Clubreport: 50grad Mainz

Geschrieben von Beat
15.06.2011
20:18 Uhr

Wie viele Quadratmeter braucht man für einen guten Club? Im 50grad stellt sich diese Frage überhaupt nicht. Hier wird zwar auf engstem Raum gefeiert und getanzt, doch entsteht nie ein Eindruck von Enge und Beklemmung. Stattdessen vermittelt die Location in der sonst eher beschaulichen Landes- und Studentenhauptstadt Mainz ein urbanes Feeling. Dafür ist nicht nur eine smarte Programmierung, sondern vor allem auch ein passgenaues Sound-Konzept verantwortlich.

Das 50grad zu betreten ist ein wenig, als begebe sich man in die sagenumwobene Tardis des BBC-Kult-Helden Dr. Who: Von außen eine blaue Polizei-Notrufzelle wie man sie im England jahrzehntelang an jeder Ecke fand, verwandelte sie sich innen unter Ausnutzung der auf ein schwarzes Loch einwirkenden Kräfte in eine geräumige Zeitmaschine, die einer mehrere Mitglieder starken Crew Platz bot. Auch in dem Mainzer Club scheinen die Gesetze von Raum und Zeit aufgehoben. Im Gegensatz zu vielen ähnlich kleinen Locations, die sich aufgrund ihrer überschaubaren Quadratmeterzahlen auf eine eher gemütliche Atmosphäre eingeschossen haben, strahlt das 50grad sofort beim Betreten etwas Kosmopolitisches und Futuristisches aus, eine zugleich einladende und dunkle Stimmung. Durch eine geschickte Einteilung in verschiedene Bereiche und Verschachtelung der Elemente entsteht das Gefühl eines mysteriösen und verschlungenen Pfades, der den Gast entlang einiger High-Tech-Terminals und bequemer Sitzgelegenheiten zu der in unwirkliches Licht getauchten Bar führt und von dort direkt auf den zumeist brechend vollen Tanzflur, auf dem vor allem am Freitagabend die vielleicht feinste elektronische Musik der Stadt gespielt wird. Voll ist es, feucht und heiß ohnehin. Aber genau diese drückende Schwüle und körperliche Nähe lässt alle näher zusammenrücken und ganz tief eintauchen in die Musik. Welchen Seelenballast auch immer man mit sich geschleppt haben mag – die Sorgen des Alltags lässt man hier am Eingang zurück.

Klausuren und Vorlesungen

Alltagssorgen, das heißt für die meisten Gäste hier Klausuren und Vorlesungen. Denn wie die meisten Clubs in Mainz, lebt das 50grad vor allem von Studenten. Dass diese tatsächlich über die ihnen oft nachgesagte Party-Ausdauer verfügen, beweisen sie hier jeden Abend aufs Neue: Die Stimmung ist zumeist schon auffallend früh am Abend ausgelassen und dauert bis tief in die Nacht an. Zudem fordert das Publikum einen bedeutend offeneren Stilmix, als man ihn beispielsweise im nahegelegenen und dreimal so großen Frankfurt vorfindet, wo sich weitaus spezialisiertere Locations herausgebildet haben: Neben dem bereits genannten, auf einen tiefen Techno- und Dance-Sound ausgelegten Freitag, bedient man am Samstag die Fans von „Black & House“ und, im großen „Best of different styles“-Rundumschlag unter der Woche, sogar Freunde zünftigen Rocks. Das mag zwar in Zeiten einstürzender Genre-Grenzen und eklektischer Geschmäcker keine Revolution mehr darstellen.

Doch ist es nur wenigen gelungen, sich anderen musikalischen Richtungen zu öffnen und dabei zugleich den Ruf als erstklassige Elektronik-Stätte aufrecht zu erhalten: „Das 50grad war der erste Club in Mainz mit dieser musikalischen Ausrichtung und es konnten über die Jahre zahlreiche nationale und internationale DJ-Größen in einer familiären Atmosphäre präsentiert werden“, so der für Marketing, PR und Booking zuständige Thomas Grümmer, der sich gerne an die Frühphase zurückerinnert: „2001 waren die Gründer des 50grad bereits im Veranstaltungsgeschäft tätig und hegten den Wunsch nach einer eigenen, festen Partylocation. Durch einen Zufall kam man zu den jetzigen Räumlichkeiten, die sich in den Kellerräumen des Gebäudekomplexes Eltzer Hof und Landesmuseum in Mainz befinden. Man erkannte damals schnell das Potenzial, das in der doch recht heruntergekommenen Location verborgen lag. Da es bis dato nichts Vergleichbares in Mainz gab, schwamm am Anfang natürlich immer die Angst mit, ob für ein solches Konzept überhaupt ein ausreichendes Nachfragepotenzial besteht. Dass diese Sorge weitgehend unbegründet war, stellte sich zum Glück schnell nach der Eröffnung heraus und bestätigt sich sicherlich auch heute noch durch das anstehende zehnjährige Jubiläum.“ Dabei fügte man sich organisch in die Szene der Stadt ein, und konnte nicht nur eine große und stadtübergreifende Community aufbauen, sondern vor allem einen festen Kern an Stammkunden, die dem Club über das gesamte Jahrzehnt die Treue gehalten haben.

Klang-Physik

Freilich ist es mit der Beherrschung schwarzer Löcher so eine Sache und physikalische Gesetzmäßigkeiten lassen sich nie vollständig aufheben. So stellte die Beschallung der Location für die Mainzer eine komplexe Frage dar. Schließlich will man den Feiernden zwar ein druckvolles Klangbild bieten, die Gelegenheit zur gepflegten Konversation aber aufrecht erhalten – ein durchaus ambitioniertes Ziel, da aufgrund des knappen Platzangebots diese Aktivitäten praktisch nebeneinander stattfinden. Grümmer erklärt, dass man hier durch eine dezentrale Lösung zum Ziel gelangt sei: „Das 50grad ist bekannt für einen sehr warmen, druckvollen Sound, der exzellent auf die relativ kleine Tanzfläche ausgerichtet ist. Dazu gesellen sich im Bereich der Bar und in der Nähe der Sitzgelegenheiten weitere weniger aufdringliche Lautsprecher für einen angenehmen Raumklang. Die passende Balance zwischen einem druckvollen Sound und einem gleichzeitig transparenten Klangbild erreichen wir durch die entsprechende Ausrichtung der einzelnen Anlagenelemente als auch durch die verwendeten Geräte. Der Sound ist optimal ausgerichtet und erreicht durch die vorhandene Balance aus Bass und Topteilen ein ausgewogenes, knackiges Klangbild.“ Und tatsächlich kann man sich bereits direkt neben dem Dancefloor wieder angenehm unterhalten, ohne dass man am nächsten Morgen mit brüchiger Stimme aufwacht. Ständige Veränderung gehört hier somit zum Konzept: „Die Anlage wurde immer wieder an aktuelle Entwicklungen angepasst“, so Grümmer, „Erst in der vergangenen Sommerpause ist es durch kleine Veränderungen an den Boxen gelungen, einen noch besseren Sound zu erzeugen, der trotzdem seinen charakteristischen warmen und druckvollen Klang nicht verloren hat. Was dagegen immer nahezu unverändert geblieben ist, sind die Installationsorte der einzelnen Anlagenteile.“

Lokal und global

Das wissen nicht nur die Besucher zu schätzen. Vor allem auch, was die gastierenden DJs und Residents angeht, ist es dem 50grad gelungen, namhafte Vertreter der Zunft an sich zu binden oder zumindest den Kontakt auch dann noch aufrecht zu erhalten, als die Karriere des jeweiligen Künstlers auch auf internationaler Ebene abhob. Zu nennen ist hier sicherlich vor allem Butch, der inzwischen zu einem der Abräumer der Szene geworden ist, aber weiterhin gerne in Mainz vorbeischaut. Auch die Betreiber sind sich stets ihrer Wurzeln bewusst geblieben und investieren immer wieder in die Stadt, die sie groß gemacht hat: In Zusammenarbeit mit Thorsten Schuth und Thorsten Graeber vom erfolgreichen Mainzer „Vinyl Villa“-Label organisiert man beispielsweise seit neustem gemeinsame Partys auf allerhöchstem Niveau. Es ist eine Strategie, die man in Zukunft durchaus verstärken möchte: „Großer Vorteil bei dieser Art der Programmgestaltung ist die Nähe der DJs/Akteure zu den Gästen und die Ausnutzung bestehender Kontakte und Kommunikationswegen, sowie das Zusammenführen von ‚Fans‘ unterschiedlicher Partner. Es besteht jeweils ein eigener Kreis an Leuten, die gerne gemeinsam feiern und in dem sich auch entsprechende Meinungsmacher finden.“ Alles das bestätigt die Bedeutungslosigkeit absoluter Größenangaben: je kleiner der Club, desto größer die emotionale Nähe zu den Besuchern.

Equipment am DJ-Platz:

Allen & Heath X-Zone 92

Pioneer DJM 800

2 x Technics 1210

2 x Pioneer CDJ 1000 MK3

Der 1. FSV Mainz 05…

…mag zwar gerade die Bundesliga gehörig aufmischen. Doch die wahre Attraktion der Stadt ist der quer hindurchlaufende 50. Grad nördlicher Breite, anhand einer Plakette auf dem Gutenbergplatz entsprechend erkennbar. Natürlich war eben diese Tatsache für die Namensgebung des Clubs an der Breiten Gasse ausschlaggebend. Doch behaupten böse Zungen immer wieder gerne, es habe noch etwas anderes damit auf sich: Wenn es auf einer der ekstatischen Club-Nächte mal wieder hoch hergeht, bietet sich schließlich die Interpretation an, der Wert beziehe sich auf die gefühlte Innentemperatur der Location – was aber bisher noch keinem die Lust am Feiern genommen hat.

von Tobias Fischer

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