafen von Münster klappern die Tastaturen. Von hier aus leitet Piepers Dockland GmbH neben dem besagten Fusion vier weitere erfolgreiche und äußerst individuelle Locations: die direkt um die Ecke gelegene Clubkneipe Escape, die Weinbar Ideal, den Coconut Beach sowie das derzeitige Flaggschiff Heaven, das mit seiner Mischung aus Restaurant und Disko zu einer der angesagtesten Ausgehgelegenheiten in der Stadt geworden ist. Letzteres hat sogar gerade den zweiten Preis beim heiß begehrten Gastronomie-Oscar gewonnen; besser war laut Jury nur die Küche des von Sven Väth und Matthias Martinsohn geleiteten Frankfurter Clubs Cocoon. Während ich es mir bequem mache, klingelt das Telefon. Es wird eifrig an den Plakaten für die nächste Party gebastelt und der Grafiker will noch ein paar Punkte durchgehen. Seit einigen Jahren schon arbeitet man fest und zufrieden mit derselben Gestaltungsagentur zusammen, doch ergeben sich ganz natürlich immer kleine Diskussionen: „Grafiker sind eben Künstler“, schmunzelt Thomas Pieper, „doch richtig schlimm treiben es die Musiker selbst. Ich hatte vor kurzem Thomilla und DJ Friction da, und die hatten ein schwarzes Plakat mit einer regenbogenfarbigen Schlangenlinie. Da stand nur ganz klein in der unteren Ecke „Bodymovin' Tour“ drauf. Sehr schön eigentlich, aber völlig sinnlos. So etwas verwende ich nicht.“

Keine Nostalgie

Wenn man ihm dabei zuhört, wie er sich in für Außenstehende scheinbar belanglose Details vertieft, wird schnell klar, wie sehr Pieper das Fusion am Herzen liegt. Und wenn er sich, direkt, nachdem er den Hörer aufgelegt hat, in die Geschichte des Ladens zurückbeamt, spürt man immer noch die Begeisterung, die ihn ergriff, als er sich gegen einen Sicherheit spendenden Studienabschluss entschied, gegen einen 08-/15-Job, gegen die – wie er es ausdrückt – „Mainstream-Scheiße“ und ein geregeltes Leben: „Das Schlimmste ist doch wohl, mit vierzig da zu sitzen und nur an alte Zeiten zu denken“, sagt Pieper. Den Vorwurf muss er sich ganz gewiss nicht machen: Im zwölften Jahr des Bestehens ist das Fusion heute einer der langlebigsten Elektronikclubs Deutschlands, und auch wenn ihm von den Medien ein wenig die Aufmerksamkeit versagt wird, ist Kennern der Technoszene vollkommen klar, was sie an der Location haben: Bei einem Event im vergangenen Jahr reisten sogar Gäste aus Österreich an, und in der Szenezeitschrift „Raveline“ wurde das Fusion in direkter Konkurrenz mit den legendären Gegenstücken aus Köln, Berlin und Frankfurt zum fünftbesten Club des Landes gewählt. Und so fällt Piepers Einschätzung dementsprechend sehr optimistisch aus: „Wenn ich heute in die Zukunft blicke, dann denke ich eher: Früher war alles viel beschissener!“

Natürlich läuft auch heute nicht immer alles rund. Es gibt da sogar ein ziemlich fundamentales Problem: Münster. Dort nämlich hat Pieper sein Geisteskind eröffnet und sich damit zu einem ewigen Nischendasein verdammt. Denn obwohl die westfälische Metropole eine beispielsweise in Bezug auf Jazz ruhmreiche musikalische Vergangenheit aufweisen kann, hat elektronische Musik hier nie eine sonderlich große Rolle gespielt. Noch heute befindet sich die 280.000-Einwohner-Stadt in einer Art kreativem Dornröschenschlaf, suhlt sich in Chill-Out-Nostalgie und frönt vor allem der studentischen Vorliebe für Rock: „Für den gemeinen BWL- oder Jurastudenten ist das Fusion …“, – Pieper überlegt kurz und schüttelt sich dann demonstrativ –, „leicht unheimlich.“

Lokalpatrioten

Warum also haben die Jugendfreunde Thomas Pieper und Christof Bernard gerade hier ihren Traum von Detroit und treibenden Beats realisiert? „Weil wir Lokalpatrioten sind und die Stadt lieben“, gesteht Pieper lachend. Noch während er zur Schule geht, kommen beide bereits als Fünfzehnjährige in Kontakt mit einer aufregenden neuen Musikrichtung. Auf einer vor allem von in der Stadt stationierten US-Soldaten aus dem nahe gelegen Community-Centre frequentierten Feier legt ein DJ einen Track auf, der ihr Leben für immer verändern wird: „Rapper's Delight“ der Sugar Hill Gang. Der ursprüngliche Rock-'n'-Roll-Fan Pieper wird von diesem unglaublichen Sound glatt „weggeflasht“, rennt postwendend zum nächsten Plattenladen und deckt sich dort in den folgenden Monate ununterbrochen mit frischer Musik ein. Obwohl er von nun an für Hip-Hop lebt, ist es eine stilistisch sehr offene Zeit: „Damals hat sich alles viel mehr durchmischt. House kam aus Chicago, Techno aus Detroit und die DJs haben beides gespielt und das sogar mit Rap und Electro verquickt.“ Irgendwie gelingt es ihm, mit Cutmaster Jay und Swift zwei großartige DJs aufzutreiben und „total unprofessionell“ an immer wieder wechselnden „Off-Locations“ eigene Events zu veranstalten. Als Pieper und Bernard ihr Abitur abgelegen, sind ihre Partys immer noch am Start, doch die meisten anderen Veranstaltungen sind inzwischen zugunsten wild wuchernder Pop-Massenware von der Bildfläche verschwunden. Aus dem Widerspruch, weiter in Münster wohnen zu wollen, dort aber einer zunehmenden Verarmung der Clubszene zusehen zu müssen, entsteht das dringende Bedürfnis nach einer eigenen Homebase.

Den idealen Ort zur Verwirklichung ihrer Vision finden die beiden Freunde in einem leerstehenden Lagerhaus, das in grauer Vorzeit einmal von dem Lackgiganten Brillux angemietet worden war. Es ist nicht leicht, die Getränkeindustrie davon zu überzeugen, in dem konservativen, traditionsverliebten und zudem noch katholischen Städtchen Unsummen an Investitionskapital in einen dunklen und komplett renovierungsbedürftigen Laden zu stecken, der sich einer Musikrichtung widmen will, die noch nicht einmal ein Jahrzehnt auf dem Buckel hat. Trotzdem gelingt ihnen der Coup: Nach fünfmonatiger Umbauarbeit, während der sie nebenbei studieren und verschiedensten Jobs nachgehen, eröffnen sie das Dockland, einen der ersten deutschen Clubs, der sich ausschließlich auf Hip-Hop und House konzentriert. Der legendäre Wu Tang Clan wird hier auftreten sowie mit Grandmaster Flash, MC Lyte und Common einige Altmeister der Community. Doch gehört der Samstag ganz der House-Musik, hier legen Roger Sanchez und Eric Morillo bis in die frühen Morgenstunden auf und tauchen die Besucher in einen kollektiven Freudentaumel.

Das Fusion folgt nur ein paar Jahre später. Man zieht in ein alte Fabrikhalle mit einer ungewöhnlichen Architektur aus den Zwanzigerjahren, und es beginnt ein neues Kapitel, das eng mit dem heute stadtbekannten Ausgehviertel Hawerkamp verbunden ist: „Es gab damals die Autonomen, die den Hawerkamp besetzt hatten“, erinnert sich Pieper, „bei denen sind wir mit unserem Partykonzept auf offene Ohren gestoßen. Im Basement vom Fusion, das es ja immer noch gibt, haben wir dann Partys veranstaltet. An jedem ersten und dritten Wochenende des Monats haben wir dort unsere Hip-Hop-Jams gemacht, während die Veranstalter des Elevator-Mailorders am zweiten und vierten Techno-Raves organisiert haben.“ Als sich die anderen Veranstalter gegenseitig an die Gurgel gehen und schließlich im Streit ausziehen, beschließt das Team, drei Jahre nach der Eröffnung des Dockland an ihrer statt dort einen eigenen Club aufzubauen, der sich ganz auf harten Techno konzentrieren soll.

Keine Vorbilder

Bis heute hat das Fusion seine einzigartige Ausstrahlung zwischen geradezu klassisch-kühlem Technodesign und eigenwilliger Gemütlichkeit beibehalten. Manche Besucher mögen sich angesichts der spartanisch-nackten Wände, der klaren Linien und Neonlicht-Ästhetik an legendäre Locations wie das inzwischen längst geschlossene Omen erinnert fühlen, doch gab es laut Thomas Pieper keinerlei Vorbilder bei der Einrichtung. Damit reflektiert der Club kongenial die Tatsache, dass die beiden Inhaber seit der programmatischen Gestaltung allein auf ihr Gefühl vertrauen und dabei dennoch eine ganz genaue Vorstellung davon haben, wofür der Laden steht: „Wir können dort eben alles spielen, was wir den Besuchern des Heaven nicht zumuten würden. Als Mr. Oizo hier war, spielte er beispielsweise ein derart wirres Soundgemisch, dass es sogar mir fast zu viel wurde. Allerdings wissen wir auch, was wir können und was nicht. Niemand käme bei uns auf die Idee, eine neue Laseranlage für 100.000 Euro zu installieren, und genauso wenig würde ich hingehen und Tiësto buchen“, so Pieper. Nebenbei finden im Fusion regelmäßig auch Feiern von Fremdveranstaltern statt, bei denen schon mal Rock gespielt oder der stilistische Rahmen zumindest bedeutend erweitert wird.

Aufgrund dieses kompromisslosen Kurses hat das Fusion allerdings niemals einen großen Gewinn abgeworfen. Zwar zeigen sich die meisten Gäste restlos begeistert, sobald sie einmal die Schwelle überschritten haben, doch erweist es sich immer wieder als schwierig, den Grundbestand an treuen Fans dauerhaft aufzustocken. So ist man, was die Besucherzahlen angeht, ein wenig darauf angewiesen, sich über große DJ-Namen und Spezial-Events zu profilieren Das bedeutend erfolgreichere Heaven dient dabei als eine Art indirekte Absicherung des Fusion-Konzepts. Schon lange denkt Pieper über eine überregionale Imagekampagne nach, mit der der Club ähnlich wie der Berliner Tresor zu einer eigenen Marke werden soll. Gleichzeitig gibt es auch Angebote eines kompetenten lokalen Konkurrenten, der gern viel Geld in die Hand nehmen würde, um aus der Location „mehr“ zu machen. Doch kann sich Pieper nicht so einfach von dem Club trennen, der ihn mit seiner Vergangenheit verbindet und bei dem er sich noch immer so austoben kann wie bei keinem anderen seiner Objekte: „Es ist ein Luxus, den wir uns gönnen. Kein Mensch könnte vom Fusion leben, aber er ruiniert uns auch nicht. Es ist einfach unser Baby“, erläutert er. Dabei tröstet es ihn manchmal, das er mit seinen gelegentlichen Schwierigkeiten nicht allein dasteht: „Selbst die berühmtesten Clubs haben ihre Probleme. Es reicht nicht, einfach nur einen Laden mit elektronischer Musik zu führen. Du musst schon eine Idee haben. Worum es immer noch geht, ist das Besonderes, mit dem man sich abhebt.“ Genauso wie die Schrift auf einem Plakat.

Das Fusion …

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… liegt im Herzen des Münsteraner Hawerkamps, des wohl angesagtesten Ausgehviertels der Studentenstadt. Was bei Tageslicht wie eine wahllose Ansammlung Graffiti-verschmierter Backsteinhäuser anmutet, verwandelt sich nachts in einen Kosmos aus Techno, Trance und Rock. In der frühen Phase der ringförmig angelegten Erschließungsstraße gegründet, bildet das Fusion in gewisser Weise das Herzstück der lokalen Elektronikszene, um das sich inzwischen mehrere kleinere Clubs, wie beispielsweise das noch mehr dem Underground verpflichtete Favela, gruppiert haben.

von Tobias Fischer

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